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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: 5 A 1098/99
Rechtsgebiete: BauGB, AGBauGB, BauNVO, LBO


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 2
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 2 Abs. 5
BauGB § 246 Abs. 7
AGBauGB Art. 1 Abs. 2
BauNVO § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
LBO § 72
LBO § 78
Auch eine zunächst zufällige Ansammlung von großflächigen und kleineren Einzelhandelbetrieben und Handwerksbetrieben kann im Laufe der Zeit durch Schließen zunächst noch vorhandener Lücken und Freiflächen und eine betriebliche Verknüpfung in Form einer Werbgemeinschaft unter einer gemeinsamen Bezeichnung zu einem gewachsenen Einkaufszentrum als faktischem Sondergebiet iSv § 34 Abs 2 BauGB iVm § 11 Abs 3 Satz 1 Nr 1 BauNVO werden.
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 5 A 1098/99

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Bauvoranfrage

hat die 5. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2000 durch den Vors. Richter am Verwaltungsgericht ..., Richter am VG ..., Richter am VG ... sowie die ehrenamtliche Richterin von ... und den ehrenamtlichen Richter .... für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 09.12.1998 und der Widerspruchsbescheid vom 09.06.1999 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin den beantragten positiven Bauvorbescheid zur Errichtung eines viergeschossigen Anbaus als Erweiterung des vorhandenen ...... M...es auf dem Grundstück ...Straße in ... zu erteilen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im vorliegenden Verfahren die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines positiven Bauvorbescheides zur planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Erweiterungsanbaus an ihren vorhandenen ... M... in der ...Straße in ....

Am 19.08.1997 erteilte der Beklagte der Klägerin die Baugenehmigung zum Neubau einer Verkaufsstätte auf dem Grundstück ...Straße 3. - Flurstücke .. und .. der Flur ... der Gemarkung .... Entsprechend dieser Baugenehmigung mit Nachtragsgenehmigungen errichtete die Klägerin auf dem ca. 6.000 qm großen Grundstück die dreigeschossige Verkaufsstätte, in der sie den "... M..." mit einer Verkaufsfläche von ca. 3.350 qm betreibt.

Am 19.10.1998 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Vorbescheides für die Erweiterung dieses bestehenden ... M...es auf den Nachbargrundstücken ...Straße ... und ... (Flurstücke ... und ...) mit der Begründung, die derzeitige Marktlage erfordere die Erweiterung der Verkaufsflächen, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben und das Warenangebot erweitern zu können. Nach den Bauvorlagen ist geplant, das bestehende Gebäude in westlicher Richtung mit einem viergeschossigen Baukörper zu erweitern. In dem Erweiterungsbau sollen neue Verkaufsflächen von insgesamt 3.500 qm im Erdgeschoß sowie im ersten und zweiten Obergeschoß untergebracht werden, während im dritten Obergeschoß vorwiegend Lagerflächen und Personalräume vorgesehen sind. Die bebaute Fläche des Erweiterungsbaues soll ca. 1.800 qm betragen. Die geplante Attikahöhe des Erweiterungsbaues soll bei 18,50 m liegen.

Das Grundstück des ...Marktes und das anschließende Grundstück für den Erweiterungsbau liegen im Eckbereich der ...Straße mit der D..... im sogenannten "Gewerbegebiet ...-West". Das Baugrundstück ist nach dem von der Beigeladenen im Ortstermin übergebenen Bestandsverzeichnis mit einem leerstehenden, ursprünglichen Wohngebäude und einem Geschäftsgebäude, das als Fachmarkt für Modellbau genutzt wurde nebst Wohngebäude bebaut; diese Gebäude werden zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als D2-Mobilfunkgeschäft und Café genutzt.

Das sogenannte "Gewerbegebiet ...-West" hat eine Größe von rd. 50 ha. Es liegt westlich der Gemeinde ... und wird im Norden durch die ... und im Süden durch die Trasse der Bahnlinie ... begrenzt. Es hat eine Ausdehnung in Ost-West-Richtung entlang der Bundesstraße von ca. 1.000 (Firma B... bis Firma M...; jetzt Firma S...) und in Nord-Süd-Richtung von ca. 550 m. Dieses sogenannte "Gewerbegebiet ...-West" wird von der Bundesstraße durch zwei Zufahrten erschlossen, wobei die ...Straße im Bereich des Grundstücks der Klägerin derzeit als Einbahnstraße in Ost-West-Richtung ausgestaltet ist.

Das "Gewerbegebiet ...-West" weist eine Vielzahl von - auch großflächigen - Einzelhandelsgeschäften, Dienstleistungsunternehmen und sonstigen Betrieben auf. In dem Bereich der ...Straße zwischen K.... und L...., der als Einbahnstraße ausgestaltet ist und an dem das Grundstück der Klägerin liegt, sind nach dem von der Beigeladenen im Ortstermin übergebenen Bestandsverzeichnis derzeit folgende Firmen angesiedelt:

Nördlich der ...Straße in Ost-West-Richtung ...Straße ... Firma A..., ... R..., A...s ..., ...-Versicherung, O..., P.... GmbH, ...praxis R...; ...Straße ... A... B...; ...Straße ... A... H...; ...Straße ... Firma ...(Einzelhandel mit Waren aller Art); ...Straße ... Firma T... (Fachmarkt für Teppiche und Bodenbeläge), Firma S... (Fachmarkt für Möbel); ...Straße ... derzeit leerstehend (ehemals ....); Südlich der ...Straße ...Straße ... M..., D......, Firma H... (Jeanseinzelhandel), Firma B... (Einzelhandel); ...Straße ... ... M... (Fachmarkt für Bekleidung) der Klägerin; ...Straße ... und ... geplantes Baugrundstück leerstehend und Firma H... (Fachmarkt für Modellbau); ...Straße ... C... (Kfz.-Handel und Reparatur); ...Straße ... Firma D..., Firma T... (Fachmarkt für Bekleidung); jenseits der L.... schließt sich die Firma R... an.

Für die beigeladene Gemeinde ... stellen sich die Regelungen zur Raumordnung und Landesplanung wie folgt dar: Der nunmehr maßgebliche Landesraumordnungsplan Schleswig-Holstein 1998 (RROPl) in der Bekanntmachung vom 04.06.1998 (Amtsblatt Schleswig-Holstein, S. 493 f.) stellt ... in den zu diesem Plan gehörenden Karten gemäß Ziffer 6.1 als Stadtrandkern II. Ordnung dar. Gemäß dieser Ziffer sind die zentralen Orte und Stadtrandkerne Schwerpunkte der Siedlungsentwicklung. Als Ziel der Planung heißt es in Ziffer 7.5 Abs. 2 u.a.:

"Einkaufseinrichtungen - entweder größeren Umfangs oder solche im räumlichen Verbund sowie die Erweiterung vorhandener Betriebe in die Großflächigkeit hinein - und Dienstleistungszentren sollen wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Zentralität nur in den zentralen Orten vorgesehen oder diesen so zugeordnet werden, daß eine wesentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit bestehender oder geplanter Versorgungszentren vermieden wird. Geeignete zugeordnete Standorte sind insbesondere die Stadtrandkerne und Gemeinden mit einer ergänzenden überörtlichen Versorgungsfunktion (vgl. Ziff. 6.2.2.).

Insoweit müssen Art und Umfang solcher Einrichtungen dem Grad der zentral örtlichen Bedeutung der Standortgemeinde entsprechen und die Gesamtstruktur des Einzelhandels der Bevölkerungszahl des Verflechtungsbereiches angemessen sein. Danach kommen für Einkaufseinrichtungen mit über 3.000 qm Verkaufsfläche nur Oberzentren und zentrale Orte der mittelzentralen Ebene in Betracht. Für Einrichtungen in einer Größenordnung bis zu 3.000 qm Verkaufsfläche können auch Unterzentren in Frage kommen. Sonstige Standorte sind in der Regel für Einkaufseinrichtungen von über 800 qm Verkaufsfläche nicht geeignet".

Bauplanungsrechtlich hat sich der Bereich des sog. "Gewerbegebietes ...-West" wie folgt entwickelt:

Im Jahre 1971 erließ die beigeladene Gemeinde ... den Bebauungsplan Nr. 18 für das Gewerbegebiet ...-West. Dieser Bebauungsplan setzte das Gebiet als Gewerbegebiet nach der Baunutzungsverordnung 1962 fest. In seinem Urteil vom 16.06.1982 (1 OVG A 194/80) kam das OVG Lüneburg zu dem Ergebnis, daß der Bebauungsplan, der bis dahin allgemein als wirksam angesehen worden war, wegen fehlerhafter Bekanntmachung nicht wirksam geworden sei. Vorher waren in den 70er Jahren aufgrund des Planes innerhalb des ausgewiesenen Gewerbegebietes mehrere großflächige Einzelhandelsgeschäfte errichtet worden.

Unter anderem entstanden der Verbrauchermarkt D... mit einer Geschoßfläche von ca. 12.000 qm, der Heimwerkermarkt M.... mit einer Geschoßfläche von ca. 2.700, der Möbelmarkt ... mit einer Geschoßfläche von ca. 14.000 qm und der Möbelmarkt M... mit einer Geschoßfläche von ca. 7.000 qm.

Die Landesplanungsbehörde verlangte mit Erlaß vom 18.04.1980 von der Gemeinde ... die Anpassung des Bebauungsplanes Nr. 18 an die Ziele der Raumordnung und Landesplanung, um die weitere Errichtung großflächiger Einzelhandelsgeschäfte zu verhindern. Zur Begründung gab sie an, die Festsetzung des Gebietes als Gewerbegebiet nach der Baunutzungsverordnung 1962 widerspreche Nr. 4.6 des Raumordnungsplanes aus dem Jahre 1979. Im Jahre 1980 beschloß die beigeladene Gemeinde eine entsprechende Anpassung. Es wurde in den Jahren 1985 bis 1987 für den gesamten Bereich der Bebauungsplan Nr. 40 in Kraft gesetzt.

Nachdem sich herausgestellt hatte, daß dieser Bebauungsplan Nr. 40 "Gewerbegebiet ...-West" sowie seine Änderungen rechtsfehlerhaft waren (Ausfertigung nach Bekanntmachung), beschloß die Gemeinde ... am 11.07.1994 die Aufhebung dieses Bebauungsplanes. Zugleich wurde eine Neuaufstellung beschlossen: Ebenso wurde am 11.07.1994 für den Bereich dieses in Aufstellung befindlichen Bebauungsplanes eine Veränderungssperre beschlossen. Im Zuge des Aufstellungsverfahrens setzte sich bei der beigeladenen Gemeinde ... die Auffassung durch, lediglich einen Teilbereich des ursprünglichen Bebauungsplanes Nr. 40 neu zu überplanen. Hierbei handelt es sich im wesentlichen um Bereiche westlich und südlich der G... sowie südwestlich des E.... Für diesen Bereich wurde ein Gewerbegebiet festgesetzt. Gemäß I des Textes (Teil B) wurden für den gesamten Plangeltungsbereich Einzelhandelsbetriebe und solche, die im Hinblick auf den Verkauf an letzte Verbraucher und auf die räumlichen Auswirkungen mit Einzelhandelsbetrieben vergleichbar sind, gemäß § 1 Abs. 5 iVm § 1 Abs. 9 BauNVO ausgeschlossen. Für verschiedene bereits bebaute Grundstücke wurden Ausnahmen in Form einer gewissen Erweiterungsmöglichkeit des Bestandes zugelassen. Zugleich wurde der ehemalige Bebauungsplan Nr. 40 für seinen Restbereich aufgehoben. Die Neufassung des B-Plans Nr. 40 ist am 29.11.1997 in Kraft getreten. Dieser Bebauungsplan ist derzeit Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens beim Schleswig-Holsteinischen OVG (1 K 26/98).

