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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.02.2004
Aktenzeichen: 1 LB 43/03
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6
BauNVO § 16 Abs. 2
Eine Gemeinde darf bei einer - teilweisen - Planänderung ihr Planungsermessen nicht mehr so frei ausüben wie bei der Neuaufstellung eines Bebauungsplans, denn sie hat ein eventuell entstandenes schutzwürdiges Vertrauen der von dem Plan Betroffenen zu berücksichtigen (hier: unzulässige nachträgliche Höhenbeschränkung)
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 1 LB 43/03

verkündet am 19. Februar 2004

In der Verwaltungsrechtssache

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2004 durch den Richter am Oberverwaltungsgericht ...., den Richter am Oberverwaltungsgericht ...., den Richter am Oberverwaltungsgericht .... sowie die ehrenamtlichen Richter .... und .... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 2. Kammer - vom 22. Oktober 2002 aufgehoben.

Der angefochtene Bescheid vom 24. Oktober 2001 nebst Widerspruchsbescheid vom 14. März 2002 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Das Verwaltungsgericht hat den Sachverhalt im Tatbestand des angefochtenen Urteils zutreffend dargestellt. Der Senat macht sich diese Feststellungen in vollem Umfange zu eigen und nimmt gemäß § 130 b Satz 1 VwGO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug.

Mit Beschluss vom 7. März 2003 hat der Senat auf Antrag des Klägers die Berufung zugelassen. Der Kläger meint, er habe einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. In der Begründung seiner Berufung wiederholt und vertieft er sein erstinstanzliches Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts nach dem erstinstanzlich gestellten Klageantrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft ebenfalls sein erstinstanzliches Vorbringen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie teilt die Auffassung des Beklagten.

Der Berichterstatter hat das Grundstück des Klägers und dessen Umgebung in Augenschein genommen (Bl. 136 der Akte).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, denn seinem Vorhaben stehen keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen (§ 78 Abs. 1 Satz 1 LBO). Das Vorhaben ist auch mit den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 20 vereinbar. Es überschreitet zwar die in der 1. Änderung des Bebauungsplans geregelte Firsthöhe um 89 cm. Die Firsthöhenbegrenzung für die den Hausnummern 2, 8, 10, 16 und 18 zugeordneten Grundstücke der ...Straße auf 7 m ist aber nichtig, denn diese Festsetzung verstößt gegen § 1 Abs. 6 BauGB. Danach sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen und privaten Belange gegen- und untereinander gerecht abzuwägen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 12.12.1969 - IV C 104.66 -; BVerwGE 34, 301, Urt. v. 05.07.1974 - IV C 50.72 -, BVerwGE 45, 309; und Urt. v. 01.11.1974 - IV C 38.71 -, BVerwGE 47, 144), der der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt (vgl. u.a. Urt. v. 21.01.1992 - 1 K 3/91 - und Urt. v. 23.01.1998 - 1 K 14/94 -), ist ein Verstoß gegen das Gebot gerechter Abwägung anzunehmen, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat oder in sie Belange nicht eingestellt worden sind, die nach Lage der Dinge in sie hätten eingestellt werden müssen. Das Abwägungsgebot ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten oder öffentlichen Belange verkannt und wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtung anderer Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwägungsgebot genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belanges entscheidet. Die darin zum Ausdruck kommende Gewichtung der von der Planung berührten Belange ist das wesentliche Element der planerischen Gestaltungsfreiheit des der Gemeinde eingeräumten Planungsermessens und insoweit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen (vgl. Urt. des Senats vom 12.05.1999 - 1 K 31/98 -). Allerdings kann eine Gemeinde bei einer - teilweisen - Planänderung ihr Planungsermessen nicht mehr so frei ausüben wie bei der Neuaufstellung eines Bebauungsplans, denn sie hat ein eventuell entstandenes schutzwürdiges Vertrauen der von dem Plan Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. OVG C-Stadt, 18. 09. 2001 - 1 L 3779/00, BRS 64 Nr. 31).

