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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.01.2002
Aktenzeichen: 2 L 137/01
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 11
BSHG § 76
Gibt ein Mitglied einer Einsatzgemeinschaft nach § 11 BSHG Teile seines Einkommens an einen außerhalb der Einsatzgemeinschaft Stehenden weiter, so mindert dies das der Einsatzgemeinschaft zuzurechnende Einkommen auch dann nicht, wenn es sich dabei um das für das in einem eigenen Haushalt lebende Kind erhaltene kinderzahlanteilige Kindergeld und/oder um eine Unterhaltszahlung an das volljährige Kind handelt.

Zur Frage, wie ein Einkommensüberhang eines Mitglieds einer Einsatzgemeinschaft nach § 11 BSHG den übrigen Mitgliedern der Einsatzgemeinschaft zuzuordnen ist.


Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Verkündet am: 16. Januar 2002

Aktenzeichen: 2 L 137/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Sozialhilfe

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ...., die Richterin am Oberverwaltungsgericht ...., den Richter am Oberverwaltungsgericht ..... sowie die ehrenamtliche Richterin ..... und den ehrenamtlichen Richter ..... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 11. April 2001 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 07.02.1984 geborene Kläger wohnt im Haushalt seiner Eltern und bezieht von der Beklagten Sozialhilfeleistungen in Form der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt. Mit einem Bescheid vom 11. Juli 2000 (Bl. 178 der Beiakte A des Verfahrens 2 L 139/01) wurde die Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Juli 2000 anlässlich der Regelsatzanpassung neu auf 485,81 DM festgesetzt. Dieser Betrag setzt sich gemäß einer "Horizontalberechnung" (Bl. 28 der Gerichtsakte) auf der Bedarfsseite aus einem Regelsatz in Höhe von 495,-- DM sowie einem anteiligen Unterkunftsbedarf in Höhe von 231,38 DM (Kaltmiete 902,14 abzgl. 368,-- DM Wohngeld zzgl. 160,-- DM Heizkosten = 694,14 DM, geteilt durch 3) zusammen, dem als Einkommen der Einkommensüberhang seines Vaters in Höhe von 468,40 DM anteilig in Höhe von 240,57 DM gegengerechnet worden war (Mutter ..... 227,83 DM, Kläger ...... 240,57 DM).

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger durch seine Mutter am 18. Juli 2000 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 04. September 2000 zurückgewiesen wurde.

Der Kläger hat am 25. September 2000 Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben und dort vorgetragen, das zu berücksichtigende Einkommen seines Vaters sei fehlerhaft berechnet worden, da der an seine Schwester ..... vom Vater geleistete Unterhalt nicht berücksichtigt werde.

Der Kläger hat beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 01. Juli 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04. September 2000 die Beklagte zu verpflichten, Hilfe zum Lebensunterhalt für den Kläger in Höhe von 755,01 DM monatlich zu leisten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 11. April 2001 abgewiesen. Die berechnete Hilfe zum Lebensunterhalt sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Kläger hat am 09. Mai 2001 für einen zu stellenden Antrag auf Zulassung der Berufung einen Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes gestellt. Nachdem dem Kläger mit Beschluss vom 07. September 2001 Prozesskostenhilfe bewilligt und der jetzige Prozessbevollmächtigte beigeordnet worden war, hat der Kläger am 26. September 2001 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Beschluss vom 23. Oktober 2001 entsprochen hat.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 11. April 2001 zu ändern und die Beklagte unter insoweitiger Abänderung der Bescheide vom 11. Juli und 04. September 2000 zu verpflichten, an ihn Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 755,01 DM monatlich zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte A zum Verfahren 2 L 139/01) haben dem Gericht bei Beratung und Entscheidung vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden; wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Sowohl das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil wie auch die Bescheide der Beklagten vom 11. Juli und vom 04. September 2000 halten im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung stand. Dem Kläger stand gegen die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum kein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen zu, der in seinem Umfang das bisher Gewährte überstiege.

Der Kläger hatte im hier streitbefangenen Monat Juli 2000 einen sich aus den §§ 11, 12, 22 BSHG ergebenden sozialhilferechtlichen Bedarf von insgesamt 726,38 DM (Regelsatz in Höhe von 495,-- DM, anteiliger Unterkunftsbedarf in Höhe von 231,38 DM). Dieser sozialhilferechtliche Bedarf ist durch den auf den Kläger angerechneten Einkommensüberhang seines Vaters in Höhe von 240,57 DM und die durch die Bescheide der Beklagten vom 11. Juli und 04. September 2000 gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 485,81 DM gedeckt.

