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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: 2 LB 54/03
Rechtsgebiete: AsylVfG, GFK


Vorschriften:

AsylVfG § 73 Abs. 1
GFK Art. 1 C Nr. 5
Besteht im Herkunftsland weder eine effektive Staatsgewalt noch eine durch internationale Maßnahmen gewährleistete Friedensordnung, ist gleichwohl der Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter nicht ausgeschlossen, wenn es an der Kausalität zwischen der zur Anerkennung führenden Verfolgung und den für eine Rückkehr bedeutsamen Umständen fehlt.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Az.: 2 LB 54/03

Verkündet am 16.06.2004

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter - Berufungsverfahren -

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht G., die Richter am Oberverwaltungsgericht H. und CV. sowie die ehrenamtlichen Richter Herr BJ. und Frau BW.

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 21. Kammer - vom 29. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beteiligten sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Asylberechtigter bzw. der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und erstrebt die Feststellung der Voraussetzungen des § 53 AuslG.

Der 1972 geborene Kläger hat die afghanische Staatsangehörigkeit. Im Juni 1989 verließ er Afghanistan und gelangte - nach seinen Angaben auf dem Luftweg - nach Deutschland, wo er am 10. Juli 1989 seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragte.

Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab er an, er sei für die Organisation Jamiat-e-Islami als Verbindungsmann zwischen seinem Bruder und einem Kommandanten tätig gewesen und habe Bücher, Flugblätter und Videokassetten von Pakistan nach Kabul transportiert. Sein Bruder sei verhaftet worden. Anschließend sei das Haus durchsucht worden. Dabei habe man ihn und seinen Vater mitgenommen. Er sei 25 Tage festgehalten, geschlagen und gefoltert worden. Da er kein Geständnis abgelegt habe und keinerlei andere Beweise gegen ihn vorgelegen hätten, sei er wieder freigelassen worden. Schon vor seiner Haft habe er in die Bundesrepublik Deutschland reisen wollen. Nachdem die Russen Afghanistan verlassen hätten, habe es ständig Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mudjaheddin-Organisationen gegeben. Wenn er bei den Mudjaheddin geblieben wäre, hätte er am bewaffneten Kampf teilnehmen müssen. Das habe er nicht gewollt und sei deshalb ausgereist.

Mit Bescheid vom 07. Juni 1991 erkannte die Beklagte den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Der Kläger wurde nach seinem Umzug nach Lübeck dort wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren rechtskräftig verurteilt. Nach fünf Jahren wurde er aus der Strafhaft entlassen.

Mit - öffentlich zugestelltem - Schreiben vom 19. März 2000 hörte die Beklagte den Kläger zum Widerruf der Anerkennungsentscheidung gemäß § 73 AsylVfG an. Mit Bescheid vom 05. Juni 2000 widerrief sie die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten im Bescheid vom 07. Juni 1991 und die - darin getroffene - Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zugleich wurde festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Asylanerkennung und die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG lägen nicht mehr vor, weil sich die erforderliche Prognose einer drohenden politischen Verfolgung nicht mehr treffen lasse, nachdem in Afghanistan keine - der Verfolgung fähige - staatliche oder staatsähnliche Gewalt mehr vorhanden sei. Aus dem gleichen Grunde entfalle auch Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG; eine "extreme Gefahr" nach § 53 Abs. 6 AuslG sei im Falle des Klägers nicht gegeben.

Der Bescheid wurde dem Kläger öffentlich zugestellt (Aushang vom 14. bis 29. Juni 2000). Am 27. Juni 2000 ging die dagegen gerichtete Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach ein; von dort wurde die Streitsache durch Beschluss vom 27. Juli 2000 an das Verwaltungsgericht Schleswig verwiesen.

