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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.07.2008
Aktenzeichen: 2 LB 54/07
Rechtsgebiete: KAG SH, StVO


Vorschriften:

KAG SH § 8
StVO § 41 Abs. 2 Nr. 5
1. Es obliegt dem Satzungsermessen der Gemeinde festzulegen, nach welchen Straßentypen bei der Bemessung der Anliegeranteile am beitragsfähigen Aufwand zu unterscheiden ist.

2. Die Einstufung einer bestimmten Straße zu einem Straßentyp auf der Grundlage der Satzung unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung.

3. Die Zuordnung zu einer in der Ortssatzung der Gemeinde vorgesehenen Straßenkategorie hat sich an ihren wesentlichen, für die Straße insgesamt bedeutsamen und sie überwiegend charakterisierenden Merkmalen auszurichten, wobei von der Funktion der Straße im Gesamtverkehrsnetz der Gemeinde auszugehen ist, wie sie durch ihre Lage, die Art der Ausgestaltung und die Belastung ihre Ausprägung gefunden hat.

4. Die Merkmale einer Anliegerstraße, die hauptsächlich für den Zugang oder die Zufahrt zu den an ihr gelegenen Grundstücken bestimmt ist, treten zurück, wenn der Fahrradverkehr auf einer eingerichteten Fahrradstraße die Bedeutung eines innerörtlichen Verkehrs gewinnt.

5. Wird die Straße danach durch den innerörtlichen Fahrradverkehr in ihrer Nutzung geprägt, ist sie nach der Satzung als Innerortsstraße einzustufen und abzurechnen.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 2 LB 54/07

verkündet am 23. Juli 2008

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Ausbaubeiträge

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtlichen Richterinnen ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 9. Kammer - vom 31. Oktober 2006 geändert.

Der angefochtene Bescheid vom 26. November 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2004 wird aufgehoben, soweit der Kläger zu einem Ausbaubeitrag von mehr als 14.385,67 Euro herangezogen wird.

Die Kosten des Verfahrens hat insoweit die Beklagte zu tragen.

Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Ausbaubeitragsbescheid für den Ausbau der Gerhardstraße im Gemeindegebiet der Beklagten in den Jahren 1996 bis 1999.

In der Gerhardstraße wurde in den Jahren 1996 bis 1999 das alte, sehr unebene und von Absackungen gekennzeichnete Fahrbahnpflaster zwischen Gneisenaustraße und Jungmannstraße gegen einen bituminösen Schwarzdeckenaufbau ausgetauscht und die Straßenbeleuchtungsanlage verbessert.

Der Kläger ist Eigentümer des im Grundbuch von ..., Grundbuch-Blatt ... eingetragenen Grundstücks in ... in der .../... (Grundstücksfläche 5275 qm, tatsächliche Geschossfläche 4419 qm), für das die Beklagte mit Bescheid vom 26. November 2003 einen Ausbaubeitrag in Höhe von 21.578,82 Euro festsetzte und den Kläger zur Zahlung aufforderte.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 17. Dezember 2003 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2004 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung verwies die Beklagte auf das seinerzeit beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht anhängige Klagverfahren mit dem Aktenzeichen 9 A 45/02 u.a., bei dem das Gericht in seiner Sitzung am 24. September 2003 festgestellt habe, dass das Abrechnungsgebiet (zwischen der Gneisenaustraße und der Jungmannstraße) über das Bauende bis zur Kreuzung Preußerstraße/Koldingstraße hätte ausgedehnt werden müssen. Aufgrund dessen sei eine Nachveranlagung durchgeführt worden, bei der auch die Grundstücke südlich der Jungmannstraße berücksichtigt worden seien. Zu diesen Grundstücken gehörten unter anderem auch diejenigen des Klägers.

Gegen den Beitragsbescheid in Gestalt des am 03. März 2004 zugestellten Widerspruchsbescheides hat der Kläger am Montag, den 05. April 2004 Klage erhoben.