Der Vater des Klägers bezog im Juli 2000 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1.294,93 DM und Kindergeld in Höhe von 540,-- DM, hatte also ein Gesamteinkommen in Höhe von 1.834,93 DM, um den Familienfreibetrag in Höhe von 40,-- DM bereinigt somit ein berücksichtigungsfähiges Einkommen von 1.794,93 DM. Angesichts seines sozialhilferechtlichen Bedarfs in Höhe von 826,53 DM (Regelsatz 550,-- DM, anteilige Unterkunftskosten 231,38 DM, monatliche Bekleidungspauschale 45,15 DM) ergab dies einen Einkommensüberhang in Höhe von 968,40 DM.

Stellt man diesem Einkommensüberhang den sozialhilferechtlichen Bedarf der Mutter des Klägers in Höhe von 727,83 DM (Regelsatz 440,-- DM, anteiliger Unterkunftsbedarf 231,38 DM, monatliche Bekleidungspauschale 56,45 DM) gegenüber, so verbleibt ein auf den Bedarf des Klägers gegenzurechnender verbleibender Einkommensüberhang in Höhe von 240,57 DM.

Bei der Berechnung des Einkommensüberhangs des Vaters des Klägers und bei der Berücksichtigung dieses Einkommensüberhangs bei der Berechnung des sozialhilferechtlichen Bedarfs der Mutter des Klägers und des Klägers hat außer Betracht zu bleiben, dass der Vater des Klägers das auf die Schwester des Klägers entfallende kinderzahlanteilige Kindergeld weitergereicht hat sowie auch, dass der Vater des Klägers an die Schwester des Klägers eine Unterhaltszahlung in Höhe von 250,-- DM monatlich geleistet hat. Dies führt dazu, dass dieser Betrag von monatlich 500,-- DM, obwohl er bei der Schwester des Klägers als Einkommen im Sinne des § 76 BSHG zu berücksichtigen ist und deren sozialhilferechtlichen Anspruch somit entsprechend mindert und obwohl dieser Betrag von 500,-- DM im Haushalt des Klägers tatsächlich fehlt, dem Einkommen des Vaters des Klägers aus Rechtsgründen weiterhin zugerechnet bleibt und seinem auf die Einsatzgemeinschaft zu verteilenden Einkommensüberhang entsprechend zugerechnet wird. Da der Vater des Klägers mit der bezogenen Arbeitslosenhilfe über Einkommen verfügt, das in der Höhe seinen sozialhilferechtlichen Bedarf übersteigt, ist dieses Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG dem sozialhilferechtlichen Bedarf seiner Ehefrau und dem sozialhilferechtlichen Bedarf der minderjährigen Kinder, die dem Haushalt angehören, also dem des Klägers, gegenzurechnen. Da die Schwester des Klägers den Haushalt zum April 2000 verlassen hat und somit dem Haushalt nicht mehr angehört, bleibt sie bei der Verteilung des Einkommensüberhangs außer Betracht.

Soweit der Vater des Klägers an seine Tochter einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 250,00 DM geleistet hat, ist dies für die Berechnung seines Einkommensüberhangs unbeachtlich. Da die Schwester des Klägers seit dem 22. März 2000 volljährig ist, waren die Unterhaltsleistungen als Volljährigenunterhalt geleistet. Unterhaltsberechtigte volljährige unverheiratete Kinder stehen nach den §§ 1603 Abs. 2 Satz 2, 1609 BGB bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres jedoch nur dann im Rang minderjährigen unverheirateten Kindern gleich, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben. Da gerade das Letztere nicht der Fall war, stellen sich diese Zahlungen als Tilgung von Verbindlichkeiten dar, deren Übernahme nicht Aufgabe der Sozialhilfe ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.06.1996 - 6 S 1678/95 -, FEVS 47, 364 = VGH BW - Ls 1996 Beil. 9, B 6 = info also 1997, 212; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15.12.1977 - 5 C 35.77 -, E 55, 148 = FEVS 26, 99, das auf die Unterhaltsansprüche geleistete Einkommensanteile trotz Pfändung als dem Einkommen im Sinne des § 76 BSHG weiterhin anrechenbar zugehörig ansah, diese Beträge jedoch allein wegen der Pfändung als tatsächlich nicht zur Verfügung stehend und deshalb nicht als "bereites Mittel" wertete).