Eine gerechte Abwägung nach den oben beschriebenen Kriterien ist hier nicht erfolgt. Angesichts der - mit Ausnahme des Grundstücks des Klägers - vollständigen Bebauung des Plangebiets mit Häusern, die ganz überwiegend höher als 7 m sind, ist kein öffentlicher Belang und auch kein privater Belang erkennbar, der eine Höhenbeschränkung auf 7 m für das Grundstück des Klägers rechtfertigen könnte. Auch aus der Begründung des angefochtenen Bebauungsplans ergeben sich keine plausiblen Argumente für die Höhenbeschränkung. Dort heißt es dazu lediglich: "Die beidseitig der ...-Straße entstandenen Einfamilienhäuser weisen nur eine relativ geringe Höhe auf. Um auf dem zentral gelegenen, bislang unbebauten Grundstück ...-Straße Nr. 10 einen von der Höhenentwicklung her unmaßstäblichen Baukörper zu vermeiden, soll nunmehr eine max. zulässige Firsthöhe aufgenommen werden." Der Senat kann bereits nicht nachvollziehen, worauf die Befürchtung gründet, dass trotz der einschränkenden Festsetzungen im Ursprungsplan (Eingeschossigkeit, Dachneigung 30 bis 40º) auf dem Grundstück des Klägers ein unmaßstäblicher Baukörper entstehen könnte. Selbst wenn diese Befürchtung gerechtfertigt und deshalb im Grundsatz eine Höhenbeschränkung plausibel sein sollte, so käme unter Berücksichtigung der Planbegründung, die auf die "relativ geringe Höhe" der vorhandenen Baukörper auf beiden Straßenseiten der ...-Straße Bezug nimmt, nur eine Höhenbegrenzung in Betracht, die sich an dem dort vorhandenen Bestand orientiert. Die auf der Südseite der ...-Straße liegenden Häuser sind aber alle höher als 7 m (vgl. Vermerk des Beklagten vom 23.8.2001, Bl.40 Beiakte A). Auf dem dem Grundstück des Klägers schräg gegenüberliegenden Grundstück befindet sich sogar ein Haus, das nach Höhe und sonstigen Maßen dem Vorhaben des Klägers entspricht. Selbst wenn die Planbegründung nur auf die Häuser auf den Grundstücken der Hausnummern 2, 8, 16 und 18 auf der nördlichen Straßenseite abgestellt hätte, die nach der Planbegründung lediglich bis zu 7 m hoch sind, so könnte dieser Gesichtspunkt sich nicht gegen das Interesse des Klägers, sein Grundstück nach den Festsetzungen des bisherigen Bebauungsplans im Rahmen der in der sonstigen Umgebung vorhandenen Bebauung auszunutzen, durchsetzen. Der Senat kann bereits keinen städtebaulichen Belang erkennen, der es rechtfertigen würde, die Bebauung auf dem einzigen noch unbebauten Grundstück zentimetergenau an die Höhe der benachbarten Häuser auf der nördlichen Straßenseite anzupassen. Selbst wenn diesem Gesichtspunkt im Hinblick auf die Gestaltung des Ortsbildes (§ 1 Abs. 5 Nr. 4 BauGB) eine städtebauliche Bedeutung zuzumessen wäre, so wäre sie objektiv derart geringwertig, dass sie sich nicht dem Interesse des Klägers, sein Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Ursprungsplanes auszunutzen, durchsetzen könnte. Angesichts der jahrelangen Existenz dieses Bebauungsplans und der plangemäßen Entwicklung der Umgebung mit Häusern, die ganz überwiegend der Höhe nach dem von ihm geplanten Gebäude entsprechen und zum Teil noch deutlich höher sind, konnte der Kläger darauf vertrauen, auch sein Grundstück in entsprechender Weise ausnutzen zu dürfen.

Schließlich hat die Beigeladene auch das private Interesse des Klägers, sein Vorhaben - wie geplant - zu errichten, nicht in die Abwägung eingestellt, obwohl der Kläger seine Belange im Rahmen des Planänderungsverfahrens vorgebracht hat. Aus diesem Vorbringen ergibt sich, dass der Kläger keineswegs ein "sehr hohes" Gebäudes, wie es die Beigeladene ursprünglich befürchtet hatte (bis zu 11 m Höhe, Bl. 1 Beiakte B), sondern ein Wohnhaus in den im Plangebiet üblichen Maßen errichten wollte (damals noch 7,93 m; Beiakte B 11.2). Bei dieser Sachlage ist es unverständlich, dass die Beigeladene die aus ihrer Sicht erforderliche Höhenbegrenzung im Hinblick auf die bis zu 7 m hohen Nachbarhäuser exakt auf 7 m festgesetzt hat, ohne zu erwägen, ob eine den Wünschen des Klägers entsprechende Firsthöhe vertretbar wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Senat hält es für billig, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO), denn sie hat den Rechtsstreit auf Grund der fehlerhaften Festsetzung in ihrem Bebauungsplan verursacht.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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