Zur Begründung seiner Klage hat er sich im Einzelnen gegen den ermittelten Aufwand und die Verteilung gewandt, insbesondere im Hinblick darauf, dass nach seiner Auffassung weitere Grundstücke in die Verteilung hätten einbezogen werden müssen. Dezidiert hat er sich darauf berufen, dass der Kreis der bevorteilten Grundstücke unzutreffend ermittelt worden sei. Die Erschließungswirkung, die durch die Straßen Koldingstraße/Gerhardstraße erzeugt werde, sei bezüglich des klägerischen Grundstückes begrenzt. Das Flurstück ..., Jungmannstraße ... bis ... beziehungsweise Koldingstraße ... bis ... - Grundbuch Blatt ... -, werde von der Erschließungswirkung nicht erfasst. Insbesondere könne es auch nicht als Hinterliegergrundstück einbezogen werden.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26. November 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2004 aufzuheben.

Die Beklage hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide und insbesondere darauf verwiesen, dass die Flurstücke der Grüntangente Nord nicht in das Abrechnungsgebiet einbezogen werden dürften. Das Flurstück ... sei zu Recht als Hinterliegergrundstück in das Abrechnungsgebiet einbezogen worden, da Eigentümeridentität mit dem an der Gerhardstraße anliegenden Flurstück ... bestehe. Dass auch eine Erschließung über die Jungmannstraße erfolge, stehe dem Entstehen der Beitragspflicht nicht entgegen.

Durch Urteil vom 31. Oktober 2006 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In der Begründung ist das Gericht im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten gefolgt und hat diese im Einzelnen weiter ausgeführt.

Gegen dieses am 09. Februar 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08. März 2007 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Zur Begründung hat der Kläger sein Klagbegehren in Bezug auf die Einbeziehung des Flurstücks ... und zur Erschließung dieses Grundstücks ergänzt und vertieft. Insbesondere hat der Kläger aber darauf verwiesen, dass die Beklagte die abgerechnete Einrichtung zu Unrecht als Anliegerstraße qualifiziert habe. Tatsächlich weise die Einrichtung die Qualität einer Innerortsstraße auf, so dass der Anliegeranteil am umlagefähigen Aufwand niedriger sei.

Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2007 die Berufung zugelassen, soweit der Beitrag einen Betrag von 14.385,64 Euro übersteigt. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend entschieden, dass es sich bei dem Grundstück mit Blick auf die ausgebaute Straße und im Verhältnis zum unmittelbar anliegenden Grundstück des Klägers um ein mehrfach erschlossenes Hinterliegergrundstück handele, dem aufgrund der Eigentümeridentität und des bestehenden Zugangs zur ausgebauten Straße durch die Straßenbaumaßnahme Vorteile erwüchsen. Es bestehe deshalb kein Zweifel, dass das Grundstück in das Abrechnungsgebiet habe einbezogen werden dürfen. Die Berufung ist jedoch zugelassen worden, soweit der Kläger die von der Beklagten vorgenommene und vom Verwaltungsgericht bestätigte Einstufung der ausgebauten Straße als Anliegerstraße mit einem beitragspflichtigen Anteil von 75 % angreift und meint, dass sie in Bezug auf die einzelnen Teileinrichtungen - Fahrbahn und Beleuchtung - stattdessen als Innerortsstraße einzustufen sei.

In der Berufungsbegründung macht der Kläger geltend, dass der umlagefähige Aufwand unrichtig ermittelt worden sei. Nach § 2 Abs. 2 ABS 1994 werde der Anliegeranteil am beitragsfähigen Aufwand nach Anliegeranteilssätzen bemessen. Die Satzung differenziere nach verschiedenen Straßentypen und zwar zwischen Anliegerstraßen, Innerortsstraßen und Hauptverkehrsstraßen. Innerhalb dieser Straßentypen würden unterschiedlich hohe Anteilssätze festgelegt, insbesondere werde nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 lit. b) ABS der Aufwand für die nochmalige Herstellung sowie den Aus- und Umbau von Radwegen mit überwiegend innerörtlicher Bedeutung mit einem Anliegeranteil von lediglich 25 % belegt, während der Anteil im Falle der Anliegerstraßen sowie der übrigen Maßnahmen jeweils 75 % betrage.

