Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 01.03.2006
Aktenzeichen: 9 WF 39/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114
Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung hat in aller Regel bereits dann hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO, wenn die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Verfahren der Prozesskostenhilfe bietet den nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geschützten Rechtsschutz nicht selbst, sondern will ihn erst zugänglich machen.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

9 WF 39/06

In der Familiensache

wegen Abänderung Ehescheidung

hier: Beschwerde gegen die Verweigerung von Prozesskostenhilfe

hat der 9. Zivilsenat - Senat für Familiensachen II - des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Kockler als Einzelrichter am 1. März 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Merzig vom 12. Januar 2006 - 20 F 505/05 E3 - wird der Antragstellerin in Ergänzung des angefochtenen Beschlusses Prozesskostenhilfe zu den dort aufgeführten Bedingungen auch für den Antrag vom 2. August 2005 auf Scheidung der am 8. November 1985 geschlossenen Ehe bewilligt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die am Mai 1967 geborene Antragstellerin und der am Juni 1960 geborene Antragsgegner haben am 8. November 1985 die Ehe geschlossen, aus der zwei 1987 und 1989 geborene Kinder hervorgegangen sind. Während beide Parteien zum Zeitpunkt der Eheschließung italienische Staatsangehörige waren, besitzt die Antragstellerin seit März 2004 die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Parteien leben nach übereinstimmenden Angaben seit Februar 2002 getrennt.

Die Antragstellerin hat um Prozesskostenhilfe für einen am 3. August 2005 eingegangenen Antrag nachgesucht, mit dem sie unter Anwendung deutschen Sachrechts die Scheidung der am 8. November 1985 geschlossenen Ehe, hilfsweise gemäß Art 150 des italienischen Zivilgesetzbuches die Feststellung begehrt, dass die Parteien von Tisch und Bett getrennt leben.

Der Antragsgegner hat angekündigt dem Scheidungsbegehren zuzustimmen. Auch er hält die Anwendbarkeit deutschen Scheidungsrechts für angezeigt. Hilfsweise kündigt er den Antrag an, festzustellen, dass die Parteien von Tisch und Bett getrennt leben.

Das Familiengericht hat der Antragstellerin lediglich Prozesskostenhilfe für den Hilfsantrag (Trennung von Tisch und Bett) bewilligt. In einer Verfügung vom gleichen Tag hat es ausgeführt, auch wenn die Ehefrau zwischenzeitlich die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe, sei bei Anwendbarkeit des italienischen Rechts Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB nicht einschlägig. Zunächst sei die Trennung von Tisch und Bett auszusprechen.

Der hiergegen eingelegten "Beschwerde" hat das Familiengericht unter Hinweis darauf, dass nach italienischem Recht nach Trennung von Tisch und Bett und Ablauf der 3-jährigen Trennungszeit, die Scheidung grundsätzlich möglich sei, nicht abgeholfen.

II.

Das als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel der Antragstellerin ist nach Maßgabe von § 127 Abs. 2 ZPO zulässig. Es richtet sich dagegen, dass ihr für den Hauptantrag auf Scheidung der Ehe die nachgesuchte Prozesskostenhilfe verweigert worden ist.

Zwar enthält die Entscheidungsformel des PKH-Beschlusses vom 12. Januar 2006 keinen diesbezüglichen Ausspruch. Aus dem Umstand, dass das Familiengericht jedoch Prozesskostenhilfe (nur) für den Hilfsantrag bewilligt hat, folgt zugleich, dass dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Hauptantrag nicht stattgegeben worden ist. Bestätigt wird dies durch die mit dem PKH-Beschluss getroffene Verfügung vom 12. Januar 2006 und den Inhalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 16. Februar 2006.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet und führt zu der erstrebten Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den angekündigten Scheidungsantrag. Abweichend von der Auffassung des Familiengerichts ist die erfolgte Verweigerung der Prozesskostenhilfe vorliegend nicht gerechtfertigt.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat eine beabsichtigte Rechtsverfolgung in aller Regel bereits dann hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S. von § 114 ZPO, wenn die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen abhängt.

Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Verfahren der Prozesskostenhilfe bietet den nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geschützten Rechtsschutz nicht selbst, sondern will ihn erst zugänglich machen (BVerfG, FamRZ 2004, 1013; BGH, FamRZ 2004, 1633 mit Hinweis auf: BVerfGE 81, 347, 357 ff.; BVerfG, NJW 1994, 241, 242; NJW 2000, 1936, 1937; BGH, NJW-RR 2003, 1438; NJW 2002, 3554; NJW 1998, 82 und MDR 2001, 1007; vgl. hierzu auch: Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114, Rz. 21; Thomas/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 114, Rz. 5; Johannsen/Henrich/Thalmann, Eherecht, 4. Aufl., § 114 ZPO, Rz. 111; Künkel/Engels in Rahm/Künkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, 4. Aufl., II, Rz. 122; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl. Rz. 411, 412).

So liegt der Fall hier.

Die Rechtsfrage, ob nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB für die Scheidung ggf. deutsches Recht Anwendung findet, wenn ein Ehegatte, der im Zeitpunkt der Eheschließung noch die ausländische Staatsangehörigkeit hatte, nachträglich die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, oder ob in diesem Fall nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB i.V.m. Art 14 EGBGB das ausländische Recht als Ehewirkungsstatut auch für das Scheidungsverfahren gilt, ist hinsichtlich der Beurteilung der Modalitäten des insoweit maßgeblichen ausländischen Scheidungsrechts in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten.

Überwiegend wird die Auffassung vertreten, dass eine regelwidrige Anwendung deutschen Rechts nicht erst dann in Betracht kommt, wenn die Ehe andernfalls überhaupt nicht bzw. in absehbarer Zeit nicht geschieden werden könnte, sondern es für die Anwendbarkeit deutschen Scheidungsrechts ausreicht, dass eine Scheidung nach Maßgabe des ausländischen Rechts wenigstens derzeit nicht möglich ist (KG, IPRax 2000, 544 ff.; OLG Celle, FamRZ 1987, 159; OLG Köln, 10. Zivilsenat, FamRZ 1996, 946, 947; Palandt/Heldrich, EGBGB, 65. Aufl., Art. 17 Rz. 9, m.w.N.; MünchKomm/Winkler v. Mohrenfels, BGB, 3. Aufl., Art 17 EGBGB, Rz. 55; Staudinger/v. Bar/Mankowski (1996), Art. 17 EGBGB, Rz. 168; Johannsen/Henrich, Eherecht, 4. Aufl., Art. 17 EGBGB, Rz. 26; Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, 4. Aufl., VIII, Rz. 207; Hoppenz/Hohloch, Familiensachen, 8. Aufl., D I, Art. 17 EGBGB, Rz. 14).

Demgegenüber vertreten namentlich OLG Hamm (FamRZ 2004, 954) und der 14. Zivilsenat des OLG Köln (IPRax 1989, 310) die Ansicht, für eine (regelwidrige) Anwendung von Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB sei kein Raum, wenn durch das als Ehewirkungsstatut zur Anwendung berufene ausländische Scheidungsrecht - wie vorliegend das italienische Recht - die Ehescheidung nicht generell ausgeschlossen, sondern allenfalls im Vergleich zum deutschen Scheidungsrecht erschwert werde. Gegen die Entscheidung des OLG Hamm wurde die - zugelassene - Revision eingelegt, über die bislang noch nicht entschieden ist (Aktenzeichen: XII ZR 5/04).

Da die Rechtsverfolgung der Antragstellerin, welche in erster Linie unter Anwendung deutschen Sachrechts geschieden werden will, von der Beantwortung der vorstehend aufgezeigten, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, kann ihr die nachgesuchte Prozesskostenhilfe nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht ihres Begehrens vorenthalten werden (vgl. BVerfG, FamRZ 2004, 1013).

Der Kostenausspruch beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung nicht gegeben sind (§ 574 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück