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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 19.04.2002
Aktenzeichen: 3 Sa 134/01
Rechtsgebiete: BAT-O, TVG, SächsRKG


Vorschriften:

BAT-O § 42 Abs. 1 a
TVG § 4 Nr. 1
SächsRKG § 2
SächsRKG § 3
SächsRKG § 4
SächsRKG § 5
SächsRKG § 9
1) Erwartet die Schulbehörde von Lehrer die Durchführung von als pädagogisch notwendig erachteten Schul (Klassen-) Fahrten, so kann sie die Genehmigung hierzu nicht von einen Verzicht des Lehrers auf die Reisekostenvergütung gem. § 42 Abs. 1 BAT-O anhängig machen.

2) Ein vorheriger Verzicht auf die Reisekostenvergütung gem. § 42 BAT-O ist ein tarifgebundes Arbeitsverhältnis gem. § 4 Abs. 1 und 3 TVG unwirksam.


Az.: 3 Sa 134/01

Verkündet am 19. April 2002

Im Namen des Volkes URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 3 - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 19.04.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 05.12.2000 - 7 Ca 4216/00 - wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1 des Tenors des Urteils vom 05.12.2000 lautet:

Das Versäumnisurteil vom 26.09.2000 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 187,00 DM (jetzt: 95,61 €) nebst 4 % Zinsen hieraus seit 26.03.2000 zu zahlen.

2. Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin Auslagen zu erstatten, die dieser anlässlich einer sog. Schulfahrt entstanden sind.

Die Klägerin steht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als Vollzeitlehrerin im staatlichen Schuldienst des Beklagten. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich gemäß beiderseitiger Tarifbindung, daneben auch mittels arbeitsvertraglicher Inbezugnahme (siehe Änderungsvertrag vom 10.09.1991, Bl. 31 d. A.) nach dem BAT-O. Die Klägerin erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O.

Am 23.11.1999 beantragte die Klägerin für ihre Klasse 3 b unter Verwendung des Formulars "Antrag auf Genehmigung von Schulwanderungen und Schulfahrten" bei ihrer Schulleitung die Genehmigung einer Landheimfahrt zur Jugendfreizeitstätte "..." in ... für die Zeit vom 06. bis 10.12.1999 mit ihrer Person als Leiterin sowie einer Begleitperson. Der Antrag galt gleichzeitig als Dienstreiseantrag. Der gesondert von ihr und der Begleitperson unterzeichnete Abschnitt C "Erklärung zum Verzicht auf Erstattung von Reisekostenvergütung nach Maßgabe des Sächsischen Reisekostengesetzes" (Bl. 35 d.A.) lautet:

"Ich wurde vom Schulleiter/der Schulleiterin/der personalverwaltenden Stelle darauf hingewiesen, dass die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel für eine Abrechnung der durch die o. g. Maßnahme anfallenden Kosten nach Maßgabe des Sächsischen Reisekostengesetzes ggf. nicht ausreichend sind.

Da die Veranstaltung trotzdem durchgeführt werden soll, verzichte ich auf die Zahlung der Reisekostenvergütung, soweit die für die Maßnahme zugewiesenen Pauschalbeträge zur Deckung der anfallenden Kosten nicht ausreichend sind."

Der Antrag wurde hierauf von der Schulleitung genehmigt.

Die Veranstaltung fand statt. Hierbei entstanden der Klägerin Kosten für vier Übernachtungen mit Vollverpflegung, zwei Tagesfahrten mit Reisebus, An- und Abfahrt sowie Eintrittsgelder in Museen in Höhe von insgesamt 187,00 DM (siehe Quittung Bl. 11 d. A.). Diese Kosten machte die Klägerin unter Verwendung eines Reisekostenabrechnungs-Formulars mit Schreiben vom 26.03.2000 (Bl. 36 d.A.) beim zuständigen Regionalschulamt Dresden geltend. Sie "widerrief gleichzeitig ihre Verzichtserklärung vom 23.11.1999.

Das Regionalschulamt wies die Forderung auf Erstattung der Kosten mit Schreiben vom 16.05.2000 (Bl. 13 d. A.) zurück. In diesem Schreiben wird u. a. darauf verwiesen, dass Schulfahrten "ein wesentlicher Bestandteil der Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schule" seien, dass bedacht werden möge, "wie wichtig diese Projekte für die Entwicklung der Kinder sind".