Die Beklagte habe vorliegend eine Anliegerstraße angenommen und dementsprechend den Anliegeranteil von 75 % zu Grunde gelegt. Bei der Aufteilung des beitragsfähigen Aufwandes auf die Gemeinde und die Eigentümer sei der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Anlage der Allgemeinheit wie den Eigentümern gebotene wirtschaftlicher Vorteil maßgeblich. Die gebotenen Vorteile hingen sowohl von der Verkehrsbedeutung der ausgebauten Straße als auch davon ab, welche Teileinrichtungen ausgebaut worden seien. Bereits diesem Umstand sei die Beklagte in Bezug auf die Anliegerstraßen (ausgenommen die Radwege mit überwiegend innerörtlicher Bedeutung) nicht nachgekommen, sondern habe stattdessen einen einzigen Vomhundertsatz für alle Teileinrichtungen, mit dem die wirtschaftlichen Vorteile der Anleger generell abgedeckt werden sollten, festgelegt. Damit dürfte die Beklagte gegen die Verpflichtung zur Vorteilsabwägung und zugleich gegen den Gleichheitssatz verstoßen haben.

Die Beklagte habe die Zuordnung der ausgebauten Einrichtung zu einem bestimmten Straßentyp fehlerhaft vorgenommen. Für die Zuordnung von bestimmten Straßentypen gebe es keine allgemeinen verbindlichen Maßstäbe. Vielmehr sei unter Zuhilfenahme der in der Satzung angegeben Begriffe und Funktionsbeschreibungen im Wege der Auslegung zu ermitteln, welche Merkmale beispielsweise eine überwiegend dem Anliegerverkehr, eine überwiegend dem innerörtlichen Verkehr oder eine überwiegend dem Durchgangsverkehr dienende Straße aufweisen müsse. Dabei sei grundsätzlich auf die Funktion der Straße abzustellen. Für diese Funktion seien maßgeblich die Verkehrsplanungen der Gemeinde, der auf entsprechende Planung beruhende Ausbauzustand und die straßenrechtliche Einordnung. Lediglich daneben könnten auch die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse von Bedeutung sein.

Durch die Gerhardstraße werde eine zentrale Veloroute im Stadtgebiet der Beklagten geführt. Die Gerhardstraße sei ausdrücklich als Fahrradstraße qualifiziert. In den entsprechenden Veröffentlichungen der Beklagten heiße es, dass Fahrradstraßen dort vorgesehen seien, wo der Radfahrverkehr die stärkste Verkehrsart sei oder in Zukunft sein werde. Die hier in Rede stehende Gerhardstraße sei in einer Teilstrecke Bestandteil der Veloroute Nr. 2 im Stadtgebiet der Beklagten, die beginnend in etwa am Bootshafen über die Eggerstedtstraße, Schlossstraße und die Brunswiker Straße sowie dann über die Koldingstraße in Richtung Norden führe. Bei der Einschätzung des Maßes der zu erwartenden Nutzung der ausgebauten Straße von den anliegenden Grundstücken einerseits und der Allgemeinheit andererseits seien alle Verkehrsarten in den Blick zu nehmen. Auf Grund der der Einrichtung von der Beklagten zugewiesenen Funktion sei davon auszugehen, dass sie insbesondere der Aufnahme des Fahrradverkehrs dienen solle. Dies habe seine Ursache auch darin, dass im Übrigen das Radwegenetz in den parallel laufenden Straßen (Holtenauer Straße und Feldstraße) nicht (mehr) den Anforderungen der Straßenverkehrsordnung genüge, weil entweder die angelegten Radwege zu schmal seien oder aber lediglich durch entsprechende Markierungen von der Fahrbahn abgegrenzt würden. Die in Rede stehende Einrichtung solle also insbesondere den zunehmenden Fahrradverkehr im Stadtgebiet der Beklagten aufnehmen und bündeln, sodass vorliegend nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die Straße überwiegend dem Anliegerverkehr zu dienen bestimmt sei. Die Fahrradstraße habe hier unter Umständen gar den Charakter wie ein Radweg mit überwiegend innerörtlicher Bedeutung, für den der Anliegeranteil selbst im Falle von Anliegerstraßen bei lediglich 25 % liege. Die Änderung der Bedeutung einer Straße in Bezug auf bestimmte Verkehrsarten müsse sich auf die Anliegeranteilssätze auswirken. In den Fällen, in denen eine Straße über die üblicherweise zukommende Erschließungsfunktion für die Anliegergrundstücke hinaus Verkehrsfunktionen im Verkehrsnetz einer Gemeinde übernehmen solle, steige das öffentliche Interesse bzw. das Interesse der Allgemeinheit am Vorhandensein und am Zustand dieser Straße an, so dass dies bei der Bestimmung der Anliegeranteilssätze Berücksichtigung finden müsse.

