Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.10.2008
Aktenzeichen: 2 MB 25/08
Rechtsgebiete: GO SH, VwGO


Vorschriften:

GO SH § 16 g
VwGO § 123
1. Zur materiellen Rechtskraft der Ablehnung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

2. Im Wege einer einstweiligen Anordnung kann die Kommunalaufsichtsbehörde regelmäßig nicht verpflichtet werden, die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens festzustellen.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 2 MB 25/08

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Bürgerbegehren (Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung)

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 08. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 6. Kammer - vom 22. September 2008 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladen als Gesamtschuldner.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller als Vertretungsberechtigte reichten am 24. Januar 2008 bei der Beigeladenen ein Bürgerbegehren mit der Fragestellung "Soll die Stadt Fehmarn auf die Einräumung von Erbbaurechten und den Verkauf der gesamten Spielwiese mit dem befestigten Ballspielplatz (früher Tennisplatz, Ringtennisplatz) nördlich der beiden alten Strandhäuschen und des ganzen Wäldchens auf Burgtiefe verzichten?" ein. Mit Bescheid vom 20. Februar 2008 erklärte der Antragsgegner das Bürgerbegehren für unzulässig. Es widerspreche einem wirksamen Kaufvertrag und sei somit auf ein rechtswidriges und damit unzulässiges Ziel gerichtet. Den Widerspruch der Antragsteller wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 09. April 2008 zurück. Die dagegen gerichtete Klage ist beim Verwaltungsgericht anhängig (Az.: 6 A 100/08).

Durch Beschluss vom 29. Mai 2008 lehnte das Verwaltungsgericht es ab, im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsgegner aufzuerlegen, unverzüglich die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gegen die Einräumung von Erbbaurecht und den Verkauf der "Spielwiese" und des "Wäldchen" in Fehmarn, Burgtiefe, festzustellen. Die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Stillschweigende Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens sei jedenfalls, dass sich das Ziel des Bürgerbegehrens zum Zeitpunkt seiner Beantragung überhaupt noch erreichen lasse. Dies sei vorliegend nicht (mehr) der Fall. Mit am 24. Januar 2008 notariell beurkundetem Kaufvertrag zwischen der Stadt Fehmarn und der Firma HT Resort Südstrand GmbH & Co. KG seien die hier streitigen Grundstücke mittlerweile veräußert worden. Nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage bestünden keine Zweifel an der Wirksamkeit dieses Vertrages. Das Bürgerbegehren gehe demgemäß ins Leere. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.

Am 17. September 2008 haben die Antragsteller einen inhaltsgleichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner gestellt. Das Verwaltungsgericht habe den im Mai 2008 gestellten Antrag unzutreffend dahingehend ausgelegt, dass sie, die Antragsteller, mit dem Eilantrag erreichen wollten, dass die Stadtvertretung der Beigeladenen nicht am 30. Mai 2008 über die Änderung des Bebauungsplanes 54 A hätte beraten und entscheiden sollen. Dieses sei erkennbar nicht der Zweck des Vorgehens und der Antragstellung auch nicht zu entnehmen gewesen. Ein Vorgehen gegen die Beigeladene sei nach § 16 g GO nicht eröffnet. Vielmehr sei der Eilantrag zutreffend gegen den Kreis Ostholstein gerichtet gewesen. Gegen den ablehnenden Beschluss sei keine Beschwerde eingelegt worden, weil in der Sitzung vom 30. Mai 2008 die Stadtvertretung der Beigeladenen diesen Tagesordnungspunkt vertagt habe. Im Juli sei dann erneut der Entwurf des Bebauungsplanes Nr. 54 A der Stadt Fehmarn öffentlich ausgelegt worden. Am 25. September 2008 finde nun eine weitere Sitzung der Stadtvertretung statt, in der dann über die Änderung des Bebauungsplanes in der jetzigen Fassung beraten und beschlossen werden solle. Daher sei die Eilbedürftigkeit wieder gegeben.

