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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 06.03.2002
Aktenzeichen: 2 Sa 248/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 151
Ein Kreisverband des DRK, der den DRKTV+O anwendet, kann sich - anders als ein öffentlicher Arbeitgeber - nicht auf den für den öffentlichen Dienst geltenden Grundsatz beziehen, wonach Ansprüche i. d. R. nicht aufgrund einer Betrieblichen Übung entstehen können.
Sächsisches Landesarbeitsgericht IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 2 Sa 248/01

Verkündet am 06. März 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 2 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 06.03.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 12.02.2001 - 7 Ca 7327/00 - abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 442,27 EUR brutto nebst 4 % Zinsen aus dem hieraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 05.07.2000 zu bezahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Revisionszulassung: keine.

Die Parteien streiten auch im zweiten Rechtszug weiter um die Zahlung einer in ihrer rechnerischen Höhe nicht strittigen Wechselschicht-Zulage für den Zeitraum von Januar bis Mai 2000 über monatlich 173,00 DM brutto, insgesamt also 865,00 DM brutto (als Hauptforderung).

Von der erneuten Darstellung des Tatbestands wird aufgrund der Regelung in § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen. Denn das Arbeitsgericht hat in dem angefochtenen Urteil den Tatbestand vollständig und richtig beurkundet. In Sonderheit haben die Parteien auch keine Tatbestandsrügen erhoben. Neuigkeiten im tatsächlichen Bereich sind auch im Berufungsverfahren nicht vorgetragen worden. Bereits das unstreitige Vorbringen genügt dem Berufungsgericht für sein - abänderndes - Erkenntnis.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung ist in Höhe des in Euro auszudrückenden Streitbetrages (als Hauptforderung) begründet. Denn die - ihrerseits zulässige - Klage ist begründet.

Der Anspruch auf die Wechselschicht-Zulage ist durch eine sog. betriebliche Übung (I.) entstanden und - jedenfalls bislang - nicht untergegangen (II.). Auf das Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen für die Zahlung der Wechselschicht-Zulage kommt es demgemäß derzeit nicht an (III.). Begründet ist auch die Nebenforderung (IV.).

I.

1.

Die streitgegenständliche Forderung ist durch eine sog. betriebliche Übung begründet worden, respektive entstanden.

a) Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auch für die Zukunft gewährt werden. Die betriebliche Übung enthält eine Willenserklärung des Arbeitgebers, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB). Aufgrund dessen erwachsen vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordene Vergünstigung. Die Bindungswirkung tritt ein, wenn die Arbeitnehmer aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers darauf vertrauen durften, die Leistung solle auch für die Zukunft gewährt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Arbeitgeber eine Zulage gewährt, auf die inzwischen die Anspruchsgrundlagen entfallen sind (vgl. zum Vorstehenden m. zahlr. N. etwa BAG vom 26.05.1993 - 4 AZR 130/93 - AP Nr. 3 zu § 12 AVR Diakonisches Werk). Dem steht der Fall des anfänglichen Fehlens einer Anspruchsgrundlage gleich.

b) So war es hier. Der Beklagte hat die Wechselschicht-Zulage in der Vergangenheit ohne Vorbehalt eines irgendwie gearteten Widerrufs stets und auch dann gezahlt, wenn die tariflichen Voraussetzungen nach § 38 a DRKTV-O nicht vorgelegen haben.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Beklagten, wonach die Einsätze seit Anfang des Jahres 2000 stark zurückgegangen seien. Das ändert nichts daran, daß die Zulage für die davor liegende Zeit auch ohne das Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen gezahlt worden ist, was der Kläger aber unbestritten vorgetragen hat.

Auch der Umstand, daß die Krankenkassen die Wechselschicht-Zulage nur gegen Nachweis des Vorliegens der tariflichen Voraussetzungen hin erstatteten, ändert an dem Entstehungstatbestand für die betriebliche Übung für sich nichts. Aufgeworfen wird hierdurch bestenfalls die Frage, ob die - wie gesagt: entstandene - betriebliche Übung durch (Widerruf) beseitigt werden kann, worauf noch einzugehen sein wird.

c) Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, ein Anspruch aufgrund betrieblicher Übung könne deswegen nicht entstanden sein, da es sich bei ihm um einen gemeinnützigen Verein handele, bei welchem die Grundsätze der Arbeitsverhältnisse mit der öffentlichen Hand herangezogen würden.

Der Sache nach bedeutet dies, daß der Beklagte sich darauf beruft, der Kläger hätte davon ausgehen müssen, er, der Beklagte, vergüte ausschließlich nach den Regeln des DRKTV-O.