Mit am 09.06.2000 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Sie hat u. a. darauf verwiesen, dass gemäß § 4 Abs. 4 TVG nicht wirksam auf tarifliche Ansprüche - um einen solchen handelt es sich hier - verzichtet werden könne.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 187,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26.03.2000 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Ansicht des Beklagten läge ein wirksamer Verzicht vor. § 42 BAT-O verweise auf das Beamtenrecht. Dort sei ein Verzicht auf Reisekosten möglich.

Nachdem für die Klägerin im Termin am 26.09.2000 niemand erschienen war, hatte das Arbeitsgericht auf Antrag des Beklagten ein klageabweisendes Versäumnisurteil verkündet. Auf Einspruch der Klägerin verurteilte das Arbeitsgericht mit Urteil vom 05.12.2000 den Beklagten gemäß Klageantrag, legte dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auf, setzte den Streitwert auf 187,00 DM fest und ließ die Berufung zu. In den Entscheidungsgründen, auf welche im Übrigen Bezug genommen wird (Bl. 88/89 d. A.), führte das Arbeitsgericht aus, die Klägerin hätte nicht wirksam gemäß § 4 Abs. 4 TVG verzichten können, der Anspruch ergäbe sich hier nicht aus der unmittelbaren Anwendung des Beamtenrechts, sondern aus der tariflichen Vorschrift des § 42 BAT-O.

Gegen dieses ihm am 10.01.2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 06.02.2001 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und am 05.03.2001 ausgeführte Berufung des Beklagten. Dieser vertritt weiterhin die Ansicht, der Verzicht verstoße nicht gegen § 4 Abs. 4 TVG. § 42 Abs. 1 a BAT-O verweise hinsichtlich aller Voraussetzungen auf das Sächsische Reisekostengesetz. Auf eine Reisekostenvergütung hieraus könne wirksam verzichtet werden. Es handele sich nicht um einen tariflichen Anspruch.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 05.12.2000 - 7 Ca 4216/00 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach Ansicht der Klägerin stünde die Verzichtserklärung nicht in der Disposition des einzelnen Lehrers. Nur mit Verzicht werde ein Antrag auf eine Schullandfahrt bearbeitet. § 42 BAT-O begründe einen Anspruch auf Reisekostenvergütung als tarifliches Recht. Ein Verzicht sei deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG möglich. Der Lehrer sei zur Durchführung von Klassenfahrten verpflichtet.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze bei den Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die vom Arbeitsgericht zugelassene und somit statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch auf Reisekostenvergütung anlässlich einer Schulfahrt zu.

1.

Der Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom 26.09.2000 ist zulässig und begründet. Er führt zur Aufhebung des Versäumnisurteils sowie zur Verurteilung des Beklagten gemäß Klageantrag. Denn die zulässige Klage ist begründet. Der Anspruch beruht auf § 42 Abs. 1 a BAT-O i. V. m. den §§ 2 bis 5, 9 des Sächsischen Reisekostengesetzes (SächsRKG) und § 4 Abs. 1 TVG.

2.

Der Begriff der Reisekostenvergütung i. S. des § 42 Abs. 1 a umfasst die in § 4 SächsRKG aufgelisteten Einzelpositionen. Es gehören somit hierzu nicht nur die Fahrtkosten- und Übernachtungskostenerstattung, sondern auch die Erstattung sämtlicher Auslagen, welche zur Erfüllung des Dienstgeschäftes notwendig waren, im vorliegenden Fall also auch Exkursionskosten wie Eintrittsgelder in Museen.

3.

Auf die Verzichtserklärung der Klägerin im Rahmen ihres Antrages auf Genehmigung der Schulfahrt vom 23.11.1999 kann sich der Beklagte nicht berufen. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob nicht selbst bei Wirksamkeit des Verzichts Teilbeträge an die Klägerin zu erstatten wären, da sie unter die Einschränkung des Verzichts fielen ("soweit die für die Maßnahme zugewiesenen Pauschalbeträge zur Deckung der anfallenden Kosten nicht ausreichend sind" - der Beklagte hat eine genaue Abrechnung der zugewiesenen Pauschalbeträge nicht vorgelegt).

a) Schulfahrten sind erwünschte, pädagogisch als notwendig anerkannte Veranstaltungen. Die Teilnahme von Lehrern hieran wird vom Arbeitgeber erwartet.

So heißt es in Ziffer 1.2 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Durchführung von Schulwanderungen und Schulfahrten (VwV-Schulfahrten) vom 08.06.1999 (Bl. 39 bis 43 d. A.):

"Schulwanderungen und Schulfahrten sind ein wichtiger Bestandteil der Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schule. Sie vertiefen, erweitern und ergänzen den Unterricht. Die Sozial- und Gemeinschaftsfähigkeit der Schüler wird in besonderer Weise unterstützt und gefördert."

