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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 27.11.2002
Aktenzeichen: 2 Sa 572/01
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ArbGG § 72 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

Az.: 2 Sa 572/01

Verkündet am 27. November 2002

In dem Rechtsstreit

...

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 2 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 27.11.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 22. Februar 2001 - 8 Ca 4453/00 - wird auf Kosten der Klägerin

zurückgewiesen.

Revisionszulassung: keine.

Tatbestand:

Die Parteien streiten auch in dem Berufungsverfahren weiter über die tarifgerechte Vergütung der Klägerin.

Von der erneuten Darstellung des Tatbestands im Ersten Rechtszug wird aufgrund der Regelung in § 543 Abs. 1 ZPO a. F. abgesehen. Dort hat die Klägerin noch beantragt,

1. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, sie - die Klägerin - seit 01.04.1999 in die Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 1 a der Anlage 1 a zum BAT-O einzugruppieren und zu entlohnen;

2. im Falle der Abweisung des Antrages zu 1. hilfsweise festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, sie - die Klägerin - seit 01.04.1999 in die Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1 b der Anlage 1 a zum BAT-O einzugruppieren und zu entlohnen.

Diese Klage hat das Arbeitsgericht insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 18.05.2001 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 18.06.2001 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Frist für die Begründung der Berufung bis 20.08.2001 am 14.08.2001 begründet.

Nunmehr macht die Klägerin geltend, nach erfolgreichem Fallgruppenbewährungsaufstieg aus Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 1 b BAT-O/VKA Vergütung gemäß Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1 c BAT-O/VKA beanspruchen zu können.

Denn sie erfülle die Tätigkeitsmerkmale "gründliche und vielseitige Fachkenntnisse" und "selbständige Leistungen", und zwar letztere zu mindestens 50 % der Zeitanteile.

Was das Tarifmerkmal "selbständige Leistungen" anbelangt, trägt die Klägerin vor:

Bei der Bewertung des Arbeitsvorgangs Nr. 8 "Eheschließungen" aus der Stellenbeschreibung 1999, Zeitanteil 24 %, werde von der Beklagten wegen der von der Klägerin für unzulässig gehaltenen Aufspaltung in zwei verschiedene Arbeitsvorgänge lediglich hinsichtlich 7 % Zeitanteilen das Erfordernis selbständiger Leistungen bejaht. Dies sei jedoch für den gesamten Arbeitsvorgang mit 24 % Zeitanteilen zu bejahen. So erforderten nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt in dessen Urteil vom 24.05.1963 - 4 Sa 50/63 - sowie des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein im Urteil vom 04.07. 1998 - 2 Sa 17/68 - Aufgebotsverhandlungen häufige und Trauungen regelmäßig selbständige Leistungen i. S. der tarifvertraglichen Definition.

Auch die Bewertung der richtigerweise zusammengefaßten Arbeitsvorgänge Nr. 6 und Nr. 9 (Zeitanteil 6,5 %), Nr. 7 und Nr. 18 (Zeitanteil 15 %) und Nr. 12 und Nr. 15 (Zeitanteil 11 %) sowie des Arbeitsvorgangs Nr. 13 (Zeitanteil 10 %) aus der Stellenbeschreibung 1999 führe zur Bejahung des Tätigkeitsmerkmals der selbständigen Leistungen. Bei allen genannten Arbeitsvorgängen handele es sich um personenstandsrechtliche Beurkundungen und damit im Zusammenhang stehende Tätigkeiten.

