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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.06.2006
Aktenzeichen: 2 KN 1/06
Rechtsgebiete: KrO SH, KrW-/AbfG


Vorschriften:

KrO SH § 4 Abs. 1
KrW-/AbfG § 13 Abs. 1
KrW-/AbfG § 15 Abs. 2
KrW-/AbfG § 16 Abs. 2
Sofern die Pflichten zur Entsorgung von Abfällen auf einen Dritten übertragen worden sind und der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger von seiner Entsorgungspflicht befreit ist, fehlt diesem die Satzungskompetenz hinsichtlich der Überlassungspflichten.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 2 KN 1/06

verkündet am 14.06.2006

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Wirksamkeit der Satzung über die Abfallentsorgung des Kreises ... (Abfallsatzung vom 12.12.2003)

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtlichen Richterinnen ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

§ 3 Abs. 3 Satz 2 der Satzung über die Abfallentsorgung des Kreises ... (Abfallsatzung) vom 12. Dezember 2003 ist unwirksam.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner darf die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragstellerinnen begehren die Feststellung der Unwirksamkeit einer Bestimmung der Satzung über die Abfallentsorgung des Kreises ... (Abfallsatzung) vom 12. Dezember 2003, die am 01. Januar 2004 in Kraft getreten ist. Die Satzung enthält u.a. folgende Regelungen:

§ 1

Grundsatz

(1) Der Kreis ..., nachfolgend Kreis genannt, ist nach den landesrechtlichen Regelungen des Landesabfallwirtschaftsgesetzes öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger. ...

(2) Der Kreis betreibt die Entsorgung von Abfällen aus privaten Haushaltungen als öffentliche Einrichtung. Zur Durchführung der Aufgaben der Abfallentsorgung bedient sich der Kreis der Abfallwirtschaftsgesellschaft ... mbH (AWS) als beauftragte Dritte.

...

§ 3

Umfang der Entsorgungspflicht

(1) Die Abfallentsorgung umfasst die Verwertung und Beseitigung von Abfällen einschließlich des Bereitstellens, Überlassens, Sammelns, Einsammelns, Beförderns, Lagerns und Behandelns der Abfälle aus privaten Haushaltungen.

(2) Von der Abfallentsorgung ausgeschlossen sind ...

(3) Die Entsorgungspflichten für Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen, soweit diese nicht gemäß Abs. 2 ausgeschlossen sind, sind nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG der Abfallwirtschaftsgesellschaft ... mbH (AWS) durch Bescheid des Ministeriums für Umwelt, Natur und Forsten des Landes Schleswig-Holstein vom 25.10.2001 mit Wirkung zum 01.01.2002 übertragen worden.

Die Überlassungspflichten gemäß § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG gelten für die nach Satz 1 übertragenen Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushalten unmittelbar gegenüber der AWS.

Die Durchführung der Entsorgung dieser Abfälle regelt die AWS in ihren "Allgemeine Entsorgungsbedingungen der Abfallwirtschaftsgesellschaft ... mbH - AWS - für die Entsorgung von Abfällen aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen (AEB-AWS)" privatrechtlich.

...

Die Antragstellerinnen sind als Handelsgesellschaften Gewerbetreibende. Sie wenden sich gegen § 3 Abs. 3 der Satzung und machen geltend, dass die Verweisung auf die AEB-AWS - im Gegensatz zu den Abfällen aus privaten Haushalten - einen Anschluss- und Benutzungszwang regele. Die Entsorgung der Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen sei nicht rechtmäßig übertragen. Durch § 3 Abs. 3 der Satzung sei ein Entsorgungsmonopol für gewerbliche Abfälle zu Gunsten der AWS festgeschrieben worden. Damit sei die Rechtsstellung der Inhaber von Gewerbebetrieben drastisch verschlechtert worden. Sie hätten keine Chance mehr, die Einzelheiten der Entsorgung - insbesondere die Preisgestaltung - wie bisher individuell zu regeln. Die Übertragung der Aufgabe durch Bescheid des Ministeriums für Umwelt, Natur und Forsten des Landes Schleswig-Holstein widerspreche § 3 Abs. 4 Satz 1 LAwfWG, wonach ein Kreis Gemeinden, Ämtern oder Zweckverbänden durch Satzung oder durch öffentlich-rechtlichen Vertrag die Aufgabe der Abfallentsorgung ganz oder teilweise übertragen könne. Danach sei eine Übertragung auf eine GmbH ohnehin unzulässig.

Die Antragstellerinnen beantragen,

§ 3 Abs. 3 Satz 2 der Satzung über die Abfallentsorgung des Kreises ... vom 12. Dezember 2003 für unwirksam zu erklären.

Der Antragsgegner beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Nach Ansicht des Antragsgegners entsprechen die Ausführungen der Antragstellerinnen zu gewerblichen Abfällen nicht der Rechtslage. § 3 LAbfWG mit seinen Übertragungsbestimmungen beziehe sich lediglich auf Abfälle aus privaten Haushaltungen. Für Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen sei die Beauftragung (Erfüllungsprivatisierung gemäß § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG) und die insoweit im vorliegenden Fall wirksam vorgenommene Pflichtenübertragung auf die AWS als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger in § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG geregelt. Die Überlassungspflicht für diese Abfälle gelte deshalb unmittelbar gegenüber der AWS (§ 13 Abs. 1 KrW-/AbfG). Die AWS als private GmbH habe insoweit die Rechtsbeziehungen zu ihren Kunden privatrechtlich unter Einbeziehung von "Allgemeinen Entsorgungsbedingungen (AEB-AWS)" geregelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die vom Antragsgegner übersandten Sitzungsvorlagen zur Satzung über die Abfallentsorgung und zum Tarif über die privatrechtlichen Benutzungsentgelte ab 01. Januar 2004 und den Text der Satzung über die Abfallentsorgung des Kreises ... verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Normenkontrollanträge sind - in der eingeschränkten Form - zulässig. Sie zielen auf die Überprüfung der Gültigkeit einer kommunalen Satzung, so dass die sachliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 5 AG VwGO gegeben ist. Die Anträge sind auch innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Satzung gestellt worden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Antragstellerinnen sind auch antragsbefugt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Antrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Das gilt auch - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - für die Antragstellerin zu 2), die als Handelsgesellschaft hinsichtlich der Parteifähigkeit juristischen Personen gleichgestellt ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 47 Rdnr. 38 m.w.N.). Dabei bedarf es keiner schlüssigen Geltendmachung einer (jedenfalls in absehbarer Zeit) erfolgenden Rechtsverletzung, sondern es genügt die Darlegung, durch die angegriffene Rechtsvorschrift - das ist hier die Abfallsatzung des Antragsgegners - in einem bestimmten Aspekt rechtlich betroffen zu sein. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragstellerinnen sind als gewerbetreibende Erzeugerinnen bzw. Besitzerinnen von Abfällen aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen und daher von der angegriffenen Regelung betroffen.

Die danach zulässigen Anträge sind auch begründet.

Die von den Antragstellerinnen beanstandete Übertragung von Entsorgungspflichten für Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen kann nicht vom Antragsgegner als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger i.S.v. § 15 Abs. 1 KrW-/AbfG kraft Satzung, sondern gemäß § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG - mit seiner Zustimmung und auf Antrag eines Dritten - nur von der zuständigen Behörde durch Verwaltungsakt vorgenommen werden. Darauf, dass dies mit Bescheid der Obersten Abfallentsorgungsbehörde vom 25. Oktober 2001 mit Wirkung zum 01. Januar 2002 geschehen ist, weist § 3 Abs. 3 Satz 1 AS hin. Dieser Teil der Vorschrift enthält somit keine eigenständige Regelung, die für unwirksam erklärt werden könnte. Auf das Vorbringen der Antragstellerinnen, die Voraussetzungen für diese Pflichtenübertragung hätten nicht vorgelegen, kommt es daher in diesem Verfahren nicht an.

