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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: 2 MB 10/06
Rechtsgebiete: GO SH


Vorschriften:

GO SH § 16 g Abs. 3 S. 4
Das Fehlen eines Kostendeckungsvorschlags führt zur Unzulässigkeit eines Bürgerbegehrens. Das gilt auch, wenn mit dem Begehren das Unterlassen eines Vorhabens angestrebt wird, sofern durch das Unterlassen Kosten ausgelöst werden.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 2 MB 10/06

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Kommunalrecht (Bürgerbegehren) - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. VwGO) -

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 24. April 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 07. März 2006 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den ihr im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt wird, bis zur Bestandskraft des Bescheides der Kommunalaufsicht des Kreises ... vom 18. Januar 2006 bzw. des Widerspruchsbescheides vom 06. März 2006 den Erbbaupachtvertrag bezüglich eines näher bezeichneten Grundstücks abzuschließen.

Das fragliche Erbbaurecht soll an einem Grundstück bestellt werden, das zum Betriebsvermögen der als Eigenbetrieb geführten Kurverwaltung der Antragsgegnerin gehört und auf dem derzeit das Kurhaus steht. Nach der zwischen der Antragsgegnerin und einem sogenannten Investor abgestimmten Planung sollen die auf dem Grundstück vorhandenen Baulichkeiten abgerissen und durch ein mehrgeschossiges Bauwerk ersetzt werden, in dem u.a. ein Hotel, Läden und Gaststätten eingerichtet werden sollen. Der Antragsgegnerin sollen dort Verwaltungsräume und ein Kursaal mit Nebenräumen im Wege eines Dauernutzungsrechts überlassen werden. Einem dementsprechenden Entwurf stimmte die Gemeindevertretung am 11. Mai 2005 in nicht öffentlicher Sitzung zu. Der Beschluss wurde in öffentlicher Sitzung am 15. November 2005 bekannt gemacht. Der Entwurf eines Bebauungsplanes mit der Ausweisung eines Sondergebietes für dieses Grundstück wurde vom 05. September bis 05. Oktober 2005 ausgelegt. Am 12. Oktober 2005 legte die Antragstellerin beim Amt ... Unterschriftenlisten über ein Bürgerbegehren gegen das Vorhaben der Antragsgegnerin vor. Durch Bescheid vom 18. Januar 2006 erklärte der Landrat des Kreises ... das Bürgerbegehren wegen mangelhafter Begründung für unzulässig. Der u.a. von der Antragstellerin erhobene Widerspruch vom 09. Februar 2006 wurde durch Widerspruchsbescheid vom 06. März 2006 zurückgewiesen.

Am 21. Februar 2006 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und zur Begründung u.a. darauf verwiesen, dass die Gemeindevertretung trotz des laufenden Widerspruchsverfahrens beschlossen habe, den Vertrag mit dem Investor abzuschließen. Mit dem Vertragsschluss würde das geplante Bürgerbegehren ins Leere laufen.

Mit Beschluss vom 07. März 2006 hat das Verwaltungsgericht - wie ausgeführt - eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erlassen. Die Antragstellerin habe sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten und nach summarischer Prüfung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens seien die Antragsteller des Bürgerentscheides davor zu schützen, dass bezüglich ihres Begehrens keine vollendeten Maßnahmen getroffen würden, bevor die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens bestandskräftig entschieden worden sei.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die Voraussetzungen für die begehrte einstweilige Anordnung i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor, weil es an einem Anordnungsanspruch fehlt. Daher ist der angefochtene Beschluss zu ändern und der Antrag abzulehnen.

Auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht mit der getroffenen Anordnung über den gestellten Antrag hinausgegangen oder ob der Antrag über seinen Wortlaut hinaus entsprechend § 88 VwGO dahingehend zu verstehen ist, dass der geltend gemachte Anspruch nicht nur bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheides, sondern bis zum Eintritt der Bestandskraft gesichert werden sollte, ist im Beschwerdeverfahren nicht näher einzugehen. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht - von Ausnahmen abgesehen - nur die dargelegten Gründe. Diese führen hier zum Erfolg der Beschwerde.