Bei diesen sei zu beachten, daß die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Standesbeamtin nicht nur in sachlicher Hinsicht weisungsfrei sei und in der Verwaltung insofern eine Sonderstellung einnehme, sondern darüber hinaus wie ebenfalls nur dem Gesetz unterworfene Richter, Rechtspfleger oder Urkundsbeamte in erheblichem Maße eigene geistige Initiative bei ihrer Arbeit einsetze. Die im Personenstandsrecht unstreitig vorgegebene Formenstrenge schlage sich nur in der reinen Beurkundungsform - dem Beurkundungsakt - nieder, nicht jedoch bei der Klärung materiell-rechtlicher Fragen, die der Beurkundung voranzugehen hätten und diese erst ermöglichen. Somit schließe die sicherlich vorhandene Formenstrenge geistige Initiative jedenfalls überwiegend nicht aus. Auch seien hierbei komplexe Lebensvorgänge auf eine Kurzformel zu bringen und in einen amtlichen Vordruck, der nur bestimmte Sachverhalte, bei weitem jedoch nicht jeden Einzelfall erfasse, einzupassen. Dies gelte verstärkt in den häufigen Fällen des Abfassens einer Einzelurkunde. Ihre verlautbarungs-bedürftigen und veröffentlichungsfähigen Ergebnisse müßten also aufgenommen, rechtlich geprüft und bewertet und sodann in Form einer Beurkundung verarbeitet werden. Anders als beispielsweise im Registerrecht erfordere also das Personenstandswesen selbständige Leistungen.

Damit erfülle die Klägerin als Standesbeamtin, die 88 % Zeitanteile an ihrer Gesamtarbeitsleistung ausmache, mit 66,5 % Zeitanteilen an der Gesamtarbeitszeit das Tätigkeitsmerkmal der selbständigen Leistungen.

Auch die Bewertung ihrer Tätigkeit als Mitarbeiterin im Hauptamt und richtigerweise zu einem Arbeitsvorgang zusammenzufassende Arbeitsvorgänge Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 17 der Stellenbeschreibung 1999 mit einem Zeitanteil von insgesamt 19 % ergäbe die Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals der selbständigen Leistungen auch insoweit.

Hierbei handele es sich um die Bearbeitung versicherungstechnischer, aber insbesondere auch versicherungsrechtlicher und schadensersatzrechtlicher Probleme und Fragestellungen. Im Rahmen dieses Arbeitsvorgangs habe die Klägerin die Fachämter der Beklagten in versicherungstechnischen und versicherungsrechtlichen Fragen zu beraten, aber auch Versicherungsverträge der Beklagten auszuhandeln und abzuschließen sowie ggf. umzuwandeln oder zu kündigen. Insbesondere gehöre hierzu die Aufnahme und Bearbeitung von Schadensfällen in Abstimmung mit dem jeweiligen Versicherungsunternehmen. Hierunter fielen sowohl solche, bei denen die Beklagte Geschädigte sei, aber auch solche, bei denen Dritte, und zwar Einwohner, Schüler oder Eltern als Geschädigte Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten erhöben. Auch diese seien als völlig unvorhersehbare und gänzlich unterschiedliche individuelle Problemfälle zu erfassen, aufzunehmen, rechtlich zu prüfen und zusammenzufassen. Darüber hinaus seien in Zusammenarbeit mit den Versicherungsunternehmen Schadensersatzleistungen herbeizuführen. Dies erfordere ein den vorausgesetzten gründlichen und vielseitigen Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses und der Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative, mithin selbständige Leistungen.

Daraus resultiere die Bewertung der Arbeitsvorgänge mit der Bejahung des Tätigkeitsmerkmals der selbständigen Leistungen im Umfang von 76,5 % Zeitanteilen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 22.02.2001 - 8 Ca 4453/00 - festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an sie - die Klägerin - mit Wirkung seit 01.04.1999 Vergütung gemäß Vergütungsgruppe V b BAT-O/VKA zu zahlen.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung unter Einwilligung in die möglicherweise vorgekommene Klageänderung.

Die Beklagte stellt in Abrede, daß die Klägerin selbständige Leistungen von zumindest 50 % erbringe.

Wegen des Vorbringens der Parteien in seinen Einzelheiten wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht Vergütung nach Vergütungsgruppe V b BAT-O/VKA auch nach der Auswechslung der Anspruchsgrundlage im Berufungsverfahren nicht zu.

Die Berufung ist nicht deshalb unzulässig, weil die Klägerin im Ersten Rechtszug noch Vergütung auch nach einer bestimmten Fallgruppe beansprucht hat und durch die auch insoweit erfolgte Klageabweisung wegen des Auswechselns der Fallgruppe insoweit durch das angefochtene Urteil schon nicht beschwert wäre. Denn sachlicher Gegenstand des Eingruppierungsstreits ist nicht eine bestimmte Fall-, sondern die Vergütungsgruppe. Insoweit hat sich keine Änderung vollzogen.

