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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 22.06.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 640/04
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
Schließung des Ladengeschäftes von WÖHRL in der Leipziger Innenstadt.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

Az.: 2 Sa 640/04

Verkündet am 22. Juni 2005

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 2 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 22.06.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 02.06.2004 - 4 Ca 698/04 - wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Revisionszulassung: keine.

Tatbestand:

Die Parteien streiten auch in dem Berufungsverfahren unverändert darüber, ob das sie verbindende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung vom 16.01.2004, der Klägerin zugegangen am selben Tag, mit Ablauf des 30.04.2004 sein Ende gefunden hat.

Von der erneuten Darstellung des Tatbestandes im Ersten Rechtszug wird aufgrund der Regelung in § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und stattdessen auf den Tatbestand des angegriffenen Teilurteils des Arbeitsgerichts Leipzig verwiesen.

Dieses hat der Kündigungsschutzklage entsprochen. Zwar bestehe ein Kündigungsgrund. Dennoch sei die Kündigung unwirksam. Denn die Beklagte hätte vor Ausspruch der Kündigung eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten vornehmen müssen. In diese hätten auch die Arbeitnehmer in der Filiale ... einbezogen werden müssen. Denn mit diesen sei die Klägerin aufgrund des der Beklagten arbeitsvertraglich vorbehaltenen Versetzungsrechts vergleichbar. Die Beklagte hat gegen das ihr am 28.06.2004 zugestellte Teilurteil am 12.08.2004 Berufung eingelegt und einen Tag zuvor (11.08.2004) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gestellt.

Die Frist zur Begründung der Berufung war aufgrund rechtzeitigen Antrages verlängert bis 30.09.2004. An diesem Tag ist die Berufung dann auch ausgeführt worden.

Mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat es folgende Bewandtnis:

Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten ... die auch für Herrn Rechtsanwalt ... als dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten arbeitet, habe dieser in vorliegender Sache sowie in zwei Parallelverfahren unter dem 26.07.2004 drei Berufungsschriftsätze unterzeichnet. Nach der Unterschrift habe sie - Frau ... - von jedem Schriftsatz sechs Kopien gefertigt. Sie habe die drei Schriftsätze mit je vier Kopien in einen Umschlag gesteckt, ordnungsgemäß freigestempelt und mit der bereits angefallenen Post im roten Umschlag für freigestempelte Sendungen gegen 12:25 Uhr in den Briefkasten ...straße/Ecke ...straße eingeworfen, der um 16:30 Uhr geleert wird.

Aufgrund einer telefonischen Anfrage beim Landesarbeitsgericht nach dem Aktenzeichen am 02.08.2004 sei bekannt geworden, dass die Berufungsschriftsätze das Landesarbeitsgericht nicht erreicht hatten.

Zur Sache rügt die Beklagte, dass das Arbeitsgericht Beweisangeboten - Vernehmung eines der Geschäftsführer ihrer Komplementärin, und zwar des ... - nicht nachgekommen ist. Dann hätte sich ergeben, dass der Klägerin eine Weiterbeschäftigung in ..., ... und ... angeboten worden sei.

Bei ihren 13 Filialen - so die Beklagte weiter - handele es sich entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht um einen einheitlichen Betrieb. Die Zweigniederlassung ... habe über eigenständige organisatorische Planungs- bzw. Leitungshoheiten und auch Personalhoheit verfügt. So sei für sie beispielsweise eine eigene betriebswirtschaftliche Auswertung erfolgt. Nach dem Unternehmenskonzept sei der Leiter der Zweigniederlassung - also der Geschäftsleiter - der "Unternehmer vor Ort". Er habe eigene Budgets was Werbung angeht, setze eigenverantwortlich Preise fest, insbesondere Angebote und Reduzierungen. Im Verhältnis zu ihm sehe sich die Verwaltung nur als Dienstleister.

Das vom Arbeitsgericht zugrunde gelegte Direktionsrecht sei nicht praktiziert worden und insoweit durch betriebliche Übung und tatsächliche Gegebenheiten entfallen.

Mit Schriftsatz vom 20.06.2005 trägt die Beklagte erneut vor, dass der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung eine Weiterbeschäftigung in der Zweigniederlassung ... in Aussicht gestellt worden sei.

Hier trägt sie weiter vor, dass sie die Personalverwaltung, die Buchhaltung und den Einkauf von einer anderen juristischen Person, und zwar der ... AG, (lediglich) "einkaufe". Die Personalhoheit jedoch liege beim Geschäftsleiter der jeweiligen Zweigniederlassung. Ein Tätigwerden in einer auswärtigen Betriebsstätte hätte durch Ausübung des Direktionsrechts nur vorübergehend angeordnet werden können.

In dem Schriftsatz wird dann auch dargestellt, welche Mitarbeiter des Betriebes ... in ... weiterbeschäftigt wurden.

Schließlich wird das Personal in ... mit Stand Januar 2004 aufgelistet und mitgeteilt, die anderen Arbeitnehmer seien mit der Klägerin nicht vergleichbar. Denn sie arbeiteten mit einem anderen Vertragsmodell, dem Leistungsträgervertrag. Nach den Erläuterungen in der Berufungsverhandlung erfolge in derartigen Verträgen eine spezielle Gewichtung der Provision. Es gebe also ein geringeres Grundgehalt. Richtig sei aber, dass die aus der ... nunmehr in ... Beschäftigten ihre Arbeitsverträge mitgenommen hätten.

Die Beklagte beantragt

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren und weiter, die Kündigungsschutzklage unter Abänderung des Teilurteils des Arbeitsgerichts Leipzig vom 02.06.2004 - 4 Ca 698/04 - abzuweisen.

Die Klägerin beantragt ohne Stellungnahme zu dem Wiedereinsetzungsantrag

die Zurückweisung der Berufung.

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen des Vorbringens beider Parteien wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Zwar hat die Beklagte die Berufungsfrist versäumt. Es ist ihr jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen dieser Versäumung zu gewähren:

1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig. Insbesondere ist nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung die Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen gewahrt. Denn in der Berufungsverhandlung wurde durch anwaltliche Versicherung in Ergänzung der vorliegenden eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, dass die Erkundigung beim Landesarbeitsgericht am 02.08.2004 erfolgt ist. Anlass hierfür war der Umstand, dass wegen des Fortgangs des Verfahrens in einer Parallelsache der Verfahrensstand festgestellt werden sollte. Dabei sei bekannt geworden, dass die Berufungsschriftsätze in drei verschiedenen Verfahren, darunter in der vorliegenden Sache, das Landesarbeitsgericht nicht erreicht hatten.

2. Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet.

Die Berufungsschrift ist so rechtzeitig zur Post gegeben worden, dass sie bei normalem Verlauf der Dinge, insbesondere mit Rücksicht auf die üblichen Postlaufzeiten, das Landesarbeitsgericht noch innerhalb der Berufungsfrist erreicht hätte. Aufgrund der Aufgabe zur Post noch am 26.07.2004 bestand auch kein Anlass, die Berufungsschrift vorab als Fernkopie (Telefax) zu übermitteln, wozu es aus Gründen des Zivilprozessrechts auch keine Verpflichtung gibt.

Für den Verlust auf dem Postweg ist hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Berufungsschrift in der von der Rechtsanwaltsfachangestellten ... geschilderten Weise zur Post gelangt ist.

Als anwaltlich versichert anzusehen ist auch, dass eine Berufungsschrift mit Datum vom 26.07.2004 verloren gegangen ist. Insoweit wurde im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags die Berufungsschrift vom 26.07.2004 in einem (identischen) Original neu ausgedruckt.

