Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: 2 LB 98/03
Rechtsgebiete: TierSG


Vorschriften:

TierSG § 69
TierSG § 70
Zur Frage, ob Tierhalter bei Verstößen gegen Meldepflichten eine (nur) geringe Schuld trifft.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 2 LB 98/03

In der Verwaltungsrechtssache

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig ohne mündliche Verhandlung am 16. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., die Richter am Oberverwaltungsgericht ... und ... sowie die ehrenamtliche Richterin ... und den ehrenamtlichen Richter ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 1. Kammer - vom 06. März 2003 geändert.

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 06. Januar 2003 verpflichtet, über die Entschädigungsanträge des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die tierseuchenrechtliche Entschädigung für 14 Rinder des Klägers.

Der Kläger ist Landwirt. Am 07. März 2002 wurde anlässlich der Schlachtung von 9 Rindern des Klägers im nachfolgenden BSE-Schnelltest festgestellt, dass eines der Tiere positiv, die anderen 8 Tiere negativ waren. Daraufhin schloss der Amtstierarzt des Landkreises ... alle 9 Tiere von der weiteren Verarbeitung aus.

Am 13. März 2002 erließ der Amtstierarzt des Landkreises ... bezüglich 13 weiterer Tiere im Bestand des Klägers, die zur Kohorte des positiv getesteten Rindes gehörten, eine Tötungsanordnung. Sieben der Tiere wurden am 25. März 2002 getötet, der Vollzug der Tötung der anderen 6 Kohortenkühe wurde vom Amtstierarzt ausgesetzt, da diese unmittelbar vor der Kalbung standen. Über den Amtstierarzt reichte der Kläger am 02. April 2002 seinen Entschädigungsantrag für die 7 in ... getöteten Tiere, das BSE-positive Rind sowie für die 8 im Schlachthof ... gemaßregelten weiteren Rinder beim beklagten Ministerium ein. Ein weiterer Entschädigungsantrag für die 6 noch nicht getöteten Tiere wurde für den Zeitpunkt nach Vollzug der Tötung angekündigt. Die eingereichten Schätzungsniederschriften hinsichtlich der 7 in ... getöteten Tiere ergaben einen Wert von insgesamt 5.040,00 €. Die im Schlachthof ... geschlachtete, BSE-positive Kuh war zu einem Kaufpreis von 192,00 €, die weiteren 8 dort gemaßregelten Tiere für insgesamt 5.205,60 € verkauft worden.

Mit Schreiben vom 11. April 2002 teilte das beklagte Ministerium dem Kläger mit, die Abfrage bei der HIT-Datenbank weise zum Stichtag 15. Juni 2001 einen Gesamtbestand des Klägers von 204 Rindern auf, während zum selben Stichtag beim Tierseuchenfonds lediglich 185 Rinder gemeldet gewesen seien, und bat um Stellungnahme zu der sich ergebenden Differenz von 19 Tieren. Mit Schreiben vom 03. Mai, 08. Mai und 31. Mai 2002 trug der Kläger vor, dass 5 der in der HIT-Datenbank noch verzeichneten Tiere bereits vor dem Stichtag an die Fleischmehlfabrik ... abgeliefert worden seien. Entsprechende Belege fügte er bei. Hinsichtlich der übrigen 14 Tiere reichte der Kläger eine Erklärung des Viehhändlers L. ein, wonach dieser am 01. Juni 2001 14 Tiere des Klägers im Auftrag eines Kunden gekauft habe. Der Kunde habe jedoch die Abnahme verweigert, da die Tiere gegen BHV 1 geimpft gewesen seien. Über die Abwicklung des mündlich abgeschlossenen Kaufvertrages hätten sich dann längere Verhandlungen entsponnen und der Vertrag sei schließlich am 05. September 2001 rückgängig gemacht worden. Nach Angaben des Klägers sollten die 14 Tiere bereits vor dem 15. Juni 2001 an den Käufer geliefert werden, was jedoch am Stichtag tatsächlich noch nicht erfolgt gewesen sei. Der Kaufpreis habe erst mit der Abnahme gezahlt werden sollen. Eine Übereignung habe jedoch schon vor dem 15. Juni 2001 im Wege des Besitzmittlungskonstitutes nach § 930 BGB stattgefunden, so dass die 14 Tiere zum Stichtag nicht mehr im Eigentum des Klägers gestanden hätten. Nach Auffassung des Klägers seien sie damit auch nicht mehr zu seinem Bestand zu rechnen gewesen, weshalb er sie bei der Meldung zum Tierseuchenfonds nicht mit angegeben habe. Dies ergebe zumindest einen geringen Verschuldensgrad im Sinne des § 70 Tierseuchengesetz (TierSG), so dass jedenfalls eine teilweise Entschädigung zu gewähren sei.

Am 19. November 2002 wurden die restlichen 6 Tiere des Klägers entsprechend der Tötungsanordnung vom 13. März 2002 getötet. Mit Schreiben vom 21. November 2002 übersandte der Amtstierarzt dem beklagten Ministerium "im Nachgang zu dem Antrag vom 02. April 2002" die Schätzungsunterlagen über diese Tiere, welche insgesamt einen Wert von 5.600,00 € ergaben.

Mit Bescheid vom 06. Januar 2003 lehnte das beklagte Ministerium den Entschädigungsantrag des Klägers hinsichtlich sämtlicher 13 auf Grund des BSE-Verdachts getöteter Kohortentiere sowie hinsichtlich des positiv getesteten Rindes und der weiteren 8 im Schlachthof verworfenen Rinder ab. Die Ablehnung einer Entschädigung für die 8 im Schlachthof ... gemaßregelten Tiere begründete es damit, dass die Verwerfung dieser Tiere, die weder der Kohorte noch der Schlachtcharge angehörten, mit Artikel 13 Abs. 1 Buchst. c der VO (EG) Nr. 999/2001 nicht vereinbar gewesen sei und daher auch nicht über § 72 c TierSG eine Entschädigung nach den §§ 66 ff TierSG auslösen könne. Hinsichtlich aller übrigen im Antrag geltend gemachten Tiere entfalle der Entschädigungsanspruch nach § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG, weil der Kläger schuldhaft einen zu geringen Tierbestand angegeben habe. Anzuerkennen seien lediglich 5 nach den vom Kläger eingereichten Nachweisen vor dem Stichtag 15. Juni 2001 abgängige Tiere. Nach dem Vorbringen des Klägers sei davon auszugehen, dass die restlichen 14 Tiere den Bestand des Klägers nicht verlassen hätten und damit gegenüber dem Tierseuchenfonds zu melden gewesen wären. Der Kläger habe schuldhaft gegen seine Meldepflicht verstoßen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 70 TierSG müsse berücksichtigt werden, dass die Nichtmeldung von 14 Tieren aus dem Bestand des Klägers so schwerwiegend sei, dass eine geringe Schuld nicht angenommen werden könne. Die Funktionsfähigkeit des Tierseuchenfonds werde beeinträchtigt, wenn Tierhalter Tiere, die an Dritte veräußert wurden oder deren Veräußerung unmittelbar bevorstehe, nicht mehr dem Tierseuchenfonds meldeten und die Erwerber, welche zum Stichtag noch nicht im Besitz der Tiere seien, diese auch nicht meldeten. Auch eine unbillige Härte liege im Falle des Klägers nicht vor, da lediglich eine Entschädigung für 13 von insgesamt 218 Rindern zu betrachten sei. Die Anzahl der 11 getöteten Kohortentiere stehe zu den im Tierseuchenfonds verzeichneten wirtschaftlich besonders bedeutsamen 63 Kühen zum Stichtag 15. Juni 2001 in einem Verhältnis, welches weit unterhalb der landesweit üblichen Remontierungsquote von über 1/3 liege.