Es bestehe auch ein Anordnungsanspruch, weil die Beigeladene den Kaufvertrag offenbar unter Bedingungen geschlossen habe. Dieses werde durch die Tatsache indiziert, dass der Kaufpreis zunächst auf einem Notaranderkonto hinterlegt worden sei. Daraus sei zu schließen, dass der Investor das Eigentum erst dann erhalten solle, wenn entsprechendes Baurecht entstanden und geschaffen worden sei. Das Bürgerbegehren beinhalte den legitimen Zweck, Wäldchen und Spielwiese im unbeschränkten Eigentum der Stadt zu belassen. Dieses Ziel sei auch jetzt noch erreichbar.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 22. September 2008 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen auf den Beschluss vom 29. Mai 2008 verwiesen. Die entsprechenden Ausführungen besäßen nach wie vor Gültigkeit. Insbesondere verhalte es sich - wie der Antragsgegner nochmals klargestellt habe - so, dass der notariell beurkundete Kaufvertrag nicht bedingt geschlossen worden sei. Insgesamt sei damit erneut festzuhalten, dass das Bürgerbegehren offensichtlich unzulässig sei.

Gegen diese Entscheidung ist die Beschwerde der Antragsteller vom 24. September 2008 gerichtet.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Der Senat teilt die in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretene Ansicht, dass sich der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts trotz der in § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO enthaltenen Bestimmung jedenfalls bei offenkundigen Rechtsmängeln des angefochtenen Beschlusses nicht auf das Beschwerdevorbringen beschränkt (so bereits Beschl. v. 11.04.2006 - 2 MB 6/06 -; zum Meinungsstand vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Meyer-Ladewig/Rudisele, § 146 VwGO Rdnr. 13 f.). Zwar ist das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht zu beanstanden, die Begründung jedoch offenkundig unrichtig. Das Verwaltungsgericht hätte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig verwerfen müssen.

Erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit des erneut gestellten Antrages ergeben sich schon aus der materiellen Rechtskraft des Beschlusses vom 29. Mai 2008 - 6 B 29/08 -. Über den Zeitraum bis zur rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung trifft das Gericht nach § 123 VwGO eine endgültige Entscheidung, die nur bei veränderter Sach- oder Rechtslage analog § 80 Abs. 7 VwGO geändert werden kann (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 123 Rdnr. 131 und § 121 Rdnr. 41 jew. m.w.N.). Seinerzeit lehnte das Verwaltungsgericht den inhaltsgleichen Antrag mit der Begründung ab, es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Insoweit ist keine für die Antragsteller vorteilhaftere Sachlage gegeben. Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs wird dementsprechend lediglich das Vorbringen aus dem früheren Verfahren wiederholt und vertieft. Es wird also eine wiederholte gerichtliche Entscheidung über dieselbe Rechtsfrage begehrt. Dies ist nicht schon deswegen zulässig, weil - wie die Antragsteller geltend machen - nunmehr erneut Eilbedürftigkeit eingetreten ist, also ein Anordnungsgrund besteht.

Letztlich kann die Frage, ob sich daraus die Unzulässigkeit des Antrages ergibt, aber offen bleiben, denn unzulässig ist der nunmehr gestellte Antrag jedenfalls wegen der damit verfolgten Zielsetzung.