Im Ergebnis nichts anderes gilt hinsichtlich des Betrages von 270,00 DM brutto bzw. 250,00 DM netto, die der Vater des Klägers an die Schwester des Klägers als kinderzahlanteiliges Kindergeld weiterreicht. Auch das vom Vater des Klägers bezogene Kindergeld ist sein Einkommen, das, soweit es seinen sozialhilferechtlichen Bedarf übersteigt, gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG dem sozialhilferechtlichen Bedarf seiner Ehefrau und dem sozialhilferechtlichen Bedarf des Klägers gegenzurechnen ist. Rechtliche Ansatzpunkte, die eine andere Betrachtung zulassen, sind nicht ersichtlich.

Der Senat hat allerdings rechtliche Bedenken gegen das Verfahren, nach dem die Beklagte den Einkommensüberhang des Vaters des Klägers auf die Mutter des Klägers und den Kläger verteilt hat. Bei dem von der Beklagten gehandhabten "Kaskadenmodell" (vgl. Schulte, ZfSH/SGB 1990, 471, 475; Schoch ZfS 1989, 297, 303) wird vorab einer Person soviel aus dem Einkommen nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG angerechnet, bis sie nicht mehr hilfebedürftig ist. Dieser Vorgang wird, soweit es der Einkommensüberschuss erlaubt, bei möglichst vielen Mitgliedern der Einstandsgemeinschaft wiederholt. Ein solches Verfahren ist mit dem Grundsatz des individuellen Leistungsanspruchs auf Sozialhilfe (§ 4 Abs. 1 BSHG) nicht in Einklang zu bringen, da es das Bestehen und den Umfang eines sozialhilferechtlichen Anspruches von der Entscheidung der Sozialhilfebehörde abhängig macht, welches Mitglied der Einsatzgemeinschaft sie in welcher Rangfolge in die Berechnung einstellen will. Das "Kaskadenmodell" führt überdies dazu, dass ein Bedarf, der zu einmaligen wirtschaftlichen Beihilfen bei einem vorrangig Berücksichtigten führt, die Höhe des sozialhilferechtlichen Bedarfs und damit des sozialhilferechtlichen Anspruchs eines nachrangig Berücksichtigten berührt. Schwierigkeiten entstehen auch dann, wenn im Zusammenhang mit der Gewährung einmaliger Leistungen ein Ansparen des Hilfeempfängers gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 BSHG erwartet wird.

Der Senat hält das von ihm zum Beispiel auch bei der Verteilung von Unterkunftskosten als rechtmäßig angesehene Kopfanteiligkeitsmodell für nicht nur praktikabler, sondern auch als dem Gesamtgefüge des Sozialhilferechts angemessener. Dies hätte zur Folge, dass der bei dem Vater des Klägers vorhandene Einkommensüberhang jeweils hälftig dem sozialhilferechtlichen Bedarf der Mutter des Klägers und des Klägers gegenzurechnen wäre. Dies hätte im konkreten Fall jedoch zur Folge gehabt, dass dem sozialhilferechtlichen Bedarf der Mutter des Klägers in Höhe von 727,83 DM ein Einkommensüberhang des Vaters des Klägers in Höhe von lediglich 484,20 DM gegenzurechnen wäre, so dass bei ihr ein bisher nicht befriedigter und wegen Bestandskraft der entsprechenden Bescheide auch nicht mehr durchsetzbarer sozialhilferechtlicher Anspruch in Höhe von 243,63 DM verbliebe. Beim Kläger wäre dem sozialhilferechtlichen Bedarf in Höhe von 726,38 DM ebenfalls ein Einkommensüberhang von 484,20 DM gegenzurechnen, so dass ein sozialhilferechtlicher Anspruch in Höhe von 228,18 DM errechnet würde. Berücksichtigt man dabei, dass dem Kläger mit den angefochtenen Bescheiden bereits 485,81 DM bewilligt worden waren, so ergäbe sich eine Überzahlung in Höhe von 257,63 DM. Daher kann hier letztlich dahinstehen, nach welchem Modell der Einkommensüberhang eines Mitglieds der Einsatzgemeinschaft den übrigen Familienmitgliedern zugerechnet wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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