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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 03.11.2005
Aktenzeichen: 1 LB 211/01
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, AuslG


Vorschriften:

AsylVfG § 6 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 7
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 53
1. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten muss als Berufungskläger kein besonderes Kontroll- oder Beanstandungsinteresse darlegen.

2. Ein Ausländer ist im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat vor Verfolgung hinreichend sicher, wenn mehr als nur überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es dort zu keinen Verfolgungsmaßnahmen kommen wird. Der Bejahung hinreichender Sicherheit stehen nicht jede noch so geringe Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts und nicht jeder -auch entfernt liegende- Zweifel an der künftigen Sicherheit des rückkehrenden Ausländers entgegen. Vielmehr müssen hieran mindestens ernsthafte Zweifel bestehen. Das ist der Fall, wenn über die theoretische Möglichkeit hinaus, Opfer eines Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernte und damit durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen.

3. Eine Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger in Tschetschenien wäre eine regionale Gruppenverfolgung. Tschetschenische Volkszugehörige haben in anderen Gebieten der Russischen Föderation, d.h. außerhalb Tschetscheniens, eine inländische Fluchtalternative. Darunter fallen solche Gebiete, in denen die Angehörigen der regional verfolgten Gruppe vor Verfolgung hinreichend sicher sind und ihnen auch keine anderen Gefahren und Nachteile drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylrechtlich erheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentiellen Gefahren und Nachteile am Herkunftsort so nicht bestünden

4. Ob Tschetschenen in Inguschetien, Kabardino-Balkarien oder in den Regionen Krasnodar und Stawropol eine inländische Fluchtalternative finden, bleibt offen. Jedenfalls sind heute nach Russland zurückkehrende tschetschenische Volkszugehörige in den übrigen Landesteilen der Russischen Föderation vor asylrechtsrelevanten Maßnahmen der russischen Staatsgewalt sowie nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 4 c AufenthG hinreichend sicher. Dies gilt für den Regelfall 'unauffällige' Tschetschenen, nicht jedoch für solche, die sich im Tschetschenien-Konflikt für die tschetschenische Sache besonders engagiert haben oder eines solchen Engagements verdächtigt und deshalb gesucht werden.

5. Soweit in bestimmten Regionen Russlands (v. a. in Moskau, St. Petersburg u. Umgebung) der Zuzug und/oder die Registrierung erschwert wird, betrifft dies nicht nur tschetschenische, sondern auch andere "fremde" Volkszugehörige. Anhaltspunkte dafür, dass tschetschenischen Volkszugehörigen landesweit die Registrierung versagt wird, bestehen nicht. Zudem kann gegen die unberechtigte Ablehnung der Registrierung -auch gerichtlich- und mit Hilfe von Beratungsstellen (u.a. 'Memorial') vorgegangen werden, was grundsätzlich zumutbar ist.

6. Tschetschenische Volkszugehörige unterliegen in der Russischen Föderation keiner unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung.

a. Die Echtheit eines sog. Befehls Nr. 541 des russischen Innenministers, der diskriminierende Maßnahmen gegen tschetschenische Volkszugehörige angeordnet haben soll, ist bis heute nicht belegt.

b. Nach der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater im Oktober 2002, den Terroranschlägen im August/September 2004 (Absturz zweier Passagierflugzeuge, Sprengstoffanschläge an einer Bushaltestelle und am Rigaer Bahnhof in Moskau, Geiselnahme an der Schule in Beslan), die tschetschenischen Separatisten zugeschrieben werden, hat der Kontrolldruck gegenüber tschetschenischen Volkszugehörigen und anderen Personen vermeintlich 'kaukasischen' Aussehens zugenommen. Kontrollen als solche oder auch Wohnungsdurchsuchungen oder (ganz) kurzfristige Festnahmen erreichen aber keine schutzbegründende Eingriffsintensität. Dem russischen Staat ist es angesichts schwerster Terrorakte zuzugestehen, diesen Personenkreis durch seine Sicherheitskräfte 'im Auge zu behalten'.

c. Die Wahrscheinlichkeit, dass zurückkehrenden tschetschenischen Volkszugehörigen Beweismittel untergeschoben werden, um so einen strafrechtlich relevanten Verdacht zu konstruieren, ist gering.

d. Soweit es bei Verhaftungen, im Polizeigewahrsam und in Untersuchungshaft zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Ermittlungsbehörden kommt, ist fraglich, ob es sich dabei um sog. Amtswalterexzesse handelt, die dem russischen Staat nicht zurechenbar wären, und ob die Übergriffe nicht ein allgemeines 'Phänomen' darstellen. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Möglichkeit, Opfer solcher Übergriffe zu werden, als real, d.h. nicht ganz entfernt, einzuschätzen wäre, fehlen.

7. Tschetschenische Volkszugehörige sind auch vor einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure hinreichend sicher. Angesichts der Gesamtbevölkerung Russlands (145 Mio. Menschen) mit mehr als 100 anerkannten ethnischen Minderheiten kann nicht davon gesprochen werden, rassistisch motivierte Übergriffe seien in signifikanter Häufigkeit zu verzeichnen. Von den dokumentierten Vorkommnisse sind nicht vornehmlich tschetschenische Volkszugehörige betroffen. Abgesehen davon ist der russische Staat im Grundsatz bereit, gegen fremdenfeindliche Übergriffe Dritter vorzugehen.

8. In den Regionen einer inländische Fluchtalternative ist für tschetschenische Volkszugehörige jedenfalls das Existenzminimum gewährleistet. Dies gilt, wenn eine Registrierung erlangt wird, aber auch in dem zeitlichen 'Zwischenraum' zwischen Beantragung und Erhalt der Registrierung und auch in den Fällen, in denen es tschetschenischen Volkszugehörigen nicht gelingt, eine Registrierung zu erhalten. Auch eine 'sehr schwere" wirtschaftliche Situation wäre mit dem "Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums' noch nicht gleichzusetzen. Die Annahme einer Tätigkeit in der in Russland sehr weit verbreiteten sog. 'Schattenwirtschaft' ist zumutbar.

9. Selbst wenn das Existenzminimum in den Regionen der inländischen Fluchtalternative nicht gewährleistet wäre, würde dies keinen Abschiebungsschutz begründen, weil dies nicht verfolgungsbedingt ist: Die Lage in Tschetschenien ist im Vergleich zu diesen anderen Regionen deutlich schlechter.

10. Aus Deutschland abgeschobenen tschetschenische Volkszugehörige drohen auch im Zusammenhang mit ihrer (Wieder-) Einreise nach Russland keine asylrechtsrelevanten Übergriffe. Rückkehrer, die ohne gültigen Inlandspass angetroffen werden, haben nicht zu befürchten, deswegen zwangsweise nach Tschetschenien zurückgeführt zu werden.

11. Eine sonstige erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure droht einem tschetschenischen Volkszugehörigen bei einer Rückkehr in die russische Föderation nicht, ebenso keine so extreme allgemeine Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, dass die Prognose, eine Abschiebung in die Russische Föderation würde den Betroffenen 'gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen' ausliefern, gerechtfertigt ist.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 1 LB 211/01

zur Zustellung beschlossen am 03.11.2005

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Abschiebungsschutz

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 03. November 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtlichen Richter ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 11. Juni 2001 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 30. August 1962 geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 24. Dezember 1999 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.

Diesen Antrag begründete er bei seiner Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 11. Januar 2000 wie folgt: Er werde wegen seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit in Russland verfolgt. Sein Heimatort (Goragorski, Bezirk Nadteretschuyi, Tschetschenien) sei im Oktober 1999 von den Russen angegriffen und eingenommen worden. Bei der Durchsuchung seines Hauses hätten sie seine Tagebücher gefunden, die er seit 1994, dem Beginn des 1. Tschetschenienkrieges, geführt habe. Er habe darin schreckliche Dinge dokumentiert, die Wahrheit über den Krieg und das, was in seinem Dorf tatsächlich passiert sei. Ein Bekannter, der in der von den Russen eingesetzten Verwaltung gearbeitet habe, habe ihn gewarnt, dass er wegen des Inhalts der Tagebücher gesucht würde. Deshalb habe er, nachdem er zunächst im Dorf seiner Tante, in Beno-Jurt, Unterschlupf gefunden habe, Ende November 1999 Tschetschenien verlassen und sei zu einem Freund nach Moskau gegangen. Kurz nachdem er in Moskau angekommen sei, sei er auf der Straße von der Polizei kontrolliert und - weil er keine Registrierung gehabt habe - zur Polizeistation mitgenommen worden. Dort sei er beleidigt, erniedrigt und auch geschlagen worden. Gegen Zahlung von 100 Rubel sei er freigelassen worden. In Moskau habe er mehrere Briefe an die Duma und das 1. und 2. russische Fernsehen geschrieben, in denen er die Verhältnisse in Tschetschenien angeprangert habe und die Art und Weise, wie die russische Regierung die Probleme in Tschetschenien zu lösen versuche. Am 20. Dezember 1999 sei ein Mitglied des Antiterrorstabs in die Wohnung seines Freundes gekommen, in der er gewohnt habe, und habe ihm drei Stunden Zeit gegeben, um Russland zu verlassen. Er habe ihm mit Gefängnis gedroht und damit, ihm Rauschgift- oder Waffendelikte zu unterschieben. Er habe ferner gesagt, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Anlass für diese Drohungen seien die Briefe gewesen; denn das Mitglied des Antiterrorstabs habe auch aus diesen Briefen zitiert. Danach habe er, der Kläger, die Wohnung aus Sicherheitsgründen sofort verlassen, sein Freund habe mit Hilfe von Schleusern seine Ausreise organisiert, die er dann - versteckt im Lkw bzw. in den Kofferräumen von Pkws - am 22. Dezember 1999 angetreten habe. Am 24. Dezember 1999 sei er in Hamburg angekommen. Als weiteren Grund für die von ihm befürchtete Verfolgung gab der Kläger an, dass den russischen Behörden bekannt sei, dass zwei seiner Brüder auf tschetschenischer Seite gekämpft hätten.

Durch Bescheid vom 21. Januar 2000 lehnte die Beklagte, vertreten durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Gleichzeitig setzte sie eine Ausreisefrist und drohte ihm für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreiste, die Abschiebung in die Russische Förderation oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, an. Wegen der Gründe für diese Entscheidungen nimmt der Senat gem. § 77 Abs. 2 AsylVfG auf den Inhalt des Bescheids vom 21. Januar 2000 Bezug.

Am 03. Februar 2000 hat der Kläger Klage erhoben, die er schriftsätzlich nicht ergänzend begründet hat. In der mündlichen Verhandlung am 11. Juni 2001 hat der Kläger seine Klage, soweit sie die Anerkennung als Asylberechtigter zum Gegenstand hatte, zurückgenommen.

Er hat (noch) beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 21. Januar 2000 zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen sowie festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids Bezug genommen.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat keinen Antrag gestellt und sich auch nicht zur Sache geäußert.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 11. Juni 2001 stattgegeben, d. h. den Bescheid, soweit er noch angefochten war, aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Russischen Föderation festzustellen: Dem Kläger sei es nicht zuzumuten, nach Tschetschenien oder in andere Bereiche der Russischen Föderation zurückzukehren, weil er dort wegen seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit verfolgt werde. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 26. Juni 2001 zugestellte Urteil hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten am 04. Juli 2001 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Diesem Antrag hat der Senat durch Beschluss vom 21. November 2002 stattgegeben. Am 20. Dezember 2002 hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten die Berufung begründet. Er trägt - unter Bezugnahme auf seine Ausführungen im Zulassungsantrag - vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe es für Tschetschenen - und damit auch für den Kläger - inländische Fluchtalternativen in der Russischen Föderation gegeben. Diese bestünden auch weiterhin. Sonstige allgemeine Gefährdungsgründe lägen nicht vor. Auch die Asylantragstellung und der langjährige Aufenthalt im Ausland, in der Bundesrepublik Deutschland, hätten im Falle der Rückkehr keine asylrechtsrelevanten Konsequenzen.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt zunächst die Auffassung, dass dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten für seine Berufung das "Kontroll- oder Beanstandungsinteresse" fehle. Weiter macht er geltend: In Tschetschenien finde faktisch eine Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger durch die russische Soldateska und deren Hilfskräfte statt. Inländische Fluchtalternativen außerhalb Tschetscheniens gebe es in der Russischen Föderation nicht, insbesondere auch nicht in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Das gelte vor allem für tschetschenische Volkszugehörige, die sich in der Tschetschenien-Frage engagiert hätten oder aus sonstigen Gründen in das "Visier" der russischen Behörden geraten seien. Zu dieser Gruppe gehöre auch er, und zwar wegen des Inhalts der Tagebücher, die in seinem Haus gefunden worden seien, wegen der Briefe, die er an die Duma und an die Fernsehanstalten geschickt habe und wegen seiner beiden Brüder, die auf tschetschenischer Seite gekämpft hätten.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, der sein "Kontroll- oder Beanstandungsinteresse" bejaht, hält es für fraglich, ob in Tschetschenien überhaupt eine Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger stattfinde. Abgesehen davon, bleibe er dabei, dass es in der Russischen Föderation inländische Fluchtalternativen gegeben habe und gebe. Einzelfallbezogene besondere Umstände, die auch inländische Fluchtalternativen ausschlössen, seien entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegeben.

Die Beklagte stellt keinen Antrag, unterstützt aber den Standpunkt des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten.

Die ehemalige Lebensgefährtin / Ehefrau des Klägers, Frau ..., ist im August 2001 zusammen mit der am 03. September 1989 geborenen gemeinsamen Tochter in die Bundesrepublik eingereist und hat hier einen Asylantrag gestellt. Durch Urteil vom 01. September 2005 - 12 A 294/03 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte u. a. verpflichtet festzustellen, dass bezüglich der Frau ..., mit der der Kläger hier wieder zusammenlebt, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, die entsprechende Klage der gemeinsamen Tochter hat es abgewiesen.

Der Senat hat in den mündlichen Verhandlungen vom 24. April 2003 und 03. November 2005 den Kläger ergänzend informatorisch angehört, in der Verhandlung am 03. November 2005 hat er ferner die Lebensgefährtin des Klägers als Zeugin vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen bzw. der Zeugenvernehmung wird auf die Verhandlungsniederschriften Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Deren Inhalt ist - soweit erforderlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind ferner die in den Verhandlungsniederschriften bezeichneten Erkenntnismittel und Urteile gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist zulässig. Er muss entgegen der Auffassung des Klägers kein besonderes Kontroll- oder Beanstandungsinteresse darlegen. Nach § 6 Abs. 2 S. 1 AsylVfG (in der bis zum 31.08.2004 geltenden Fassung, die nach § 87 b AsylVfG in der seit dem 01.09.2004 geltenden Fassung für die gerichtlichen Verfahren weitergilt, die - wie das vorliegende - vor dem 01.09.2004 anhängig geworden sind, vgl. Art. 15 Abs. 2 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004, BGBl. I S. 1950), kann sich der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten an allen asylrechtlichen Klageverfahren beteiligen. Dieses Beteiligungsrecht schließt auch die Befugnis ein, Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte einzulegen, die er nicht für richtig hält. Dafür, dass diese Befugnis von einer besonderen Beschwer oder einem besonderen Kontroll- oder Beanstandungsinteresse oder davon abhängig wäre, dass er im vorangegangenen Instanzenzug einen Antrag gestellt oder sich wenigstens geäußert hätte, gibt es im Gesetz keinen Anhaltspunkt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.03.1983 - 9 B 2597.82 -, BVerwGE 67, 64; Thüringer OVG, Urt. v. 16.12.2004 - 3 KO 1003/04 -).

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet festzustellen, dass zugunsten des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegen. Zu Unrecht hat es daher den angefochtenen Bescheid insoweit sowie die damit weiter getroffene Entscheidung, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, sowie die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung aufgehoben.

An die Stelle des § 51 Abs. 1 AuslG ist mit Wirkung vom 01. Januar 2005 an die Vorschrift des § 60 Abs. 1 AufenthG getreten (vgl. Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes). Diese Vorschrift ist hier anzuwenden, weil nach § 77 Abs. 1 AsylVfG das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen hat.

Gem. § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung durch einen der in § 60 Abs. 1 S. 4 AufenthG benannten Akteure bedroht ist. Auch Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit werden vom Schutzzweck der Vorschrift umfasst (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315 ff, 333). Diese Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot, die mit den Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter deckungsgleich sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500), sind im Falle des Klägers nicht gegeben.

Dabei kann es (zunächst noch) offenbleiben, ob der Kläger die Russische Föderation individuell vorverfolgt verlassen hat. Ebenfalls kann dahingestellt bleiben, ob ethnische Tschetschenen - wie der Kläger - in der russischen Teilrepublik Tschetschenien Ende des Jahres 1999, im Anfangsstadium des sog. 2. Tschetschenienkrieges, einer regionalen Gruppenverfolgung durch die russischen Streitkräfte, d.h. den russischen Staat, ausgesetzt waren. Denn selbst wenn beides zu bejahen und deshalb für die Prognose, ob der Kläger - wenn er zum jetzigen Zeitpunkt in die Russische Föderation zurückkehrte - befürchten müsste, wegen seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit verfolgt zu werden, auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit abzustellen wäre, könnte er keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG beanspruchen.

Die Annahme hinreichender Sicherheit setzt einerseits eine mehr als nur überwiegende Wahrscheinlichkeit voraus, dass es bei Rückkehr in den Heimatstaat zu keinen Verfolgungsmaßnahmen kommen wird. Andererseits stehen der Bejahung hinreichender Sicherheit nicht jede noch so geringe Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts und nicht jeder - auch entfernt liegende - Zweifel an der künftigen Sicherheit des rückkehrenden Ausländers entgegen. Vielmehr müssen hieran mindestens ernsthafte Zweifel bestehen. Das ist der Fall, wenn über die theoretische Möglichkeit hinaus, Opfer eines Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernte und damit durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (BVerwG, Urteile v. 01.10.1985 - 9 C 20.85 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 37, v. 09.04.1991 - 9 C 91.90 u.a. -, Buchholz 402. 25 § 1 AsylVfG Nr. 143 und v. 08.09.1992 - 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191/192). Bei Zugrundelegung dieser Kriterien wäre der Kläger bei einer Rückkehr in die Russische Föderation vor einer Verfolgung in Anknüpfung an seine tschetschenische Volkszugehörigkeit hinreichend sicher.

Ob der Kläger bei einer Rückkehr nach Tschetschenien selbst hinreichend sicher wäre, d.h. die Gefahr, dort Opfer eines asylrechtsrelevanten Übergriffs zu werden, als nur entfernte, realistischerweise nicht zu erwartende Möglichkeit erschiene, hält der Senat allerdings für zweifelhaft. In dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 30. August 2005 (im folgenden: Lagebericht Tschetschenien) heißt es, dass die menschenrechtliche Lage in Tschetschenien weiterhin "äußerst besorgniserregend" sei: Beim Vorgehen der russischen Soldaten und Sicherheitskräfte und der Angehörigen der "Truppe" des tschetschenischen Sicherheitsdienstes unter Führung von Ramsan Kadyrow, Sohn des im Mai 2004 bei einem Sprengstoffanschlag getöteten tschetschenischen Präsidenten, gegen die tschetschenischen Rebellen komme es regelmäßig zu Übergriffen auch gegen die Zivilbevölkerung. Nach Angaben von Menschenrechts-NROen sei die Zahl der Übergriffe und Rechtsverletzungen (willkürliche Festnahmen, Entführungen, Verschwinden von Menschen, Misshandlungen, Vergewaltigungen, Sachbeschädigungen, Diebstähle) gleich geblieben wenn nicht gestiegen. Ob die aufgrund dieses Berichts (und anderer Erkenntnismittel) bestehenden Zweifel an der hinreichenden Sicherheit nach Tschetschenien zurückkehrender tschetschenischer Volkszugehöriger begründet sind, kann jedoch dahingestellt bleiben. Selbst wenn diese Übergriffe und Rechtsverletzungen als Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger zu werten wären (verneinend: Thüringer OVG, Urt. v. 19.05.2005 - 3 KO 1004/04 -, das die Zahl der feststellbaren Verfolgungsfälle im Verhältnis zur Bevölkerungszahl als nicht ausreichend erachtet, um die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte zu belegen; offen gelassen von: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.07.2005 - 11 A 2307/03.A - und OVG des Saarlandes, Urt. v. 23.06.2005 - 2 R 17/03 -; eine Gruppenverfolgung bejahend: OVG Bremen, Urt. v. 09.03.2005 - 2 A 116/03.A -), handelte es sich doch nur um eine regionale Gruppenverfolgung; denn tschetschenische Volkszugehörige haben in anderen Gebieten der Russischen Föderation, d.h. außerhalb Tschetscheniens, eine sog. inländische Fluchtalternative.

Als inländische Fluchtalternative sind solche Gebiete anzusehen, in denen die Angehörigen der regional verfolgten Gruppe vor Verfolgung hinreichend sicher sind und ihnen auch keine anderen Gefahren und Nachteile drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylrechtlich erheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentiellen Gefahren und Nachteile am Herkunftsort so nicht bestünden (BVerfG, Beschl. v. 29.07.2003 - 2 BvR 32/03 -, DVBl. 2004, 111 und BVerwG, Urt. v. 08.12.1998 - 9 C 17.98 -, BVerwGE 108, 84 ff, 87, jeweils m.w.N.).

Der Senat hatte in seinen Urteilen vom 24. April 2003 - 1 LB 212/01 und 1 LB 213/01 - die Nachbarrepublik Inguschetien als eine solche inländische Fluchtalternative angesehen. Ob diese Beurteilung, insbesondere nach der "Wahl" des moskautreuen Regierungschefs Sjasikow, der einen Politikwechsel in der Behandlung tschetschenischer Flüchtlinge einleitete, heute noch aufrecht erhalten werden kann, kann dahinstehen (Inguschetien als inländische Fluchtalternative jetzt verneinend: OVG Bremen - 2 A 116/03.A -, BayVGH, Urt. v. 31.01.2005 - 11 B 02.31597 -, OVG des Saarlandes - 2 R 17/03 -, S. 20 der UA, FN. 20 und 21, in denen die Situation tschetschenischer Flüchtlinge in Inguschetien unter Auswertung verschiedener Quellen geschildert wird; Inguschetien als inländische Fluchtalternative weiterhin bejahend: Thüringer OVG - 3 KO 1004/04 -; die Frage offen lassend: OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 150 - 152 des juris-Dokuments). Ebenfalls kann dahingestellt bleiben, ob der Auffassung des Bayerischen VGH im Urteil vom 31. Januar 2005 zu folgen ist, dass auch Kabardino-Balkarien sowie die Regionen Krasnodar und Stawropol als inländische Fluchtalternative ausscheiden (S. 11 - 13 d. UA). Denn bei diesen Teilrepubliken bzw. Regionen handelt es sich - zusammengenommen - nur um einen kleinen Teil des Territoriums der Russischen Föderation, und der Senat ist davon überzeugt, dass heute nach Russland zurückkehrende tschetschenische Volkszugehörige in den übrigen Landesteilen vor asylrechtsrelevanten Maßnahmen der russischen Staatsgewalt sowie nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 4 c AufenthG hinreichend sicher wären.

Tschetschenische Volkszugehörige können (jedenfalls) in diesen übrigen Landesteilen im Grundsatz einen legalen Aufenthalt begründen. Wie alle russischen Staatsbürger haben sie das in Art. 27 der Russischen Verfassung verankerte Recht der Freizügigkeit, der freien Wahl des Wohnsitzes und des zeitweiligen Aufenthalts in der Russischen Föderation außerhalb ihrer Heimatrepublik. Zur Legalisierung des Aufenthalts bedarf es nach der Abschaffung des früheren Systems der Zuzugsgenehmigung ("Propiska") durch Gesetz vom 25. Juni 1993 nur noch der Anmeldung am Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") oder am Ort des zeitweiligen Aufenthalts ("vorübergehende Registrierung") (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien vom 30.08.2005, S. 15 f). Die Registrierung legalisiert nicht nur den Aufenthalt, sondern ist auch Voraussetzung für den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen sowie grundsätzlich auch zum kostenlosen Gesundheitssystem (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien vom 30.08.2005, S. 16).

Nach insoweit übereinstimmender Auskunftslage wenden jedoch die regionalen Behörden vielfach trotz der Abschaffung der "Propiska" bei der Registrierung zuziehender tschetschenischer Volkszugehöriger weiterhin restriktive örtliche Vorschriften an. Insbesondere in den Städten Moskau und St. Petersburg und deren Umgebung wird tschetschenischen Volkszugehörigen häufig die Registrierung verweigert (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 30.08.2005, S. 15 f; UNHCR, Paper on Asylum Seekers from the Russian Federation in the context of the situation in Chechnya, Februar 2003, S. 14 f; Gesellschaft für bedrohte Völker, Stellungnahme zur Situation tschetschenischer Flüchtlinge auf dem Territorium der Russischen Föderation, März 2004, S. 4 f). Allerdings ist in den Regionen Moskau und St. Petersburg nicht nur der Zuzug tschetschenischer, sondern jeglicher "fremder" Volkszugehöriger erschwert; denn diese Regionen wollen ihren lokalen Arbeitsmarkt schützen und die Ansiedlung wirtschaftlich und politisch unerwünschter Flüchtlinge verhindern. Auch faktisch ist der Zuzug in den Regionen Moskau und St. Petersburg erschwert, weil als Voraussetzung für die Registrierung Wohnraum nachgewiesen werden muss, der dort teuer ist (vgl. allgemein zu den Schwierigkeiten, in diesen Regionen registriert zu werden: Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 30.08.2005, S. 15 f, Auswärtiges Amt, Auskunft v. 12.11.2003 an den BayVGH, UNHCR vom Februar 2003, S. 22, UNHCR, Stellungnahme vom Januar 2002 über Asylsuchende aus der Russischen Föderation in Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, S. 10, ACCORD, Russische Föderation: Innerstaatliche Fluchtalternativen für Tschetschenen, Rückkehrmöglichkeiten, vom 06.10.2004, S. 3). Über restriktive Registrierungspraktiken berichten Amnesty International und der UNHCR bezüglich der Städte bzw. Regionen Kaliningrad, Nischnij Nowgorod und Wolgograd sowie der südlichen Regionen bzw. Republiken Stawropol, Krasnodar, Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien und Nordossetien-Alanien sowie im sibirischen Tomsk, ohne allerdings konkrete Beispiele oder Zahlen zu nennen (Amnesty International, Auskunft v. 16.04.2004 an den BayVGH, S. 2; UNHCR v. Februar 2003, S. 14 - FN 35 - und 20 ff, wobei anzumerken ist, dass der Senat die Frage, ob die Regionen Stawropol, Krasnodar und Kabardino-Balkarien als inländische Fluchtalternative in Betracht kommen, ohnehin schon ausgeklammert hat, vgl. o.). Die Gesellschaft für bedrohte Völker (Stellungnahme v. März 2004, S. 4 f) berichtet über restriktive Registrierungspraktiken ferner für das Gebiet Vologda und aus der Teilrepublik Mari El, die ca. 800 km östlich von Moskau liegt, benennt aber nur einen Referenzfall bzw. räumt - für Mari El - sogar ein, dass ein (kleinerer) Teil der dorthin geflüchteten tschetschenischen Volkszugehörigen trotz allem offiziell registriert worden ist. Das Auswärtige Amt (Auskunft v. 22.01.2003 an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) hat demgegenüber mitgeteilt, dass ihm über besondere Zuzugsbeschränkungen bzw. Registrierungsschwierigkeiten u.a. in der Wolga-Region (aber auch in Stawropol und Kabardino-Balkarien) nichts bekannt sei. Das erscheint angesichts dessen, dass in der Wolga-Region ca. 50.000 tschetschenische Flüchtlinge leben, auch plausibel (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 30.08.2005, S. 11). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass tschetschenischen Volkszugehörigen landesweit die Registrierung versagt wird (so schon der Senat in seinen Urteilen v. 24.04.2003 - 1 LB 212/01 und 1 LB 213/01 -). Es gibt Regionen, in denen keine örtlichen Vorschriften zur Registrierung erlassen worden sind oder diese nicht restriktiv angewandt werden, in denen also eine Registrierung leichter möglich ist (Thüringer OVG - 3 KO 1004/04 - S. 13 f der UA mit Quellenangaben). Das gilt vor allem für Südrussland mit der Wolga-Region sowie ganz allgemein für die ländlich geprägten ("unproblematischen") Bereiche der Russischen Föderation (OVG des Saarlandes - 2 R 17/03 - S. 23 der UA, OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 100 des juris-Dokuments, OVG Bremen - 2 A 116/03.A - S. 16 der UA; Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 30.08.2005, S. 16, Auskunft v. 19.01.2004 an das OVG Rheinland-Pfalz, S. 2, vgl. auch ACCORD v. 06.10.2004, S. 3). Dort ist die Registrierung auch deshalb einfacher zu erlangen, weil der als Registrierungsvoraussetzung notwendige Wohnraum finanziell erheblich günstiger ist als etwa in Moskau (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 30.08.2005, S. 16, Auskunft v. 12.11.2003 an den BayVGH). Nicht einmal die in ihren Stellungnahmen bekanntermaßen nicht flüchtlingsfeindlichen Menschenrechtsorganisationen gehen von einer "flächendeckenden" Verweigerung der Registrierung bei tschetschenischen Volkszugehörigen aus (vgl. etwa Amnesty International, Auskunft v. 16.04.2004 an den BayVGH, unter Ziff. 1.1, wo die Problematik mit unbestimmten Begriffen wie "zahlreiche Städte", "vielerorts", "in weiten Teilen Russlands" beschrieben und eingeräumt wird, dass konkret eine restriktive Registrierungspraxis nur aus verhältnismäßig wenigen Regionen bzw. Teilrepubliken bekannt ist, vgl. o.).

Aber auch die Städte und Regionen, in denen die Registrierung tschetschenischer Volkszugehöriger restriktiv gehandhabt wird, scheiden deshalb nicht als inländische Fluchtalternative aus; denn gegen eine unberechtigte Ablehnung der Registrierung kann - auch gerichtlich - vorgegangen werden. Es gibt zahlreiche russische Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, die in der gesamten Russischen Föderation oder jedenfalls in den wichtigsten Regionen vertreten sind und insbesondere auch tschetschenische Volkszugehörige bei Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Registrierung unterstützen, so etwa das vom Menschenrechtszentrum "Memorial" ins Leben gerufene Netzwerk "Migration und Recht" sowie das "Komitee Bürgerbeteiligung" mit Sitz in Moskau. Diese Organisationen haben mittlerweile russlandweit über 50 Beratungsstellen, die kostenlose Beratung - auch durch Juristen - anbieten (Memorial, Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Juni 2004 - Juni 2005, Moskau 2005, S. 2; vgl. auch die Anlage 1 zum entsprechenden Bericht von Memorial aus dem Jahre 2002, in der die seinerzeit vorhandenen juristischen Beratungsstellen des Netzwerks "Migration und Recht" und des "Komitee Bürgerbeteiligung" aufgelistet sind; Auswärtiges Amt, Auskunft v. 12.11.2003 an den BayVGH, S. 2). Mit Hilfe dieser Organisationen konnte in einer Reihe von Fällen der willkürlichen Verweigerung der Registrierung erfolgreich entgegengetreten werden (OVG des Saarlandes - 2 R 17/03 - S. 22 d. UA unter Berufung auf Memorial, Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, 2004, Abschnitt V). Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation hat die Registrierungspraxis in bestimmten Regionen Russlands bereits mehrfach als rechtswidrig beanstandet (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 16.02.2004, S. 19; UNHCR, Auskunft v. 29.10.2003 an den BayVGH, S. 2). Das Verfassungsgericht und andere Gerichte haben ebenfalls einige Entscheidungen zur Registrierung zugunsten der Bürger getroffen, auch gegen die Erteilung ungerechtfertigt kurz befristeter Registrierungen ist durch das Einlegen von Rechtsbehelfen wirksame Abhilfe möglich (Thüringer OVG - 3 KO 1004/04 - S. 37 d. UA mit Quellenangabe; BayVGH - 11 B 02.31597 - S. 22 d. UA, der dort allerdings auch - zu Recht - die Auffassung vertritt, die verbreitete gesetzeswidrige Praxis, tschetschenischen Volkszugehörigen jeweils nur eine für drei Monate gültige Registrierung zu erteilen, die dann jeweils verlängert bzw. erneuert werden müsse, sei asylrechtlich nicht relevant, weil auch eine solche befristete Registrierung den Aufenthalt legalisiere; vgl. zu dieser Praxis auch: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tschetschenien und die tschetschenische Bevölkerung in der Russischen Föderation, v. 24.05.2004, S. 18). Fälle, in denen tschetschenische Volkszugehörige wegen ihrer Ethnie vor Gericht benachteiligt worden sind, sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt geworden (Auskunft v. 02.04.2004 an das VG Koblenz). Auch mit Hilfe von Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten, aber auch durch Bezahlung von Bestechungsgeldern, ist es gelungen, zuvor verweigerte Registrierungen zu erlangen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 30.08.2005, S. 16). Nach allem gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass tschetschenische Binnenflüchtlinge eine Legalisierung ihres Aufenthalts in den Teilen der Russischen Föderation außerhalb der Regionen, für die der Senat das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative hat dahinstehen lassen (vgl. o.), schlechthin nicht erreichen könnten. In den Fallschilderungen, die mit der Feststellung abbrechen, tschetschenischen Volkszugehörigen sei die Registrierung verweigert worden, fehlt fast durchgängig eine Aussage darüber, ob die Betroffenen sich ausreichend bemüht hätten, um den Status der Illegalität zu vermeiden bzw. zu beenden. Der Bayerische VGH geht deshalb davon aus, dass für das Fehlen einer Registrierung in vielen Fällen nur die mangelnde Bereitschaft ursächlich ist, die hierfür erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten und bei auftretenden Schwierigkeiten die genannten Hilfsmöglichkeiten und erforderlichenfalls auch gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (S. 23 d. UA unter Darlegung eines seiner Auffassung nach typischen Einzelfalls). Davon geht auch das OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307-03.A - aus, das es für zumutbar und geboten erachtet, dass sich Betroffene gegen negative Behördenentscheidungen - erforderlichenfalls mit Hilfe der o.g. Hilfsorganisationen - wenden und ihre Rechte notfalls auch auf dem Rechtsweg durchsetzen (Ziff. 106 d. juris-Dokuments). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Tschetschenische Volkszugehörige unterliegen in den vorgenannten Regionen der Russischen Föderation, die - wie vorstehend dargelegt - als inländische Fluchtalternative nicht schon deshalb ausscheiden, weil sie dort keinen legalen Aufenthalt begründen könnten, keiner unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung.

Dass der russische Innenminister am 17. September 1999 - in Zusammenhang mit den damaligen Bombenattentaten auf Wohnhäuser - einen Befehl Nr. 541 mit dem Titel "Über Maßnahmen der Beseitigungsmöglichkeiten der Durchführung terroristischer Taten in der Russischen Föderation", der in vielfältiger Hinsicht diskriminierende Maßnahmen gegen tschetschenische Volkszugehörige angeordnet haben soll, erlassen hätte, ist bis heute nicht belegt (vgl. UNHCR, Auskunft v. 29.10.2003 an den BayVGH, Amnesty International, Auskunft v. 16.04.2004 an den BayVGH, S. 3). Auch das Auswärtige Amt geht nicht von der Echtheit bzw. Authentizität dieses Befehls aus, weil es einen Befehl Nr. 541 zwar gebe, dieser aber den Titel trage: "Über die Verewigung des Gedenkens an in Tschetschenien gefallene Angehörige der Truppen des Innenministeriums" (im Ergebnis so auch schon der Senat in seinen Urteilen vom 24.04.2003 - 1 LB 212/01 und 1 LB 213/01 -; ebenso: OVG Bremen - 2 A 116/03.A - S. 13 d. UA, OVG des Saarlandes - 2 R 17/03 - S. 24 d. UA, OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 77 - 82 d. juris-Dokuments, Thüringer OVG - 3 KO 1004/04 - S. 14 d. UA, jeweils mit Quellenangaben; vgl. auch die Auskunft des Auswärtigen Amtes v. 12.11.2003 an den BayVGH, S. 1/2). Der Bayerische VGH - 11 B 02.31597 - lässt es zwar dahinstehen, ob der Befehl Nr. 541 (mit dem behaupteten gegen tschetschenische Volkszugehörige gerichteten Inhalt) authentisch ist oder ob es sich um eine Fälschung handelt, hält ihn bezüglich der damit angeordneten Maßnahmen aber nicht für ein staatliches Verfolgungsprogramm, aufgrund dessen der Schluss gerechtfertigt wäre, dass tschetschenische Volkszugehörige in der Russischen Föderation - außerhalb Tschetscheniens und außerhalb der anderen "ausgeschiedenen" Gebiete - nicht hinreichend sicher wären (S. 28 f d. UA mit eingehender Begründung, die der erkennende Senat teilt).

Was die Sicherheitslage für tschetschenische Volkszugehörige in den hier in Frage stehenden Teilen der Russischen Föderation angeht, ist den Erkenntnisquellen zu entnehmen, dass sich seit Beginn des 2. Tschetschenienkriegs im Herbst 1999 und insbesondere nach der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater im Oktober 2002 und den Terroranschlägen im August/September 2004 (Absturz zweier Passagierflugzeuge, Sprengstoffanschläge an einer Bushaltestelle und am Rigaer Bahnhof in Moskau, Geiselnahme an der Schule in Beslan), die ebenfalls tschetschenischen Separatisten zugeschrieben werden, der Kontrolldruck gegenüber tschetschenischen Volkszugehörigen und anderen Personen kaukasischer Herkunft bzw. vermeintlich südländischen oder kaukasischen Aussehens vorwiegend in den Großstädten Moskau und St. Petersburg, aber auch in anderen Bereichen der Russischen Föderation, signifikant erhöht hat. Dieser Personenkreis steht unter einer Art Generalverdacht und ist deshalb häufiger diskriminierenden Maßnahmen ausgesetzt. Neben den schon erwähnten Schwierigkeiten, eine Registrierung zu erhalten, werden Personenkontrollen auf der Straße und in der U-Bahn, Wohnungsdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehl), Festnahmen, Unterschieben gefälschter Beweismittel, Kündigungsdruck auf Arbeitgeber und Vermieter u.ä. genannt (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 30.08.2005, S. 14, UNHCR v. Februar 2003, S. 22 ff, Amnesty International, Auskunft v. 16.04.2004 an den BayVGH, S. 2).

Kontrollen als solche oder auch Wohnungsdurchsuchungen oder (ganz) kurzfristige Festnahmen erreichen aber schon nicht die notwendige Eingriffsintensität; denn diese Maßnahmen verletzen - noch - nicht die Menschenwürde, sie gehen nicht über das hinaus, was die Bewohner der Russischen Föderation aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 64, S. 17; OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 126 d. juris-Dokuments). Abgesehen davon, ist es dem russischen Staat angesichts dessen, dass Tschetschenen überproportional häufig Verbindungen zur organisierten Kriminalität haben oder ihnen solche Verbindungen nachgesagt werden und von Angehörigen dieser Volksgruppe unter Berufung auf ihr angebliches Recht zum "Gegenterror" schwerste Terrorakte mit einer Vielzahl unschuldiger Opfer unter der Zivilbevölkerung begangen worden sind, nicht nur zuzugestehen, sondern es erscheint aus Gründen der inneren Sicherheit sogar geboten, diesen Personenkreis durch seine Sicherheitskräfte "im Auge zu behalten". Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, pauschal von "Wohnungsdurchsuchungen aus rassistischen Gründen" oder "rassistisch motivierten Überprüfungen und Identitätskontrollen" zu sprechen, wie es Amnesty International in seiner Stellungnahme vom 16. April 2004 an den Bayerischen VGH tut (OVG des Saarlandes - 2 R 17/03 - S. 25 d. UA, Thüringer OVG - 3 KO 1004/04 - S. 27 d. UA und BayVGH - 11 B 02.31597 - S. 25 d. UA; vgl. insoweit auch schon die Urteile des Senats v. 24.04.2003 - 1 LB 212/01 und 1 LB 213/01 -). Amnesty International belegt auch seine in dieser Stellungnahme aufgestellte Behauptung, in Zusammenhang mit Kontroll- und Durchsuchungsmaßnahmen komme es "nicht selten zu tätlichen Übergriffen und anderen Einschüchterungsversuchen durch die Polizei" und die gewaltsamen Übergriffe gegen tschetschenische Volkszugehörige würden sich "verschärfen", nicht durch konkrete Zahlen und nennt insbesondere keine konkreten Fälle. Dem Senat liegen demgegenüber keine Erkenntnisse dafür vor, dass es auch dann, wenn tschetschenische Volkszugehörige über gültige Ausweispapiere verfügten und vor allem auch eine Registrierung für den Ort besaßen, an dem sie kontrolliert wurden - und davon, dass sie sich eine solche Registrierung grundsätzlich beschaffen können, geht der Senat, wie dargelegt, aus -, zu tätlichen oder anderen asylrechtsrelevanten Übergriffen in nennenswerter Zahl käme. Gerade das Fehlen einer Registrierung und der Aufenthalt an einem anderen Ort als dem der Registrierung bieten der Polizei nämlich erst die Handhabe und sind deshalb auch die häufigsten Gründe für z.B. eine Festnahme (BayVGH - 11 B 02.31597 - S. 24 f d. UA unter Berufung auf Memorial, Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Juni 2003 - Mai 2004, S. 52). Wenn tschetschenische Volkszugehörige trotz ordnungsgemäßer Papiere und Registrierung zur Polizeiwache verbracht, dort verhört, erkennungsdienstlich behandelt und erst nach einem bis zu 25-stündigen Gewahrsam wieder freigelassen worden sind, hat das in der Regel den Hintergrund gehabt, dass der Verdacht der Zugehörigkeit zu terroristischen Kreisen bzw. der Verdacht bestand, die Registrierung sei gefälscht (BayVGH, S. 26 d. UA, in Auswertung der Fälle, die in dem genannten Bericht von Memorial als Beispiele für angebliche Diskriminierungen tschetschenischer Volkszugehöriger genannt sind; im Übrigen betont der BayVGH, dass in dem Bericht nicht behauptet werde, die Betroffenen seien über die eigentlichen Maßnahmen hinaus, in einem Fall auch die Durchsuchung einer Wohnung, Misshandlungen, Einschüchterungen und ähnliche Maßnahmen ausgesetzt gewesen). Alle anderen in dem Bericht von Memorial aufgeführten Vorkommnisse betrafen laut Bayerischem VGH (S. 26 f d. UA) tschetschenische Volkszugehörige, die entweder über keine Registrierung verfügten oder die unter einer anderen Adresse als derjenigen lebten, unter der sie registriert waren. Auch in diesen Fällen hielten sich jedoch die Maßnahmen gegen die Betroffenen, obwohl sie gegen russisches Recht verstoßen hatten, in dem Rahmen, der noch nicht asylrechtlich relevant ist. Das zeigt im Übrigen, dass tschetschenische Volkszugehörige auch während der Zeit, die bis zum Erhalt einer dauerhaften oder vorübergehenden Registrierung verstreichen kann, vor asylrechtsrelevanten Übergriffen hinreichend sicher sind (BayVGH, S. 27 d. UA). Es besteht auch nicht die Gefahr, dass tschetschenische Volkszugehörige, wenn sie bei Kontrollen in dem zeitlichen "Zwischenraum" ohne Registrierung angetroffen werden, gegen ihren Willen nach Tschetschenien "abgeschoben" werden; denn nach Art. 19.15 des Russischen Ordnungswidrigkeitengesetzes sind bei einer Verletzung von Registrierungsvorschriften als einzige Sanktion eine Verwarnung oder die Verhängung einer Geldbuße vorgesehen (OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 112 f d. juris-Dokuments mit weiterer ausführlicher Begründung und Quellenangaben). Das Auswärtige Amt und Amnesty International bestätigen ebenfalls, dass nicht registrierte tschetschenische Volkszugehörige nicht zwangsweise nach Tschetschenien zurückgeführt werden (Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 12.11.2003 an den BayVGH, S. 2, und vom 19.01.2004 an das OVG Rheinland-Pfalz, S. 2; Amnesty International, Auskunft vom 16.04.2004 an den BayVGH, S. 3 f, dort für den Fall nach einer zwangsweisen Rückführung in die Russische Föderation).

Die Praxis russischer Polizisten, missliebigen Personen, auch tschetschenischen Volkszugehörigen, Beweismittel zu unterschieben, um so gegen sie einen strafrechtlich relevanten Verdacht zu konstruieren, ist seit Mitte des Jahres 2003 nicht mehr in größerem Umfang zu beobachten (BayVGH - 11 B 02.31597 - S. 27 d. UA unter Berufung auf Memorial, Bericht für den Zeitraum von Juni 2003 - Mai 2004, S. 48 und 60). Diese Tendenz hat sich offenbar fortgesetzt; denn in dem Bericht von Memorial für den Zeitraum von Juni 2004 - Juni 2005 ("Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation", dort S. 53) heißt es, dass es in diesem Zeitraum weniger neue Fälle von untergeschobenem Rauschgift gegeben habe. An anderer Stelle desselben Berichts wird zwar behauptet, dass es "vielfach" vorkomme, dass bei Verhaftungen den Betroffenen Munition und Sprengstoff untergeschoben werde, konkrete Zahlen werden aber nicht genannt und nur einzelne konkrete Fälle beschrieben (S. 13). Der Bayerische VGH (S. 27 d. UA) hält die Wahrscheinlichkeit, dass gerade aus Deutschland zurückkehrende tschetschenische Volkszugehörige Opfer einer solchen Praxis werden könnten, im Übrigen deshalb für gering, weil es wegen ihres Aufenthalts in Deutschland wesentlich schwieriger sei, ihnen erfolgreich eine Beteiligung am organisierten Rauschgift- und Waffenhandel zu unterstellen als denjenigen, die direkt aus Tschetschenien kämen. Dem ist zuzustimmen.

Der Senat verkennt bei allem nicht, dass es bei Verhaftungen, im Polizeigewahrsam und in Untersuchungshaft durchaus zu Menschenrechtsverletzungen im Form von Folter und anderer grausamer und erniedrigender Behandlung durch Polizei und Ermittlungsbehörden kommt. Das räumt selbst der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation ein (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - Lagebericht Russland - vom 30.08.2005, S. 14). Abgesehen davon, ob es sich dabei nicht um sog. Amtswalterexzesse handelt, die dem russischen Staat nicht zurechenbar wären, und die Übergriffe nicht nur oder in besonderem Maße tschetschenische Volkszugehörige betreffen, sondern ein allgemeines "Phänomen" darstellen (OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 130 d. juris-Dokuments, das Presseberichte zitiert, nach denen die Staatsanwaltschaft gegen solche Übergriffe vorgeht und in vielen Fällen die Verantwortlichen bestraft worden sind, sowie Ziff. 132 f), gibt es nach dem oben Dargelegten keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass die Möglichkeit, Opfer solcher Übergriffe zu werden, als real, d.h. nicht ganz entfernt, einzuschätzen wäre (zu diesem Maßstab, vgl. o.). Dass es sich um eine eher theoretische Möglichkeit handelt, wird deutlich, wenn man die Zahl der von den Menschenrechtsorganisationen - konkret - dokumentierten Übergriffe zu der Zahl der tschetschenischen Volkszugehörigen ins Verhältnis setzt, die außerhalb Tschetscheniens (und außerhalb Inguschetiens) leben. In Moskau beispielsweise sollen das nach den Angaben der tschetschenischen Vertretung ca. 200.000 sein (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien vom 30.08.2005, S. 11, wo auch die Zahlen für andere Regionen benannt sind). Demgegenüber hat Memorial speziell für Moskau nur weniger als zwei Dutzend Fälle rechtswidrigen Handelns russischer Sicherheitskräfte und Justizorgane anführen können, was - auch bei Berücksichtigung einer gewissen "Dunkelziffer" - nicht ausreicht, um die Gefahr solcher Übergriffe als nicht ganz entfernt einzustufen (OVG Nordrhein-Westfalen, Ziff. 139 f d. juris-Dokuments mit genauer Quellenangabe).