Der Kläger hat geltend gemacht, ein Widerruf sei schon deshalb unzulässig, weil er in seiner Heimat inhaftiert und gefoltert worden sei. Er lebe seit jetzt 14 Jahren in Deutschland, habe sich hier stabilisiert, sei vollzeitbeschäftigt und beziehe keine Sozialhilfe. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst davor, dass er seine "Gegner" nicht mehr erkennen würde, diese sich aber an ihn erinnerten, um Vergeltung zu üben. Im Mai 2002 habe er in Pakistan eine Afghanin geheiratet. § 73 AsylVfG sei - zudem - im Sinne des Art. 1 C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention auszulegen. Ein Widerruf sei demnach ausgeschlossen, wenn die Rückkehr nur in einen Staat ohne effektive Staatsgewalt möglich sei.

Nach informatorischer Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht die Klage durch Urteil v. 29. Januar 2003 abgewiesen. Der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 05. Juni 2000 sei rechtmäßig. Feststellungen zu § 53 AuslG könne der Kläger nicht beanspruchen. Der Widerruf der Asylanerkennung und einer Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG sei in § 73 Abs. 1 AsylVfG zwingend vorgeschrieben, wenn die Voraussetzungen für die beiden genannten Entscheidungen nicht mehr vorlägen. Dies habe die Beklagte rechtsfehlerfrei erkannt. Soweit die tatsächlichen Umstände zurzeit des angefochtenen Bescheides betroffen seien, sei den Gründen dieses Bescheides zu folgen. Bezogen auf den nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt ergäbe sich nichts anderes.

Die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung nach Art. 16 a Abs. 1 GG und für eine Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG lägen (auch) im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr vor, denn eine effektive staatliche oder staatsähnliche Gewalt - deren Vorhandensein Voraussetzung für die Zuerkennung der Schutztitel aus den genannten Vorschriften wäre - lasse sich derzeit in Afghanistan nicht feststellen. Dies stelle der Kläger selbst nicht in Frage. Das militärische Eingreifen der (internationalen) Anti-Terror-Allianz habe das Taliban-Regime in Afghanistan beseitigt. An die Stelle dieses Regimes sei noch keine - hinreichend stabile und gefestigte - staatliche oder staatsähnliche Struktur mit effektiver Gebietsgewalt getreten. Damit lägen die Voraussetzungen, die zur Asylanerkennung bzw. Feststellung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG durch Bescheid vom 07. Juni 1991 geführt hätten, nicht mehr vor, der Widerruf im angefochtenen Bescheid sei somit zu Recht erfolgt.

Soweit der Kläger meine, ein Widerruf - jedenfalls - der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (§ 51 Abs. 1 AuslG) sei immer dann ausgeschlossen, wenn die Rückkehr nur in einen Staat ohne effektive Staatsgewalt möglich wäre, sei dem nicht zu folgen. Weder die "humanitäre Intention" der Genfer Flüchtlingskonvention noch deren Systematik geböten, § 73 Abs. 1 AsylVfG in dieser Weise auszulegen. Die "humanitäre Intention" der Genfer Flüchtlingskonvention reiche nur soweit, wie ein (humanitäres) Schutzbedürfnis des betroffenen Flüchtlings bestehe. Sei dieses entfallen, weil die bisherige (staatliche) Verfolgungsmacht in seinem Herkunftsland - und sei es auch "ersatzlos" - weggefallen sei, käme ein fortbestehendes humanitäres Schutzbedürfnis nur für Fälle in Betracht, in denen aus anderen Gründen, etwa Bürgerkriegswirren, eine Fortdauer der Flucht - und damit der Flüchtlingseigenschaft - erforderlich sei. Werde jedoch der "Wegfall" einer (früheren) Staatsgewalt in anderer Weise dergestalt kompensiert, dass keine Verfolgungs- oder sonstigen Gefahren für den Flüchtling in seinem Herkunftsland mehr bestünden, sei (allein) wegen der "humanitären Intention" der Genfer Flüchtlingskonvention eine Fortdauer der Flüchtlingseigenschaft nicht geboten. Eine Kompensation in diesem Sinne könne auch darin bestehen, dass durch eine internationale Friedenstruppe - wie sie vorliegend durch die ISAF-Präsenz vorhanden sei - eine (örtlich) begrenzte Sicherheit in einem Teilgebiet des Herkunftslandes (Raum Kabul) erreicht werde. Ebenso wie es einem Flüchtling vor Inanspruchnahme des (völkerrechtlichen) Flüchtlingsschutzes durch einen anderen Staat zuzumuten sei, in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung durch Ausweichen in verfolgungsfreie Gebiete zu entgehen, sei auch ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung - jedenfalls - dann möglich, wenn der Flüchtling den - auch durch internationale Schutztruppen vermittelten - Schutz des Landes in Anspruch nehmen könne, dessen Staatsangehörigkeit er besitze.