Im Übrigen habe die Beklagte selbst erkannt, dass es in ihrem Stadtgebiet offenbar Radwege gebe, die für den Fahrradverkehr im Stadtgebiet von derart großer Bedeutung seien, dass sie als mit überörtlicher Bedeutung zu qualifizieren seien, weshalb der Vorteil der Allgemeinheit den Vorteil der Eigentümer überwiege. Warum für eine Fahrradstraße, die zudem Bestandteil einer Veloroute sei, anderes gelten solle, erschließe sich nicht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 31. Oktober 2006 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 26. November 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2004 aufzuheben, soweit er einen Ausbaubeitrag von 14.385,67 Euro übersteigt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung weist die Beklagte insbesondere darauf hin, dass nicht die straßenverkehrsrechtliche Ausweisung maßgeblich sein könne. Sie erläutert im Einzelnen in Anknüpfung an die Vorlage für die Ratsversammlung vom 13. Juli 2000 das Veloroutenkonzept für ... und weist darauf hin, dass die Straße auch ohne Einbeziehung in das Veloroutenkonzept in derselben Art und Weise hergerichtet worden wäre.

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Gericht bei der Beratung und Entscheidung vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Akteninhalt sowie die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil ist zu ändern und die angegriffenen Bescheide sind insoweit aufzuheben, als der Kläger zu einem Ausbaubeitrag von mehr als 14.385,64 Euro herangezogen wird. Insoweit sind die angegriffenen Bescheide rechtswidrig und verletzen den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der angefochtenen Beitragserhebung ist § 1 der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 KAG für Straßenbaumaßnahmen - Ausbaubeitragssatzung - (ABS) vom 23. März 1994 in der Fassung der Nachtragssatzung vom 25. September 2006 zur 2. Änderungssatzung vom 09. Dezember 1999 i.V.m. § 8 Abs. 1 KAG. Danach kann die Beklagte nach Maßgabe der Satzung zur Deckung des Aufwands u.a. für die Erneuerung einer öffentlichen Straße Beiträge erheben.

Straßenbaumaßnahmen sind beitragsfähig, wenn die nach § 2 Abs. 1 KAG erforderliche Satzung einen Beitragstatbestand begründet, die jeweilige Maßnahme eine bestimmte öffentliche Einrichtung i.S.d. § 8 Abs. 1 KAG betrifft, notwendig ist und den Eigentümern der in ihrem Wirkungsbereich liegenden Grundstück einen Vorteil bietet. Diese Voraussetzungen sind dem Grunde nach gegeben.

Die Einstufung der abgerechneten und erneuerten Straße als Anliegerstraße und die sich daraus ergebende Verteilung des nach § 8 KAG beitragsfähigen Aufwandes auf die Anlieger einerseits und die Gemeinde andererseits erweist sich als rechtswidrig. Die abgerechnete Straße ist in Bezug auf die streitgegenständlichen Teileinrichtungen - Fahrbahn und Beleuchtung - als Innerortsstraße gem. § 2 Nr. 2 bzw. Nr. 9 ABS zu qualifizieren.

Es obliegt dem Satzungsermessen der Gemeinde festzulegen, nach welchen Straßentypen zu unterscheiden ist. Dabei kann sie sich aus Gründen der Praktikabilität auf relativ grobe Unterscheidungen beschränken (vgl. Habermann, KAG-Kommentar, § 8 Rdnr. 206, in: Praxis der Kommunalverwaltung). Die Vorteilsregelung des § 2 Abs. 2 ABS unterscheidet zwischen Anliegerstraßen, Innerortsstraßen und Hauptverkehrsstraßen und staffelt danach die Anlieger- bzw. Gemeindeanteile. In § 2 Abs. 5 ABS werden die Begriffe Anliegerstraßen und Innerortsstraßen näher bestimmt. Nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 ABS sind Anliegerstraßen, Straßen, die hauptsächlich für den Zugang oder die Zufahrt zu den an ihr gelegenen und dem Wohnen oder sonstigen Betätigungen dienenden Grundstücken bestimmt sind. Nach § 2 Abs.5 Nr. 2 ABS sind Innerortsstraßen Straßen, die der Erschließung von Grundstücken und gleichzeitig dem Verkehr von Baugebieten oder innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen dienen. Gegen diese typisierenden Regelungen bestehen keine rechtlichen Bedenken (vgl. Senatsurt. v. 26.09.2007 - 2 LB 20/07 -, SchlHAnz. 2008, S. 63 = Die Gemeinde 2008, S. 42; Habermann, a.a.O., Rdnr. 206 m.w.N.).

Die Einstufung einer bestimmten Straße zu einem Straßentyp auf der Grundlage der Satzung unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 8. Auflage, § 34 Rdnr. 29 m.w.N.; Thiem/Böttcher, KAGSH, § 8 Rdnr. 490 ).

Die von der Satzung verwendeten Begriffe sind regelmäßig nicht straßenrechtlich, sondern beitragsrechtlich zu verstehen, sodass maßgeblich auf die Funktion der Straße abzustellen ist (vgl. Senatsurteil vom 11.02.1998, 2 L 79/96, NordÖR 1998, S. 268; Thiem/Böttcher, a.a.O., § 8 Rn. 496; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 379).

Die Zuordnung zu einer in der Ortssatzung der Gemeinde vorgesehenen Straßenkategorie hat sich in ihren wesentlichen, für die Straße insgesamt bedeutsamen und sie überwiegend charakterisierenden Merkmalen auszurichten, wobei von der Funktion der Straße im Gesamtverkehrsnetz der Gemeinde auszugehen ist, wie sie durch ihre Lage, die Art der Ausgestaltung und die Belastung ihre Ausprägung gefunden hat. Dabei sind Lage, Ausgestaltung und Verkehrsbelastung allerdings nur Indizien, sie können zur Verkehrsfunktion und damit letztlich ausschlaggebenden tatsächlichen Verkehrsbedeutung der Straße in Widerspruch stehen (so Habermann, a.a.O., § 8 Rdnr. 331 m.w.N.). Als Anliegerverkehr ist derjenige Verkehr anzusehen, der zu den in Anspruch genommenen Grundstücken hinführt und von ihnen ausgeht. Dieser sogenannte Ziel- und Quellverkehr hinsichtlich der angrenzenden Grundstücke ist nicht nur in Bezug auf Kraftfahrzeuge erheblich, sondern hinsichtlich aller Formen der Fortbewegung, also beispielsweise auch in Bezug auf den Fußgänger- und Fahrradverkehr. Denn die Straße dient auch diesen Verkehrsformen (vgl. Senatsbeschluss vom 29.10.2007 - 2 MB 20/07 - unter Bezug auf das Nieders. OVG, Urt. v. 10.03.1998 - 9 L 2841/96 - juris).

Danach ist die Zuordnung der Gerhardstraße nach den festzustellenden Verkehrsverhältnissen zu der Kategorie der "Innerortsstraßen" vorzunehmen. Erheblich und entscheidend ist die Prägung der abzurechnenden Einrichtung durch die sie charakterisierenden Merkmale. Diese Prägung ist durch die Fahrradstraße, die Einordnung in das Veloroutenkonzept und die der Straße damit zugemessenen innerörtlichen Funktion gekennzeichnet.