Die Kammer hat die Beklagte in der Berufungsverhandlung im Übrigen so verstanden, dass aus der Schließung der Filiale ... in ... eine Reihe von Kündigungsschutzsachen resultieren, und dort, wo für sie der Rechtsstreit im Ersten Rechtszug verloren gegangen ist, auch Berufung geführt wurde bzw. wird. In diesem Zusammenhang ist jedenfalls nicht erkennbar, dass und warum in der vorliegenden Sache sowie in den beiden in der eidesstattlichen Versicherung angesprochenen Parallelverfahren von der Einlegung der Berufung hätte abgesehen werden sollen.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Denn die - zulässige - Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsgericht hat ihr zu Recht entsprochen.

Jedenfalls die Sozialauswahl im Rahmen der streitgegenständlichen Kündigung war nicht von vornherein auf die Filiale ... beschränkt. Das Kündigungsschutzgesetz ist hinsichtlich der Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte betriebsbezogen. Eine Einschränkung auf bestimmte Abteilungen oder diejenigen Betriebsteile, in denen der Bedarf für Arbeitskräfte entfallen ist, ist gesetzlich nicht zulässig (vgl. BAG vom 15.06.1989 - 2 AZR 580/88 - EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 27).

Für die Beurteilung, ob eine Betriebsstätte ein Betrieb ist, kommt es maßgeblich darauf an, ob die vom Arbeitgeber hergestellte organisatorische Einheit der Erreichung arbeitstechnischer Zwecke dient. Von Betrieben zu unterscheiden sind Betriebsteile, die gegenüber dem Hauptbetrieb organisatorisch unselbständig sind und eine Teilfunktion von dessen arbeitstechnischem Zweck wahrnehmen. Betriebsteile zeichnen sich dadurch aus, dass sie über einen eigenen Arbeitnehmerstamm, eigene technische Hilfsmittel und eine durch die räumliche und funktionale Abgrenzung vom übrigen Betrieb bedingte relative Selbständigkeit verfügen. Andererseits fehlt ihnen aber ein Leitungsapparat, um insbesondere in personellen oder sozialen Angelegenheiten wesentliche Entscheidungen selbständig treffen zu können (vgl. BAG vom 21.06.1995 - 2 AZR 693/94 - EzA § 23 KSchG Nr. 14).

Die räumliche Einheit ist dabei kein entscheidendes Kriterium. Auch zentral gelenkte Verkaufsstellen (Filialen) und organisatorisch unselbständige Betriebsstätten können trotz räumlich weiter Entfernung vom Hauptbetrieb mit dem jeweiligen Hauptbetrieb zusammen einen Betrieb bilden (vgl. BAG vom 21.06.1995, a. a. O.; KR-Etzel, § 1 KSchG Rdnr. 139 m. w. N.).

Bei dem Betrieb ... handelte es sich um eine zentral gelenkte Verkaufsstelle im vorstehenden Sinne. Bereits der Dienstvertrag der Parteien vom 12.04.1994 ist nicht von einem Filialleiter abgeschlossen worden, sondern durch die Zentralverwaltung der Beklagten in ... Die Gehaltsabrechnung wird zwar "eingekauft" und kommt aus ..., nicht jedoch kommt sie von der Filiale. Ein von der Klägerin vorgelegter Nachtrag zum Arbeitsvertrag zwischen der Firmengruppe ... und einer Frau ... ist auch nicht von einem Filialleiter unterzeichnet, sondern von dem einen Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten, dem Herrn ..., mit dem Zusatz "Zentraler Personalleiter". Nach § 1 Nr. 1.2 der "Betriebsordnung mit der Unternehmensgruppe" ist diese wesentlicher Bestandteil des Dienstvertrages. Aufgrund eines Zusatzes nach § 14 (Schlussbestimmungen) haben die Betriebsräte die Betriebsordnung anerkannt. Damit sind Regelungen in den Arbeitsvertrag der Parteien inkorporiert, die jedenfalls nicht aus der Filiale ... herrühren oder mit einem dort errichteten Betriebsrat abgeschlossen worden wären. Auch die streitgegenständliche Kündigung rührt wieder von dem Herrn ... und nicht von einem Filialleiter her. Als Absender wird wiederum die "Zentralverwaltung" genannt und Herr ... zeichnet über "Zentrale Personalleitung".