Der Kläger könne Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG nicht beanspruchen. Soweit die Abschiebungsschutztatbestände nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG betroffen seien, setzten diese das Vorhandensein einer staatlichen oder staatsähnlichen Gewalt in Afghanistan voraus; daran fehle es. Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG sei ebenfalls nicht begründet. Dem stehe bereits die nach § 54 AuslG erfolgte Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan für weitere sechs Monate durch Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 16. Dezember 2002 entgegen. Unabhängig davon sei im Falle des Klägers eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit im Zusammenhang mit einer Abschiebung nicht festzustellen.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 16. Juni 2003 zugelassen, weil der Rechtssache aus den vom Kläger dargelegten Gründen grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Der Kläger meint, ein Widerruf jedenfalls des Flüchtlingsstatus, sinnvollerweise aber auch der Asylberechtigung, käme nur dann in Betracht, wenn die Rückkehr in einen schutzbereiten und -fähigen Staat erfolgen könne. Das sei im Falle Afghanistans in Ermangelung einer effektiven staats- oder staatsähnlichen Gewalt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt habe, nicht gegeben. Nach dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 AsylVfG dürfe zwar ein Widerruf einfach dann erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr vorlägen, d.h. wenn eine Flüchtlingsanerkennung zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung nicht mehr ausgesprochen werden könnte. Diese Regelung sei jedoch im Hinblick auf die Genfer Flüchtlingskonvention einschränkend auszulegen. Die Regelung der Genfer Flüchtlingskonvention habe schon auf der Tatbestandsseite die zusätzliche Einschränkung, dass der Betroffene es nicht mehr ablehnen könne, den Schutz seines Heimatstaats in Anspruch zu nehmen. Daraus ergäbe sich, dass selbst bei Wegfall einer im Sinne des § 51 AuslG relevanten Verfolgungsgefahr ein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nur dann in Betracht komme, wenn die Rückkehr in einen schutzbereiten und -fähigen Staat erfolgen könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 21. Kammer - vom 29. Januar 2003 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 05. Juni 2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts und macht geltend, entgegen der Auffassung des Klägers sei eine landesweite Befriedung nicht Vorraussetzung für den Widerruf der Asylanerkennung.

Der Widerruf der Anerkennung gründe auch auf § 51 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. AuslG, dessen Voraussetzungen der Kläger mit seiner Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren allerdings nach seiner Anerkennung erfüllt habe. Dass das nachträgliche Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG ein Widerrufsgrund sei, ergebe sich aus der Regelung des Art. 14 Abs. 4 der noch nicht in Kraft getretenen Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes. Danach könne u.a. einem Flüchtling die ihm zuerkannte Rechtsstellung aberkannt werden, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstelle, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei.

Für die Prüfung der Frage, ob für den Kläger eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar sei, bleibe festzuhalten, dass die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG eine Kausalität zwischen Verfolgung und Unzumutbarkeit voraussetze. Dabei könne die Folter, die der Kläger seinerzeit erlitten hätte, nicht zur Annahme einer Unzumutbarkeit seiner Rückkehr führen, da sie offenbar nicht dauerhafte Beeinträchtigungen zur Folge gehabt habe. Die erlittene Vorverfolgung könne auch deshalb eine Unzumutbarkeit der Rückkehr nicht zur Folge haben, weil der Kläger nach seinem Vorbringen im Anerkennungsverfahren in Kabul und Herat zu politischen Freunden zurückkehrte und nicht etwa in ein feindliches Umfeld. Der Kläger sei überdies in Kabul geboren und dort aufgewachsen.