Der Kläger hat die bereits am 14. August 2002 erhobene Untätigkeitsklage mit Schriftsatz vom 13. Januar 2003 auf eine Verpflichtungsklage umgestellt. Wie schon im Verwaltungsverfahren hat er weiterhin geltend gemacht, dass ihm aus der Nichtmeldung der verkauften Tiere kein Vorwurf gemacht werden könne. Nach dem Verständnis eines juristischen Laien befänden sich verkaufte Tiere nicht mehr in dem Bestand des Verkaufsbetriebes. Die 14 fraglichen Tiere hätten bei ihm lediglich zur Abholung bereitgestanden, sich jedoch nicht in seiner Obhut oder Pflege befunden. Jedenfalls müsse die Schuld an der untersten Grenze angesiedelt werden. Durch die Nichtmeldung sei dem Tierseuchenfonds ein Betrag von ca. 150,00 DM bis 200,00 DM entgangen, der zudem noch nachgefordert werden könne. Es sei unverhältnismäßig, wenn ihm, dem Kläger, keinerlei Entschädigung gewährt werde. Die Entscheidung des beklagten Ministeriums lasse eine einzelfallbezogene Abwägung vermissen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, dem Kläger eine Entschädigung aus dem Tierseuchenfonds in Höhe von 11.102,00 € zu bewilligen,

hilfsweise,

den Beklagten zu verpflichten, über die Entschädigungsanträge des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Das beklagte Ministerium hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Ministerium hat im Wesentlichen die Gründe aus dem Bescheid vom 06. Januar 2003 wiederholt. Das Vorbringen des Klägers, er habe die 14 Tiere nach § 930 BGB mit Abschluss des Vertrages übereignet, ohne dafür einen Verkaufspreis erhalten zu haben, sei realitätsfern und zudem für die Entscheidung über die Entschädigung unerheblich.

Durch Urteil vom 06. März 2003 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch aus §§ 66, 67 Abs. 1 TierSG auf eine Entschädigung für die getöteten Rinder und das BSE-positive geschlachtete Rind, da dieser auf Grund von § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG entfallen sei. Der Kläger habe zum Stichtag 15. Juni 2001 schuldhaft 14 Tiere zu wenig an den Tierseuchenfonds gemeldet gehabt. Nach § 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Tierseuchengesetzes (AGTierSG) sei die Bestandsmeldung der Tierbesitzer zum Stichtag Grundlage der Beitragserhebung zum Tierseuchenfonds. Eine Bestandsmeldung umfasse gem. § 12 Abs. 2 AGTierSG "alle Tiere einer Art, die eine Einheit bilden, insbesondere räumlich zusammengehalten oder gemeinsam ver- und entsorgt werden". Zum Stichtag hätten die 14 nach dem Vortrag des Klägers bereits zuvor verkauften Tiere unstreitig in dessen Stall gestanden. Der Kläger hätte die betreffenden Tiere seinem Bestand hinzurechnen und gegenüber dem Tierseuchenfonds angeben müssen. Diese Meldepflicht habe er schuldhaft, d. h. durch Außerachtlassen der für ihn erforderlichen Sorgfalt, verletzt, da ihm die Kriterien für die Bestandsermittlung in dem Anschreiben des Tierseuchenfonds, mit welchem er zur Bestandsmeldung aufgefordert worden sei, hinreichend erläutert worden seien.

Dem Kläger stehe auch keine teilweise Entschädigung nach § 70 i.V.m. § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG zu. Anhaltspunkte dafür, dass die Versagung der Entschädigung für ihn eine unbillige Härte bedeuten würde, seien nicht vorgetragen und auch ansonsten nicht ersichtlich, da lediglich ein geringer Teil der Rinder des Klägers von der Tötungsanordnung betroffen gewesen seien. Auch für die Annahme einer geringen Schuld i.S.d. § 70 TierSG, bei deren Vorliegen Ermessen der Behörde eröffnet werde, über eine teilweise Entschädigung zu entscheiden, seien keine Gesichtspunkte ersichtlich.

Durch Beschluss vom 03. November 2003 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, soweit der Kläger hilfsweise beantragt hat, den Beklagten zu verpflichten, über die Entschädigungsanträge unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Bezüglich des mit der Klage verfolgten Hauptantrages, den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, dem Kläger eine Entschädigung aus dem Tierseuchenfonds in Höhe von 11.102,-- Euro zu bewilligen, lägen die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden jedoch im Hinblick auf die Abweisung des Hilfsantrages.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, dass ihn weder der Vorwurf der Vorsätzlichkeit noch der groben Fahrlässigkeit treffe. Er habe hier allenfalls - wenn man überhaupt ein Verschulden annehmen wolle - leicht fahrlässig gehandelt. Auch das Gefährdungspotenzial hinsichtlich der Verbreitung der "Seuche" sei bei dem vorliegenden Meldeverstoß nicht vorhanden gewesen. Der angenommene Meldeverstoß läge zeitlich weit vor dem Auftreten des BSE-Falles in dem Betrieb. Weder sei durch den Meldeverstoß die Gefahr des Auftretens eines BSE-Falles in seinem Betrieb erhöht worden, noch sei die Gefahr der Verbreitung von BSE erhöht worden. Dies ergebe sich zum einen aus der Besonderheit der BSE-Erkrankung, bei der die eine Seuche kennzeichnende, von Tier-zu-Tier-Übertragung bis heute nicht feststellbar sei. Eine Seuchen kennzeichnende Anstreckungsgefahr sei nicht ersichtlich. Zum anderen hätten die Meldevorschriften, um die es hier gehe, keinen Einfluss auf das Auftreten bzw. die Verbreitung von BSE-Erkrankungen bei Rindern. Die Meldung des Tierbestandes habe nur Bedeutung für die Erhebung der Beiträge zum Tierseuchenfonds. Die stichtagsbezogene Meldung des Rinderbestandes habe keinen Einfluss auf die Verbreitung von BSE. Sie diene weder der Bekämpfung der Erkrankung noch der Vorbeugung vor weiteren Erkrankungen.

Weiter meint der Kläger, dass auch die geringen Rechtsfolgen des Verstoßes zu berücksichtigen seien. Vorliegend seien gerade einmal 14 Rinder von 200 Rindern nicht gemeldet worden. Der Tierseuchenfonds sei weiterhin berechtigt, die auf die nicht gemeldeten Tiere entfallenden Beiträge nachzuerheben und zum anderen stünden diese Beiträge in keinem Verhältnis zur völligen Versagung des Entschädigungsanspruchs.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 1. Kammer - vom 06. März 2003 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 06. Januar 2003 zu verpflichten, über die Entschädigungsanträge des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Das beklagte Ministerium beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das beklagte Ministerium macht geltend, dass bei einem Entfallen des Entschädigungsanspruchs für Tierverluste nach § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG wegen Meldeverstößen das Merkmal der geringen Schuld nach § 70 TierSG nicht darauf bezogen sein könne, welche Gefahr der Verbreitung einer Seuche von diesem Verstoß ausgehe. Meldeverstöße seien prinzipiell nicht geeignet, eine Seuchenverbreitung zu befördern. Es komme somit im anhängigen Verfahren nicht - wie vom Kläger vorgetragen - darauf an, dass zwischen Meldeverstoß und Entschädigungsfall ein erheblicher Zeitraum von mehreren Monaten verstrichen gewesen oder dass die Übertragung von BSE nicht eindeutig geklärt sei. Das Maß der Schuld sei am Schutzzweck des jeweiligen Entschädigungsausschlusstatbestandes des § 69 TierSG zu bemessen. Zu Recht werde daher das Kriterium der Gefahr der Seuchenverbreitung für das Maß der Schuld für die Fälle herangezogen, in denen der Tierbesitzer oder die Tierbesitzerin gegen tierseuchenrechtliche Verpflichtungen nach § 69 Abs. 1 TierSG verstoße.