Die Teilnahme von Schülern an genehmigten Schulfahrten ist Pflicht. Die Teilnahme der Lehrkräfte hieran gehört zu deren dienstlichen Aufgaben (Ziffer 6.1 der VwV-Schulfahrten). Im Regelfall obliegt die Leitung dem Klassenlehrer. Die Bedeutung von Schulfahrten hebt auch der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 30.09.1983 hervor, welcher als Anlage zur VwV-Schulfahrten vom 08.06.1999 im Ministerialblatt des SMK vom 22.07.1999 bekannt gemacht wurde (vgl. Bl. 48 d. A.). Hierin wird betont, dass durch den Aufenthalt im Schullandheim Unterricht und Erziehung in besonders günstiger Weise miteinander verbunden werden können. Es wird die Forderung gestellt, dass jeder Schüler mindestens einmal während seiner Schulzeit an einem Schullandheim-Aufenthalt teilnehmen sollte.

Die Bedeutung von Schulfahrten betont ebenso das den Antrag auf Reisekostenvergütung ablehnende Schreiben des Regionalschulamtes vom 16.05.2000 (Bl. 23 d.A.).

Aus alldem ergibt sich, dass der Beklagte von den Klassenlehrern die Durchführung von Schulfahrten erwartet. Weigerte sich der Klassenlehrer, sich an einer solchen als pädagogisch notwendig erachteten Veranstaltung zu beteiligen, so verletzte er seinen Erziehungs- und Bildungsauftrag (§ 40 Abs. 2 SächsSchulG).

Vom Lehrer einerseits die Durchführung von Schulfahrten als dienstliche Aufgabe zu erwarten, andererseits Schulfahrten nur bei Verzicht auf die Reisekostenvergütung zu genehmigen, stellt - der Verzicht wäre Erlassvertrag i. S. des § 397 Abs. 1 BGB - eine unzulässige Rechtsgestaltung dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - ein Verzicht auf jegliche Kostenerstattung beabsichtigt war, also selbst der Verzicht auf die reinen Fahrtkosten zu und vom Landheim. Durch die Art der Vertragsgestaltung, nämlich Kombination der Vereinbarung einer Schulfahrt mit einer Verzichtserklärung, wird gerade der pflichtbewusste, seinen Erziehungs- und Bildungsauftrag ernst nehmende Lehrer benachteiligt. Hierin liegt eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die in einem Missbrauch der Vertragsfreiheit besteht. Im Wege der Vertragskorrektur ist deshalb festzustellen, dass es dem Beklagten verwehrt ist, sich auf die Verzichtserklärung zu berufen.

b) Darüber hinaus ist der Verzicht auch wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1, 3 TVG unwirksam.

Die Parteien sind tarifgebunden. § 42 BAT-O stellt eine zwingende normative tarifliche Regelung i. S. des § 4 Abs. 1 TVG dar und enthält keine Öffnungsklausel i. S. des § 4 Abs. 3 TVG. Die Tarifvorschrift verweist "für die Erstattung" auf die für die Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Bestimmungen entsprechend. Damit gelten die materiellen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Reisekosten rechts des Beklagten als Inhalte des tariflichen Anspruchs. Es handelt sich um eine auch an anderen Stellen des Tarifvertrages anzutreffende Inbezugnahme anderweitiger Normen. Die für eine Abänderungsmöglichkeit sprechende Vorschrift des § 2 Abs. 3 BBesG (aus welcher im Umkehrschluss gefolgert wird, der Beamte könne außer auf seine Besoldung auf andere Ansprüche verzichten) ist in § 42 BAT-O gerade nicht in Bezug genommen worden (vgl. hierzu auch Clemens/Scheuring, Kommentar zum BAT, § 42 Erl. 2 a). Der als Erlassvertrag zu qualifizierende Verzicht stellt eine tarifwidrige "anderweitige Abmachung" i. S. des § 4 Abs. 3 TVG dar (dagegen greift § 4 Abs. 4 TVG nur bei bereits entstandenen Ansprüchen ein).

III.

Die Berufung war deshalb mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Tenor auch die vom Arbeitsgericht versäumte Aufhebung des Versäumnisurteils zu enthalten hatte.

IV.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Von der Auferlegung der Versäumniskosten gemäß § 344 ZPO wurde abgesehen, da erkennbar infolge der Säumnis keine Mehrkosten entstanden sind.

V.

Die Kammer hat wegen Divergenz zur Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts in dem Verfahren 7 Sa 984/00, jedoch auch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen. Auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung wird verwiesen.

Ende der Entscheidung

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