(1) Eine solche Einschränkung der betrieblichen Übung gibt es allerdings in der Tat in aller Regel im Bereich des öffentlichen Dienstes. Denn der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muß in aller Regel davon ausgehen, sein Arbeitgeber wolle nur die Leistungen gewähren, zu denen er rechtlich verpflichtet ist.

Diese Grundsätze gelten jedoch nicht für den privaten Arbeitgeber, auch wenn sein Vergütungsgefüge (wie hier: durch den DRKTV-O) in Anlehnung an das des BAT/BAT-O aufgestellt ist. Nur ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muß bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte davon ausgehen, der an die Grundsätze des Haushaltsrechts gebundene öffentliche Arbeitgeber wolle sich gesetzes- und tarifgemäß verhalten (zum Vorstehenden m. w. N. BAG vom 26.05.1993, a. a. O.).

(2) Letzteres trifft für Arbeitsverhältnisse im Bereich des DRK nicht zu. Dieses ist als Privater rechtlich bei der Gestaltung der vertraglichen Beziehungen zu seinen Arbeitnehmern freier als die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes. Dies ergibt sich hier zusätzlich auch daraus, daß die Parteien nicht wenigstens den BAT oder BAT-O, also einen für den öffentlichen Dienst geltenden Tarifvertrag, anwenden, sondern den für einen in der Rechtsform des e. V. betriebenen privaten Arbeitgeber geltenden DRKTV-O. Letztlich ist nicht ersichtlich, daß der Beklagte durch Anweisung vorgesetzter Dienststellen, Verwaltungsrichtlinien, Verordnungen und gesetzliche Regelungen ähnlich gebunden wäre wie der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes (hierzu BAG vom 16.07.1996 - 3 AZR 352/95 -, AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Betriebliche Übung).

(3) Der Beklagte ist auch nicht aufgrund seiner Tätigkeit dem öffentlichen Dienst zuzurechnen oder einem öffentlichen Arbeitgeber gleichzustellen.

Für diese Auffassung kann sich der Beklagte nicht auf die Literaturmeinung von Schaub (Arbeitsrechts-Handbuch, 9. Auflage) beziehen. Denn dort wird von Schaub (§ 111 Rdnr. 11) gerade das Gegenteil von dem vertreten, was der Beklagte herausgelesen haben möchte. Schaub weist ausdrücklich darauf hin, daß die für den öffentlichen Dienst entwickelte Rechtsprechung nicht (Unterstreichung durch das Gericht) auf die Kirchen oder die Träger der freien Wohlfahrtspflege übertragen werde, auch wenn diese sich bei öffentlichen Leistungsträgern refinanzieren. Insoweit lasse sich ein Wille nicht feststellen, sich nur normgemäß zu verhalten.

Dies ist auch der Standpunkt der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. So hat das Bundesarbeitsgericht (vom 23.06.1988 - 6 AZR 137/86 -, AP Nr. 33 zu § 242 BGB Betriebliche Übung) die Grundsätze über das Bestehen einer betrieblichen Übung im öffentlichen Dienst zwar auch auf Eigengesellschaften einer Gemeinde übertragen, Entsprechendes allerdings für das ... (BAG vom 26.05.1993, a. a. O.) ebenso abgelehnt wie (sogar) für eine Anstalt des öffentlichen Rechts (BAG vom 16.07.1996, a. a. O.).

Der Beklagte ist weder von seiner Rechtsform her noch inhaltlich so ausgestaltet wie eine kommunale Eigengesellschaft oder gar ein kommunaler Eigenbetrieb. Selbst wenn es sich bei ihm um eine öffentlich-rechtliche Korporation würde - wie nicht -, wären nach dem Vorstehenden die Voraussetzungen für eine eingeschränkte Anwendbarkeit der Grundsätze über die betriebliche Übung nicht erfüllt. Im Ergebnis befindet sich der Beklagte in einer ähnlichen Lage wie etwa Diakonie, Caritas, Arbeiter-Samariter-Bund, Volkssolidarität, Arbeiterwohlfahrt, Malteser-Hilfsdienst oder Johanniter-Unfallhilfe, wobei selbst Diakonie und Caritas aufgrund des Staatskirchenrechts dem öffentlichen Dienst - wenigstens formal - noch wesentlich näher stehen dürften als das DRK (und trotzdem nicht in den Genuß der Einschränkungen bei der betrieblichen Übung kommen).

An dem Vorstehenden ändert sich nichts dadurch, daß der Beklagte durch den Landkreis mit der Durchführung der Notfallrettung betraut ist. Denn diese Aufgabe könnte der Landkreis nach seinem Belieben auch jedem anderen Privaten übertragen, ohne daß sich dadurch dessen Rechtsform ändern würde.

2.

Das Entstehen der betrieblichen Übung scheitert hier nicht daran, daß der DRKTV-O für Nebenabreden ein Schriftformerfordernis vorsieht. Denn die Wechselschicht-Zulage steht als Teil der Vergütung im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Arbeitsleistung. Sie ist damit wie diese selbst Haupt- bzw. Gegenleistungspflicht und betrifft nicht nur die Abrede einer bloßen Nebenbedingung des Arbeitsverhältnisses der Parteien.

II.

Der Anspruch konnte auch nicht untergehen. Dafür fehlt es an einem rechtlich belastbaren Tatbestand.

1.

Es kann dahinstehen, ob die Einstellung der Zahlung der Wechselschicht-Zulage die Ausübung eines anspruchsvernichtenden Widerrufs darstellt. Dahinstehen kann auch, ob und inwieweit arbeitsvertragliche Verpflichtungen überhaupt einem Widerrufsvorbehalt unterworfen werden können, in Sonderheit die Vergütungspflicht bzw. ein Teil von ihr. Denn der Beklagte hat die Zahlung der Wechselschicht-Zulage in der Vergangenheit ohne Abrede eines irgendwie gearteten Widerrufsvorbehalts vorgenommen. Er hat auch keinen irgendwie gearteten wenigstens einseitigen Vorbehalt gemacht. In Sonderheit hat er dem Kläger die Wechselschicht-Zulage nicht unter dem Vorbehalt der Refinanzierbarkeit bei Krankenkassen zugesagt (zur Zulässigkeit einer derartigen Vorgehensweise vgl. BAG vom 06.08.1997 - 4 AZR 195/96 -, AP Nr. 7 zu § 12 AVR Diakonisches Werk).

2.

Eine Anpassung des Arbeitsverhältnisses der Parteien dahin, daß die Wechselschicht-Zulage nicht mehr zu zahlen sei, scheidet aus. Neben dem Fehlen eines Widerrufsvorbehalts und auch einer Änderungskündigung wäre dies nur nach den Grundsätzen über den sog. Wegfall der Geschäftsgrundlage möglich. "Geschäftsgrundlage" sind allerdings nach ständiger Rechtsprechung lediglich die bei Abschluß des Vertrages zu Tage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, § 242 Rdnr. 113 m. zahlr. N.). In Betracht hierfür käme nach Lage der Dinge nur eine gemeinsame Vorstellung beider Parteien darüber, daß die Zahlung der Wechselschicht-Zulage von der Refinanzierung durch die Krankenkassen abhängen solle. Dafür ist jedoch nicht ansatzweise etwas ersichtlich. Der Kläger ist bei einem Kreisverband des DRK eingetreten, der nach dem Ergebnis der Berufung nicht nur Rettungsdienst betreibt, sondern auch Kindergärten und Beratungsstellen unterhält. Bei diesem Umfang des Betätigungsfeldes des Beklagten ist für den im Rettungsdienstbereich beschäftigten Kläger nicht zwingend erkennbar, daß und wie der Beklagte die Zahlung der Wechselschicht-Zulage refinanziert und unter welchen Bedingungen dies im Verhältnis zu Dritten (den Kassen) geschieht. Der Kläger müßte schon - m. a. W. - Einblick in die Details der Finanzierung des Beklagten gehabt haben müssen, um sich ein Bild von den einzelnen finanziellen Abhängigkeiten machen zu können. Dafür hat der - für die Voraussetzungen des Wegfalls einer Geschäftsgrundlage beweispflichtige - Beklagte nichts vorgetragen.

III.

Nach dem Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob im Streitzeitraum die tariflichen Voraussetzungen für die Zahlung der Wechselschicht-Zulage erfüllt waren, wogegen allerdings die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil sprechen.

IV.

Der Höhe nach ist die Klageforderung außer Streit und lediglich in Euro auszudrücken. Der Zinsanspruch ergibt sich bis 31.12.2001 aus § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a. F., seit 01.01.2002 aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB n. F.

B.

Der Beklagte hat aufgrund der Regelung in § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er unterlegen ist.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auch ist die Revision nicht zuzulassen. Denn die Entscheidung ergeht in Einklang mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Bedeutung über den Betrieb des Beklagten hinaus hat die Sache nicht. Es wird jedoch darauf hingewiesen, daß die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht ihrerseits durch Beschwerde (sog. Nichtzulassungsbeschwerde) angefochten werden kann. Dies ist allerdings nur unter den in § 72 a ArbGG genannten Voraussetzungen möglich.

Ende der Entscheidung

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