Zudem sei die lange Aufenthaltsdauer des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland nicht verfolgungsbedingt. Schon seit Ende April 1991 hätten die Mudjaheddin, die der Kläger nach seinem Vorbringen im Anerkennungsverfahren in Afghanistan unterstützt hätte, das Kommando über Kabul. Der Aufenthalt des Klägers in Deutschland aufgrund der Tatsache, dass er eine langjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte, könne ebenfalls nicht als verfolgungsbedingt angesehen werden. Auch sei die gegenwärtige allgemeine Situation in Afghanistan nicht verfolgungsbedingt. Sie betreffe vielmehr alle Bürgerkriegsflüchtlinge. Dass der Kläger diesen gegenüber bei einer Rückkehr schlechter gestellt würde, sei nicht erkennbar.

Der Beteiligte hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben vorgelegen; auf sie und die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Ein Widerruf ist danach insbesondere dann möglich, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr besteht. Das ist dann der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich entscheidungserheblich geändert haben (BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 2 C 12.00 -, E 112, 80). Das ist zum gegenwärtigen, nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt in gleicher Weise der Fall wie bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Insoweit wird in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung und für eine Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht mehr vorliegen, weil eine effektive staatliche oder staatsähnliche Gewalt sich in Afghanistan nicht feststellen lasse. Das militärische Eingreifen der (internationalen) Anti-Terror-Allianz habe das Taliban-Regime in Afghanistan beseitigt. An die Stelle dieses Regimes sei noch keine - hinreichend stabile und gefestigte - staatliche oder staatsähnliche Struktur mit effektiver Gebietsgewalt getreten. Daran hat sich seither nichts geändert. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. April 2004 heißt es, die derzeitige 34-köpfige Übergangsregierung mit Präsident Karzai als Vorsitzendem sei entsprechend dem Petersberg-Abkommen Teil der "Transitional Authority" (TA), dem "Träger der afghanischen Souveränität". Die Übergangsregierung bestehe aus teils stark miteinander rivalisierenden Fraktionen; aus diesem Grunde und auch wegen des fehlenden bzw. unzureichenden administrativen Unterbaus kämpfe sie nach wie vor mit großen Schwierigkeiten (I. 1.). Am 25. Januar 2004 sei in Afghanistan eine neue Verfassung in Kraft getreten, die auf einem starken Präsidialsystem mit einem Zwei-Kammer-Parlament gründe und einen umfangreichen Menschenrechtskatalog enthalte. Mitglieder der afghanischen Regierung hätten den Abschluss der Verfassungsverhandlungen grundsätzlich positiv bewertet, jedoch gleichzeitig auf die Schwierigkeit in der Umsetzung der in der Verfassung garantierten Prinzipien und Rechte hingewiesen (I. 2.). Weiter wird im Lagebericht ausgeführt, ebenso wie es an Verwaltungsstrukturen fehle, könne bislang nicht von einem nur ansatzweise funktionierenden Justizwesen gesprochen werden. ... Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen sei trotz intensiver internationaler Bemühungen und institutioneller Fortschritte noch nicht überwunden. ... Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen sei praktisch nicht möglich (I. 3.). Eine funktionierende Polizei existiere derzeit in Afghanistan noch nicht (I. 4.).