Straßenverkehrsrechtlich gibt es auf Fahrradstraßen bestimmte Privilegierungen für den Fahrradverkehr. So dürfen andere Fahrzeugführer als Radfahrer Fahrradstraßen nur benutzen, wenn dies durch ein Zusatzschild zugelassen ist, alle Fahrzeugführer dürfen nur mit mäßiger Geschwindigkeit fahren und Radfahrer dürfen auch nebeneinander fahren (siehe § 41 Abs. 2 Nr. 5 Zeichen 244 StVO). So hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch angegeben, dass die Koldingstraße, beginnend ab der Brunswiker Straße bis zur Einmündung in die Gerhardstraße und weiter die Gerhardstraße in ihrer gesamten Länge ( mit zwei Unterbrechungen bei kreuzenden Straßen ) als Fahrradstraße ausgewiesen ist ( Zeichen 244 nach § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO mit dem Zusatzzeichen "Kraftwagen etc. frei", mit einer Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h ). Eine derart eingerichtete Straße wird dadurch nicht zu einem Radweg ( i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 7 lit. b) ABS, Radwege mit überwiegend innerörtlicher Bedeutung ) im Sinne des Ausbaubeitragsrechts. Die Benutzung der Straße durch Kraftfahrzeuge schließt es aus, sie als Radweg zu verstehen. Auch ist die straßenverkehrsrechtliche Ausgestaltung nicht ausschlaggebend für die erschließungsbeitragsrechtliche Typisierung der Straße. Sie verstärkt aber den sich aus anderen zu berücksichtigenden Merkmalen ergebenden Eindruck.

Bei der hier maßgeblichen Maßnahme ist - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - zu berücksichtigen, dass die Funktion der Einrichtung bezüglich des Kraftfahrzeugverkehrs und auch des Fußgängerverkehrs auch bei Deklaration der Straße als Fahrradstraße und Einbeziehung in das Velorutenkonzept quantitativ erhalten bleibt. Die abgerechnete Straße gewinnt als Teilabschnitt im Rahmen des Kieler Veloroutenkonzeptes indes eine andere Funktion und Prägung als die einer Anliegerstraße. Das Veloroutenkonzept wird zum Teil durch die Einrichtung von Fahrradstraßen verwirklicht. Dabei sind Velorouten extra ausgeschilderte Hauptverbindungen innerhalb des etwa 190 km langen Radwegenetzes. Das Veloroutenkonzept umfasst 11 Strecken mit einer Gesamtlänge von 80 km und in den Velorouten werden vermehrt Fahrradstraßen eingerichtet. In den Fahrradstraßen wird Großsteinpflaster durch Asphalt ersetzt, um ein komfortables Radfahren zu ermöglichen (vgl. dazu Internetauftritt der Beklagten, Radverkehr in ..., Velorouten, Netzstruktur, Netzausbau, Fahrradstraßen und markierte Lösungen). Danach ist die Gerhardstraße Bestandteil der Veloroute 2 - Projensdorf <->Bootshafen/Kaistraße -, die von der Innenstadt bis in den Stadtteil Projensdorf verläuft. Nach dem Beschluss der Ratsversammlung vom 13. Juli 2000 sind Velorouten ausgeschilderte, und auch an den Knotenpunkten besonders sichere und komfortable Radverkehrsanlagen. Velorouten sind nach diesem Beschluss direkte und leistungsfähige tangentiale oder radiale Trassen, die die Stadtteilzentren, die Innenstadt und die Universität miteinander verbinden Dieser Beschluss beinhaltet ein überarbeitetes Veloroutenkonzept als Weiterentwicklung des Radwegenetzes aus dem Generalverkehrsplan von 1988, der die Gerhardstraße bei den notwendigen Baumaßnahmen nicht mehr erwähnt, da diese bereits hergerichtet war.

Bei dieser Funktion und angestrebten Nutzung der Straße kommt dem Ziel- und Quellverkehr der anliegenden Grundstücke keine prägende Bedeutung mehr zu. Die Merkmale einer Anliegerstraße, die hauptsächlich für den Zugang oder die Zufahrt zu den an ihr gelegenen Grundstücken bestimmt ist, treten vor dem Hintergrund des vermehrt zu erwartenden Fahrradverkehrs zurück. Der Fahrradverkehr gewinnt dabei die Bedeutung eines innerörtlichen Verkehrs, als er dem Verkehr innerhalb des Stadtgebietes dient. Die Einrichtung hat dadurch ihren Charakter als Anliegerstraße eingebüßt, als sie nunmehr eine Verbindungsfunktion für den Fahrradverkehr ausübt. In einem solchen Falle ist diese Verbindungsfunktion ausschlaggebend, auch wenn die Straße an sich den Kriterien einer Anliegerstraße entspricht (vgl. Thiem/Böttcher, a.a.O., § 8 Rn. 499).