Tschetschenische Volkszugehörige wären bei einer Niederlassung in den - vorstehend bezüglich einer Verfolgung durch den russischen Staat bzw. seine Organe - als hinreichend sicher eingestuften Bereichen auch vor einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, die sich der russische Staat nach § 60 Abs. 1 S. 4 c AufenthG zurechnen lassen müsste, sofern er erwiesenermaßen nicht schutzfähig oder schutzbereit wäre, hinreichend sicher. Zwar bestätigt das Auswärtige Amt, dass die Lage von Minderheitsgruppen in bestimmten Regionen Anlass zur Sorge gebe. Latenter Rassismus und fremdenfeindliche Ressentiments hätten in der russischen Bevölkerung zugenommen. Diese richteten sich insbesondere auch gegen Tschetschenen und sog. "Schwarze", d.h. Menschen vornehmlich aus dem Kaukasus. Der Tschetschenienkonflikt und die andauernden Terroranschläge hätten diese Tendenz verstärkt. Drohungen gegenüber Tschetschenen hätten besonders in Orten zugenommen, in denen diese geballt lebten. Nach Zeitungsberichten habe die extremistische Gruppe "Autonome Kampfeinheit der russischen Selbstverteidigung in der Stadt Moskau" mit Vergeltungsschlägen gegenüber in Moskau lebenden Tschetschenen gedroht (Lagebericht Tschetschenien v. 16.02.2004, S. 20, Lagebericht Russland v. 26.03.2004, S. 7, Lagebericht Tschetschenien v. 13.12.2004, S. 14 f, sowie vom 30.08.2005, S. 17). Solche Vergeltungsschläge hat es bisher jedoch nicht gegeben und angesichts dessen, dass die Drohungen schon lange zurückliegen, ist auch nicht zu erwarten, dass sie noch wahrgemacht werden (vgl. die zuvor benannten Lageberichte Tschetschenien). Die Gesellschaft für bedrohte Völker (Stellungnahme v. März 2004, S. 11) berichtet von "Pogromen" gegen tschetschenische Volkszugehörige im Gebiet Wolgograd, nachdem dort ein Russe von einem Tschetschenen ermordet worden war. Es sollen jedoch "nur" mehrere Häuser in Flammen aufgegangen sein. Nach dem Bericht des Bundesamtes (Russische Föderation, Tschetschenienkonflikt, GUS-Staaten, vom Oktober 2004, S. 21 f) sind laut den darin referierten Angaben des Leiters des Moskauer Büros für Menschenrechte im ersten Halbjahr 2004 etwa 20 Menschen in Russland wegen ihrer ethnischen Herkunft getötet worden, in demselben Zeitraum seien nahezu 300 Fälle registriert worden, in denen Rassismus und Fremdenhass eine Rolle gespielt hätten. Setzt man diese Zahlen in Relation zu den mehr als 145 Millionen Menschen, die in Russland leben und von denen viele zu den mehr als 100 anerkannten ethnischen Minderheiten gehören, kann nicht davon gesprochen werden, rassistisch motivierte Übergriffe seien in signifikanter Häufigkeit zu verzeichnen. Vor allem aber zeigt eine Auswertung konkret dokumentierter Vorkommnisse, dass nicht vornehmlich tschetschenische Volkszugehörige, sondern überwiegend beispielsweise Schwarzafrikaner, Asiaten mit mongolischem Erscheinungsbild sowie Menschen aus dem indischen Kulturkreis in den als inländische Fluchtalternative in Betracht kommenden Gebieten Opfer der Gewalt nichtstaatlicher Akteure geworden sind (BayVGH - 11 B 02.31597 - S. 30 f d. UA, der zu den von Memorial im Bericht für Juni 2003 - Mai 2004 dokumentierten Fällen im einzelnen Stellung nimmt). Auch das Bundesamt (im entsprechenden Bericht für Juni 2005, S. 17) bezeichnet die rund 30.000 ausländischen Studenten, die zumeist aus afrikanischen und asiatischen Ländern stammen, als "besondere Zielgruppe" von Skinheads und nationalistischen Gruppen (vgl. auch die Auskunft von Amnesty International vom 04.02.2004 an das VG Kassel und die darin dokumentierten Übergriffe auf Personen mit dunkler Hautfarbe). Soweit Übergriffe auf tschetschenische Volkszugehörige bzw. Personen kaukasischen Aussehens dokumentiert sind, wird zudem meist nicht deutlich, ob diese Übergriffe einen rassistischen oder - was asylrechtlich irrelevant wäre - einen rein kriminellen Hintergrund gehabt haben (vgl. BayVGH, S. 31 d. UA, sowie OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 186 - 188 sowie Ziff. 191 des juris-Dokuments). In Zusammenfassung dieser Erkenntnislage ist zwar nicht auszuschliessen, dass tschetschenische Volkszugehörige Opfer rassistisch motivierter Gewalt seitens nichtstaatlicher Akteure werden, als real, nicht ganz entfernt liegend, schätzt der Senat die Gefahr dagegen nicht ein (so auch BayVGH und OVG Nordrhein-Westfalen, jeweils a.a.O., sowie OVG des Saarlandes - 2 R 17/03 - S. 26 d. UA). Abgesehen davon, geht der Senat davon aus, dass der russische Staat im Grundsatz bereit ist, gegen solche Übergriffe Dritter mit fremdenfeindlichem Hintergrund vorzugehen (vgl. die im Bericht des Bundesamtes für Juni 2005, S. 19 f, aufgeführten Verurteilungen wegen fremdenfeindlicher Straftaten).

Die genannten Regionen der Russischen Föderation scheiden auch nicht deshalb als inländische Fluchtalternative für tschetschenische Volkszugehörige aus, weil dort das Existenzminimum für sie nicht gewährleistet wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse v. 31.07.2002 - 1 B 128.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 326 und v. 21.05.2003 - 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270) bietet ein verfolgungssicherer Ort dem Flüchtling das wirtschaftliche Existenzminimum immer dann, wenn er durch eigene Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Das wäre (dagegen) nicht der Fall, wenn er am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hätte, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führte, oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hätte als ein "Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums". Dabei schließen derartige Gefahren diesen Ort als inländische Fluchtalternative allerdings nur aus, wenn eine vergleichbare existentielle Gefährdung am Herkunftsort nicht bestünde. Geht man - wie der Senat - davon aus, dass tschetschenische Volkszugehörige bei entsprechenden Bemühungen eine dauerhafte oder vorübergehende Registrierung erlangen können, erscheinen diese Gefahren schon deshalb fernliegend, weil die Registrierung nicht nur den Aufenthalt legalisiert, sondern auch Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, die freilich ein sehr niedriges Niveau hat, zu staatlich gefördertem Wohnraum sowie grundsätzlich auch zum kostenlosen Gesundheitssystem ist (vgl. o.). Auch die Aufnahme einer legalen Erwerbstätigkeit wäre dann nicht eingeschränkt (Urteile des Senats v. 24.04.2003 - 1 LB 212/01 und 1 LB 213/01 - S. 18 d. UA). Aber selbst in dem zeitlichen "Zwischenraum" zwischen Beantragung und Erhalt der Registrierung und sogar in den Fällen, in denen es tschetschenischen Volkszugehörigen letztlich nicht gelingt, eine Registrierung zu erhalten, ist die Gefahr der Verelendung und des Hungertods nicht gegeben. Zwar heißt es in der Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker vom März 2004, dass sich nicht registrierte Flüchtlinge aus Tschetschenien in einer katastrophalen finanziellen, sozialen und wirtschaftlichen Lage befänden und ihre elementaren Grundbedürfnisse innerhalb der Russischen Föderation nicht befriedigen könnten (S. 15). Konkret belegt wird das freilich nicht, sondern diese Aussage wird im Gegenteil sofort wieder relativiert, wenn als "jedoch gravierendsten" die täglichen Schikanen, Diskriminierungen und Demütigungen bezeichnet werden. Auch Memorial (Bericht für den Zeitraum von Juni 2004 - Juni 2005) beschreibt die Situation der nicht registrierten tschetschenischen Flüchtlinge als "sehr schwer", bezieht das aber ebenfalls nicht unmittelbar auf die wirtschaftliche Situation, sondern vor allem auf die ablehnende Haltung der Bevölkerung und Behörden (S. 34). Abgesehen davon, wäre auch eine "sehr schwere" wirtschaftliche Situation noch nicht gleichzusetzen mit dem "Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums". Der Senat stimmt im Übrigen der Bewertung von Memorial zu, dass die wirtschaftliche Situation nicht registrierter tschetschenischer Flüchtlinge in den als hinreichend sicher erachteten Regionen Russlands im Regelfall schwierig oder auch sehr schwierig ist. Es gibt jedoch keine Erkenntnisse dafür, dass es unter diesen Flüchtlingen, die sich als Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen in großer Zahl in diesen Regionen niedergelassen haben, zu gravierenden Versorgungsengpässen oder gar zu Hungersnöten oder vergleichbaren humanitären Katastrophen gekommen wäre (OVG des Saarlandes - 2 R 17/03 - S. 26 f d. UA). Wie den ca. 25,2 Millionen Russen, die sogar unter dem statistischen Existenzminimum leben, das allerdings nicht unbedingt mit dem tatsächlichen Existenzminimum gleichzusetzen ist (Auswärtiges Amt, Lagebericht Russland vom 30.08.2005, S. 20), und den ca. 3 - 3,5 Millionen in Russland lebenden anderen illegalen Migranten (vgl. den Bericht des Bundesamtes, Stand: August 2003) gelingt es ihnen offenbar, das Überleben in verschiedener Art und Weise sicherzustellen, auf dem - niedrigen - Niveau, mit dem sich die Mehrheit der russischen Bevölkerung zufrieden geben muss und das deshalb auch nicht gegen die Menschenwürde verstößt (OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 202 d. juris-Dokuments, Thüringer OVG - 3 KO 1004/04 - S. 37 d. UA sowie Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 03.07.2003 - 13 LA 90/03 -). Dabei ist auch die Annahme einer Tätigkeit in der in Russland sehr weit verbreiteten sog. "Schattenwirtschaft" zumutbar (so der Senat schon in seinen o.a. Urteilen vom 24.04.2003, so auch OVG des Saarlandes, S. 27 d. UA). Der Umstand, dass Arbeitgeber die Lage tschetschenischer Flüchtlinge oft in der Weise ausnutzen, dass sie ihnen geringere Löhne zahlen als anderen Arbeitnehmern (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 24.05.2004, S. 20), ist zwar bedauerlich und zu missbilligen, macht die Annahme einer solchen Arbeit aber ebenfalls nicht unzumutbar. Der Bayerische VGH - 11 B 02.31597 - (S. 30 d. UA) weist ergänzend darauf hin, dass den aus Deutschland nach Abschluss ihrer Asyl- bzw. Abschiebungsschutzverfahren abgeschobenen Flüchtlingen öffentliche Mittel aus dem REAG/GARP-Programm zur Verfügung gestellt werden, die es diesen ermöglichen oder jedenfalls erleichtern, die Zeit, bis sie eine Beschäftigung gefunden haben, zu überbrücken (und sich zudem eine Unterkunft zu besorgen und damit die wichtigste faktische Voraussetzung für ihre Registrierung zu erfüllen). Trotz nicht vorhandener Registrierung wäre in Notfällen auch eine medizinische Behandlung und Versorgung gewährleistet (OVG Nordrhein-Westfalen, Ziff. 202 d. juris-Dokuments, BayVGH, S. 21 d. UA, jeweils unter Berufung auf Memorial, Bericht für den Zeitraum von Juni 2003 - Mai 2004, S. 53 ff; vgl. auch Memorial, Bericht für den Zeitraum von Juni 2004 - Juni 2005, S. 39).