In der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2004 an das OVG Bautzen heißt es, die Übergangsregierung und der Staatspräsident Karzai besäßen nach den Bestimmungen der am 26. Januar 2004 unterzeichneten Verfassung das Gewaltmonopol für Afghanistan. Dem Staatsaufbau liege das Prinzip der Gewaltenteilung zugrunde. Die legislativen Aufgaben würden nach der Parlamentswahl von den beiden Kammern der Volksvertretung wahrgenommen werden. Die Regierung unter Staatspräsident Karzai sei die Spitze der Exekutive. Die Judikative sei unabhängig und werde vom Obersten Gericht verwaltet. Den weiteren Ausführungen ist zu entnehmen, dass damit Zielsetzungen umschrieben werden. Zwar gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die afghanische Übergangsregierung unter Präsident Karzai z.B. ehemalige Sympathisanten des kommunistischen Regimes verfolge. Verbreitet seien allerdings Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder in eigener Verantwortung Verfolgung, Repression und auch Tötung ehemaliger Feinde guthießen. Hochrangige ehemalige Repräsentanten des kommunistischen Systems müssten auch mit privaten Racheakten rechnen. Dies gelte für Kabul und in noch stärkerem Maße für die Provinzen. Die Zentralregierung verfüge nicht über die notwendigen Machtmittel, um ihre Bürger in ausreichendem Maße zu schützen. In weiten Teilen des Landes herrsche ein Zustand der Rechtlosigkeit. Der Einfluss der Zentralregierung sei insbesondere in den Provinzen begrenzt bzw. praktisch nicht vorhanden.

Ist danach zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für den Fall einer Rückkehr des Klägers mit einer staatlichen Verfolgung nicht zu rechnen, steht dem Widerruf auch § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Mit dieser Regelung, die dem Art. 1 C Nr. 5 und 6 des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (GFK) nachgebildet ist, wird die gesetzliche Pflicht zum Widerruf durchbrochen (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.02.1986 - A 13 S 77/85 -, InfAuslR 1987, 91, 93). Das Fehlen einer zumutbaren Rückkehrmöglichkeit schließt den Widerruf der Anerkennung aus, auch wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 AsylVfG gegeben sind (Hailbronner, AuslR, 23. Erg.-Lfg. Juli 2000, § 73 AsylVfG Rn 28; Marx, AsylVfG, 5. Aufl., 2003, § 73 Rn 106). Es handelt sich bei dem Begriff der "zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe" um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist und die Berücksichtigung humanitärer Gründe zulässt. In Betracht kommen ausschließlich Gründe, die ihre Ursache in einer früheren Verfolgung haben. Damit soll der psychischen Sondersituation Rechnung getragen werden, in der sich ein Asylberechtigter befindet, der ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Die Art der die Rückkehrverweigerung rechtfertigenden Gründe ist durch eine Gegenüberstellung mit den Widerrufsgründen zu ermitteln. Besteht noch Verfolgungsgefahr, ist der Widerruf ausgeschlossen; ist sie nachträglich weggefallen, ist der Widerruf grundsätzlich statthaft, es sei denn, es sprächen zwingende, aus früheren Verfolgungen herrührende Gründe dagegen. Es geht mithin um die Fernwirkung der früheren Verfolgung, die abgeschlossen ist und nicht derart fortwirkt, dass auch für die Zukunft die Verfolgungsgefahr andauert (Hailbronner, a.a.O., Rn 30; Marx, a.a.O., Rn 111).

