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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.10.2001
Aktenzeichen: 1 A 96/01
Rechtsgebiete: MKS-Verordnung, Richtlinie 90/423/EWG


Vorschriften:

MKS-Verordnung § 2
Richtlinie 90/423/EWG Art. 4
Richtlinie 90/423/EWG Art. 13
Das Impfverbot in § 2 MKS-Verordnung findet seine Ermächtigungsgrundlage im § 79 Abs. 1 i.V.m. § 23 Tierseuchengesetz und verstößt weder gegen Gemeinschaftsrecht noch gegen Grundrechte oder das Tierseuchengesetz
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 1 A 96/01

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 1. Kammer - ohne mündliche Verhandlung durch den als Einzelrichter am 22. Oktober 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger ist Landwirt. Er beabsichtigt, seinen Viehbestand vorbeugend gegen die Maul- und Klauenseuche zu impfen.

Mit Schreiben vom 18. April 2001 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine entsprechende Genehmigung. Mit Bescheid vom 26. April 2001 lehnte der Beklagte die Genehmigung ab, da § 2 der Verordnung zum Schutz gegen die Maul- und Klauenseuche (MKS-Verordnung) ein Impfverbot enthalte, das zu beachten sei. Durchgreifende Zweifel an der Wirksamkeit dieser Vorschrift bestünden nicht.

Mit seiner dagegen am 17. Mai 2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Impfbegehren weiter: Das Impfverbot der MKS-Verordnung verstoße gegen höherrangiges Recht. In formeller Hinsicht fehle ihm eine dem Art. 80 Abs. 1 GG entsprechende Ermächtigungsgrundlage. In materieller Hinsicht verletze es die Art. 12, 14, 2 Abs. 1 und 20 a GG. Darüber hinaus sei die Richtlinie 90/423/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaft wegen Verstoßes gegen Grundrechte und gegen den gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unwirksam.

Dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers sind die Anträge zu entnehmen,

1. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26. April 2001 zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Genehmigung für die Schutzimpfung seines Tierbestandes gegen die Maul- und Klauenseuche zu erteilen,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Kläger berechtigt ist, seinen Tierbestand gegen die Maul- und Klauenseuche impfen zu lassen,

2. wegen der Unwirksamkeit der Richtlinie 90/423/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 26. Juni 1990 den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung anzurufen.

Dem schriftsätzlichen Vorbringen des Beklagten sind die Anträge zu entnehmen,

1. den Haupt- und Hilfsantrag des Klägers abzuweisen und

2. kein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof einzuleiten.

Er hält das Impfverbot für rechtmäßig und verbindlich. Grundlage sei die mehrfach geänderte Richtlinie 85/511/EWG des Rates vom 08. November 1985, namentlich deren Art. 13. Die Umsetzung dieser Richtlinie sei über §§ 79 Abs. 1 Nr. 2 und 23 Tierseuchengesetz erfolgt; das Impfverbot habe seinen Niederschlag in § 2 MKS-Verordnung gefunden. Ausnahmen seien in §§ 3 und 11 a MKS-Verordnung geregelt, deren Voraussetzungen hier jedoch nicht vorlägen. Die vom Kläger geäußerten formellen und materiellen Einwände gegen das Impfverbot teile die Beklagte nicht.

Mit Beschluss vom 21. Juni 2001 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt hatten (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage kann keinen Erfolg haben. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, seinen Tierbestand gegen die Maul- und Klauenseuche impfen zu lassen.

1. Gemäß § 2 der Verordnung zum Schutz gegen die Maul- und Klauenseuche (MKS-Verordnung) i. d. F. der Bekanntmachung vom 01. Februar 1994 (BGBl. I S. 187) sind Impfungen gegen die Maul- und Klauenseuche verboten. Die Voraussetzungen für Ausnahmen gegen das Impfverbot gemäß §§ 3, 11 a MKS-Verordnung liegen hier ersichtlich nicht vor. Die verfassungs- und europarechtlichen Bedenken des Klägers gegen das Impfverbot teilt das Gericht nicht.

a) Das Impfverbot in § 2 MKS-Verordnung findet eine dem Art. 80 Abs. 1 GG entsprechende Ermächtigungsgrundlage in § 79 Abs. 1 Tierseuchengesetz i. V. m. § 23 Tierseuchengesetz. Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung sind in der gesetzlichen Grundlage der Verordnung hinreichend geregelt. Danach kann das zuständige Bundesministerium mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Vorschriften zum Schutz gegen die besondere Gefahr, die für Tierbestände von Tierseuchen ausgeht, nach Maßgabe der §§ 18 bis 30 Tierseuchengesetz erlassen. Hierzu gehört auch die Möglichkeit, ein Impfverbot im Sinne von § 23 Tierseuchengesetz durch Rechtsvorschrift zu regeln. Aufgrund dieser klaren Gesetzesermächtigung erachtet das Gericht die MKS-Verordnung für hinreichend legitimiert.

b) Die MKS-Verordnung bietet auch in materiell-rechtlicher Hinsicht keinen Grund zur Beanstandung. Sie ist nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht - insbesondere wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht, Grundrechte oder das Tierseuchengesetz - nichtig.

Mit dem Impfverbot des § 2 der MKS-Verordnung wird der Zweck verfolgt, die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche umzusetzen und damit ein gemeinschaftsrechtskonformes MKS-Bekämpfungskonzept zu betreiben. Die Europäische Gemeinschaft hat mit der Änderung der Richtlinie 85/511/EWG des Rates vom 18.11.1985 durch die Richtlinie 90/423/EWG des Rates vom 26.06.1990 bezogen auf die Maul- und Klauenseuche eine "Politik der Nichtimpfung" eingeführt (vgl. hierzu Geissler-Rojahn-Stein, Sammlung tierseuchenrechtlicher Vorschriften, Band 1, B-6.1, Anm. 3 a). Ließ die Richtlinie 85/511/EWG noch die - insbesondere von der Bundesrepublik Deutschland früher verfolgte - Politik der Mitgliedsstaaten für prophylaktische Impfungen unberührt, wurden die Mitgliedsstaaten nun im Rahmen von Art. 4 und Art. 13 der Richtlinie 90/423/EWG verpflichtet, spätestens zum 01. Januar 1992 den Gebrauch vom MKS-Impfstoffen zu verbieten. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie sieht als Ergänzung des Instrumentariums zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche (Tötung der MKS-verdächtigen Tiere, unschädliche Beseitigung, Sperrbezirke etc.) nur noch Notimpfungen vor, die für geographisch begrenzte Gebiete von der Kommission im Benehmen mit dem Mitgliedsstaat beschlossen werden können; zur Durchführung einer Notimpfung "im Umkreis des Krankheitsherdes" kann der Beschluss auch von dem betroffenen Mitgliedsstaat nach Unterrichtung der Kommission beschlossen werden.

Begründet wurde dieses Konzept mit einer Studie der Kommission über die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche, die ergeben habe, dass eine Politik der Nichtimpfung für die Gemeinschaft insgesamt einer Impfpolitik vorzuziehen sei. Wegen der möglichen Ansteckung empfänglicher Tiere aus lokalen Beständen seien Virusmanipulationen in Laboratorien und die Verwendung von Impfstoffen, deren Unbedenklichkeit nicht durch Inaktivierung gewährleistet sei, riskant. In Bezug auf die Impfpolitik habe die Kommissionsstudie unmissverständlich ergeben, dass von einem bestimmten Zeitpunkt an ein amtliches Impfverbot eingeführt und gleichzeitig die Tötung und unschädliche Beseitigung der betroffenen Tiere vorgeschrieben werden sollte (Erwägungsgründe der Richtlinie 90/423/EWG des Rates).

Das Gericht hat keine Zweifel an der Gültigkeit des Art. 13 der Richtlinie 85/511/EWG. Der Kläger hat zwar Argumente für die Unwirksamkeit der Richtlinie vorgetragen, sein Vorbringen rechtfertigt indes nicht die Annahme, dass die Richtlinie wegen eines Verstoßes gegen Grundrechte oder den gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von Anfang an unwirksam war, oder dass die Richtlinie aufgrund einer Änderung der Verhältnisse unbeachtlich geworden ist. Bei der Bestimmung des Prüfungsmaßstabes ist der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten, der vom Bundesverfassungsgericht in seiner "Solange-II-Entscheidung" auch hinsichtlich der im Grundgesetz garantierten Grundrechte anerkannt wird (BVerfGE 73, 339/375). Das gilt auch unter Berücksichtigung der Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 89, 155), die nicht als Abkehr von der "Solange-II-Rechtsprechung" zu verstehen ist (BVerfGE 102, 147).

Die Prüfung, ob eine gemäß Art. 249 EG-Vertrag von Organen der Europäischen Gemeinschaft erlassene Richtlinie wirksam ist, obliegt gemäß Art. 234 dem Europäischen Gerichtshof; er ist insoweit gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 GG, so dass etwaige Zweifel an der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts in einem Vorabentscheidungsverfahren zu klären wären.

Das erkennende Gericht hat jedoch solche Zweifel an der Wirksamkeit der Richtlinie nicht. Das durch die genannte Richtlinie geregelte Impfverbot muss sich an den gemeinschaftsrechtlich garantierten Grundrechten messen lassen, so wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten und der EMRK ergeben und damit als allgemeine Rechtsgrundsätze Geltung als primäres Gemeinschaftsrecht entfalten. Hierzu gehört auch der Schutz des Eigentums, auf den sich der Kläger beruft. Soweit sich der Kläger auch auf die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 GG und auf Art. 2 Abs. 1 GG beruft, geht deren Schutzbereich für den vorliegenden Rechtsstreit jedenfalls nicht weiter als der Schutzbereich des Art. 14 GG. Im Übrigen sind für alle benannten Grundrechte die hierfür geltenden Schranken zu beachten. Es ist anerkannt, dass auch die gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet sind, sondern durch gesetzmäßige Regelungen, die verhältnismäßig sind, eingeschränkt werden können (vgl. hierzu Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 6 EU-Vertrag, Rdnr. 16 ff.; EuGH NVwZ 1998, 601). Dies kommt insbesondere auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18.12.2000 (Amtsblatt Nr. C 364 vom 18.12.2000, S. 0001-0022) zum Ausdruck. Gemäß Art. 17 der Grundrechtscharta kann die Nutzung des Eigentums gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. Für dieses Grundrecht sowie das in Art. 15 der Charta geregelte Grundrecht der Berufsfreiheit ist ferner Art. 52 der Charta zu beachten, wonach jede Einschränkung eines Grundrechts gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten achten muss. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutze der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

In dem vorliegenden Verfahren haben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dass das Impfverbot die vorstehend dargelegten Schranken überschreite. Das Tierseuchenbekämpfungskonzept der Gemeinschaft bezüglich der Maul- und Klauenseuche - und in diesem Zusammenhang das Impfverbot - wurde auf die Regelungen betreffend eine gemeinsame Agrarpolitik gestützt. An der diesbezüglichen Regelungskompetenz der Gemeinschaft besteht kein Zweifel; es besteht auch kein Anlass, einen Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bzw. einen sogenannten "ausbrechenden Rechtsakt" anzunehmen (vgl. hierzu BVerfGE 89, 155/193 ff.). Auch unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit der Maßnahme und der Verhältnismäßigkeit ergibt sich kein Anlass zu Zweifeln an der Übereinstimmung der Richtlinie mit den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Anerkannt ist, dass die Organe der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügen (vgl. EuGH NVwZ 1998, 601/602). Dieser weite Gestaltungsspielraum besteht auch hinsichtlich des notwendigen Tierseuchenbekämpfungskonzeptes im vorliegenden Zusammenhang. Vor diesem Hintergrund ist die im Jahre 1990 einerseits auf sachverständigen Äußerungen gestützte, besonders aber auch auf wirtschaftliche Erwägungen beruhende Entscheidung des Rates für ein Impfverbot bezüglich der Maul- und Klauenseuche nachvollziehbar und rechtlich nicht zu beanstanden. Die Entscheidung des Rates wurde, wie aus den Erwägungsgründen deutlich wird, fachlich abgesichert, soweit sie auf epidemiologische Erwägungen gestützt wurde. In der Kommentarliteratur heißt es dazu, es sei unbestritten, dass vom epidemiologischen Standpunkt aus das von der Gemeinschaft gewählte System des Impfverbotes den höherwertigen Standard darstelle (vgl. Geissler-Rojahn-Stein, a. a. O., F-17.3 Anm. 4). Hiervon ausgehend ist es auch nicht zu beanstanden, dass dabei nicht nur die Risiken von Impfungen, sondern auch Fragen der Vermarktbarkeit (Problem der Exportbeschränkungen) von Tierbeständen nach Impfaktionen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union berücksichtigt wurden. Solche wirtschaftlichen Belange gehören in das Abwägungsmaterial, das bei einer solchen Entscheidung zu berücksichtigen ist. Vor diesem Hintergrund steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das Tierseuchenbekämpfungskonzept der Gemeinschaft auf verhältnismäßigen Erwägungen des Allgemeinwohls beruht und die damit verbundenen Einschränkungen des Eigentums und der Berufsausübung aufgrund der vorgenannten Schranken der betroffenen Grundrechte zu akzeptieren sind. Auch ein Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht anzunehmen, denn gerade angesichts der Risiken, die mit der Impfung für das geimpfte Tier und andere Tiere verbunden sind, steht ein Impfverbot nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck.

c) Auch bei einer Grundrechtsprüfung auf der Grundlage des Grundgesetzes würde sich kein anderes Ergebnis ergeben, da hinsichtlich des Schutzbereiches und der Schranken der betroffenen Grundrechte keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Grundgesetz und dem Grundrechtsstandard der Europäischen Union bestehen. Deshalb ist auch die nationale Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in § 2 MKS-Verordnung als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 GG bzw. als Ausdruck der Schranken der Art. 12 und 2 Abs. 1 GG in grundrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger auch die Verletzung von Art. 20 a GG rügt, weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass das dort festgelegte Staatsziel seiner Struktur nach keine anspruchsbegründende Wirkung für den Einzelnen entfaltet und mit ihm jedenfalls kein eigenständiges subjektiv-rechtliches Schutzziel verbunden ist (vgl. Scholz in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Art. 20 a, Rdnr. 33; Kloepfer in Bonner Kommentar zum GG, Art. 20 a, Rdnr. 18).

d) Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die seinerzeit dem Impfverbot zugrunde gelegten Erkenntnisse überholt seien und jedenfalls angesichts des aktuellen Seuchengeschehens hieran aus Verhältnismäßigkeitsgründen und dem Interesse einer effektiven Tierseuchenbekämpfung nicht festgehalten werden könne. Zwar obliegt es den Organen der Gemeinschaft, ihre Risikoentscheidungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, wenn aktuelle Entwicklungen zu verzeichnen sind, die die Grundlagen der Entscheidung berühren. Es gibt jedoch keine erheblichen Anhaltspunkte dafür, dass eine Situation eingetreten ist, die - unabhängig von der Frage des zulässigen Rechtsweges - aus Rechtsgründen evident eine Änderung des geltenden Impfverbotes erforderte. Von einer diesbezüglichen Reduzierung des Gestaltungsermessens der Gemeinschaftsorgane ist auch angesichts der aktuellen Situation und vereinzelter Stimmen in der Wissenschaft nicht auszugehen. Es trifft zwar zu, dass sich angesichts der relativ erfolglosen Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche im Vereinigten Königreich am Anfang dieses Jahres immer mehr Stimmen dafür einsetzten, zu Impfungen überzugehen. Dies reicht jedoch nicht aus, um die der Gemeinschaft obliegende aktuelle Risikobewertung zu ersetzen. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass in der Fachwelt vorsorgliche Impfungen gegen die Maul- und Klauenseuche auch gegenwärtig keineswegs einhellig befürwortet werden; die Meinungen gehen vielmehr auseinander. So führt zum Beispiel die Bundesforschungsanstalt für Virenerkrankungen der Tiere in einer Stellungnahme vom 26. März 2001 u. a. aus:

"Für den Einsatz des MKS-Impfstoffes müssen generell folgende Probleme benannt werden: Der Impfstoff besteht aus inaktiviertem Virus mit all den bekannten Nachteilen von Totvakzinen hinsichtlich Einsetzen, Dauer und Belastbarkeit des Impfschutzes. Durch Vakzination kann bei keiner Tierart eine sterile Immunität hervorgerufen werden, d. h. eine Infektion wird nicht verhindert. Darüber hinaus wird auch nicht verhindert, dass vakzinierte Wiederkäuer zu Virusträgern werden und lange Zeit Virus ausscheiden können, d. h. die geimpften Tiere erkranken selbst nicht, sie verbreiten aber das Virus weiter und können andere Tiere infizieren. Das bedeutet, dass unter einer Impfdecke das Virus weiter zirkulieren kann. Solange es keinen verlässlichen Test zur Unterscheidung infizierter und vakzinierter Tiere gibt, kann eine MKS-Bekämpfung so nicht mehr durchgeführt werden ...

Die Herstellung solcher Mengen von Impfstoff, die bei MKS immer das Arbeiten mit großen Mengen von nicht attenuiertem, also hochvirulentem Virus beinhaltet, birgt jederzeit das Risiko einer akzidentiellen Erregerverteilung, trotz aller technischen Sicherheitsvorkehrungen (s. MKS-Ausbruch 1988 in Deutschland). Zwischen 1977 und 1987 waren in der damaligen EG 39 % der MKS-Ausbrüche "hausgemacht"".

Die von der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere (BFAV) in dieser Stellungnahme dargelegten Nachteile von Impfungen gegen die Maul- und Klauenseuche stimmen nach wie vor im Wesentlichen mit den Erwägungen überein, die 1990 für die Umstellung der Impfpolitik der Gemeinschaft angeführt wurden. Diese Ausführungen eines unabhängigen, besonders sachkundigen Institutes geben Anlass zu Zweifeln an der Auffassung anderer Wissenschaftler, dass die Entscheidung für vorbeugende Impfungen gegenwärtig die allein vertretbare Lösung ist. Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das vorstehend von der BFAV beschriebene Risiko von Impfungen heute völlig ausgeschlossen ist. Wie die unterschiedlichen Risiken der Impfung und der Nichtimpfung zu gewichten sind, obliegt aber in rechtlicher Hinsicht den mit der Problematik betrauten öffentlichen Stellen.

Im Übrigen ist bei der Würdigung der Richtlinie zu berücksichtigen, dass sie in Art. 13 Abs. 3 Vorkehrungen für den Fall vorsieht, dass MKS-Fälle festgestellt werden. Es kann danach bei bestätigtem MKS-Befund beschlossen werden, Notimpfungen durchzuführen; in diesem Zusammenhang treten bestimmte Restriktionen in Kraft. Die Richtlinie selbst sieht damit Ausnahmen vor, die dem Erfordernis eines effektiven Tierseuchenschutzes Rechnung tragen. Dies wird von dem Beklagten unter Hinweis auf das konkrete Vorgehen für die Niederlande, Großbritannien und Frankreich zu Recht hervorgehoben und darauf hingewiesen, wie die Entscheidungsfindung auf der Ebene der Mitgliedsstaaten und der Kommission abläuft. Danach liegt die Annahme nahe, dass sich die Kommission unter Hinzuziehung des Ständigen Veterinärausschusses mit den Anträgen und fachlichen Einwänden befasst und zum Gegenstand ihrer Entscheidung macht. Das erkennende Gericht hat deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass die Organe der Europäischen Gemeinschaft auch in der gegenwärtigen Situation ihr Gestaltungsermessen nicht oder fehlerhaft ausüben.

2. Nach den vorstehenden Ausführungen kann die Klage weder mit ihrem Haupt- noch mit ihrem Hilfsantrag Erfolg haben. Auch die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens kommt danach nicht in Betracht.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.



Ende der Entscheidung

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