Unbeschadet der Frage, ob die Pflichtenübertragung i.S.v. § 16 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG als Akt der (Teil-) Beleihung anzusehen ist (so die wohl herrschende Meinung, vgl. Versteyl in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, Kommentar, 2. Aufl., § 16 Rdnr. 32 m.w.N.; v. Lersner/Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung, KrW-/AbfG, § 16 Rdnr. 29) oder nicht (so Frenz, KrW-/AbfG, Kommentar, 3. Aufl., § 16 Rdnr. 18, 99) und der weiteren Frage, ob § 13 Abs. 2 KrW-/AbfG im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend auszulegen ist, dass im Falle der Übertragung von Entsorgungspflichten gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG die Überlassungspflicht dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger gegenüber fortbesteht (so Frenz, a.a.O., § 13 Rdnr. 76), wird die Auffassung vertreten, dass jedenfalls keine Überlassungspflicht gegenüber Dritten, denen die Entsorgungspflicht übertragen wurde, begründet wird (vgl. Kunig, a.a.O., § 13 Rdnr. 30 m.w.N.; a.A. v. Lersner, a.a.O., § 16 Rdnr. 31). Im Falle der Übertragung von Entsorgungspflichten auf Dritte seien diese zwar primär verantwortlich. Indes stehe ihnen nicht die Rechtsmacht zu, von dem in § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG bezeichneten Personenkreis die Überlassung der Abfälle zu verlangen, da mangels gesetzlicher Ermächtigung ein Übergang der Hoheitsbefugnisse nicht mit der Übertragung der Entsorgungspflichten einhergehe (Frenz, a.a.O., § 13 Rdnr. 76). Dem wird entgegengehalten, dass zwischen der Überlassungspflicht und der zu ihrer Durchsetzung erforderlichen Befugnisse zu unterscheiden sei (Kiefer, Die Pflichtenübertragung als neues Instrument des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, NVwZ 2001, 1109, 1110 m.w.N.).

Die aufgeworfenen Fragen können hier offen gelassen werden. Auch wenn es sich bei der Pflichtenübertragung gemäß § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG nicht um eine Beleihung handeln und der AWS hier keine hoheitlichen Befugnisse übertragen sein sollten, müsste der Antragsgegner gesetzlich befugt sein, durch Satzung zu regeln, wem gegenüber Überlassungspflichten gemäß § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG bestehen. Die Satzungskompetenz des Antragsgegners beruht dem Grunde nach auf § 4 Abs. 1 KrO. Das gilt auch für Pflichtaufgaben i.S.v. § 2 Abs. 2 KrO. Für die Abfallentsorgung ist das Satzungsrecht jedoch besonders gestaltet. Nach § 5 Abs. 1 LAbfWG regeln die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger die Entsorgung der Abfälle, für die sie nach § 15 KrW-/AbfG entsorgungspflichtig sind, durch Satzung. Sofern - wie hier - die Pflichten zur Entsorgung von Abfällen aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen nach § 16 Abs. 2 Krw-/AbfG auf einen Dritten übertragen worden sind und der Antragsgegner als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger gemäß § 15 Abs. 2 Krw-/AbfG von seiner Entsorgungspflicht befreit ist, entfällt insoweit die Regelungskompetenz.

Daher ist § 3 Abs. 3 Satz 2 AS, wonach die Überlassungspflichten gemäß § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG für die nach Satz 1 übertragenen Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushalten unmittelbar gegenüber der AWS gelten, unwirksam. Wem gegenüber die Überlassungspflichten bestehen, ergibt sich unmittelbar aus den Bestimmungen des Kreislaufwirtschfts- und Abfallgesetzes. Für eine rein deklaratorische Übernahme bundesrechtlicher Bestimmungen besteht hier keine Rechtfertigung. Sie mag in Ausführungsbestimmungen, für die der Antragsgegner die Regelungskompetenz hat, für die Lesbarkeit und Verständlichkeit unerlässlich sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.02.2005 - 7 CN 6.04 -, NVwZ 2005, 695, 698), doch gilt das nicht für jene Bereiche, in denen mit der Aufgabenübertragung die Befugnis, eine Satzung zu erlassen, entfallen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergehen gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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