Bestätigt wird diese Prägung durch die vorgenommenen Maßnahmen, insbesondere in Bezug auf die Teileinrichtung Fahrbahn zur besseren Nutzung der Einrichtung für ihre Funktion als Fahrradstraße. So wurde das Fahrbahnpflaster durch Asphalt und Rechteckpflaster ersetzt und eine Schwelle über die gesamte Fahrbahnbreite errichtet (vgl. Abrechnungszeichnungen). Die Beklagte hat hier also die Vorgaben ihres Veloroutenkonzeptes umgesetzt und die Straße im Sinne einer besseren Eignung für den Fahrradverkehr erneuert. Da es aber für die Einstufung auf die der Straße zugewiesenen Funktion und ihre Prägung ankommt, ist es unmaßgeblich, ob und inwieweit die Straße auch ohne Einbeziehung in das Veloroutenkonzept in dieser Art und Weise erneuert worden wäre.

Insgesamt ergibt die Würdigung der ausbaubeitragsrechtlichen Vorgaben im Ergebnis eine innerörtliche Funktion der Einrichtung, so dass die Anteile der Beitragspflichtigen am beitragsfähigen Aufwand zu reduzieren sind und die Regelungen für Innerortsstraßen zur Anwendung gelangen.

Dies gilt für beide Teileinrichtungen - Fahrbahn und Beleuchtung - gleichermaßen. Einer weiteren Differenzierung im Hinblick auf die Teileinrichtung Beleuchtung bedarf es nicht, da durchgreifende Unterschiede im Hinblick auf die vermittelten Vorteile nicht ersichtlich sind.

Die danach anzuwendenden satzungsrechtlichen Bestimmungen zur Höhe der von Beitragspflichtigen zu tragenden Anteile unterliegen keinen Bedenken. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 ABS wird der Anteil der Beitragspflichtigen am beitragsfähigen Aufwand in Bezug auf die Teileinrichtung Fahrbahn bei Anliegerstraßen auf 75 % und bei Innerortsstraßen auf 50 % festgesetzt. Entsprechendes gilt für die Teileinrichtung Beleuchtung gem. § 2 Abs. 2 Nr. 9 ABS. In § 2 Abs. 2 Nr. 7 lit. a) ABS wird der beitragspflichtige Anteil bei Radwegen für Anliegerstraßen auf 75 % und bei Innerortsstraßen auf 25 % sowie nach Nr. 7 lit. b) bei Radwegen mit überwiegend innerörtlicher Bedeutung bei Anliegerstraßen auf 25 % und Innerortsstraßen ebenfalls 25 % festgesetzt.

Bei dem weiten Satzungsermessen der Beklagten ist auch im Hinblick auf die gebotene Differenzierung gegen diese Satzungsbestimmungen nichts zu erinnern. Die Festsetzung der Anliegeranteilssätze obliegt der Gemeinde im Rahmen des ihr zukommenden Rechtsetzungsermessens, in § 8 Abs. 1 Satz 3 KAG ist allein festgelegt, dass die Beitragsberechtigten mindestens 10 v.H. Aufwandes tragen. Es gibt keine durchgreifenden Hinweise darauf, dass die von der Beklagten getroffenen Regelungen nicht einer genügenden Vorteilsabwägung entsprechen oder gar dem aus Art. 3 GG folgenden Gleichbehandlungsgebot widersprechen. Die Anliegeranteilssätze in der ABS sind nach dem durch die verschiedenen Teileinrichtungen den Anliegern gebotenen Vorteilen zureichend differenziert festgesetzt worden. Dies gilt jedenfalls für die hier in Betracht kommenden Teileinrichtungen Fahrbahn und Beleuchtung (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 9 ABS, vgl. dazu Habermann, a.a.O., § 8 Rdnr. 208 ff.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.193,18 Euro festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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