§ 16 g Abs. 3 Satz 1 GO, wonach über wichtige Selbstverwaltungsaufgaben die Bürgerinnen und Bürger einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren) können, begründet nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein sicherungsfähiges öffentliches Recht, soweit das Bürgerbegehren zulässig ist. Hierzu bestimmt § 16 g Abs. 5 Satz 2 GO, dass nach Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens bis zur Durchführung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden darf. Dieser gesetzliche "Suspensiveffekt" macht einstweiligen Rechtsschutz ab Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens bis zur Durchführung des Bürgerentscheids überflüssig, weil regelmäßig ein Anordnungsgrund nicht gegeben sein dürfte, es sei denn, die Gemeinde ist gewillt, den gesetzlichen "Suspensiveffekt" zu missachten. Das schließt aber einstweiligen Rechtsschutz im Übrigen nicht aus (Senatsbeschl. v. 24.06.2006 - 2 MB 53/94 -), insbesondere dann, wenn - wie hier - die Entscheidung der Kommunalaufsichtsbehörde, das Bürgerbegehren sei unzulässig, mit Rechtsbehelfen angegriffen wird (Senatsbeschl. v. 22.08.2005 - 2 MB 30/05 -, NVwZ 2006, 363). Dabei ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - grundsätzlich eine Folgenabwägung vorzunehmen, insbesondere dann, wenn der Ausgang des Rechtsstreits über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens als offen anzusehen ist. Spricht jedoch weit Überwiegendes für die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens, vermag der Umstand allein, dass der Vollzug der mit dem Begehren angegriffenen Maßnahme das weitere Verfahren hinfällig werden ließe, den Erlass einer Sicherungsanordnung nicht zu rechtfertigen. So liegt es hier.

Es kann dahinstehen, ob das Bürgerbegehren sich - wie die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde geltend macht - tatsächlich inhaltlich auf einen Bürgerentscheid gegen die Aufstellung eines Bebauungsplanes richtet und daher nach § 16 g Abs. 2 Nr. 6 GO unzulässig ist. Ebenso kann offen bleiben, ob das Bürgerbegehren - wie die Antragsgegnerin ferner meint - gegen § 16 g Abs. 3 Satz 4 GO verstößt, weil tragende Elemente seiner Begründung unrichtig sind. Jedenfalls verstößt es gegen § 16 g Abs. 3 Satz 4 2. HS. GO, weil es keinen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthält.

Die in § 16 g Abs. 3 Satz 4 GO genannten Anforderungen sind Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Bürgerbegehrens (std. Rsp. d. Senats, vgl. Urt. v. 17.12.1991 - 2 L 319/91 -, Die Gemeinde 1992, 292; Urt. v. 19.12.2005 - 2 LB 19/95 -, Die Gemeinde 2006, 74). "Verlangte Maßnahme" im Sinne dieser Vorschrift, für die ein Kostendeckungsvorschlag erforderlich ist, kann auch das Unterlassen eines Vorhabens sein, sofern durch das Unterlassen Kosten ausgelöst werden (vgl. zu einer vergleichbaren Regelung OVG NRW, Beschl. v. 19.03.2004 - 15 B 522/04 -, NVwZ-RR 2004, 519). Die Forderung eines Finanzierungsvorschlages nach den gesetzlichen Bestimmungen soll den Bürgerinnen und Bürgern die Selbstverantwortung für die finanzielle Deckung der begehren Maßnahme deutlich machen (Begründung des Gesetzentwurfes der Landesregierung vom 28.11.1989, LT-Drs. 12/592, S. 50). Das kann einen Kostendeckungsvorschlag entbehrlich machen, wenn durch das Unterlassen einer geplanten Maßnahme lediglich Kosten vermieden oder mit der Maßnahme, gegen die das Bürgerbegehren sich richtet, nur Einnahmen erzielt werden würden. Ob bei einer angestrebten Beschaffung dringend benötigter Mittel durch die Veräußerung von Gemeindevermögen etwas anderes gilt (so VG Köln, Beschl. v. 26.02.2002 - 4 L 53/02 -, NWVBl. 2002, 319), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn unmittelbare Folge der von der Antragsgegnerin beabsichtigten Vereinbarung eines Erbbaurechtes ist nicht allein die Erzielung von Einnahmen als einmalige Entschädigung für die auf dem gemeindeeigenen Grundstück vorhandenen Bauten sowie als Beteiligung an schon entstandenen Planungskosten, sondern die durch das beabsichtigte Vertragswerk damit verbundene kostenneutrale Bereitstellung von Räumen für die Gemeinde- und Kurverwaltung einschließlich eines Kursaales. Damit erspart die Antragsgegnerin nach ihren Angaben allein für die dringend erforderliche Sanierung des Kurhauses Kosten in Höhe von ca. 1 Mio. Euro. Da der vorgesehene Erbbauzins der Höhe nach dem Nutzungsentgelt für die der Antragsgegnerin überlassenen Räume entsprechen soll, wird die Antragsgegnerin sich nach dem Dauernutzungsvertrag allein an den Betriebskosten zu beteiligen haben.

Angesichts dieser Sachlage ist die Angabe in der Begründung des Bürgerbegehrens, die Erstellung eines Kostendeckungsplanes sei für dieses Begehren nicht erforderlich, da bei Unterlassung eines Vorhabens keine Kosten entstünden, nicht zutreffend. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der weitere Hinweis in der Begründung, es gebe einen Architektenplan für den Neubau der Kurverwaltung und zur Finanzierung dieses Neubaus könne ein Grundstück der Gemeindeverwaltung verkauft werden, für einen ordnungsgemäßen Kostendeckungsvorschlag ausreichend sein. Es genügt nicht, den Bürgern nur zu verdeutlichen, dass die Zustimmung zu der im Bürgerbegehren gestellten Frage Kosten auslöst. Zu Recht hebt die Antragsgegnerin hervor, dass nicht einmal geschätzte Summen genannt und auch keine Angaben zu diesen Folgekosten gemacht werden. Gemäß § 7 Abs. 2 DVO-GO muss der Kostendeckungsvorschlag jedoch auch die voraussichtlich zu erwartende Kostenhöhe und die eventuellen Folgekosten der verlangten Maßnahme enthalten. Sofern den Initiatoren eines Bürgerbegehrens die dafür erforderlichen Kenntnisse fehlen, haben sie ggf. zuvor bei der Gemeinde entsprechende Informationen darüber einzuholen (vgl. Schliesky, KVR SH/GO, § 16 g Rdnr. 120). Der von der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren gegenüber der Kommunalaufsichtsbehörde vorgelegte Alternativvorschlag zu einem Umbau der Kurverwaltung und daraus sich ergebenden Kosten ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen, weil ein nach der Stimmabgabe eingereichter Kostendeckungsvorschlag die Voraussetzungen des § 16 g Abs. 3 Satz 4 GO nicht erfüllt (Senatsurt. v. 17.12.1991, a.a.O.). Daher kommt es auch auf die Ausführungen der Antragstellerin in ihrer Beschwerdeerwiderung zum sonstigen Verfahrensablauf und zu Alternativmodellen nicht an.

Dass die Kommunalaufsichtsbehörde die Feststellung der Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht auf das Fehlen eines Kostendeckungsvorschlages gestützt hat, ist unerheblich, denn das ist Teil der Begründung einer gerichtlich voll überprüfbaren Entscheidung. Da diese Entscheidung aller Voraussicht nach Bestand haben wird, muss die Beschwerde der Antragsgegnerin Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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