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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 14.11.2005
Aktenzeichen: 1 LA 187/05
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, AuslG 1990, GFK


Vorschriften:

AsylVfG § 34 Abs. 1
AsylVfG § 34 Abs. 2
AufenthG § 59 Abs. 2
AufenthG § 59 Abs. 3 S. 2
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 7
AuslG 1990 § 50 Abs. 2
GFK Art. 33
a) Der Hinweis auf einen (bestimmten) Abschiebezielstaat dient im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung dazu, das vorrangige Abschiebezielland für die vollziehende Behörde eindeutig zu kennzeichnen und möglichst frühzeitig die Prüfung von Abschiebehindernissen bzgl. dieses Staates vorzunehmen. Die Sollvorschrift in § 50 Abs. 2 AuslG a. F. (jetzt § 59 Abs. 2 AufenthG) ist lediglich eine Vorgabe für das Handlungsprogramm der Behörde im Sinne einer Ordnungsvorschrift (BVerwG, Urt. v. 25.07.2000, 9 C 42.99, BVerwGE 111, 343; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.04.2004, 11 LA 61/04 - NVwZ-RR 2004, 788).

b) Der Ausländer kann beanspruchen, nicht in einen Staat abgeschoben zu werden, in dem die in § 60 Abs. 1 - 7 AufenthG und Art. 33 GFK erfassten Schutzgüter gefährdet sind. Eine Abschiebungsandrohung und -zielstaatsbestimmung, die diese Vorgaben missachtet, ist bereits deshalb rechtswidrig; auf Ermessensgesichtspunkte kommt es insoweit von vornherein nicht an.

c) Ein Auswahlermessen kommt nur bezüglich solcher Staaten in Betracht, in denen im Falle einer Abschiebung keine Gefahren im o. g. Sinne drohen.

d) Die Auswahl eines Abschiebe-Zielstaats verletzt nicht deshalb subjektive Rechte eines Ausländers, weil die Behörde nicht auch andere - sichere - Zielstaaten bei ihrer Auswahlentscheidung berücksichtigt und erwogen hat.

e) Soweit der Behörde innerhalb der Ordnungsvorschrift des § 59 Abs. 1 AufenthG (überhaupt) ein Ermessensspielraum zukommt, kann allein daraus nicht abgeleitet werden, dass ein betroffener Ausländer einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung dieses Ermessens hat.

f) Bei der Auswahl unter mehreren - sicheren - Abschiebezielstaaten kann der Betroffene in aller Regel eine bestimmte (Ausübung) des Ermessens nicht beanspruchen. Ein Anspruch dahingehend, dass Vollzugsmaßnahmen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht bzgl. bestimmter Staaten auch dann unterbleiben, wenn dort Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 1 - 7 AufenthG nicht festzustellen sind, besteht ebenso wenig, wie ein subjektives Recht darauf, unter (gefährdungsfreien) Abschiebezielstaaten ein Auswahlermessen zu betätigen. Die Beklagte trifft die Auswahl eines (sicheren) Abschiebezielstaats im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung (s. o.); die Auswahl dient allein dem öffentlichen Interesse an einem möglichst effizienten Vollzug der Ausreisepflicht.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 1 LA 187/05

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Feststellung der Voraussetzungen des 60 Abs. 2 - 7 AufenthG (zuvor § 53 AuslG)

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 14. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 14. Kammer - vom 15. September 2005 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert wird für das Antragsverfahren auf 2.400,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Sie bezieht sich auf den Zulassungsgrund gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser liegt nicht vor, denn die Klärung der aufgeworfenen Fragen, ob der Beklagten bei der Auswahl von Zielstaaten in der Abschiebungsandrohung Ermessen zur Verfügung steht oder nicht (unten 1) und ob eine (unterstellte) Rechtswidrigkeit des Bescheides subjektive Rechte der Kläger verletzen kann (unten 2), ist nicht grundsatzbedeutsam.

1) Die Frage, ob und ggf. inwieweit der Beklagten im Rahmen der Zielstaatsbestimmung Ermessen eingeräumt ist, lässt sich aus dem Gesetz beantworten und ist i. ü. in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt.

a) Das Bundesamt hat gem. § 34 Abs. 1 u. 2 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung zu erlassen. Für deren Inhalt bestimmt § 59 Abs. 2 AufenthG, dass der Zielstaat bestimmt werden "soll"; nach § 59 Abs. 3 S. 2 AufenthG ist (auch) der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

Vorliegend hat die Beklagte von § 59 Abs. 2 AufenthG Gebrauch gemacht.

b) Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass der "Hinweis" auf einen (bestimmten) Abschiebezielstaat "im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung" dazu dient, das "vorrangige Abschiebezielland für die vollziehende Behörde eindeutig zu kennzeichnen und möglichst frühzeitig die Prüfung von Abschiebehindernissen bzgl. dieses Staates vorzunehmen." Die Sollvorschrift in § 50 Abs. 2 AuslG a. F. (jetzt § 59 Abs. 2 AufenthG) sei lediglich eine "Vorgabe für das Handlungsprogramm der Behörde im Sinne einer Ordnungsvorschrift" (Urt. v. 25.07.2000, 9 C 42.99, BVerwGE 111, 343; ebenso OVG Lüneburg - Beschl. v. 21.04.2004, 11 LA 61/04 - NVwZ-RR 2004, 788).

c) Der Ausländer kann beanspruchen, nicht in einen Staat abgeschoben zu werden, in dem die in § 60 Abs. 1 - 7 AufenthG erfassten Schutzgüter gefährdet sind. Insoweit ist auch das Non-Refoulement-Verbot (Art. 33 GK) zu berücksichtigen. Eine Abschiebungsandrohung und -zielstaatsbestimmung, die diese Vorgaben missachtet, ist bereits deshalb rechtswidrig; auf Ermessensgesichtspunkte kommt es insoweit von vornherein nicht an.

Nur bezüglich solcher Staaten, in denen im Falle einer Abschiebung keine Gefahren im o. g. Sinne drohen, kommt ein Auswahlermessen der Beklagten in Betracht.

2) Die - weitere - Frage, ob die "Auswahl" des Zielstaats im Bescheid der Beklagten subjektive Rechte der Kläger verletzen kann, ist nicht grundsatzbedeutsam. Vorliegend geht es um die Bestimmung eines Abschiebezielstaats, der als sicher im o. g. Sinne (zu 1) anzusehen ist. Die "Auswahl" dieses Zielstaats verletzt nicht deshalb subjektive Rechte der Kläger, weil die Beklagte nicht auch andere - sichere - Zielstaaten (s. S. 6/7 des erstinstanzlichen Urteils) bei ihrer Auswahlentscheidung berücksichtigt und erwogen hat. Dies ist aus der Gesetzeslage hinreichend klar abzuleiten, ohne dass es einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren dazu noch bedürfte.

a) Soweit der Beklagten innerhalb der "Ordnungsvorschrift" des § 59 Abs. 1 AufenthG ein "Ermessensspielraum" zukommt (so - ohne nähere Begründung: Funke-Kaiser, GK-AuslR, Stand Apr. 2001, § 50 Rn. 23.1, ebenso VG Schwerin, Beschl. v. 4.11.1996, AK 1 B 10291/96, VG Stuttgart, Urt. v. 27.11.1996, A 9 K 14049/96), kann allein daraus nicht abgeleitet werden, dass ein betroffener Ausländer einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung dieses Ermessens hat.

Bei der Auswahl unter mehreren - sicheren - Abschiebezielstaaten kann der Betroffene in aller Regel eine bestimmte (Ausübung) des Ermessens nicht beanspruchen. Der Gesetzeswortlaut gibt dafür nichts her; auch der systematische Zusammenhang spricht dagegen:

Ein Ausländer, der nach Abweisung seiner auf die Erlangung von Schutztiteln nach § 60 AufenthG gerichteten Klage ausreisepflichtig ist, m. a. W. kein "Bleiberecht" mehr in Deutschland hat, ist gehalten, seiner Ausreisepflicht durch die freiwillige Ausreise in jeden aufnahmebereiten Staat zu entsprechen. Für den Fall, dass ein zwangsweiser Vollzug der Ausreisepflicht durch Abschiebung erforderlich ist (§ 58 Abs. 1 AufenthG), muss der Betroffene es hinnehmen, dass auch diese in jeden aufnahmebereiten Staat erfolgen kann (vgl. § 59 Abs. 2 AufenthG).

Ein Anspruch dahingehend, dass Vollzugsmaßnahmen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht bzgl. bestimmter Staaten auch dann unterbleiben, wenn dort Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 1 - 7 AufenthG nicht festzustellen sind, besteht ebenso wenig, wie ein subjektives Recht darauf, unter (gefährdungsfreien) Abschiebezielstaaten ein Auswahlermessen zu betätigen. Die Beklagte trifft die Auswahl eines (sicheren) Abschiebezielstaats "im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung" (s. o.); die Auswahl dient, nachdem im Einzelfall keine Schutztitel i. S. d. § 60 AufenthG festgestellt werden konnten, allein dem öffentlichen Interesse an einem möglichst effizienten Vollzug der Ausreisepflicht.

Anzumerken bleibt, dass die gerichtliche Überprüfung von Abschiebungsverboten oder -hindernissen i. S. d. § 60 Abs. 1 - 7 AufenthaG sich auf den Staat beschränkt, den das Bundesamt in seinem Bescheid benannt hat; eine umfassendere Prüfung, die (etwa über allgemeine Grundsätze der Ermessenslehre) auch andere Staaten, hinsichtlich derer bislang keinerlei behördliche Prüfung stattgefunden hat, einbezieht, ist nicht geboten (so auch BayVGH, Beschl. v. 18.12.2003, 9 B 01.31218, Asylis).

3) Weitere Zulassungsgründe hat die Beklagte nicht dargelegt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist mit Ablehnung des Zulassungsantrages rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Zum weiteren Verfahren merkt der Senat an:

Indem - nunmehr rechtskräftig - Ziff. 4 des Bescheides vom 12.02.2003 (nur) bzgl. der Zielstaatsbestimmung (Russische Föderation) aufgehoben und zugleich festgestellt worden ist, dass Ziff. 3 des genannten Bescheides, wonach Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG a. F. nicht vorliegen, "gegenstandslos" ist, ist der (ursprüngliche) Antrag der Kläger vom 24.01.2003 hinsichtlich der aus § 53 AuslG a. F. abzuleitenden Schutzbegehren nicht beschieden. Entsprechend § 39 Abs. 2 AsylVfG sind deshalb diesbezügliche positive oder negative Feststellungen nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG - ggf. einschließlich einer Abschiebezielstaatsbestimmung - vom Bundesamt nachzuholen. Die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils steht der neuen Entscheidung des Bundesamtes nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.09.2001, 1 C 4.01, BVerwGE 115, 111 = NVwZ 2002, 343).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 b AsylVfG, § 154 Abs. 1VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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