Die Ausschlusstatbestände nach § 69 Abs. 3 TierSG hätten neben ihrem Sanktionscharakter den Zweck der Sicherung des Bestandes und der Funktionsfähigkeit der Tierseuchenkassen. Orientiert an diesem Schutzzweck sei das Maß der Schuld bei Verstößen gegen Melde- und Beitragspflichten nicht allein an der Höhe des durch die unterbliebene Meldung oder Zahlung eingetretenen Beitragsverlustes für die Tierseuchenkasse zu bemessen, sondern an der Bedeutung der Pflichtverletzung gegenüber der Solidargemeinschaft aller Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer, insbesondere derer, die den Melde- und Beitragspflichten ordnungsgemäß nachkämen. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht in seinem Urteil daher eine geringe Schuld i.S.v. § 70 TierSG mit dem Hinweis abgelehnt, dass der Kläger in sehr eindeutiger Weise über ihn treffende Meldepflichten aufgeklärt worden sei, so dass es sich ihm habe aufdrängen müssen, dass die verkauften Tiere noch immer zu seinem Bestand im tierseuchenrechtlichen Sinne zählten. Er sei etwaigen Zweifeln hierzu nicht durch Anfragen durch das beklagte Ministerium nachgegangen.

Zu den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen käme hinzu, dass der Kläger seine angeblich veräußerten Tiere bei der Datenbank HI-Tier (zu Recht) nicht abgemeldet gehabt habe. Die Meldeverpflichtung nach der Viehverkehrsverordnung stelle wie die nach der Landesverordnung über die Meldung des Tierbestandes, die Beiträge zum Tierseuchenfonds und für die Tierkörperbeseitigung - die zusammen mit den Beitragsbescheiden den Tierbesitzerinnen und Tierbesitzern bekannt gemacht werde - auf die Besitzverhältnisse ab. Dem Kläger sei danach der Unterschied zwischen Besitz und Eigentum sehr wohl geläufig. Sein pflichtwidriger Meldeverstoß sei somit zumindest bewusst fahrlässig. Im Zeitraum der ersten BSE-Feststellungen und im Zusammenhang mit dem drohenden Ausbruch der Maul- und Klauenseuche im Jahre 2001 habe der landwirtschaftliche Berufsstand in seiner Öffentlichkeitsarbeit intensiv auch auf die Meldeverpflichtung zum Tierseuchenfonds hingewiesen. Viele Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer hätten sich daraufhin beim Tierseuchenfonds informiert und erforderlichenfalls auch Tiere zum Stichtag nachgemeldet. Anders der Kläger, der auch nach dem Nicht-Zustandekommen des angeblichen Veräußerungsgeschäftes keine Nachmeldung dieser Tiere vorgenommen habe.

Über die unterlassene Meldung der 14 Tiere hinaus habe der Kläger in dem Jahren 2000 und 2001 auch die rechtzeitige Meldung zu den Stichtagen versäumt gehabt. Erst nach Erinnerung durch den Tierseuchenfonds habe er seine Meldung abgegeben. Auch dieser Umstand sei zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen.

Die Beteiligten haben auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Die Verwaltungsvorgänge des beklagten Ministeriums haben vorgelegen; auf sie und die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachstandes und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 06. Januar 2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit auch die Gewährung einer teilweisen Entschädigung abgelehnt worden ist. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und der Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Nach Abweisung der Klage gegen die Ablehnung des Antrages auf Gewährung einer Entschädigung nach §§ 66, 67 TierSG für die getöteten Rinder und das BSE-positive geschlachtete Rind und diesbezügliche Ablehnung des Antrages auf Zulassung der Berufung geht es nur noch um die Frage, ob die beantragte Entschädigung gemäß § 70 TierSG teilweise zu gewähren ist. Das ist zu bejahen.

Aus den im Bescheid vom 06. Januar 2003 genannten Gründen bedeutet die Versagung der Entschädigung für den Kläger keine unbillige Härte. Die Gewährung einer Entschädigung kommt allein wegen geringer Schuld des Klägers in Betracht (§ 70 1. Alternative TierSG). Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine sogenannte Koppelungsvorschrift. Auf der Tatbestandsseite steht mit dem Tatbestandsmerkmal "geringe Schuld" ein unbestimmter, gerichtlich voll überprüfbarer Rechtsbegriff, während die Rechtsfolgeseite eine nur im Rahmen von § 114 VwGO kontrollierbare Ermessensermächtigung ("kann") der Behörde enthält (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 08.04.1993 - 3 L 258/92 - m.w.N.). Wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, hängt das Maß der Schuld im Rahmen dieser Norm von der umfassenden Abwägung der tatsächlich festgestellten Gesamtumstände ab. Das Merkmal der geringen Schuld ist nach dem Schutzzweck der Seuchenmaßnahmen auch darauf bezogen, welche Gefahr einer Verbreitung der Seuchen von dem Verstoß ausgeht (BVerwG, Urt. v. 30.03.1995 - 3 C 19.93 -, E 98, 111). Dieser Aspekt erhält Bedeutung in Fällen des § 69 Abs. 1 und Abs. 2 TierSG, wenn durch pflichtwidriges Verhalten des Besitzers das Seuchenrisiko erhöht wird. Das ist bei Nichtmeldung der Tiere und Nichtzahlung der Beiträge nicht der Fall. Insoweit geht es allein um die Aufrechterhaltung der Funktion des Tierseuchenfonds als versicherungsähnlichem Schadensausgleich. Die Sanktionen des § 69 TierSG dienen vornehmlich der Eindämmung der Vermeidung von Tierseuchen, darüber hinaus aber auch der Sicherung des Bestandes der Tierseuchenkasse (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.12.1996 - 3 B 56.96 -, Buchholz 418.6 TierSG Nr. 15). Daran anknüpfend ist in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten worden, dass ein durch mehrjähriges verspätetes Zahlen der Tierseuchenkassenbeiträge aufgefallener Tierhalter sich regelmäßig bei erneuter Beitragspflichtverletzung nicht mehr auf eine nur geringe Schuld berufen könne (OVG Münster, Urt. v. 25.11.1998 - 13 A 587/98 -, AgrarR 1999, 391 = RdL 1999, 134). Wenn ein Tierbesitzer seine Verpflichtung, den Tierbestand rechtzeitig zu melden bzw. Beitragspflicht rechtzeitig zu erfüllen, mehrfach verletze, so entfalle in der Regel auch ein Anspruch auf die Gewährung einer teilweisen Entschädigung nach Ermessen durch die Tierseuchenkasse (VGH Mannheim, Urt. v. 10.05.2000 - 1 S 130/00 -, AgrarR 2001, 123 = RdL 2000, 275). Andererseits sind Entscheidungen der Tierseuchenkassen, bei verspäteter Beitragszahlung oder schuldhafter Nichtmeldung eines Teils des Tierbestandes eine teilweise Entschädigung nach § 70 TierSG zu gewähren, als ermessensfehlerfrei angesehen worden (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 22.01.1996 - 3 L 5546/94 -, NdsVBL 1997, 12; Urt. v. 23.02.1998 - 3 L 6212/96 - Juris). Bei Unterbleiben der erstmaligen Meldung eines Tierbestandes ist eine Teilentschädigung von ca. 50 % für angemessen angesehen worden (OVG Münster, Beschl. v. 27.05.2002 - 13 A 4225/00 -, RdL 2002, 274).