Es kommt somit auf die Zumutbarkeit der Rückkehr an, d.h. darauf, ob der nicht mehr Asylberechtigte gleichwohl mit beachtlichen Gründen eine Rückkehr in sein Herkunftsland ablehnen kann. Die Zumutbarkeit der Rückkehr setzt grundsätzlich voraus, dass ein Staat existiert, dessen Schutz der nicht mehr Asylberechtigte nunmehr wieder in Anspruch nehmen kann (VG Frankfurt/Main, Urt. v. 28.10.1999 - 5 E 30435/99.A -, AuAS 2000, 10, 12; Hailbronner, a.a.O., Rn 31). So spricht § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG von der "Rückkehr in den Staat", dessen Staatsangehörigkeit der Asylberechtigte besitzt. Dies entspricht auch dem Rechtsgedanken des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 und 2 GFK. Dazu wird vertreten, dass bei der Beurteilung, ob eine ausreichende Änderung der Umstände vorliege, entscheidende Frage sei, ob der Flüchtling tatsächlich den Schutz seines Herkunftslandes in Anspruch nehmen könne. Ein solcher Schutz müsse daher wirksam und verfügbar sein. Erforderlich sei das Vorhandensein einer funktionierenden Regierung und grundlegender Verwaltungsstrukturen, wie sie z.B. in einem funktionierenden Rechtsstaat vorlägen, sowie das Vorhandensein einer angemessenen Infrastruktur, innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte ausüben könnten, einschließlich ihres Rechtes auf eine Existenzgrundlage (UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, NVwZ Beilage Nr. I 8/2003, S. 59). Diese Auslegung der Vorschrift beruht auf der Vorstellung, dass eine Person, die sich auf keinen staatlichen Schutz berufen kann, schutzlos ist (vgl. Schweizerische Asylrekurskommission, Urt. v. 05.07.2002, S. 21 f [GA 122]). Diese Vorstellung trifft angesichts der von den Vereinten Nationen verschiedentlich getroffenen Kollektivmaßnahmen (Art. 1 Nr. 1, Art. 40 ff UN-Charta) in ihrer Allgemeinheit nicht mehr zu. Es gibt Beispiele dafür, dass durch internationale bzw. supranationale Maßnahmen eine umfassende Machtsubstitution vorgenommen und dadurch die nationalstaatliche Gewalt einschließlich ihrer Schutzfunktion ersetzt wird (vgl. Schweizerische Asylrekurskommission, a.a.O., S. 22). Dies ist etwa auf dem Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien bzw. Republik Serbien für die Provinz Kosovo angenommen worden. Die Bundesrepublik Jugoslawien und die Republik Serbien hätten die effektive Gebietsgewalt auf dem Territorium des Kosovo, die eine politische Verfolgung der dort lebenden Bevölkerung ermöglichen könnte, im Juni 1999 durch das Einrücken der UN-Friedenstruppe KosovoForce (KFOR) und den vollständigen Abzug aller serbischen bzw. jugoslawischen Armeetruppen, sonderpolizeilichen Einheiten und paramilitärischen Gruppen vorübergehend verloren. Die vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Kosovo-Friedensresolution Nr. 1244 autorisiere sowohl die Anwesenheit der KFOR-Truppen als auch eine internationale Zivilpräsenz, die die Einrichtung einer Übergangsverwaltung im Kosovo zum Ziel habe. Durch die Präsenz der KFOR-Truppen sei es auch für absehbare Zeit ausgeschlossen, dass die Bundesrepublik Jugoslawien bzw. die Serbische Republik auf militärischem Weg die effektive Gebietsherrschaft im Kosovo wiedererlangen könnten (Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 21.02.2002 - 8 LB 13/02 -, AuAS 2002, 90, 92). Bei dieser Ausgangslage hat das Niedersächsische OVG die Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG als gegeben angesehen (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.03.2004 - 6 S 219/04 -, JURIS). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung bestätigt, ohne auf die hier interessierende Frage des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG einzugehen (BVerwG, Urt. v. 08.05.2003 - 1 C 15.02 -, EZAR 214 Nr. 15).

Auch das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Widerruf nicht nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG unzulässig sei, wenn der "Wegfall" einer (früheren) Staatsgewalt in anderer Weise dergestalt kompensiert werde, dass keine Verfolgungs- oder sonstigen Gefahren für den Flüchtling in seinem Herkunftsland mehr bestünden. Eine Kompensation in diesem Sinne werde dadurch erreicht, dass durch eine internationale Friedenstruppe - wie sie vorliegend durch die ISAF-Präsenz vorhanden sei - eine (örtlich) begrenzte Sicherheit in einem Teilgebiet des Herkunftslandes (Raum Kabul) erreicht werde. Dem ist im Ergebnis nicht zu folgen.