Dahinstehen kann, ob die Auswechslung der Fallgruppe eine (zudem im Berufungsverfahren) zulässige Klageänderung darstellt. Dagegen streitet, daß vom Tarifmerkmal der "selbständigen Leistungen" von der Klägerin auch nach der im Ersten Rechtszug angezogenen Fallgruppe vorgetragen werden mußte und vorgetragen worden ist. Jedenfalls hat die Beklagte in eine etwaige Klageänderung eingewilligt, was genügt.

I.

Für die in Anspruch genommene Vergütungsgruppe müßte die Tätigkeit der Klägerin (zeitlich mindestens zur Hälfte) "selbständige Leistungen" erfordern.

Nach dem maßgebenden Klammerzusatz der Vergütungsgruppe erfordern selbständige Leistungen ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative, wobei eine leichte geistige Arbeit diese Anforderungen nicht erfüllen kann.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darf dabei das Tatbestandsmerkmal "selbständige Leistungen" nicht mit dem Begriff "selbständig arbeiten" i. S. von "allein arbeiten", d. h. ohne direkte Aufsicht und Lenkung durch Weisungen tätig zu sein, verwechselt werden. Unter selbständiger Leistung ist vielmehr eine Gedankenarbeit zu verstehen, die im Rahmen der für die Vergütungsgruppe vorausgesetzten Fachkenntnisse hinsichtlich der einzuschlagenden Wege, wie insbesondere hinsichtlich des zu findenden Ergebnisses eine eigene Beurteilung und eine eigene Entschließung erfordert. Kennzeichnend für selbständige Leistungen im tariflichen Sinne können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - ohne Bindung an verwaltungsrechtliche Fachbegriffe - ein wie auch immer gearteter Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses sein. Vom Angestellten werden Abwägungsprozesse verlangt, es werden Anforderungen an das Überlegungsvermögen gestellt; der Angestellte muß also unterschiedliche Informationen verknüpfen, untereinander abwägen und zu einer Entscheidung kommen (BAG vom 10.12.1997 - 4 AZR 221/96 -, AP Nr. 237 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 10.12.1997 - 4 AZR 350/96 -, AP Nr. 235 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 15.11.1995 - 4 AZR 557/94 -, AP Nr. 209 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 28.09.1994 - 4 AZR 542/93 -, AP Nr. 185 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

Ein selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative ist beispielsweise angenommen worden, wenn der Angestellte alternativ entscheiden muß, welche Vorschriften im Einzelfall einschlägig und anzuwenden sind. Gefordert wurde eine gewisse Entscheidungsbefugnis über die in Betracht kommende Arbeitsmethode, den einzuschlagenden Weg und das zu findende Ergebnis sowie zugleich auch eine gewisse Eigenständigkeit des Aufgabenbereichs; auch eine gewisse Freiheit von Weisungen und Anleitungen wurde - beispielsweise - vorausgesetzt (LAG Hamm vom 27.06.1985 - 5 Sa 213/85 -).

Eine "selbständige Leistung" wurde beispielsweise dann nicht angenommen, wenn Erfahrungswissen Grundlage der zu treffenden Entscheidung ist (LAG Niedersachsen vom 04.10.1985 - 7 Sa 1524/88 D -). Sie wurde auch dann verneint, wenn etwa durch Vordrucke oder durch die Formenstrenge eines Rechtsgebiets der einzuschlagende Weg genau vorgezeichnet ist und dem Angestellten dadurch kein Raum bleibt, eine eigene geistige Initiative zu entwickeln (vgl. Hessisches LAG vom 13.11.1985 - 9 Sa 556/89 -).

Aus der Tatsache, daß zahlreiche, jeweils stark differenzierte Formulare zur Verfügung stehen, wurde der Schluß gezogen, daß keine selbständigen Leistungen erbracht werden (BAG vom 25.11.1981 - 4 AZR 305/79 -, AP Nr. 51 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

Schließlich wurde angenommen, daß die Überprüfung von Angaben in Formblättern auf Vollständigkeit und ggf. deren Ergänzung durch tatsächliche Angaben nicht zur Annahme "selbständiger Leistungen" reichten (Hessisches Landesarbeitsgericht vom 11.03.1994 - 9 Sa 913/93 -).