Auch hier erscheint eine Teilentschädigung angemessen. Es ist nicht zweifelhaft, dass der Kläger bei Wahrung der gebotenen Sorgfalt das Bestehen der Meldepflicht auch für die verkauften Tiere hätte erkennen können. Dabei kann dahinstehen, ob aus den Differenzen zwischen den Bestandszahlen der Datenbank HI-Tier und des Tierseuchenfonds geschlossen werden kann, dass dem Kläger der unterschied zwischen Besitz und Eigentum geläufig war. Die unterbliebene Anzeige einer Bestandsveränderung könnte - ebenso wie bei 5 anderen Tieren - auch auf einer Nachlässigkeit des Klägers beruhen. Maßgeblich ist hingegen, dass dem Kläger - wie das Verwaltungsgericht bereits ausgeführt hat - die Kriterien für die Bestandsermittlung des Tierseuchenfonds aus den ihm zugegangenen Informationen hätte geläufig sein müssen. Zu seinen Lasten ist zu berücksichtigen, dass die Nichtmeldung von Tieren dauerhaft den Gleichheitsgrundsatz zwischen allen Beitragspflichtigen verletzt, weil die übrigen Tierbesitzer den Beitragsausfall zu tragen haben (vgl. zum Gleichheitsgrundsatz als Grundlage für die Sanktion des § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG die amtliche Begründung des Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes v. 07.08.1972, BT-Drs. VI/3017, S. 12). Während - nicht gezahlte - Beiträge für gemeldete Bestände nachgefordert werden können, werden Nichtmeldungen von Tieren nur zufällig bekannt und führen regelmäßig nur in Schadensfällen zu Sanktionen. Auch hier hätte die Pflichtverletzung des Klägers ohne Schadenseintritt zu keiner Nachzahlung von Beiträgen geführt, weil der Kläger die fraglichen Tiere auch nicht nachgemeldet hatte, nachdem der Kaufvertrag - wie der Kläger vorträgt - rückgängig gemacht worden war. In die zu treffende Ermessensentscheidung kann der Beklagte auch den im Berufungsverfahren vorgetragenen Umstand einbeziehen, dass der Kläger in den Jahren 2000 und 2001 auch die rechtzeitige Meldung zu den Stichtagen versäumt und erst nach Erinnerung durch den Tierseuchenfonds abgegeben hatte, wenngleich Pflichtverletzungen dieser Art - auch im Wiederholungsfall - regelmäßig der Annahme einer geringen Schuld i.S.v. § 70 TierSG nicht entgegenstehen. Bei der Bewertung darf nicht außer Acht bleiben, dass das Tierseuchengesetz gemäß § 1 Abs. 1 die Bekämpfung von Seuchen regelt und die Sanktionen des § 69 TierSG - wie ausgeführt - in erster Linie diesem Ziel dienen. Die Sicherung des Bestandes und der Funktion der Tierseuchenkassen kommt lediglich unterstützend hinzu. Allein aus dem Umstand, dass Pflichtverletzungen i.S.v. § 69 Abs. 3 TierSG den Anspruch auf Entschädigung entfallen lassen, kann nicht auf eine Gleichstellung mit den die Seuchengefahr erhöhenden Handlungen i.S.v. § 69 Abs. 1 und 2 TierSG geschlossen werden. Vielmehr wird nur der Rechtsanspruch auf Entschädigung durchgehend ausgeschlossen, daran anknüpfend aber für die Tatbestände des § 69 Abs. 1 und 3 TierSG ein Anspruch auf Entscheidung nach § 70 TierSG gewährt und die Möglichkeit der Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Pflichtverletzungen eröffnet. Mit der Annahme einer geringen Schuld steht die Höhe der Entschädigung nicht fest, sondern die Frage, welcher Anteil des nach §§ 66, 67 TierSG zu gewährenden Betrages angemessen ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Art der vorwerfbaren Handlung und ihrer Bedeutung für die mit dem Tierseuchengesetz verfolgten Zwecke, zu beantworten.

Nach alledem liegt hier zwar i.S.v. § 70 TierSG eine geringe Schuld des Klägers vor, doch erschiene eine Teilentschädigung von ca. 50 % nicht ermessensfehlerhaft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit haben ihre Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

Zurück