Wie bereits ausgeführt, verfügt die übergangsweise eingesetzte Zentralregierung nicht über die notwendigen Machtmittel, um ihre Bürger in ausreichendem Maße zu schützen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 17.02.2004 an OVG Bautzen sowie Lagebericht vom 22.04.2004). Anders als für den Kosovo angenommen wird dieses Vakuum staatlicher Macht nicht durch internationale Einsätze bzw. Organisationen kompensiert.

Hierzu führt das Auswärtige Amt (auch) im neuesten Lagebericht aus, dass die Übergangsregierung unterstützt werde durch die Entsendung der von den Vereinten Nationen mandatierten International Security Assistance Force (ISAF), deren Aufgabe es sei, die Sicherheit in Kabul und Umgebung bzw. anderen gegebenenfalls zu bestimmenden Regionen zu gewährleisten. ... Um Regierungsautorität und Sicherheitsanliegen in den Provinzen zu unterstützen, betrieben insbesondere die USA an strategisch wichtigen Orten seit mehreren Monaten aus Militär- und Zivilangehörigen bestehende sogenannte "Provincial Reconstruction Teams". Sie sollten den Wiederaufbau erleichtern und Terrorismus und Destabilisierung entgegenwirken (I. 7.). Die Sicherheitslage habe sich für afghanische Staatsangehörige weiterhin landesweit nicht verbessert, in mancher Beziehung sogar verschlechtert ( II. 1.). Daraus kann nicht geschlossen werden, dass die fehlende staatliche Macht durch die internationale Friedenstruppe kompensiert wird.

Die Sicherheitslage für afghanische Staatsangehörige wird demzufolge für den Raum Kabul auf Grund der ISAF-Präsenz als vergleichsweise zufriedenstellend, jedoch fragil bezeichnet. Für frühere Bewohner Kabuls sei sie in Teilen ausreichend sicher. Es seien allerdings auch dort Auseinandersetzungen wegen besetzten oder entzogenen Grundeigentums bekannt. Immer wieder komme es in Kabul zu Granatenbeschuss. Es komme teilweise zu Übergriffen von Polizei und Sicherheitskräften. Typischerweise begingen Gruppen von Angehörigen der Sicherheitskräfte bewaffnete Raubüberfälle oder Diebstähle (AA, Lagebericht, II. 1.)

In den verschiedenen Teilen des Landes hielten Kämpfe zwischen militärischen und politischen Rivalen weiter an. Es gebe weiterhin Binnenvertreibungen, u.a. im Norden, Osten und Zentralafghanistan als unmittelbare Folge der genannten Auseinandersetzungen. Einfluss auf die humanitäre Lage in Afghanistan habe auch die sich weiter verschlechternde Situation für die internationale Gemeinschaft. Im Jahr 2003 sei es wiederholt zu Übergriffen auf Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen gekommen (ebenda).

Unter Einbeziehung von Auskünften des Auswärtigen Amtes und anderer Quellen kommt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) in ihrem Update über die Entwicklungen in Afghanistan bis Februar 2004 zu ähnlichen Einschätzungen. Afghanistan bestehe weiterhin aus zahlreichen de facto Regionalautoritäten. Karzais Einfluss sei vor allem auf Kabul beschränkt, während die Macht in den Provinzen bei der Führung bewaffneter Gruppen liege. Die Übergangsregierung verfüge nicht über das staatliche Gewaltmonopol. Es gebe nach wie vor keine landesweit durchsetzbare Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit. Der Aktionsradius der ISAF sei zwar über Kabul hinaus auf Kunduz ausgedehnt worden. Der geographischen Ausweitung stehe jedoch eine inhaltliche Eineingung gegenüber. Die Aufgabe der Soldaten bestehe, anders als in Kabul, lediglich darin, die zivilen HelferInnen regionaler Wiederaufbauteams zu schützen.