II.

Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung ist dies hier anders. Die Tätigkeit der Klägerin vollzieht sich im wesentlichen und überwiegend nach vorgezeichneten stark reglementierten Abläufen, die sie aber nicht selbst erarbeitet hat oder erarbeitet.

Bei einer Eingruppierungsfeststellungsklage - wie hier - ist es Sache der Klägerin, diejenigen Tatsachen darzulegen (und im Bestreitensfall zu beweisen), die den rechtlichen Schluß auf das Vorliegen der Anforderungen des zur Begründung des Anspruchs angezogenen Tätigkeitsmerkmals zulassen. Ihr Sachvortrag muß erkennen lassen, daß die auszuübenden Tätigkeiten den tariflichen Rechtsbegriff erfüllen. Bezogen auf das Merkmal "selbständige Leistungen" heißt das: Aus dem Tatsachenvortrag der Klägerin muß sich u. a. ergeben, inwiefern ein Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum besteht, inwieweit Abwägungsprozesse verlangt werden, in welchem Umfang also eine eigene geistige Initiative gefordert ist (BAG vom 10.12.1997, a. a. O.).

Derartiges leistet das Vorbringen der Klägerin aber nicht. Soweit ihr Vorbringen streitig ist, fehlt es hinsichtlich des Merkmals der "selbständigen Leistungen" im übrigen im wesentlichen auch schon an Beweisantritten (lediglich im Ersten Rechtszug teilweise Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt):

1.

Der Hinweis auf die beiden Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte (vormals) Frankfurt/Main und Schleswig-Holstein führt nicht weiter. Die Entscheidungen ersetzen eigenen Sachvortrag nicht. Die Gerichte haben in diesen auch keine irgendwie gearteten Feststellungen getroffen, welche die Tätigkeit der Klägerin betreffen. Auf Seite 6 der von der Klägerin angezogenen Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein heißt es vielmehr sogar ausdrücklich, daß Aufgebotsverhandlungen häufiger und Trauungen regelmäßig selbständige Leistungen i. S. der Definition erforderten, was nach Ansicht des Gerichts "keiner näheren Erläuterung" bedürfe. Damit sind im Ergebnis nicht nur keine die Klägerin betreffenden (und für den hiesigen Rechtsstreit ohnehin nicht verwertbaren) "Tatsachen" festgestellt worden, sondern - im Gegenteil - ist lediglich eine, darüber hinaus noch nicht einmal näher erläuterte, Rechtsbehauptung aufgestellt worden. In der Folge - und darauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen - relativiert das Landesarbeitsgericht unter Bezugnahme auf die von der Klägerin ebenfalls angezogene Entscheidung des vormaligen LAG Frankfurt seine Begründung sogar noch, indem es ausführt:

"Sogar bei der Beurkundung von Geburts- und Todesfällen kann ausnahmsweise, etwa wenn der Fall eines Ausländers ansteht, die Entwicklung eigener geistiger Initiative erforderlich werden, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu gelangen. Regelmäßig aber handelt es sich in den angesprochenen Beurkundungsfällen und selbst bei den meisten Aufgebotsverhandlungen um Vorgänge, die sich ständig und völlig gleichbleibend wiederholen. Denn angesichts der Formstrenge des Personenstandsrechts bleibt eben nur in verschwindend geringen Ausnahmefällen überhaupt Raum für den Standesbeamten, eigene geistige Initiative zu entwickeln, weil der einzuschlagende Weg durch das Gesetz stets genau vorgezeichnet ist (so auch LAG Frankfurt/M., Urt. vom 24.5.1963 - Akt.Z. 4 Sa 50/63)".

