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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.09.2000
Aktenzeichen: 4 L 105/00
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BRAO


Vorschriften:

VwGO § 84 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 101 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
ZPO § 227 Abs. 1
ZPO § 227 Abs. 2
ZPO § 294 Abs. 1
BRAO § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen, weil die angefochtene Entscheidung den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

Das verfassungsrechtliche Erfordernis des rechtlichen Gehörs - Art. 103 Abs. 2 GG - umfasst unter anderem das Recht eines Beteiligten, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen (BVerwG, Beschl. v. 23.01.1995 - 9 B 1.95 -, NJW 95, 1231). Hieraus kann sich eine Pflicht des Gerichts ergeben, auf einen entsprechenden Antrag einen Termin zu verlegen, wenn erhebliche Gründe hierfür vorgebracht werden (§ 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO). Dass solche erheblichen Gründe auch in der Urlaubsabwesenheit des bevollmächtigten Rechtsanwalts bestehen können, ist in Rechtsprechung und Schrifttum im Wesentlichen unbestritten (Thomas-Putzo, Kommentar zur ZPO, Rdrn. 6 zu § 227 ZPO; Eyermann/Geiger, Kommentar zur VwGO, Rdnr. 7 zu § 102, Redeker - von Oertzen, Kommentar zur VwGO, Rdnr. 1 zu § 102; Sodann-Ziekow/Dolderer, Kommentar zur VwGO, Rdnrn. 46, 47 zu § 102). Ob ein solcher Terminsverlegungsanspruch auch dann besteht, wenn es sich nicht um einen Einzelanwalt, sondern um einen Rechtsanwalt handelt, der in einer Sozietät tätig ist, lässt sich nicht ohne weiteres beantworten. Es gibt weder einen Grundsatz dahingehend, dass eine Terminsverlegung immer dann ausscheidet, wenn der Rechtsanwalt in einer Sozietät tätig ist, noch gibt es einen Anspruch des jeweiligen Prozessbeteiligten darauf, dass der ihm "vertraute" Rechtsanwalt ihn in der mündlichen Verhandlung vor Gericht vertritt. Letzten Endes ist insoweit entscheidend, ob es einem anderen Mitglied der Sozietät zugemutet werden kann, sich in den Sachverhalt einzuarbeiten, was grundsätzlich jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn ein Termin weiträumig bestimmt ist und die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist.

Sind indes alle Mitglieder der Sozietät objektiv an einer Teilnahme am Verhandlungstermin gehindert, insbesondere wegen einer Kollision mit anderen Terminen, ist regelmäßig einem Verlegungsantrag stattzugeben, um dem Verfassungsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG Genüge zu tun. Die erheblichen Gründe für eine Verhinderung im Sinne des § 227 Abs. 1 ZPO sind ggfs. glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO). Einer solchen Glaubhaftmachung - mit den in § 294 Abs. 1 ZPO genannten Mitteln - bedarf es indes nicht in jedem Fall, sondern nur dann, wenn das Gericht Veranlassung hat, an den Angaben zu zweifeln. Dies wird in aller Regel bei Erklärungen eines Rechtsanwalts, bei dem davon auszugehen ist, dass er sich seiner aus seiner Stellung gemäß § 1 BRAO abzuleitenden Pflichten als unabhängiges Organ der Rechtspflege bewusst ist, nicht der Fall sein. Im Übrigen ergibt sich aus § 227 Abs. 2 ZPO eindeutig, dass ein Verfahrensbeteiligter seine Angaben nicht von sich aus, sondern nur auf Anforderung des Vorsitzenden bzw. Einzelrichters glaubhaft zu machen hat.

An einer solchen Aufforderung fehlt es hier ersichtlich. Die Einzelrichterin hat zunächst auf die Erklärung des Prozessbevollmächtigten, dass er und sein Sozius an der Teilnahme am Termin verhindert seien, mitgeteilt, Verhinderungsgründe seien nicht dargelegt. Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einem weiteren Schriftsatz nähere Angaben zur Verhinderung seines Sozius gemacht hat, ist der Terminsverlegungsantrag mit der Begründung abgelehnt worden, Hinderungsgründe seien nicht glaubhaft gemacht. Diese Entscheidung ist schon deshalb fehlerhaft, weil es an einer vorherigen Aufforderung zur Glaubhaftmachung bis zu diesem Zeitpunkt gefehlt hat. In der Ablehnung des Verlegungsantrages vermag der Senat eine solche Aufforderung auch nicht zu sehen. Ob die Einzelrichterin mit dieser Mitteilung tatsächlich gemeint hat, die dargelegten Gründe würden einen Verlegungsantrag nicht rechtfertigen, lässt sich weder aus der Begründung des Ablehnungsbescheides noch aus dem dann ergangenen Urteil, das zu den hier maßgeblichen Fragen überhaupt nichts enthält, ersehen.

Die damit fehlerhafte Ablehnung des Terminsverlegungsantrages verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dem steht nicht etwa entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte trotz dieser Ablehnung nicht seinerseits etwas dafür unternommen hat, anwaltliche Vertretung in dem Termin tatsächlich sicherzustellen. Er hat aus seiner Sicht das seinerseits Erforderliche getan, indem er das Gericht darauf hingewiesen hat, dass aus seiner Sicht eine Glaubhaftmachung der Verhinderungsgründe nicht erforderlich sei, und darum gebeten hat, ihm etwa seiner Auffassung entgegenstehende Vorschriften zu benennen. Da dieser Einwand - wie oben ausgeführt - durchaus berechtigt war, durfte das Gericht jedenfalls nicht ohne weiteres in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Klägers mündlich verhandeln. Daran ändert auch nichts, dass zuvor ein Gerichtsbescheid ergangen war und der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter Gelegenheit hatte, seine Sicht der Dinge im schriftlichen Verfahren darzulegen. Die mündliche Verhandlung, die aufgrund eines Antrages nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 VwGO durchzuführen ist, ist eine solche im Sinne des § 101 Abs. 1 VwGO und nicht etwa eine mündliche Verhandlung minderer Bedeutung. Die VwGO knüpft den Antrag auf mündliche Verhandlung nicht an irgendwelche Voraussetzungen, insbesondere nicht daran, dass etwa dargelegt wird, dass die Sache entgegen der Auffassung des Gerichts doch Schwierigkeiten bereitet, die dem Erlass eines Gerichtsbescheides entgegenstehen. Die mündliche Verhandlung ist das Kernstück des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Kuntze in Bader u.a., Kommentar zur VwGO, Rdnr. 1 zu § 102). Auf ihre Durchführung und Teilnahme an ihr hat jeder Verfahrensbeteiligte einen Anspruch, soweit er nicht verzichtet oder einen Gerichtsbescheid hinnimmt oder mit einem anderen Rechtsmittel anficht. In der mündlichen Verhandlung werden die Anträge gestellt und begründet und mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert. Die gerichtliche Entscheidung ergeht nach der Formulierung des § 101 Abs. 1 VwGO nicht nur nach, sondern aufgrund mündlicher Verhandlung.

Da die Berufung somit schon wegen eines im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beachtlichen Verfahrensfehlers zuzulassen ist, bedarf es keines Eingehens auf die weitere Begründung des Zulassungsantrages.

Ende der Entscheidung

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