Besteht mithin im Herkunftsland des Klägers - selbst in der Region Kabul - weder eine effektive Staatsgewalt noch eine durch internationale Maßnahmen gewährleistete Friedensordnung, ist der Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter gleichwohl nicht durch § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ausgeschlossen, weil es an der Kausalität zwischen der seinerzeit zur Asylanerkennung führenden Verfolgung und den für eine Rückkehr bedeutsamen Umständen fehlt. Wie der Kläger in seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Anfang Dezember 1990 angegeben hat, wurde er vor seiner Ausreise von Mitarbeitern des Khad, also des Geheimdienstes der damaligen Regierung verhaftet und gefoltert, um Informationen über Kontaktpersonen aus der Organisation Jamiat-e-Islami zu erhalten. Die nach seiner Freilassung anzunehmende Gefahr staatlicher Verfolgung durch das kommunistische Regime unter Nadjibullah endete im April 1992 mit der Entmachtung des Staatspräsidenten. Im Widerrufsbescheid wird hierzu zutreffend ausgeführt, dass an die Stelle des Kampfes gegen die Kommunisten die mit äußerster Härte geführte militärische Auseinandersetzung der siegreichen Mudjaheddin-Gruppen um die Vormachtstellung im nachkommunistischen Afghanistan getreten und das Land in eine Vielzahl kleiner und kleinster Einzugsgebiete zersplittert sei. Seither hat sich die Lage in Afghanistan mehrfach verändert. Während zum Zeitpunkt des Widerrufs der Asylanerkennung der größte Teil des Landes von den sogenannten Taliban kontrolliert wurde und ein aus verschiedenen Mudjaheddin-Gruppen zeitweilig begründetes Zweckbündnis (sogenannte Nordallianz) nur noch im Norden des Landes Macht ausübte, ist das Taliban-Regime - wie ausgeführt - durch internationalen Militäreinsatz wieder beseitigt und nachfolgend eine aus rivalisierenden Fraktionen bestehende Übergangsregierung eingesetzt worden. Wie zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers drohen der afghanischen Bevölkerung gefahren durch Kämpfe und Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen, doch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger davon in besonderer Weise betroffen wäre. Insbesondere fehlt es an Anhaltspunkten für eine mögliche Anknüpfung an die Ereignisse, die seinerzeit zur Asylanerkennung und zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 AuslG führten. Dass die Anhänger des früheren kommunistischen Regimes und damaligen Mitarbeiter des Khad noch über Einfluss verfügten und frühere Regime-Gegner verfolgen könnten, ist bei Berücksichtigung der in die Verhandlung eingeführten Erkenntnismittel unwahrscheinlich. Nach alledem entfalten die seinerzeit für die Asylanerkennung sprechenden Gründe für den Fall der Rückkehr des Klägers keine Wirkung mehr.

Die von der Beklagten erstmals im Berufungsverfahren vorgetragene Überlegung, dass der Widerruf der Anerkennung auch auf § 51 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. AuslG gründe, weil der Kläger nach seiner Anerkennung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt worden ist, ist somit nicht entscheidungserheblich. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Umstand der Verurteilung allein keine vom Kläger ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit begründet. Erforderlich ist eine - nicht nur hypothetische - Wiederholungsgefahr. Daran fehlt es regelmäßig, wenn - wie offenbar hier - im Hinblick auf eine günstige Sozialprognose ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wurde (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 51 AuslG Rn 38 m.w.N.; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 51 AuslG Rn 23 f.).

Der angefochtene Bescheid vom 05. Juni 2000 ist auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig. Dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, hat das Verwaltungsgericht in zutreffender Weise entschieden. Hierzu werden vom Kläger keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen. Insoweit wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils sowie des Widerrufsbescheides Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit haben ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Zulässigkeit des Widerrufs nach § 73 Abs. 1 AsylVfG beim Fehlen von Staatsgewalt und sonstiger Schutzmacht im Herkunftsland durch das Bundesverwaltungsgericht nicht abschließend geklärt ist.



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