Bereits zuvor hatte die Gemeinde ... für den nunmehr aufgehobenen Teilbereich des Bebauungsplans Nr. 40 mit Beschluß vom 28.10.1996 insoweit die Veränderungssperre aufgehoben; zugleich war der Fortbestand der Veränderungssperre für den Teilbereich, der nunmehr neu überplant worden ist, beschlossen worden.

Am 17.11.1998 erteilte die beigeladene Gemeinde ... ihr Einvernehmen zu dem Bauvorhaben der Klägerin.

Mit Bescheid vom 09.12.1998 lehnte der Beklagte den beantragten Vorbescheid mit der Begründung ab, das maßgebliche Gebiet weise eine Vielzahl von auch großflächigen Einzelhandelsgeschäften und Dienstleistungsunternehmen und sonstigen Betrieben auf und sei nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Nach Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzes und zur Änderung der Landesbauordnung vom 21.10.1998 (GVOBl. S-H., S. 297) - AGBauGB - sei § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bis zum 31. Dezember 2004 nicht auf Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO anzuwenden. Der Anbau des geplanten Bauvorhabens mit einer Verkaufsfläche von 3.500 qm sei daher im unbeplanten Bereich unzulässig. Die Errichtung des entsprechenden Anbaus könne nur noch auf Grundlage eines Bebauungsplanes, der an die Ziele der Landesplanung gebunden sei und eine geordnete städtebauliche Entwicklung gewährleisten müsse, erfolgen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.06.1999 - zugestellt am 16.06.1999 - zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Bauvorhaben liege in einem sonstigen Sondergebiet im Sinne des § 11 BauNVO. Da § 34 Abs. 2 BauGB nicht auf §11 BauNVO verweise (Dr. Borges, DVBl. 1998, 629), sondern nur auf die §§ 2 bis 9 BauNVO (mit Ausnahme von § 4 a), richte sich die Beurteilung der Zulässigkeit ausschließlich nach § 34 Abs. 1 BauGB. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gelte aber bis zum 31.12.2004 nicht für Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe (Art. 1 Abs. 2 AGBauGB). Das Vorhaben sei als großflächiger Einzelhandelsbetrieb deshalb im unbeplanten Innenbereich unzulässig.

Am 21.06.1999 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung führt sie an, zutreffend sei im Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, daß das sogenannte "Gewerbegebiet ...-West" im Bereich des nichtigen Bebauungsplans Nr. 40 wegen der Vielzahl von Handels- und Dienstleistungsunternehmen als sonstiges Sondergebiet im Sinne des § 11 BauNVO anzusehen sei. Nicht zutreffend sei aber die vom Beklagten vertretene, auf eine Literaturmeinung gestützte Auffassung, § 34 Abs. 2 BauGB verweise nicht auf § 11 BauNVO. Art. 1 Abs. 2 AGBauGB sei hier nicht anwendbar. Die maßgebliche und prägende Umgebung des klägerischen Baugrundstücks im "O... ..." stelle ein faktisches Sondergebiet Einkaufszentrum dar. Seit dem 27.07.1992 hätten sich die Betriebe im Bereich des ehemaligen Bebauungsplans Nr. 40 zu einer Werbegemeinschaft zusammengefunden und brächten seit dem 13.08.1992 die gemeinsame Zeitschrift "...journal" heraus. Bis heute habe sich der Name "O..." allgemein durchgesetzt. Viele der Gewerbetreibenden ergänzten ihre Adresse mit dem Hinweis "O...". Auch werde dieser Begriff "O..." im allgemeinen Sprachgebrauch der Bürger im ... Umland als geläufiges Markenzeichen verwandt.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.12.1998 und des Widerspruchsbescheides vom 09.06.1999 zu verpflichten, den beantragten Bauvorbescheid zur Errichtung eines viergeschossigen Anbaus als Erweiterung des vorhandenen ... M...es auf dem Grundstück ...Straße in ... zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die angefochtenen Bescheide.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Der Berichterstatter hat am 18.05.2000 eine Ortsbesichtigung durchgeführt. Auf das hierüber gefertigte Protokoll (Bl. 48, 49 der Gerichtsakte) nebst Fotografien (Bl. 60 bis 71 der Gerichtsakte) wird verwiesen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vom Beklagten vorgelegten Beiakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 09.12.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.1999 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des von ihr beantragten Bauvorbescheides zur planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Erweiterungsanbaus an den vorhandenen ... M... auf dem genannten Grundstück in ....

Gemäß § 72 iVm § 78 Abs. 1 Satz 1 LBO ist zu einzelnen Fragen eines Bauvorhabens ein positiver Bauvorbescheid zu erteilen, wenn dem Vorhaben insoweit keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung ist dabei die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehende Sach- und Rechtslage.

Bauplanungsrechtlich ist das Vorhaben der Klägerin nach § 34 BauGB zu beurteilen, denn das Baugrundstück liegt innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils der Gemeinde ..., für den ein verbindlicher Bebauungsplan im Sinne des § 34 BauGB nicht besteht. Der Bereich des sogenannten "Gewerbegebiets ...-West", der zwischen der ..., der G... und der K... liegt, ist derzeit - bis auf einen kleineren Bereich südöstlich des "E..." unbeplant; auch eine Veränderungssperre besteht für diesen Bereich nicht.

Ein Bauvorhaben ist nach § 34 Abs. 1 BauGB innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die bebaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung abgesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der aufgrund des § 2 Abs. 5 BauGB erlassenen Verordnung (BauNVO) bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art alleine danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 BauGB).

Im vorliegenden Fall erfüllt das Bauvorhaben der Klägerin die Voraussetzungen des § 34 BauGB.

Als Bezugsrahmen für das Einfügen stellt § 34 Abs. 1 BauGB auf die "nähere Umgebung" ab. Das ist zum einen der Bereich, auf den sich die geplante Bebauung auswirken kann und zum anderen der Bereich, der den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.05.1978, BVerwGE 55, 369 ff.). Aus dieser wechselseitigen Prägung der Grundstücke ergibt sich auch, daß der räumliche Umkreis, innerhalb dessen die tatsächlich vorhandene städtebauliche Situation zu bewerten ist, sich nicht schematisch, etwa durch Angabe von bestimmten Entfernungen, beurteilen läßt. Auch kommt in dem Begriff "nähere" Umgebung nicht eine Begrenzung auf die unmittelbare Nachbarschaft zum Ausdruck, sondern lediglich, daß in aller Regel die größere Nähe zu einer stärker prägenden Wirkung führt als die weitere Umgebung (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.05.1978, aaO.). Da die gesamte städtebauliche Situation zu würdigen ist, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist, kann sich ein unterschiedlich großer Umkreis ergeben, je nach dem, ob es sich um eine kleinteilige Bau- und Nutzungsstruktur, Gewerbebetriebe mit Immissionen oder großflächige Großanlagen handelt (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 34 BauGB Rn. 36). Maßgeblich bei der Beurteilung ist das Vorhandene; künftige bauliche Entwicklungen können nur begrenzt berücksichtigt werden, etwa wenn sich diese bereits in der vorhandenen Bebauung niedergeschlagen haben oder mit dem Bau genehmigter Gebäude begonnen worden ist und dementsprechend nach Lage der Dinge mit einer prägenden Wirkung alsbald zu rechnen ist (vgl. Söfker, aaO. Rn. 35).

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist für das Bauvorhaben der Klägerin der räumliche Bereich der näheren Umgebung nicht eng zu ziehen. Der geplante viergeschossige Anbau an den bestehenden dreigeschossigen M... wirkt weit in die Umgebung hinein. Bereits die optischen Auswirkungen reichen vom Mündungsbereich der ...Straße in die C... bis zu dem Bereich der Einmündung der G... in die ...Straße beim Baumarkt M... sowie den nördlichen Teil des "E... (M....-Gebäude D... 3, Firma H..., Firma M..., Firma V... und vormals Diskothek ...). Über den optisch wahrnehmbaren Bereich hinaus hat das Bauvorhaben durch die zu erwartende Steigerung der Besucher/Kunden und die damit verbundenen an- und abfahrenden Personenkraftwagen und der zunehmende Anlieferverkehr mit Lastkraftwagen über den Bereich der gesamten ...Straße hinaus Auswirkungen auf die L..../D... und G.... In entsprechender Weise strahlt auch die vorhandene Bebauung mit ihrer jeweiligen Nutzung in dem dargestellten Bereich auf das Baugrundstück der Klägerin aus. Der beschriebene Bereich ist daher als maßgebliche nähere Umgebung im Sinne des § 34 BauGB anzusehen.

Das Bauvorhaben der Klägerin fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ein. Bei dem Zulässigkeitsmerkmal des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung ist in erster Linie auf solche Maße abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Abzustellen ist deshalb vorrangig auf die absoluten Größen von Höhe, Grundfläche und Geschoßzahl (vgl. Söfker, aaO. Rn. 40 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Danach fügt sich das Vorhaben problemlos ein. Hinsichtlich der Höhe ist auf das in ca. 90 m Entfernung liegende Gebäude D... 3 "..." zu verweisen, das nicht nur aufgrund seiner Lage auf dem "E...", sondern auch von seiner absoluten Höhe von 23,50 m den geplanten Erweiterungsanbau an den bestehenden ... M... deutlich überragt. Auch hinsichtlich der überbauten Grundfläche gibt es in der näheren Umgebung deutlich größere bauliche Anlagen, wie z.B. das Gebäude des M..., der Firma R... und das frühere "Möbelhaus ...". Auch hinsichtlich der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, bestehen keine Bedenken. Dies haben die Beteiligten, insbesondere auch der Beklagte, im Ortstermin am 18.05.2000 ausdrücklich bestätigt.

Auch seiner Art nach fügt sich das Vorhaben der Klägerin (an sich) in die nähere Umgebung zwanglos ein, denn in diesem Bereich befinden sich eine Vielzahl von großflächigen Einzelhandelsbetrieben, wie beispielsweise R..., A..., M..., M... etc. (vgl. hierzu auch Urteil der früher für den Kreis ... zuständigen 2. Kammer des Gerichts vom 06.10.1998 - 2 A 167/95 - für ein viergeschossiges Einzelhandelsgebäude für Damen-, Herren-, und Kinderkonfektionen an der ...Straße ...-...).

Die Klägerin kann die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ihres Erweiterungsanbaus hieraus jedoch nicht herleiten, denn der Landesgesetzgeber hat mit dem AGBauGB von der Ermächtigung des § 246 Abs. 7 BauGB Gebrauch gemacht. Art. 1 Abs. 2 AGBauGB bestimmt, daß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bis zum 31. Dezember 2004 nicht für Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO anzuwenden ist.

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Klägerin seiner Art nach folgt hier aber entgegen der Ansicht des Beklagten aus § 34 Abs. 2 BauGB iVm § 11 BauNVO. Denn der Erweiterungsanbau an den bestehenden ... M... stellt die Erweiterung eines Teils eines sog. faktischen Einkaufszentrums dar.