Selbst wenn jedoch entgegen dem eben Ausgeführten das Existenzminimum in den genannten Regionen nicht gewährleistet wäre, würde dies keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG begründen; denn das Fehlen des Existenzminimums wäre nicht verfolgungsbedingt: Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist die Lage in Tschetschenien im Vergleich zu diesen anderen Regionen deutlich schlechter. Die Grundversorgung der Bevölkerung, vor allem in Grosny, mit Nahrungsmitteln ist - im Gegensatz zu den anderen Regionen, in denen sie vom Angebot her gewährleistet ist - äußerst mangelhaft. Lieferungen von Nahrungsmitteln durch internationale Hilfsorganisationen erfolgen nur sehr begrenzt und punktuell. Wohnraum steht nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, weil ca. 50% des vor den kriegerischen Auseinandersetzungen vorhanden gewesenen Wohnraums zerstört ist. Auch die in Tschetschenien neuerdings erstellten provisorischen Unterkünfte für Flüchtlinge können den zerstörten Wohnraum nicht kompensieren; zudem sollen die sanitären Verhältnisse desolat und die Lebensbedingungen in diesen Unterkünften schlecht sein. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, Wasser) und auch das Gesundheitssystem sind nahezu vollständig zusammengebrochen, wenn auch Wiederaufbauprogramme erste zaghafte Erfolge zeigen mögen. Die Arbeitslosenquote beträgt in Tschetschenien nach der offiziellen Statistik 80%, im übrigen Russland - Stand: April 2005 - dagegen durchschnittlich nur 7,9%. Das reale Pro-Kopf-Einkommen ist sehr niedrig; es beträgt nach den offiziellen Statistiken nur etwa 1/10 des Einkommens in Moskau (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien vom 30.08.2005, S. 10 und 18; OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 210 f d. juris-Dokuments mit weiteren Quellenangaben, das ebenfalls - wie schon der Senat in seinen o.a. Urteilen vom 24.04.2003 - keine "Verfolgungsbedingtheit" annimmt). Angesichts dessen, dass das Fehlen des Existenzminimums nicht verfolgungsbedingt wäre, bedarf auch die vom Bayerischen VGH - 11 B 02.31597 - (S. 29 f d. UA) aufgeworfene Frage, ob für Kinder, für alte, kranke oder behinderte Personen oder für Personen, die aus sonstigen Gründen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und deshalb auch nicht für eine beschränkte Zeit ohne staatliche Unterstützungsleistungen in menschenwürdiger Weise existieren können, das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative möglicherweise zu verneinen ist, keiner Erörterung oder Vertiefung (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Ziff. 212 d. juris-Dokuments). Einer Entscheidung bedarf die Frage hier erst recht nicht, weil der Kläger nicht zu diesem Personenkreis gehört: Er ist 43 Jahre alt, arbeitsfähig und dürfte auch aufgrund seines Berufs - er ist diplomierter Landwirt - in der Lage sein, kurzfristig Arbeit zu finden. Zudem könnte er anfangs auf die Hilfe seines Freundes, eines tschetschenischen Volkszugehörigen, der in Moskau lebt und registriert ist, zurückgreifen.

Einer Entscheidung bedarf - an dieser Stelle - allerdings, ob die Angaben des Klägers zu seinem persönlichen Verfolgungsschicksal glaubhaft sind oder nicht; denn das vorstehend entwickelte Ergebnis, dass tschetschenischen Volkszugehörigen in den genannten Regionen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht, gilt nur für den Regelfall "unauffälliger" Tschetschenen, nicht jedoch für solche, die sich im Tschetschenien-Konflikt für die tschetschenische Sache besonders engagiert haben oder eines solchen Engagements verdächtigt und deshalb von der russischen Staatsgewalt gesucht werden (OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 171 d. juris-Dokuments). Zu diesem letzteren Personenkreis gehört der Kläger jedoch nicht. Der Senat nimmt ihm seine Verfolgungsgeschichte nicht ab. Er hält sie nicht für glaubhaft, weil die ihr zugrunde liegenden Angaben in Teilen widersprüchlich sind und sie auch insgesamt wenig plausibel, nicht stimmig, erscheint. Was zunächst die angeblich bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmten Tagebücher angeht, hat der Kläger zu ihrem Inhalt Angaben gemacht, die in nicht vereinbarer Weise voneinander abweichen. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt hat er angegeben, er habe darin die Wahrheit über diesen (Tschetschenien-) Krieg "und das, was tatsächlich in unserem Dorf passiert ist", dargestellt (S. 8 d. Protokolls). Das steht in krassem Widerspruch zu seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 03. November 2005 und auch den Angaben seiner geschiedenen Ehefrau, mit der er jetzt - in Deutschland - wieder zusammenlebt, in deren Asylverfahren beim Verwaltungsgericht: Danach war bis zum Angriff und Einmarsch der russischen Truppen im Oktober 1999, bei der sein Haus durchsucht und die Tagebücher beschlagnahmt worden sein sollen, in seinem Heimatort, in Goragorski, "nichts passiert" (vgl. S. 2 der Niederschrift über die Verhandlung vom 03. November 2005 sowie S. 2 der Niederschrift über die Verhandlung seiner Lebensgefährtin vom 01. September 2005 beim Verwaltungsgericht). Auf entsprechenden Vorhalt hat er dann seine Aussage beim Bundesamt in der mündlichen Verhandlung vom 03. November 2005 dahingehend korrigiert, dass er in die Tagebücher das aufgenommen habe, was er in anderen Orten in Tschetschenien, z.B. in Grosny, erlebt habe (S. 2 der Niederschrift). Weder diese Korrektur noch das, was der Kläger im folgenden zum konkreten Inhalt seiner Tagebücher gesagt hat, haben den Senat jedoch davon überzeugen können, dass es die Tagebücher mit dem belastenden Inhalt tatsächlich gegeben hat. Es ist für den Senat nicht plausibel, nicht nachvollziehbar, dass in Tagebüchern "im Wesentlichen das dokumentiert (wird), was auch in der westlichen Presse über die Lage und die Vorfälle in Tschetschenien berichtet worden ist". Der Sinn und Zweck und damit auch der Inhalt von Tagebüchern ist normalerweise ein anderer, nämlich das persönlich Erlebte aus dem persönlichen Umfeld (aus "unserem Dorf") und die persönlichen Gedanken, Vorstellungen, Wünsche usw. niederzuschreiben, nicht jedoch darin den Beschuss des Marktplatzes in Grosny mit einer Rakete zu schildern, ein Ereignis, das der Kläger - wie sich aus dem Vorhalt des Vertreters des Bundesamts ergibt, aber auch aus der emotionslosen Art und Weise, wie der Kläger dieses (vorher nie erwähnte) Ereignis und seine Folgen beschrieben hat - gerade nicht persönlich erlebt hat, bei dem er nicht dabei gewesen ist, sondern das er in Tschetschenien empfangbaren westlichen Fernsehkanälen entnommen hat (vgl. S. 3 der Verhandlungsniederschrift). Auch seine "Moskauer Verfolgungsgeschichte" nimmt der Senat dem Kläger nicht ab. Es ist nicht nachvollziehbar und deshalb nicht glaubhaft, dass der Kläger, nachdem er Tschetschenien (angeblich) aus Furcht davor, wegen des Inhalts seiner beschlagnahmten Tagebücher verhaftet zu werden, verlassen und in Moskau Zuflucht gesucht hatte, sich dort sofort wieder - durch die Briefe an die Duma und an zwei Fernsehanstalten, in denen er das Vorgehen der russischen Regierung in Tschetschenien und den russischen Präsidenten Putin massiv kritisiert haben will (vgl. S. 8 f des Protokolls der Bundesamtsanhörung) - der gleichen Gefahr ausgesetzt hat. Ein "normaler" Flüchtling hätte sich zunächst einmal ruhig verhalten. Der Senat hatte in beiden Verhandlungen auch nicht den Eindruck, dass es sich bei dem Kläger um einen politisch besonders engagierten Menschen handelte, der sich aufgrund dieses Engagements quasi "unnormal" bzw. "unlogisch" verhalten musste, der gar nicht anders konnte. Dagegen spricht auch, dass er sich in Deutschland nicht mehr in der Tschetschenien-Frage exilpolitisch betätigt hat (S. 3 u. der Verhandlungsniederschrift vom 24. April 2003). Nicht nachvollziehbar ist auch das Verhalten nach Absenden der Briefe: Er hat, obwohl der Polizei nach der kurzfristigen Verbringung auf eine Polizeiwache (nach einer Personenkontrolle) seine Moskauer Anschrift bekannt sein musste, offenbar "seelenruhig" die Reaktion der russischen Staatsgewalt abgewartet (während er Tschetschenien, nachdem er erfahren hatte, dass seine Tagebücher beschlagnahmt worden waren, sofort verlassen hat). Auch die geschilderte Reaktion der Staatsgewalt auf diese Briefe ist angesichts ihres behaupteten Inhalts außergewöhnlich zurückhaltend und auch deshalb nur schwer erklärbar, weil die russischen Behörden befürchten mussten, dass der Kläger nach seiner Ausreise aus Russland vom Ausland her seine Angriffe gegen den russischen Staat und das Vorgehen in Tschetschenien - mit der entsprechenden Breitenwirkung - fortsetzen würde. Auch der Kläger hat diese Reaktion nicht erklären können (vgl. dazu S. 3 der Verhandlungsniederschrift vom 24. April 2003: Warum hätte beispielsweise die Polizei nicht versuchen können, den Kläger wegen dieser Briefe zu erpressen, d.h. Geld zu erhalten, gegen ein "Stillhalten" ihrerseits?). Wenn es die Tagebücher aber nicht gegeben hat und die Briefe nicht geschrieben worden sind - und davon ist der Senat nach dem Dargelegten überzeugt -, sind auch die Angaben des Klägers und seiner Lebensgefährtin, dass in Tschetschenien mehrfach nach ihm gefragt bzw. gesucht worden sei, nicht glaubhaft. Im Übrigen sind auch die diesbezüglichen Angaben teilweise widersprüchlich: Bei ihrer Vernehmung durch den Senat als Zeugin hat die Lebensgefährtin des Klägers ausgesagt, dass sie diesem zwar nicht immer, aber doch mehrmals mitgeteilt habe, wenn die Polizei sie mal wieder - insgesamt sei das 5 - 6 mal geschehen - nach seinem Verbleib befragt und nach ihm gesucht gehabt habe (S. 7 der Verhandlungsniederschrift vom 03. November 2005). Demgegenüber hat der Kläger - auf Vorhalt - erklärt, er habe von Ende November 1999 bis August 2001, dem Zeitpunkt der Einreise seiner Lebensgefährtin nach Deutschland, keinen Kontakt mit ihr gehabt (ebenda). Auch die Lebensgefährtin selbst hatte noch kurz zuvor, bei ihrer Anhörung beim Verwaltungsgericht am 01. September 2005 (S. 2 der Verhandlungsniederschrift), angegeben, sie habe vom Kläger erstmals wieder im Mai 2001 gehört, durch einen ihr von einem Inguschen überbrachten Brief. Drei der fünf bis sechs Befragungen und Suchaktionen, von denen die Lebensgefährtin dem Kläger jedenfalls teilweise Kenntnis gegeben haben will, haben jedoch vor Mai 2001 stattgefunden (als sie noch bei ihrer Mutter in Goragorski lebte). Soweit sich der Kläger schließlich darauf beruft, dass zwei seiner Brüder im 1. Tschetschenienkrieg auf Seiten der Separatisten gekämpft hätten ( S. 10 des Protokolls der Bundesamtsanhörung), hat er in der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2003 bereits eingeräumt, dass der eine Bruder amnestiert worden sei (S. 3 der Verhandlungsniederschrift). Der andere Bruder soll zwar nicht amnestiert worden sein. Der Kläger hat jedoch niemals geltend gemacht, dass die russischen Behörden - falls sie überhaupt Kenntnis haben von dessen (angeblicher) Teilnahme am 1. Tschetschenienkrieg - ihn seinet- bzw. deswegen gesucht hätten. Anlass für die (angebliche) Warnung des Bekannten aus der tschetschenischen Verwaltung waren die (angeblich) beschlagnahmten Tagebücher, Anlass für die (angebliche) Aufforderung durch den Angehörigen des Antiterrorstabs, die Russische Föderation zu verlassen, die (angeblichen) Briefe, nicht dieser Bruder. Auch die Lebensgefährtin des Klägers hat bei ihrer Vernehmung als Zeugin nicht etwa bekundet, dass sie von den Sicherheitskräften auch nach diesem Bruder befragt worden wäre, sondern bei diesen (angeblichen) Befragungen soll es neben dem Verbleib des Klägers lediglich noch darum gegangen sein, ob dieser ihr "irgendwelche Dokumente zum Aufbewahren" gegeben hatte (S. 6 der Verhandlungsniederschrift vom 03. November 2005).

Aus Deutschland abgeschobene tschetschenische Volkszugehörige haben auch keine asylrechtsrelevanten Übergriffe im Zusammenhang mit ihrer (Wieder-) Einreise nach Russland zu befürchten. Die Abschiebung erfolgt regelmäßig auf dem Luftweg nach Moskau, also in eine Stadt, die nach dem oben Dargelegten grundsätzlich (u.a.) als inländische Fluchtalternative in Betracht kommt, und gerade nicht nach Tschetschenien oder in eine der anderen Teilrepubliken oder Regionen, deren Eignung als inländische Fluchtalternative der Senat hat dahinstehen lassen (BayVGH - 11 B 02.31597 - S. 13 d. UA). Es sind auch keine Fälle bekannt, dass allein die Asylantragstellung im Ausland und der damit verbundene - oft langjährige - Auslandsaufenthalt staatliche Verfolgungsmaßnahmen zur Folge gehabt hätten (Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien vom 30.08.2005, S. 15). Was die Kontrollmaßnahmen auf dem Flughafen angeht, ist zwar davon auszugehen, dass die russischen Grenzbehörden rückgeführten tschetschenischen Volkszugehörigen besondere Aufmerksamkeit "widmen", vor allem solchen Rückkehrern, von denen die Behörden wissen oder vermuten, dass sie sich in der Tschetschenien-Frage besonders engagiert haben. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger jedoch - wie vorstehend dargelegt - zur Überzeugung des Senats nicht, insbesondere wird er nicht gesucht oder nach ihm gefahndet. Dabei stellt eine ausführliche Befragung, wie sie bei rückgeführten - auch "unauffälligen" - tschetschenischen Volkszugehörigen häufig erfolgt, per se noch keine Maßnahme dar, die asyl- bzw. abschiebungsrechtlich relevant wäre. Das gleiche gilt für die Wegnahme von Geld oder Wertgegenständen, von der vereinzelt berichtet wird, weil das nicht nur dem russischen Staat nicht zurechenbare sog. Amtswalterexzesse sind, sondern rein kriminelles Unrecht ohne politische Motivation (OVG Nordrhein-Westfalen - 11 A 2307/03.A - Ziff. 160 - 166 d. juris-Dokuments). Soweit verschiedene Menschenrechtsorganisationen (Gesellschaft für bedrohte Völker, Stellungnahme vom März 2004, S. 25 f, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 24.05.2004, S. 22 f, Amnesty International, Auskunft vom 16.04.2004 an den BayVGH, S. 3 u., nebst Anlage) behaupten, rückgeführte tschetschenische Volkszugehörige seien im Zusammenhang mit der Einreise inhaftiert und misshandelt worden bzw. sogar "verschwunden", hat das Auswärtige Amt diese Vorwürfe trotz eigener durchgeführter Recherchen zu den von den Organisationen benannten Fällen jedenfalls für den Zeitraum ab 2003 nicht verifizieren können (Lagebericht Tschetschenien vom 30.08.2005, S. 15). Davon, dass diese Vorwürfe nicht zutreffen bzw. nur auf nicht belegten Vermutungen beruhen, gehen auch das OVG des Saarlandes - 2 R 17/03 - (S. 28 d. UA), das OVG Nordrhein-Westfalen (Ziff. 156 d. juris-Dokuments) sowie der Bayerische VGH (S. 14 - 17 der UA) aus, der zu den von den Organisationen benannten Fällen jeweils konkret - und nach Auffassung des Senats zutreffend - Stellung genommen hat. Zum Fall des am 05. Februar 2004 rückgeführten tschetschenischen Volkszugehörigen, in dem die Gesellschaft für bedrohte Völker - darauf weist der Bayerische VGH (S. 15 d. UA) zu Recht hin - lediglich "davon ausgeht", dass er vom russischen Geheimdienst FSB mitgenommen wurde (ohne dafür Beweise zu haben), ist ergänzend anzumerken, dass es sich dabei um einen tschetschenischen Kämpfer gehandelt hat, der vor seiner Flucht auch als Kämpfer registriert worden war, also gerade nicht um einen "unauffälligen" Tschetschenen. Zu Recht weist der Bayerische VGH (S. 15 d. UA) unter Berufung auf einen Referenzfall ferner darauf hin, dass der Gefahr, im Zusammenhang mit der Einreise Opfer von Übergriffen zu werden, dadurch wirksam begegnet bzw. sie dadurch verringert werden kann, dass der Zurückkehrende bereits am Flughafen von Vertretern russischer Menschenrechtsorganisationen erwartet wird.

Nach der Einreise sind tschetschenische Volkszugehörige schließlich auch nicht gezwungen, sich zwecks Umtausch der alten sowjetischen Inlandspässe oder - falls sie, wie der Kläger, solche nicht mehr besitzen (vgl. S. 3 des Protokolls der Bundesamtsanhörung) - zwecks Neubeantragung eines russischen Inlandspasses vorübergehend nach Tschetschenien zu begeben, wo sie möglicherweise nicht hinreichend sicher wären (vgl. o.). Geht man - wie der Senat - davon aus, dass sich tschetschenische Volkszugehörige am Ort der inländischen Fluchtalternative erforderlichenfalls mit Hilfe von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen und von Gerichten eine Registrierung im Grundsatz beschaffen können, stellt sich diese Problematik nicht; denn der Umtausch bzw. die Neubeantragung hat am Ort der Registrierung zu erfolgen. Aber selbst wenn die Beschaffung der Registrierung trotz entsprechender Bemühungen nicht gelänge und es zudem richtig wäre, dass die Gültigkeitsdauer des Befehls Nr. 347 des russischen Innenministers vom 24. Mai 2003, nach dem der Umtausch bzw. die Neubeantragung auch am Ort der vorübergehenden Registrierung oder am faktischen Wohnort geschehen konnte (vgl. dazu UNHCR, Auskunft v. 29.10.2003 an den BayVGH, S. 8, Auswärtiges Amt, Auskunft v. 12.11.2003 an den BayVGH, S. 3), inzwischen abgelaufen wäre (so Memorial, Bericht für den Zeitraum von Juni 2004 - Juni 2005, S. 41, Auswärtiges Amt, Lagebericht Tschetschenien v. 30.08.2005, S. 17), hätten tschetschenische Volkszugehörige, die ohne gültigen Inlandspass angetroffen werden, doch nicht zu befürchten, deswegen zwangsweise nach Tschetschenien zurückgeführt zu werden. Das ist bereits oben - in anderem Zusammenhang - unter Benennung der entsprechenden Erkenntnisquellen dargelegt worden. Das gilt auch hier (so auch BayVGH - 11 B 02.31597 - S. 20 d. UA).

Der Kläger kann auch keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 7 AufenthG beanspruchen.

Dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 3 und 4 AufenthG nicht vorliegen, ist eindeutig und bedarf daher keiner Ausführungen. Auf diese Abschiebungstatbestände beruft sich der Kläger auch nicht.

Auch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 und Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt nicht in Betracht. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm (mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit) die Gefahr droht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden. Für eine solche Gefahr, die nicht aus den allgemeinen Folgen von Bürgerkriegen oder ähnlicher innerstaatlicher Konflikte oder aus einer vom Staat geschürten oder jedenfalls von ihm zu verantwortenden fremdenfeindlichen Stimmung hergeleitet werden kann, sondern ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln voraussetzt (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331 ff, 333/334), sind hier keine Anhaltspunkte ersichtlich. Das ergibt sich bereits aus den obigen Darlegungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG.

Aus diesen Darlegungen ergibt sich ferner, dass dem Kläger bei einer Abschiebung in die Russische Föderation auch keine sonstige erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure) drohte, ebenso, dass keine so extreme allgemeine Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG vorliegt, die die Prognose rechtfertigte, der Kläger würde bei seiner Abschiebung in die Russische Föderation "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen" ausgeliefert (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 ff, 328 zur dann verfassungsrechtlich gebotenen Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 S. 2 / § 60a Abs. 1 AufenthG).

Dass angesichts dessen, dass keine Abschiebungshindernisse vorliegen, auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung rechtmäßig sind (vgl. §§ 38 Abs. 1, 34 Abs. 1 AsylVfG), bedarf keiner Darlegungen.

Die Nichterhebung der Gerichtskosten beruht auf § 83 b AsylVfG. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen, weil seine Klage keinen Erfolg gehabt hat (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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