Das Landesarbeitsgericht hat also, um es noch einmal zu wiederholen, das Gegenteil von dem entschieden, was die Klägerin daraus entnimmt. Die für den Fall der Beteiligung eines Ausländers formulierte Ausnahme ist auch bei der Klägerin nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung keine Regel. Nicht die Beklagte oder ihre Personalleiterin, sondern sie, die Klägerin, muß darlegen und im Streitfall - wie hier - beweisen, in wievielen Fällen sie unter Beteiligung von Ausländern tätig wird. Anders kann das Gericht keinen Schluß daraus ziehen, ob die Beteiligung eines Ausländers, was im übrigen auch noch erörterungsbedürftig wäre, allein die Annahme "selbständiger Leistungen" rechtfertigt.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die neuere Rechtsprechung sogar eine gegenteilige Tendenz entwickelt. So ist nach der Auffassung des Hessischen Landesarbeitsgerichts (vom 07.10.1997 - 9 Sa 1059/97 -, S. 10 f.) das Trauen von Hochzeitspaaren gerade keine "selbständige Tätigkeit" i. S. der Tarifmerkmale. Mit der Begründung, daß verstärkt ausländische Familien heiraten würden und die Klärung aller Formalien in diesen Fällen häufig besonders schwierig sei, könnten die qualifizierten Heraushebungsmerkmale der Vergütungsgruppe V b BAT nicht begründet werden. Bei einer Trauung handele es sich um reinen Normvollzug des Personenstandsrechts, der keinen Raum für eine Ermessensentscheidung als zwingende Voraussetzung für selbständige Leistungen biete.

Diese immerhin für ein Bundesland mit überdurchschnittlich hohem Ausländeranteil getroffene Entscheidung (Ausgangsfall aus dem Rhein/Main-Gebiet, Ausgangsgericht Arbeitsgericht Hanau) bleibt also, anders als das LAG Schleswig-Holstein, nicht bei einer bloßen Rechtsbehauptung stehen. Ihr (der Entscheidung) schließt sich die Kammer insofern an, als es sich jedenfalls bei einer Trauung um reinen Normenvollzug des Personenstandsrechts handelt, der keinen Raum für eine irgendwie geartete Ermessensentscheidung bietet. Solchen hat die Klägerin im übrigen auch nicht dargelegt.

Daraus ergibt sich, daß auch bei einer Verbindung der aus ihrer Sicht unzulässig in zwei Arbeitsvorgänge aufgeteilten "Eheschließungen (leicht)" und "Eheschließungen (schwierig)" der gesamte darauf bezogene Zeitanteil von 24 % das Erfordernis der selbständigen Leistungen nicht erfüllt.

2.

Nichts anderes gilt hinsichtlich der 66,50 % Zeitanteile ausmachenden Arbeitsvorgänge um personenstandsrechtliche Beurkundungen und damit im Zusammenhang stehende Tätigkeiten:

a) Es ist nicht richtig, daß die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Standesbeamtin in sachlicher Hinsicht weisungsfrei sei. Vielmehr ist es so, daß sie dann, wenn sie eine Amtshandlung ablehnt, sie auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde durch das Amtsgericht dazu angehalten werden kann (§ 45 Abs. 1 Personenstandsgesetz).

b) Ob die Klägerin wie Richter, Rechtspfleger oder Urkundsbeamte in erheblichem Maße eigene geistige Initiative bei ihrer Arbeit einsetzt, ist eine Rechtsfrage, die durch das Aufstellen der diesbezüglichen Rechtsbehauptung nicht beantwortet wird.

c) Bei einer Durchmusterung sämtlicher die Beurkundung durch den Standesbeamten betreffenden Vorschriften des Personenstandsgesetzes findet sich so gut wie keine Vorschrift, die dem Standesbeamten bei der Beurkundung irgendein Ermessen nachläßt. Die Vorschriften sind überwiegend so formuliert, daß der Standesbeamte eine bestimmte Handlung vorzunehmen "hat". Fast nie heißt es "soll". Selbst bei sich bietenden Alternativen erfolgt sofort immer eine bestimmte Vorgabe, in aller Regel mit einer Anweisung i. S. eines "hat" und praktisch nie i. S. eines "soll".

Nach § 9 Satz 1 Personenstandsgesetz "ist" jede Eheschließung im Beisein der Ehegatten zu beurkunden. Erfolgt die Eheschließung in Gegenwart von Zeugen, so "ist" nach Satz 2 dieser Vorschrift die Beurkundung auch in ihrem Beisein vorzunehmen.

Nach § 11 Abs. 2 Personenstandsgesetz "ist" die Eintragung von den Ehegatten, den Zeugen und dem Standesbeamten zu unterschreiben.