Die Anwendbarkeit von § 34 Abs. 2 BauGB ist hier nicht durch Art. 1 Abs. 2 AGBauGB ausgeschlossen. So enthält bereits § 246 Abs. 7 BauGB keine Ermächtigung zum Ausschluß von Vorhaben in den Fällen des § 34 Abs. 2 BauGB (Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aaO. § 246 BauGB Rn. 40; vgl. auch Schmaltz in Schrödter, BauGB, 6. Aufl. § 34 Rn. 56). Der Wortlaut der Ermächtigung des § 246 Abs. 7 BauGB und des Art. 1 Abs. 2 AGBauGB schließen lediglich die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB für großflächige Einzelhandelsbetriebe, Einkaufszentren usw. aus. § 34 Abs. 1 BauGB enthält den Grundtatbestand, der die Zulässigkeit eines Bauvorhabens in einem Ortsteil mit "diffuser" bzw. "inhomogener" Bebauung regelt, während § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit von Bauvorhaben ihrer Art nach in Ortsteilen mit "homogener" Bebauung, die einem Baugebiet der BauNVO entspricht, regelt. Nur auf die zuerst genannten Gebiete des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezieht sich aber der Anwendungsausschluß für Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe usw. in Art. 1 Abs. 2 AGBauGB. Hätte die Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB für die in § 1 Abs. 3 BauNVO genannten Bauvorhaben (Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe etc.) ausgeschlossen werden sollen und damit Voraussetzung für die Genehmigung von Einkaufszentren und großen Einzelhandels- und sonstigen großen Handelsbetrieben immer das Bestehen eines entsprechenden Bebauungsplanes sein sollen, hätte in der bundesgesetzlichen Ermächtigung und in der landesgesetzlichen Umsetzung für die genannten Bauvorhaben nicht nur die Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, sondern insgesamt des § 34 BauGB ausgeschlossen sein müssen. Dies ist aber nicht geschehen (vgl. insgesamt auch Hoppe/Schlarmann, DVBl. 1999, 1078 ff. mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte des § 246 Abs. 7 BauGB).

Der Zulässigkeit des Bauvorhabens der Klägerin steht auch nicht - wie der Beklagte unter Bezugnahme auf einen Aufsatz (Borges, DVBl. 1998, 626 ff.) meint - entgegen, daß § 34 Abs. 2 BauGB nicht auf § 11 BauNVO verweise. Vielmehr ist § 11 BauNVO im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB anwendbar. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 34 Abs. 2 BauGB, der ohne Einschränkungen auf die Baugebiete der Baunutzungsverordnung verweist und das Bauvorhaben seiner Art nach dann für zulässig erklärt, wenn es nach der BauNVO in diesem Baugebiet allgemein zulässig wäre. Mit Ausnahme des § 4 a BauNVO, der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluß vom 11.12.1992, ZfBR 1993, 143) im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB nicht anwendbar ist, weil die Annahme eines besonderen Wohngebietes nach § 4 a BauNVO eine planerische Entscheidung der Gemeinde voraussetzt, das betreffende bereits überwiegend bebaute Gebiet in bestimmter Weise zu erhalten und fortzuentwickeln, verweist § 34 Abs. 2 BauGB auf sämtliche Baugebiete der Baunutzungsverordnung, also nicht nur auf die §§ 2 bis 9 BauNVO, sondern auch auf die Sondergebiete nach den §§ 10 und 11 BauNVO (vgl. Söfker, aaO. § 34 BauGB Rn. 79 und § 11 BauNVO Rn. 99 a; Fickert/Fieseler, BauNVO 9. Aufl., § 11 BauNVO Rn. 30.5; Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 7. Aufl., § 34 Rn. 47; Dürr in Brügelmann, BauGB, § 34 Rn. 53; Schmaltz, aaO., § 34 Rn. 56; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 11 Rn. 30).

Auch das Bundesverwaltungsgericht stellt die Anwendbarkeit des § 11 BauNVO im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB und damit die Möglichkeit des Bestehens faktischer Sondergebiete "Einkaufszentrum" oder "großflächiger Einzelhandel" nicht in Frage. § 34 Abs. 2 BauGB stellt danach unter dem Blickwinkel der Art der baulichen Nutzung die faktischen Baugebiete den im Wege der Bauleitplanung festgesetzten Baugebieten gleich. Für die Zulässigkeitsbeurteilung bedeutet dies, daß bei einer Umgebungsbebauung, die den Merkmalen eines Sondergebietes im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauNVO entspricht, Bauvorhaben bauplanungsrechtlich so zu behandeln sind, als wenn ein Sondergebiet mit entsprechender Festsetzung des Nutzungszweckes ausgewiesen worden wäre (BVerwG, Urteil vom 11.02.1993, ZfBR 1993, 191 ff.).

Die Zulässigkeit des Vorhabens der Klägerin folgt hier nicht aus § 34 Abs. 2 BauGB iVm § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO. Zwar stellt der bereits bestehende M... der Klägerin mit seiner Verkaufsfläche von 3.350 qm, der hier durch das Erweiterungsbauvorhaben auf knapp 7.000 qm Verkaufsfläche erweitert werden soll, für sich betrachtet einen "großflächigen Einzelhandelsbetrieb" dar (zur Großflächigkeit vergleiche u.a. Fickert/Fieseler, aaO. § 11 BauNVO Rn. 19). In der maßgeblichen Umgebungsbebauung sind aber nicht nur großflächige Einzelhandelsgeschäfte vorhanden, sondern daneben auch Einzelhandelsgeschäfte mit weniger als 1.000 qm bzw. 700 qm Verkaufsfläche, die damit noch nicht "großflächig" sind. Hinzu kommen in der näheren Umgebung auch noch Dienstleistungsunternehmen und sonstige Betriebe, so daß ein faktisches Sondergebiet "großflächige Einzelhandelsbetriebe" ausscheidet.

Der Betrieb der Klägerin, der mit dem Bauvorhaben erweitert werden soll, stellt aber einen Teil eines faktischen Sondergebietes "Einkaufszentrum" im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO dar; die Erweiterung dieses Betriebes mit einem Anbau fügt sich mithin seiner Art nach gemäß § 34 Abs. 2 BauGB ein.

Der Begriff "Einkaufszentrum" ist in den baurechtlichen Vorschriften nicht definiert. Zu beachten ist, daß der Begriff des Einkaufszentrums sich seit den 60er Jahren fortlaufend entwickelt hat und sich parallel dazu die wirtschaftlichen Gegebenheiten fortlaufend weiter entwickeln, die in Veränderungen der Kaufgewohnheiten und des Käuferverhaltens einerseits und in den marktwirtschaftlichen Voraussetzungen andererseits ihre Ursache haben.

Das zunächst zugrunde gelegte Erfordernis eines einheitlich geplanten und finanzierten, gebauten und verwalteten Einkaufszentrums ist inzwischen ebenso aufgegeben wie die Vorstellung, daß bei einem Einkaufszentrum die konkurrierenden Betriebe "unter einem Dach" untergebracht sein müssen (vgl. Söfker, aaO. § 11 BauNVO Rn. 49). Aus raumordnerischer und städtebaulicher Sicht des § 11 Abs. 3 BauNVO kann es grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob ein Einkaufszentrum bewußt als solches organisiert worden ist oder ob es sich um eine lediglich gewachsene Konzentration von Einzelhandelsbetrieben handelt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 27.04.1990 (BRS 50 Nr. 67) zunächst offen gelassen, ob überhaupt eine abstrakte Begriffsbestimmung für das "Einkaufszentrum" gefunden werden kann, die für alle denkbaren Fälle zutrifft. Weiter ist dann allerdings ausgeführt:

"In Übereinstimmung auch mit dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Einkaufszentrum im Rechtssinne nur dann anzunehmen, wenn eine räumliche Konzentration von Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe - zumeist in Kombination mit verschiedenartigen Dienstleistungsbetrieben - vorliegt, die entweder einheitlich geplant ist oder sich doch in anderer Weise als "gewachsen" darstellt. Im Regelfall wird es sich um einen einheitlich geplanten, finanzierten, gebauten und verwalteten Gebäudekomplex handeln. Aus der für die Anwendung des § 11 Abs. 3 BauNVO maßgeblichen raumordnerischen und städtebaulichen Sicht - insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Versorgungsstruktur einer Gemeinde - kann aber auch eine nicht von vornherein als solche geplante und organisierte Zusammenfassung von Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben ein Einkaufszentrum im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 BauNVO darstellen. Ein solches "Zusammenwachsen" mehrerer Betriebe zu einem "Einkaufszentrum" setzt jedoch außer der erforderlichen räumlichen Konzentration (vgl. zu dieser auch OVG Lüneburg, Urteil vom 30.03.1989, BRS 49 Nr. 68) weitergehend voraus, daß die einzelnen Betriebe aus der Sicht der Kunden als aufeinander bezogen, durch ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden in Erscheinung treten. Diese Zusammenfassung kann sich in organisatorischen oder betrieblichen Gemeinsamkeiten, wie etwa in gemeinsamer Werbung unter einer verbindenden Sammelbezeichnung dokumentieren. Nur durch solche äußerlich erkennbaren Merkmale ergibt sich die für die Anwendung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO notwendige planvolle Zusammenfassung mehrerer Betriebe zu einem "Zentrum" und zugleich die erforderliche Abgrenzung zu einer beliebigen Häufung von jeweils für sich planungsrechtlich zulässigen Läden auf mehr oder weniger engem Raum."

Diese Auffassung hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluß vom 15.02.1995 (4 B 84/94, zitiert nach Juris) bestätigt und hinsichtlich des "gewachsenen" Einkaufszentrums hervorgehoben, daß es maßgeblich auf die Sicht des Kunden ankommt, ob für ihn die einzelnen Betriebe als aufeinander bezogen, durch ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden anzusehen sind.

Hieran gemessen stellt der oben umschriebene, nicht von der Neufassung des Bebauungsplanes Nr. 40 erfaßte Bereich ...Straße, G..., L..., D..., der sich in Ost-West-Richung über eine Entfernung von ca. 750 m und in Nord-Süd-Richtung bis zu 550 m erstreckt, ein Einkaufszentrum im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO dar.

Der räumliche Bereich umfaßt neben vereinzelten Handwerksbetrieben und verschiedenartigen Dienstleistungsbetrieben wie Reisebüro, Frisör, Schnellrestaurants, Reifencenter, Tankstelle etc., Einzelhandelsbetriebe verschiedener Art und Größe, wie sich aus der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auflistung/Bestandsverzeichnis der Beigeladenen ergibt. Im Laufe der Jahre hat sich dieser Bereich auch durch die Bebauung zunächst noch vorhandener Lücken und Freiflächen mit weiteren Einzelhandelsbetrieben und Parkplätzen von einer bloßen Ansammlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen Läden zu einem "Zentrum" entwickelt. Die vom Bundesverwaltungsgericht für das Vorliegen eines "gewachsenen" Einkaufszentrums erforderliche betriebliche Verknüpfung der einzelnen Betriebe kommt hier in der gemeinsamen Werbung der Betriebe unter der verbindenden Bezeichnung "Ostseepark ..." zum Ausdruck. Seit 1992 haben sich die Betriebe im Bereich des ehemaligen Bebauungsplans Nr. ... zu einer Werbegemeinschaft zusammengefunden. Die Werbegemeinschaft gibt seither fortlaufend ein Kunden-"Journal" heraus unter dem Titel "O.. ... ...", das monatlich erscheint und in dem in loser Folge Betriebe vorgestellt werden. Neueröffnungen dargestellt werden und neben Informationen konkrete Werbung für einzelne Betriebe gemacht wird. Bis heute hat sich der Name "O... ..." allgemein durchgesetzt. Viele der hier ansässigen Einzelhandelsbetriebe ergänzen ihre Adresse mit dem Hinweis "O...", wie die von der Klägerin vorgelegten Werbeprospekte belegen. Auch in allgemeinen Presseartikeln wird dieses Gebiet als "O..." bezeichnet.

Aus der Sicht der Kunden, auf die es maßgeblich ankommt, kommt dem "O... ..." deutlich sogenannte Zentrenwirkung zu; d.h. der "O... ..." übten auf die Kunden eine starke Anziehungskraft aus, die sich nicht nur auf die nähere Umgebung ...s beschränkt, sondern sog. - bzw. magnetartig weit über das Kieler Umland hinaus reicht. Dies erklärt auch die abwehrende Haltung von Kieler Kaufleuten bzw. ihren Interessenverbänden und der Stadt ... gegen einen weiteren Ausbau bzw. die weitere Ansiedlung von Betrieben im "O... ...", weil hiermit ein weiterer Abfluß von Kaufkraft aus ... nach ... verbunden ist.

Ein warenhausmäßiges Warensortiment ist zwar nicht Begriffsvoraussetzung für das Vorliegen eines Einkaufszentrums. Allerdings ist ein dem Angebot eines Warenhauses vergleichbares weit gefächertes Warensortiment Indiz für das Bestehen eines Einkaufszentrums (vgl. hierzu Fickert/Fieseler, aaO. Rn. 18.8; Jahn UPR 1989, 371, 375; Beckmann/Sonnemann, UPR 1992, 221, 226). Je umfangreicher das Warenangebot ist, umso besser können die verschiedenartigsten Kundenwünsche erfüllt werden. Auch in der Abdeckung eines derart umfassenden Warenspektrums ist die angesprochene Sogwirkung des "O... ..." begründet. So werden im "O.... ..." umfassend Haushaltselektronik (weiße Ware), Unterhaltselektronik (Fernsehen, Audio, Video), Computer, Telekommunikationsanlagen, Hausbauzubehör, Heimwerkerartikel, Hauseinrichtungen, Küchen, Teppiche, Betten, Mode (Ober- und Unterbekleidung), Schuhe, Sportartikel, Spielwaren, Fahrräder, Lebensmittel (in Lebensmittelmärkten und Verbrauchermarkt mit Lebensmitteln und "Non Food"-Angebot) etc. sowie Pkw und Motorräder angeboten.

Auch die räumliche Größe des hier zu berücksichtigenden, oben näher dargestellten Bereiches zwischen G... und ...Straße sowie nördlich der ...Straße steht der Annahme eines Einkaufszentrums nicht entgegen.

Die räumliche Größe von Einkaufszentren wird regelmäßig nur in ihrer unteren Begrenzung problematisch. Die räumliche Zusammenfassung von Einzelhandelsbetrieben und ergänzenden Nutzungen wie verschiedensten Dienstleistungsbetrieben muß insgesamt eine beachtliche Größe erreichen, um die für ein "Zentrum" typische Sog- bzw. Magnetwirkung zu erzielen. Die erforderliche Mindestfläche (vgl. Fickert/Fieseler, aaO. Rn. 18.8 "erheblich über 1.500 qm Geschoßfläche", "Mindestverkaufsfläche von 10.000 qm") ist hier unproblematisch. Eine Obergrenze als maximale Verkaufsfläche oder als maximale räumliche Ausdehnung des Gesamtkomplexes ist weder in der Literatur noch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorgesehen. Allerdings ist für die Annahme eines "Einkaufszentrums" die räumliche Konzentration der zusammengewachsenen Betriebe erforderlich (BVerwG, Urteil vom 27.04.1990, aaO.). Das Bundesverwaltungsgericht verweist zu der erforderlichen räumlichen Konzentration auf das Urteil des OVG Lüneburg vom 30.03.1989 (BRS 49 Nr. 68). In diesem das sog. "Gewerbegebiet ...-West" betreffenden Urteil hat das OVG Lüneburg ausgeführt, jedenfalls fehle der erforderliche räumliche Zusammenhang mit anderen Einzelhandelsbetrieben, der notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Einkaufszentrums sei. Der räumliche Bereich von etwa 500 m auf 550 m bei (damals) etwa 15 bis 20 Einzelhandelsbetrieben sei eindeutig zu groß, um als Bereich des Einkaufszentrums angesprochen werden zu können. Auch seien die Entfernungen innerhalb des oben umschriebenen Bereichs noch so groß, daß die besondere Attraktivität eines Einkaufszentrums im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO nicht erreicht werde.

Seit Ergehen dieser Entscheidung sind jedoch maßgebliche Veränderungen eingetreten. Die Bebauung im Bereich des sog. "Gewerbezentrums ...-West" bzw. "O... ..." hat sich seither erheblich verdichtet. Lediglich ein Teil des Südhanges des "E..." ist noch unbebaut; der in diesem Bereich am Fuße des E... geplante Bau eines F... ist noch nicht begonnen. Auch die Anzahl der in dem genannten Bereich neben den verschiedensten Dienstleistungsbetrieben vorhandenen Einzelhandelsbetriebe hat sich seither mehr als verdoppelt. So sind nach dem zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Bestandsverzeichnis (Stand Frühjahr 2000) in diesem Bereich 40 bis 50 Einzelhandelsbetriebe erfaßt. Hinzu kommt noch das Gebäude L... ... (vgl. Urteil vom 06.10.1998 - 2 A 168/95 -), dessen Errichtung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits weit fortgeschritten ist. Insgesamt ist damit die erforderliche räumliche Konzentration der Betriebe für das Vorliegen eines "Einkaufszentrums" gegeben, zumal ein großer Teil dieser Einzelhandelsbetriebe großflächig ist.

Auch ein Vergleich mit Einkaufszentren klassischer Art ("unter einem Dach") wie beispielsweise dem Sophienhof in Kiel zeigt, daß diese eine große räumliche Ausdehnung erreichen können. Die Baulichkeiten des Sophienhofes erstrecken sich über eine Länge von knapp 500 m; zur Zeit wird an den Sophienhof noch ein weiterer baulicher Komplex angebaut. Auch wenn man mit dem OVG Lüneburg (Urteil vom 30.03.1989, aaO.) davon ausgeht, daß dann, wenn eine unmittelbare bauliche Verbindung zwischen den einzelnen Gebäuden nicht besteht, der räumliche Zusammenhang so eng sein muß, daß dadurch eine besondere Attraktivität für Kunden entsteht, spricht dies hier nicht gegen das Vorliegen eines Einkaufszentrums. Abgesehen davon, daß sich inzwischen die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort - wie dargelegt - entscheidend verändert haben, sind hier auch Veränderungen in den Kaufgewohnheiten und dem Käuferverhalten mit zu berücksichtigen. Neben dem breitgefächerten Sortiment, das in den verschiedenartigen Einzelhandelsbetrieben im O... ... zu finden ist, ist hierbei zu berücksichtigen, daß die einzelnen Anbieter innerhalb ihres Sortiments wiederum eine große Auswahl anbieten und die verschiedenartigsten Einzelhandelsunternehmen trotz ihrer Größe auf engem Raum erreichbar sind. Die Begründung einer besonderen Attraktivität für den Kunden läßt sich nicht nur auf eine leichte Erreichbarkeit der verschiedenen zum Einkaufszentrum gehörenden Betriebe zu Fuß beschränken, abgesehen davon, daß diese hier in Bezug zur Größe des Angebotes noch gegeben ist. Maßgeblich wird die Magnet- oder Sogwirkung des "O... ..." auch dadurch begründet, daß Parkmöglichkeiten bei den einzelnen Einzelhandelsbetrieben direkt bestehen. Dies hat gerade bei den Einzelhandelsbetrieben große Bedeutung, die von den Verbrauchern für Großeinkäufe zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs (wie Verbrauchermärkte und Lebenmitteldiscounter) besucht werden oder deren Produkte in der Regel den Abtransport mit dem Pkw erfordern wie Heimwerkerbetriebe, Elektro- und Audio-Videofachhandel, Einrichtungshäusern, soweit es den "Mitnahmemöbel"-Bereich betrifft. Gerade die leichte Erreichbarkeit der einzelnen Betriebe mit dem Pkw und auch die durchaus noch gute Erreichbarkeit zu Fuß sind zur Überzeugung der Kammer bei dem breiten vorzufindenden Angebot Auslöser der besonderen Sog- oder Magnetwirkung, die der "O... ..." zweifellos zu verzeichnen hat.

Auch die Erschließung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist gesichert. Die wegemäßige Erschließung eines Vorhabens im unbeplanten Bereich ist durch eine vorhandene Straße dann gesichert, wenn diese Straße den durch das Vorhaben ausgelösten Verkehr im Regelfall bewältigt. Dies bedeutet nicht, daß jede Überlastung der vorhandenen Straße für die Annahme der wegemäßigen Erschließung schädlich ist. Es muß aber das Verhältnis von Regel und Ausnahme gewahrt bleiben. "Spitzenzeiten des Verkehrs" können deshalb nur dann vernachlässigt werden, wenn sie die Ausnahme bilden. Der zur Überlastung der Straße führende Verkehr darf damit nur gelegentlich oder, wenn es hierzu täglich kommt, dann nur kurzfristig, stattfinden (BVerwG, Beschluß vom 03.04.1996, NVwZ 1997, 389 f.; vgl. im übrigen auch BVerwG, Urteil vom 19.09.1986, NVwZ 1987, 406 ff.; Söfker, aaO. § 34 BauGB Rn. 65). Hier bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß es durch das Bauvorhaben der Klägerin zu einer derartigen Verschlechterung der verkehrlichen Situation führen könnte, zumal es lediglich um einen Anbau an einen bereits bestehenden M..., nicht aber um einen gänzlichen Neubau geht, der eine zusätzliche neue Anziehkraft auf weitere Käuferschichten bewirken könnte. Auch wenn mit der Erweiterung des bestehenden M...es eine Steigerung der Kundenzahlen einhergehen wird, sind hierdurch ausgelöste Überlastungen der Zu- und Abfahrtstraßen (...Straße, L..., G....) nicht zu erwarten. Befürchtungen, daß es gerade durch den Erweiterungsanbau der Klägerin zu derartigen Überlastungen der Zufahrtswege kommen könnte, sind im vorliegenden Verfahren auch weder vom Beklagten noch von der Beigeladenen geltend gemacht worden. Im übrigen hat der Beklagte erst vor kurzem bei der Erteilung der Baugenehmigung für das Geschäftsgebäude L... ... die wegemäßige Erschließung bejaht; das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 06.10.1998 - 2 A 168/95 -, mit dem der Beklagte zur Erteilung eines Bauvorbescheides für dieses Grundstück verpflichtet wurde, hatte die Frage der Erschließung ausdrücklich offen gelassen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß sich die Situation des Straßenverkehrs in dem Bereich des "O... ..." in den letzten Jahren wesentlich entspannt hat. Dies ist zum einen durch verkehrslenkende Maßnahmen bewirkt worden; so ist die ...Straße von der K... bis zur Abzweigung L... und damit im Bereich des C... nur noch als Einbahnstraße zu befahren. Außerdem hat sich die Situation insgesamt durch den Bau einer zusätzlichen Aus-/Auffahrt der B 76/B 202 Fahrtrichtung ... im Bereich K... sowie der Bau eines Kreisverkehrs im Bereich der westlichen Ausfahrt der .... wesentlich verbessert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da sie sich nicht durch die Stellung eines eigenen Antrags dem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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