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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 12.03.2003
Aktenzeichen: 2 Sa 465/02
Rechtsgebiete: EFZG


Vorschriften:

EFZG § 3 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

Az.: 2 Sa 465/02

Verkündet am 12. März 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 2 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 12.03.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 08. Mai 2002 - 1 Ca 1597/01 - wird auf Kosten des Beklagten

zurückgewiesen.

Revisionszulassung: keine.

Tatbestand:

In dem Berufungsverfahren streiten die Parteien jetzt noch über Arbeitsentgelt, dessen Fortzahlung im Krankheitsfall sowie um einen vom Beklagten für Reisekosten einbehaltenen Betrag.

Der Tatbestand ergibt sich, soweit hier noch von Relevanz, im wesentlichen aus demjenigen des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen. Deshalb wird - soweit nicht relevant - von der erneuten Darstellung des Tatbestands abgesehen und stattdessen auf denjenigen des arbeits-gerichtlichen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2, Abs. 3 ArbGG n. F.).

Gegenstand der Berufung sind folgende vom Arbeitsgericht zu Lasten des Beklagten ausgeurteilte Einzelposten:

- 1.431,62 € brutto (Vergütung und Entgeltfortzahlung November 2001) nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG vom 16.12.2001 bis 31.12.2001 und in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 Abs. 1 BGB ab 01.01.2002,

- 1.090,75 € brutto (Entgeltfortzahlung 01.12. bis 16.12.2001) nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 Abs. 1 BGB ab 16.01.2002,

- 185,34 € netto (einbehaltene Reisekosten).

Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung verteilt sich die zu den vorstehenden Spiegelstrichen eins und zwei ausgeurteilte Forderung (die Hauptforderung) wie folgt:

Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 01.11. bis 05.11.2001 (an diesem Tag hat der Kläger ausweislich der Berufungsbegründung des Beklagten noch gearbeitet), danach für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 11.05.2002 zugestellte Urteil am 11.06.2002 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Frist für die Begründung der Berufung bis 11.08.2002 am 10.08. 2002 ausgeführt.

Der Beklagte macht geltend, dass aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil nicht klar ersichtlich sei, inwieweit der Kläger für den Monat November 2001 Vergütung für geleistete Arbeit bzw. aus Anlass seiner Erkrankung bzw. als Nachzahlungsanspruch wegen Annahmeverzuges beanspruche.

Soweit sich der Kläger auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall stütze, bestehe die Forderung nicht. Denn er habe die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet. Bereits im Ersten Rechtszug sei vorgetragen worden, dass der Kläger wegen einer psychischen Erkrankung schon vor seiner Einstellung stationär in einer Nervenheilanstalt untergebracht gewesen sei. Der Kläger sei jedenfalls seit August 2001 den Anforderungen des Arbeitsalltages nicht gewachsen gewesen. Dies sei durch Äußerungen wie "ich verstehe das nicht - ich komme damit nicht klar - das weiß ich nicht - ich sehe da nicht durch" zum Ausdruck gekommen. Das Gutachten eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen würde Beweis für die Behauptung erbringen, dass der Kläger bereits bei der Bewerbung und Einstellung psychisch erkrankt gewesen sei und dass seine Krankheit durch die Überforderung mit der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung akut ausgebrochen sei. Damit habe der Kläger in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhaltensweise verstoßen. Der Kläger sei von Anfang an arbeitsunfähig i. S. des Rechts der Entgeltfortzahlung gewesen. Dies habe er auch gewusst. Der Kläger habe es im Rechtsstreit vermieden, auf diese Vorhaltungen ebenso konkret einzugehen. Der Kläger habe bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Ersten Rechtszug noch immer Krankengeld bezogen und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden. Dem Vernehmen nach sei dies der Stand bis heute. Eine derart schwere und langwierige depressive Phase stehe nicht am Beginn der Erkrankung manisch-depressiven Typs, sondern setze einen längeren Krankheitsverlauf mit vorausgegangenen akuten Ausbrüchen voraus. Auch dies beweise, dass der Kläger bereits bei der Bewerbung und Einstellung erkrankt war und dass er dies auch gewusst habe.

Beweis: Sachverständigengutachten

Der akute Ausbruch der Krankheit unter starker beruflicher Belastung (ein sog. depressiver Schub, wie für manisch-depressive Krankheitsbilder, z. B. bipolare Zyklotymie, typisch) sei für den Kläger, der seine Erkrankung gekannt habe, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angesichts seiner ihm bekannten Anamnese bereits bei der Bewerbung und Einstellung voraussehbar gewesen. Dies sei ihm auch zurechenbar, da der Kranke außerhalb der krankheitstypisch phasenhaft ausbrechenden manisch-depressiven Schübe voll steuerungs- und kenntnisfähig sei und sich demzufolge auf seine Erkrankung einstellen und Risiken vermeiden könne.

Beweis auch zum Vorstehenden: Sachverständigengutachten

Nach den Berechnungen des Arbeitsgerichts sei der Kläger für November 2001 überzahlt worden. Damit stehe dem Kläger der Posten "einbehaltene Reisekosten" jedenfalls im Ergebnis nicht zu. Vorsorglich werde gegen die Überzahlung aufgerechnet.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen vom 08.05.2002 - 1 Ca 1597/01 - die Klage insoweit abzuweisen, als das Arbeitsgericht nach Maßgabe des Tenors zu Nr. 2 Spiegelstrich zwei, drei und vier erkannt hat.

Der Kläger beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er bleibt dabei, dass er zum Zeitpunkt der Begründung des Arbeitsverhältnisses weder an einer psychischen Erkrankung gelitten habe noch deswegen in einer Klinik untergebracht gewesen sei.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien und der von ihnen ausgetauschten Rechtsansichten wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die im Berufungsverfahren noch streitgegenständliche Hauptforderung besteht zu Recht, weswegen sie auch im ausgeurteilten Umfang zu verzinsen ist.

1.

Für den Zeitraum vom 01. bis zum 05.11.2001 schuldet der Beklagte dem Kläger Vergütung für geleistete Arbeit. In der Berufungsbeantwortung geht der Beklagte selbst davon aus, dass der Kläger noch bis zum 05.11.2001 tatsächlich - wenn auch nicht zu seiner Zufriedenheit - gearbeitet hat. Denn hier - bei der Arbeit - habe er auch die (im Ersten Rechtszug noch streit-gegenständliche) Kündigung erhalten.

Es kann dahinstehen, ob die aus tatsächlicher Arbeitsleistung erwachsene Forderung des Klägers gegen den Beklagten auf Arbeitsentgelt durch die auf den Monat November 2001 bezogene und geflossene Vergütung erloschen ist. Es ist richtig, dass der geflossene Betrag den vom Arbeitsgericht errechneten übersteigt. Allerdings hat das Arbeitsgericht den gezahlten Betrag von der Gesamtforderung des Klägers für den Monat November 2001 abgezogen. Da für den Monat November 2001 jedoch auch ein Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht (sogleich 2.), macht es für die Höhe der Gesamtforderung rechnerisch keinen Unterschied, ob man die Forderung für den Zeitraum vom 01. bis zum 05.11.2001 als gänzlich getilgt (oder sogar überzahlt) oder die Forderung für den Zeitraum vom 06.11.2001 bis Ende November 2001 als partiell erfüllt ansieht. Für die Argumentation des Beklagten spricht rechtlich allerdings (wenn auch für die Gesamthöhe nicht entscheidend), dass er jedenfalls für den Zeitraum ab 06.11.2001 keine Vergütung mehr hat erbringen müssen, weil er die Arbeitsunfähigkeit des Klägers in Streit zieht. Danach wäre von ihm eine Zahlungsbestimmung für den Zeitraum vom 01. bis 05.11.2001 getroffen worden, was jedoch der Kläger im Ergebnis dadurch berücksichtigt, dass er die für November 2001 bezogene Vergütung von seiner Forderung für den gesamten Monat in Abzug bringt.

2.

Für den Zeitraum ab 06.11.2001 und bis zum 16.12.2001, mithin für die Dauer von sechs Wochen, hat der Kläger gegen den Beklagten Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Anspruchsvoraussetzungen sind zwischen den Parteien insoweit nicht im Streit. Streit besteht lediglich über einen den Anspruch ausschließenden Tatbestand, und zwar den, dass den Kläger kein Verschulden an der Verhinderung an seiner Arbeitsleistung durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit treffe.

a) Der Beklagte hat den Begriff des "Verschuldens" zutreffend bestimmt. Verschulden liegt vor im Falle eines gröblichen Verstoßes gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten (dessen Folgen auf den Arbeitgeber abzuwälzen unbillig wäre), vgl. m. z. N., auch der maßgebenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Schmitt, EFZG, 4. Auflage, § 3 Rdnr. 85.

Das subjektive Merkmal des gröblichen Verstoßes gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten setzt ein Verschulden des Arbeitnehmers gegen sich selbst voraus. Da es sich um einen gröblichen Verstoß handeln muss, genügt leichte Fahrlässigkeit nicht, sondern es muss sich um ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten handeln. Ob ein entsprechendes grobes Verschulden vorliegt, ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen (Schmitt, a. a. O., Rdnr. 86 m. w. N.).

Das Verschulden muss für die eingetretene Arbeitsunfähigkeit auch kausal gewesen sein, um den Entgeltfortzahlungsanspruch auszuschließen. Ein schuldhaftes Verhalten während einer bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit ist nur dann von Bedeutung, wenn es zu einer Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit führt (Schmitt, a. a. O., Rdnr. 87). Im Streitfall ist vom Arbeitgeber zu beweisen, dass der Arbeitnehmer besonders leichtfertig, grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat (Schmitt, a. a. O., Rdnr. 92).

b) Nach dem Vorstehenden kommt es auf die Erhebung der vom Beklagten angebotenen Beweise nicht an. Der Beweislast folgt die Darlegungslast. Aus den Darlegungen des Beklagten lässt sich aber nicht auf das Vorliegen eines Verschuldens im vorstehenden Sinne schließen:

Der Beklagte selbst hat auf die diesbezügliche Frage des Gerichts in der Berufungsverhandlung und auch auf Nachhaken erklärt, nach der ihm zugetragenen Information sei der Kläger in stationärer Behandlung gewesen wegen "psychischer Probleme".

Selbst wenn dies stimmen sollte, begründet es jedoch nicht die Annahme eines gröblichen Verstoßes gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten, wenn dieser in Arbeit tritt. Anderenfalls könnte - ohne das Risiko des Lohnverlustes bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit - kein Mensch mehr Arbeit aufnehmen, der sich in der Vergangenheit einmal wegen einer Erkrankung in stationärer Behandlung befunden hat. Das schließt jede Erkrankung ein, auch psychische, so man sie sich nicht selbst zugefügt hat, wobei etwa an die Folgen eines Suizids zu denken wäre.

Das gesamte weitere Vorbringen des Beklagten zu einer Erkrankung des Klägers und zu den daraus resultierenden Folgen lässt sich allein aus dem Umstand, dass jemand psychische Probleme gehabt habe, nicht ableiten. Psychische Erkrankungen gibt es zahlreiche und mit völlig unterschiedlichen Verläufen. Es ist zuzugeben, dass manisch-depressive Erkrankungen - und das ist gerichtskundig - die vom Beklagten dargestellten Auswirkungen haben. Es ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich, warum sich der Beklagte, der nach seinem - wie gesagt: in der Berufungsverhandlung nochmal nachgefragt - eigenen Wissen nur von einer psychischen Erkrankung wisse, gerade auf eine manische Depression kapriziert.

Selbst wenn das Vorbringen des Beklagten zu der konkreten psychischen Erkrankung zuträfe - wie eben nicht -, ergebe sich nichts anderes. Denn es würde letztlich nichts anderes bedeuten, als Personen mit schweren Erkrankungen de facto vom Arbeitsmarkt auszuschließen. Manisch-Depressive dürften nie in Arbeit treten, selbst dann nicht, wenn ihnen dies bei der Bewältigung ihrer Probleme hülfe. Gerade depressiven Menschen wird nach der Kenntnis des Gerichts von den behandelnden Ärzten nicht selten geraten, das Haus zu verlassen, sich unter Menschen zu mischen, sich auszutauschen. Dies dient der Ablenkung und der Überwindung, mithin der Heilung der Probleme. Das es hierbei zu einem "Versagen" kommen kann, ist ebenso wenig auszuschließen wie die Grippeerkrankung eines Gesunden, der sich ungeachtet einer grassierenden Grippeepidemie in Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen - etwa in einem Kino - aufhält. Die Auffassung des Beklagten zu Ende gedacht dürfte auch eine solche Person mit Blick auf das Risiko einer Erkrankung jedenfalls für die Dauer der Inkubationszeit nicht in Arbeit treten. Dies will jedoch das Merkmal des "Verschuldens" in § 3 EFZG nicht verhindern.

Letztlich steht auch die Kausalität des Verhaltens des Klägers in Frage. Denn bis zum 05.11.2001 hat der Kläger jedenfalls keine Entgeltfortzahlung aus Anlass einer Arbeitsunfähigkeit bezogen. Dies streitet jedenfalls bis zu diesem Zeitraum gerade gegen das Vorliegen einer Erkrankung. Damit hätte ein Verstoß in dem Sinne, wie ihn der Beklagte geltend macht, jedenfalls nicht zu einer Verlängerung einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit geführt, wäre ein solcher Verstoß jedenfalls nach dem vorstehend Gesagten also nicht kausal.

3.

Reisekosten hat der Beklagte dem Kläger aus den zutreffenden Erwägungen in dem angefochtenen Urteil, denen die Berufungskammer folgt, zu Unrecht vom Gehalt abgezogen. Die Aufrechnung mit einer Überzahlung ist nicht begründet. Hier geht es wieder um die für den Monat November 2001 bereits bezogene Vergütung. Diese hat sich der Kläger aber bereits bei seiner Gesamtforderung für den Monat November 2001 anrechnen lassen.

II.

Der Beklagte hat aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner ohne Erfolg gebliebenen Berufung zu tragen.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die dafür gesetzlich vorgesehenen Zulassungsvoraussetzungen sämtlich nicht erfüllt sind. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht ihrerseits durch Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde) angefochten werden kann. Möglich ist dies unter den in § 72 a ArbGG genannten Voraussetzungen, auf die hingewiesen wird.

Ende der Entscheidung

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