Nach § 12 Abs. 1 Personenstandsgesetz "wird" das Familienbuch im Anschluß an die Eheschließung von dem Standesbeamten angelegt. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift "werden" hier bis in die Einzelheiten vorgeschriebene Angaben eingetragen. Nach § 12 Abs. 3 bzw. § 13 Abs. 1 Satz 1 Personenstandsgesetz "wird" bzw. "ist" ein Familienbuch (ständig) fortzuführen.

Diese Beispiele ließen sich beliebig weiterführen. So räumt nicht eine weiter in § 13 Personenstandsgesetz enthaltene Regelung ein irgendwie geartetes Ermessen ein. Das gleiche gilt für § 14 (Weitere Eintragungen) Personenstandsgesetz, § 15 (Eintragungen über Kinder) Personenstandsgesetz, § 15 a (Anlegung auf Antrag) Personenstandsgesetz und sofort. Selbst dort, wo ein Ermessen nachgelassen scheint (etwa in § 15 c Personenstandsgesetz über die Erklärung oder Führung oder Wiederannahme von Ehe- oder Geburtsnamen, wonach hier auch von den Standesbeamten beglaubigt oder beurkundet werden "kann"), ist dies lediglich als eine von dem Erklärenden wählbare Alternative zu verstehen. Es ist nicht etwa so, daß der Standesbeamte eine Wahlmöglichkeit hätte. Bei den weiteren Bestimmungen des Personenstandsgesetzes über das Geburten- und das Sterbebuch gilt im folgenden im Vergleich zu den vorstehenden Beispielsfällen nichts anderes. Selbst in den Fällen der Beurkundung des Personenstands in besonderen Fällen und Entscheidung bei Zweifeln über die örtliche Zuständigkeit, die wahrscheinlich höchst schwierig sind (Standesfall im Ausland, Sterbefälle von KZ-Häftlingen, Eintragung im Sterbebuch des Sonderstandesamtes in Arolsen usw.) wird nirgendwo Ermessen nachgelassen. Einmal heißt es sogar, daß der Standesbeamte eine Entgegennahme von Anzeigen mit unvollständigen Angaben nicht ablehnen darf (§ 43 b Abs. 2 Personenstandsgesetz).

Auch wenn es richtig sein sollte, daß bei den Beurkundungsvorgängen komplexe Lebensvorgänge auf eine Kurzformel zu bringen und in einen amtlichen Vordruck, der nur bestimmte Sachverhalte erfasse, bei weitem jedoch nicht jeden Einzelfall, einzupassen seien, ändert sich nach dem Vorstehenden an den strikten Vorgaben des Personenstandsrechts nichts.

Für die von der Klägerin so bezeichneten "Einzelurkunden" ist personenstandsrechtlich nichts anderes als das Vorstehende vorgesehen und insbesondere Abweichungen auch nicht gestattet.

d) Damit fehlt es auch bei den weiteren 66,50 % der Zeitanteile an dem Tätigkeitsmerkmal der selbständigen Leistungen.

3.

Ob die Tätigkeit der Klägerin als Mitarbeiterin im Hauptamt zu 10 % das Tätigkeitsmerkmal der selbständigen Leistungen erfüllt, kann nach dem Vorstehenden dahinstehen.

4.

Dahingestellt bleiben kann auch, ob die Tätigkeit der Klägerin überhaupt mindestens zu einem Drittel selbständige Leistungen erfordert, was nach dem Vorstehenden allerdings nicht der Fall ist.

5.

Auf die weiteren Tarifmerkmale der angezogenen Vergütungsgruppe braucht nicht eingegangen zu werden, weil es bereits an dem Merkmal "selbständige Leistungen" fehlt, bei welchem Zuschnitt der Arbeitsvorgänge auch immer.

B.

Aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 1 ZPO fallen der Klägerin die Kosten ihrer ohne Erfolg eingelegten Berufung zur Last.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision ist auch nicht zuzulassen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, daß die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht ihrerseits durch Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde) angefochten werden kann. Möglich ist dies unter den in § 72 a ArbGG genannten Voraussetzungen.

Ende der Entscheidung

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