Hier soll mit der einstweiligen Anordnung das geregelt werden, was auch Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist. Zwar stünde auch eine solche Regelung unter dem Vorbehalt des Erfolges in der Hauptsache, doch ist die Beurteilung der Frage, ob das Bürgerbegehren angesichts des bereits geschlossenen Kaufvertrages zulässig ist, nicht zeitlich begrenzbar (a. A. offenbar OVG NRW, Beschl. v. 06.12.2007 - 15 B 1744/07 -, DVBl. 2008, 120). Mit Erlass der beantragten Regelung wäre die Frage - wenn auch aufgrund nur summarischer Prüfung der tatsächlichen Umstände - entschieden. Eine abweichende Entscheidung in der Hauptsache wäre nur bei veränderter Sach- oder Rechtslage zu rechtfertigen. Auch wenn man der Ansicht folgt, dass für Verfahren nach § 123 VwGO kein absolutes Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache besteht, kommt diese aber nur in Betracht, wenn ohne die begehrte Regelungsanordnung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 08.10.1992 - 4 M 89/92 -, NVwZ 1993, 291; BVerfG, Beschl. v. 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 -, NVwZ 1997, 479). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, weil die Antragsteller auf andere Weise wirksamen Rechtsschutz hätten erlangen können. Zulässig wäre nur eine Sicherungsanordnung, die vorübergehend Maßnahmen verhinderte, die das angestrebte Bürgerbegehren obsolet machten (vgl. Senatsbeschl. v. 22.08.2005 - 2 MB 30/05 -, NVwZ 2006, 363). Zwar ist das Gericht nicht an die Formulierung des gestellten Antrages gebunden, doch kann eine zulässige Sicherungsanordnung dieser Art - wie das Verwaltungsgericht bereits im Beschluss vom 29. Mai 2008 angedeutet hat - nicht gegen den Antragsgegner ergehen.

Nach diesen Grundsätzen kann auch der im Beschwerdeverfahren gestellte Hilfsantrag, eine Sicherungsanordnung zu erlassen, keinen Erfolg haben. Da es im Verhältnis zum Antragsgegner allein um die Frage geht, ob ein Anspruch auf Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens besteht, kommt eine Sicherungsanordnung gegenüber diesem Beteiligten nicht in Betracht.

Entgegen der Ansicht der Antragsteller wird anderes nicht durch die Regelung des § 16 g GO vorgegeben. § 16 g Abs. 3 Satz 1 GO, wonach über wichtige Selbstverwaltungsaufgaben die Bürgerinnen und Bürger einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren) können, begründet nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein sicherungsfähiges öffentliches Recht, soweit das Bürgerbegehren zulässig ist. Hierzu bestimmt § 16 g Abs. 5 Satz 2 GO, dass nach Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens bis zur Durchführung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden darf. Dieser gesetzliche "Suspensiveffekt" macht einstweiligen Rechtsschutz ab Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens bis zur Durchführung des Bürgerentscheids überflüssig, weil regelmäßig ein Anordnungsgrund nicht gegeben sein dürfte, es sei denn die Gemeinde ist gewillt, den gesetzlichen "Suspensiveffekt" zu missachten. Das schließt aber einstweiligen Rechtsschutz im Übrigen nicht aus, insbesondere dann, wenn - wie hier - die Entscheidung der Kommunalaufsichtsbehörde, das Bürgerbegehren sei unzulässig, mit Rechtsbehelfen angegriffen wird (Beschl. v. 22.08.2005 - 2 MB 30/05 -, NVwZ 2006, 363, Beschl. v. 24.04.2006 - 2 MB 10/06 -). Dies ist nicht zuletzt auf Grund der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG geboten.

Diese Erwägungen können weder dazu führen, den Antragsgegner im Wege einer Regelungsanordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu einer veränderten Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zu verpflichten, noch ihm im Wege einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzugeben, Maßnahmen zu unterlassen, die dem Bürgerbegehren entgegenstehen. Handlungen dieser Art kann nur die Beigeladene vornehmen. Es kann daher dahinstehen, ob - wie die Beigeladene geltend macht - mit dem Beschluss vom 25. September 2008 über die Änderung des B-Planes Nr. 54 A die Eilbedürftigkeit - erneut - entfallen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3, 159 Satz 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese sich durch Stellung eines eigenen Antrages am Prozessrisiko beteiligt hat.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1, 2 GKG. Der Senat setzt den Streitwert in Verfahren dieser Art regelmäßig in Höhe des Auffangwertes fest. Eine Vervielfachung des Streitwertes nach § 5 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn mehrere Antragsteller - wie hier - eine Maßnahme als Rechtsgemeinschaft begehren (Senatsbeschl. v. 18.04.2006 - 2 O 9/06 -, NordÖR 2006, 322).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück