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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.11.2001
Aktenzeichen: 11 B 88/01
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 36 Abs 4 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 11 B 88/01

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Anerkennung als Asylberechtigte(r), Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung - Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung -

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 11. Kammer - am 23. November 2001 durch den Einzelrichter beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.10.2001 wird bezüglich des Antragstellers zu 1) angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Gründe:

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.10.2001 anzuordnen, ist zulässig, insbesondere fristgemäß, er ist jedoch nur teilweise begründet.

Die nach § 80 Abs. 5 VwGO begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen (Art. 16 a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG idF vom 30.06.1993). Das ist bezüglich des Antragstellers zu 1) der Fall.

Da die Antragsteller keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, hängt der Erfolg des Antrags davon ab, ob ernstliche Zweifel an der Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet bestehen.

Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn aufgrund einer umfassenden Würdigung der vom Asylbewerber vorgetragenen oder sonst erkennbaren Umstände unter Ausschöpfung aller vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrages geradezu aufdrängt.

Das ist beim Antragsteller zu 1) nicht der Fall.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf das Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Abschiebungsandrohung erhobenen Klage nur dann ablehnen, wenn es aufgrund einer eigenständigen, auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung bezogenen Prüfung zum Schluss kommt, dass die Ablehnung des Asylbegehrens als offensichtlich unbegründet weiterhin Bestand hat. Hierzu reicht eine bloße Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit des "Offensichtlichkeitsurteils" des Bundesamtes nicht aus. Das Verwaltungsgericht muß vielmehr die Frage der Offensichtlichkeit - will es sie bejahen - erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren, klären und insoweit über eine lediglich summarische Prüfung hinausgehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.04.1994 - 2 BvR 2002/93 - NVWZ Beilage S. 41 f mwN).

Bei individuell konkretisierenden Beeinträchtigungen kann eine Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet dann in Frage kommen, wenn etwa die im Einzelfall geltend gemachte Gefährdung den von Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG vorausgesetzten Grad der Verfolgungsintensität nicht erreicht, die behauptete Verfolgungsgefahr auf nachweislich gefälschte widersprüchlichen Beweismitteln beruht oder sich das Vorbringen des Antragstellers insgesamt als unglaubwürdig erweist (vgl. BVerfGE 65, 76, 97; vgl. auch § 30 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG 1993). Darüber hinaus ist eine Ablehnung des Antrages als offensichtlich unbegründet auch dann in Betracht zu ziehen, wenn eine eindeutige und widerspruchsfreie Auskunftslage bezüglich der Situation im Heimatlandes des Ausländers oder eine einheitliche und gefestigte Rechtssprechung (des zuständigen Oberverwaltungsgerichts) vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.08.1994 - 2 BvR 2831/93 -, AuAS 1995, 222, 223).

Nach diesen Maßstäben ist die Ablehnung des Asylantrages des Antragstellers zu 1) als offensichtlich unbegründet nicht gerechtfertigt; hinsichtlich der übrigen Antragsteller ist sie nicht zu beanstanden.

Zwar können sich alle Antragsteller nicht auf Asylrechtschutz nach Art. 16 a Abs. 1 GG berufen, weil sie aus einen sogenannten sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereist sind (vgl. § 26 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Es ist nicht erforderlich, dass festgestellt wird, aus welchem konkreten Drittstaat sie in die Bundesrepublik gekommen sind. Ausreichend ist vielmehr, dass - wie hier - unstreitig ist, dass die Antragsteller auf dem Landweg eingereist sind. Das hat das Bundesamt im Einzelnen in dem angefochtenen Bescheid festgestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen.

Das Gericht vermag aber zum derzeitigen Zeitpunkt unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Sachlage und des Vortrages des Antragstellers zu 1) bei seiner Anhörung und dem gerichtlichen Verfahren nicht mit einer für ein "Offensichtlichkeitsurteil" erforderlichen Eindeutigkeit zu erkennen, dass der Antragsteller zu 1) in Syrien nicht einer Verfolgung aus politischen Gründen ausgesetzt gewesen ist und ihm nicht deshalb Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zuzubilligen wäre.

Der Antragsteller zu 1) hat vorgetragen, dass Grund für das Verlassen seines Heimatlandes gewesen sei, dass er Mitglied einer Partei mit dem Namen RIAD-TURK-HISB-SCHOURI-AL-SYRIA gewesen ist. Auch sein Bruder und seine Schwester seien Mitglieder dieser Partei gewesen. Nach einem Telefonat mit seinem in Deutschland lebenden Bruder, welches vom syrischen Geheimdienst abgehört worden sei, seien Geheimdienstleute zu ihm gekommen, hätten ihn geschlagen und für drei Tage verhaftet. Während dieser Zeit sei er verhört worden und immer wieder über den Verbleib und die Aktivitäten seines Bruders und seiner Schwester ausgefragt worden.

Zwar ist in den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln eine Partei mit dem vom Kläger genannten Namen nicht aufgeführt. Dies allein kann jedoch nicht bedeuten, dass der (gesamte) Vortrag des Antragstellers zu 1) unglaubhaft ist. Denn die vom Antragsteller zu 1) genannte Parteibezeichnung steht ganz offensichtlich im Zusammenhang mit dem Namen RIAD-AL-TURK. Dieser ist der Gründer der kommunistischen Partei, die sich "Kommunistische Partei/Politbüro" (Communist Party Political Bureau-CPPB) nennt und in Gegnerschaft zur KP Syriens und der nationalen Front steht. Da die CPPB bzw. ihr erster Sekretär RIAD-AL-TURK sich gegen die Politik der syrischen Regierung stellten, wurde er am 28.10.1980 verhaftet. Die CPPB ist bis heute in Syrien verboten. Nach neuesten Erkenntnissen ist RIAD-AL-TURK aber inzwischen freigelassen worden und soll im Exil in Frankreich leben. Auch dort hat er wieder Aktivitäten gegen das syrische Regime entwickelt. Der arabische Name der CPPB lautet AL-HISB-AL-SHUYU'I-AL-MAGTAB-AL-SIYASI. Mitgliedschaft und Betätigung für die CPPB stehen unter Strafe, welche von Haft über Folter bis hin zur Hinrichtung reicht. Die Mitglieder unterliegen nach der insoweit eindeutigen und widerspruchsfreien Auskunftslage strengster Verfolgung (vgl. nur Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2001).

Vor diesem Hintergrund scheint es nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller zu 1) mit dem von ihm genannten Namen die CPPB gemeint hat oder die von ihm genannte Partei aus der CPPB hervorgegangen bzw. neben der CPPB in Syrien (im Untergrund) wirkt. Der Vortrag des Antragstellers zu 1) bei seiner Anhörung bezüglich des Datums seiner Verhaftung weist zwar - was von ihm auch in seiner Antragsschrift eingeräumt wird - in der Tat einen Widerspruch insofern auf, als er zunächst behauptet hat, nach einem Anruf seines Bruders vom syrischen Geheimdienst für drei Tage festgenommen worden zu sein. Drei Tage später habe dann eine Parteiversammlung stattgefunden. Später hat der Antragsteller zu 1) angegeben, dass ihn der Bruder nach der dreitätigen Parteiversammlung angerufen habe und er sodann verhaftet worden sei. Diesen Widerspruch hat der Antragsteller aber noch bei seiner Anhörung aufgelöst, als er am Schluss die Zeit der Versammlung seiner Partei vom 29.03. bis zum 01.04. und die seiner Verhaftung am 02.04. angegeben hat. Er sei dann am 05.04.2001 freigelassen worden. Von daher konnte das Bundesamt nicht ohne weiteres von einer bis zum Ende bestehenden Widersprüchlichkeit des Vorbringens des Antragstellers zu 1) ausgehen und darauf maßgeblich sein "Offensichtlichkeitsurteil" stützen. Es war ihm mithin auch verwehrt, diesen von ihm angeblich festgestellten Widerspruch zum Anlass zu nehmen, um den gesamten Sachvortrag des Antragstellers zu 1) als unglaubhaft und ihn persönlich als unglaubwürdig einzustufen. Insofern ist die Abweisung des Asylantrages des Antragstellers zu 1) als offensichtlich unbegründet nicht gerechtfertigt. Ein Ausschluss jeglicher politischer Verfolgung für den Antragsteller zu 1) kann nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit angenommen werden.

Demgegenüber ist der Antrag der Antragsteller zu 2) bis 6), die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 29.10.2001 anzuordnen, unbegründet. Es bestehen insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Auch ihnen steht - wie ausgeführt - kein Asylrecht nach Art. 16 a GG zur Seite, weil sie über einen sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereist sind. Eigene Gründe, die auf eine mögliche politische Verfolgung in ihrem Heimatland hindeuten und insoweit die Möglichkeit der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG begründen könnten, haben sie nicht vorgetragen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft kommt Abschiebungsschutz nicht in Betracht. Die allgemeine Erkenntnislage spricht gegen eine besondere Gefährdung der Antragsteller zu 2) bis 6) unter diesem Aspekt. Danach wird Sippenhaft in Syrien grundsätzlich - von hier vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen - nicht praktiziert. Das entpricht ständiger Rechtssprechung der Kammer ( vgl.Urteil vom 09.10.2001 (11 A 219/99) unter Hinweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung).

Auch ein (abgeleiteter) Asylrechtschutz steht den Antragstellern zu 2) bis 6) nicht zur Seite. Der Gesichtspunkt des Familienasyls (vgl. § 26 AsylVfG) ist schon deshalb nicht einschlägig, weil auch der Antragsteller zu 1) (Ehemann und Vater) - wie bereits festgestellt -sich wegen Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht auf Art. 16 a GG berufen kann. Eine vom Recht eines nahen Familienangehörigen auf Abschiebungsschutz lediglich abgeleitete Berechtigung, ebenfalls Abschiebungsschutz zu erhalten, gibt es nicht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 1.94 - im Einzelnen dargelegt. Diese Auffassung wird vom Gericht geteilt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).



Ende der Entscheidung

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