Das nach § 7 Nr. 7.1 der Betriebsordnung vorbehaltene Recht zur Versetzung in ein anderes Haus am Ort oder in der Nähe (bis 20 km), auch wenn es zu einer anderen ...-Firma gehört, streitet für eine zentrale Lenkung. Denn der versetzte Arbeitnehmer gelangt dadurch in eine Filiale unter anderer Leitung. Einen derartigen Wechsel organisieren aber nicht die Leiter der Filialen, sondern ersichtlich wiederum Herr... für die "Zentrale Personalverwaltung". Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten war er es, der nach der Schließung der Filiale ... die Möglichkeit anderer Verwendungen ausgelotet hat.

Es kann dahinstehen, ob es in der Vergangenheit zu Versetzungen in dem Umfang gekommen ist, den sich die Beklagte nach der Betriebsordnung vorbehalten hat. Denn des Versetzungsrechts hat sie sich nicht allein deshalb begeben, nur weil sie es nicht ausgeübt hat (weil sie es nicht ausüben musste).

Nach dem Vorstehenden erweist sich die arbeitsgerichtliche Entscheidung aus zwei Gründen als richtig:

Ergibt sich aus dem Vorbringen des Arbeitgebers, dass er die Sozialauswahl nicht auf nach dem Vortrag des Arbeitnehmers weitere vergleichbare Arbeitnehmer erstreckt hat (Nichtberücksichtigung der Arbeitnehmer einer vergleichbaren anderen Betriebsabteilung) und ergänzt der Arbeitgeber im Prozess seinen Vortrag nicht hinsichtlich dieser Arbeitnehmer, so ist die Behauptung des Arbeitnehmers, der Arbeitgeber habe soziale Gesichtspunkte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, als unstreitig anzusehen (BAG vom 15.06.1989, a. a. O.).

Das war die Situation im Ersten Rechtszug und im Berufungsverfahren bis zum Eingang des Schriftsatzes vom 20.06.2005.

Durch den Schriftsatz vom 20.06.2005 geht die Beklagte zwar nun erstmals auf die Arbeitnehmer ein, die in ... beschäftigt werden. Die fehlende Vergleichbarkeit der Klägerin mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern soll sich aus dem Vertragstyp ergeben, der die Grundlage der arbeitsrechtlichen Beziehungen mit den Beschäftigten sei. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn das vorbehaltene Versetzungsrecht differenziert nicht nach der Gestaltung der arbeitsvertraglichen Beziehungen. Außerdem hat diese unterschiedliche Gestaltung arbeitsvertraglicher Beziehungen die Beklagte nicht davon abgehalten, Mitarbeiter aus der ... nunmehr im ... zu beschäftigen, wobei diese ihre Arbeitsverträge mitgenommen haben.

Der Schriftsatz vom 20.06.2005 ist danach nicht geeignet, die Fehlerhaftigkeit der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten auszuräumen.

Der Schriftsatz ist eher geeignet, das Vorliegen eines Kündigungsgrundes in Zweifel zu ziehen. War es so, dass Mitarbeiter aus der ... im ... Beschäftigung finden konnten, steht infrage, ob die Kündigung der Klägerin aus dringenden betrieblichen Erfordernissen heraus bedingt war, die ihrer Weiterbeschäftigung entgegenstehen. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn es im ... Beschäftigungsmöglichkeiten gab, die dort erfolgte Weiterbeschäftigung anderer Mitarbeiter nicht an der Gestaltung der Arbeitsverträge scheiterte und sich der Wechsel der Mitarbeiter erkennbar unproblematisch hat bewerkstelligen lassen.

III.

Die Beklagte hat aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer ohne Erfolg gebliebenen Berufung zu tragen.

Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar. Auch sonst ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es an Gründen hierfür fehlt.

Ende der Entscheidung

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