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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 06.11.2009
Aktenzeichen: 1 A 760/08
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 58
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 1 A 760/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen baurechtlichen Nachbarschutzes

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Schmidt-Rottmann und die Richterin am Verwaltungsgericht Berger

am 6. November 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29. Oktober 2008 - 3 K 1992/04 - wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat nicht gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, dass ein Zulassungsgrund vorliegt. Das Darlegungserfordernis verlangt, dass ein Antragsteller im Zulassungsverfahren zum einen zumindest einen Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 VwGO bezeichnet und zum anderen herausarbeitet, aus welchen Gründen die Voraussetzungen des bezeichneten Zulassungsgrundes erfüllt sind. Das Oberverwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung über die Zulassung der Berufung darauf beschränkt, das Vorliegen der von dem Antragsteller bezeichneten Zulassungsgründe anhand der von ihm vorgetragenen Gesichtspunkte zu prüfen.

Der von der Klägerin dargelegte Zulassungsgrund liegt nicht vor.

An der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund dient der Gewährleistung der materiellen Richtigkeit der Entscheidung des jeweiligen Einzelfalls, mithin der Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit. Er soll eine berufungsgerichtliche Nachprüfung des Urteils des Verwaltungsgerichts ermöglichen, wenn sich aus der Begründung des Zulassungsantrages ergibt, dass hierzu wegen des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses Veranlassung besteht. Ernstliche Zweifel sind deshalb anzunehmen, wenn tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt werden, dass der Ausgang eines Berufungsverfahrens als ungewiss erscheint (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.6.2000, DVBl. 2000, 1458). Da sich ernstliche Zweifel auf das Entscheidungsergebnis und nicht auf die dafür gegebene Begründung beziehen, scheidet eine Zulassung der Berufung aus, wenn sich die angefochtene Entscheidung aus anderen als den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen als richtig darstellt (SächsOVG, Beschl. v. 22.7.2002 - 5 B 103/02 - m. w. N. st. Rspr.).

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe ihre nachbarlichen Abwehrrechte gegen die Baugenehmigung verwirkt, nämlich zum einen ihr Recht, (noch) gegen die Baugenehmigung Widerspruch einlegen zu können, und zum anderen ihre materiellen Abwehrrechte gegen die Baugenehmigung. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei der Klägerin nicht i. S. des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO bekannt gegeben worden. Daher sei weder die Monats- noch die Jahresfrist in Gang gesetzt worden. Die Klägerin könne deshalb nicht geltend machen, dass sie aufgrund der Kenntnisnahme von der Baugenehmigung am 24.9.2003 gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. § 58 VwGO ein Jahr, mithin bis zum 24.9.2004, Zeit gehabt habe, Widerspruch einzulegen. Die Gesamtschau der zeitlichen Abläufe zeige, dass die Klägerin Treu und Glauben verletzt und damit ihre Rechte formell und materiell verwirkt habe. Sie habe erst am 20.4.2004 Widerspruch gegen die Baugenehmigung eingelegt, obwohl sie seit dem 24.9.2003 von ihr Kenntnis gehabt habe. Sie habe auch während der Bauarbeiten nichts gegen diese unternommen, sondern ihre nachbarlichen Belange gegenüber der Beigeladenen nur insoweit eingebracht, als es um die Errichtung eines Sicht- und Schallschutzes gegangen sei. Ein entsprechender Zaun sei errichtet worden, so dass die Klägerin ihr Ziel insoweit erreicht habe. Dafür, dass sie die erteilte Baugenehmigung nicht akzeptieren wolle, habe es bis zu diesem Zeitpunkt keinen Anhaltspunkt gegeben. Die Klägerin habe bis dahin vielmehr gegen die Baugenehmigung nichts eingewandt, sondern es sei eine Einigung erzielt worden. Die Beigeladene habe mit einem Widerspruch weder im Zeitpunkt der Fertigstellung des Vorhabens am 5.2.2004 noch als sie sich danach - am 26.2., 10.3. und 19.4.2004 - wegen nächtlicher Belieferungen bei ihr gemeldet und zivilrechtliche Unterlassungsansprüche geltend gemacht habe, rechnen müssen.

Die Klägerin wendet ein, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung. Sie habe bereits mit Schreiben vom 3.9.2003 zum Ausdruck gebracht, dass sie sich vorbehalte, Widerspruch und ggf. auch Klage gegen die Baugenehmigung zu erheben, sofern es nicht zu einer zivilrechtlichen Einigung komme, die ihren Interessen Rechnung trage. Diese Einlassung spreche gegen die Annahme eines Verwirkungstatbestandes. Der Beigeladenen habe es frei gestanden, mit dem Bau bis zur Einigung in allen relevanten Punkten abzuwarten. Vielmehr habe sie das Vorhaben trotz der erhobenen Einwände zügig durchgeführt. Eine zivilrechtlich wirksame Einigung, sei nicht abgeschlossen worden, da bis zuletzt keine Übereinstimmung über einen wesentlichen Punkt der Gesamtvereinbarung erzielt worden sei, nämlich Platzierung, Höhe etc. des Sichtschutzzauns. Dieser sei vielmehr durch die Beigeladene aus eigener Initiative gesetzt worden. Zudem könne allenfalls davon ausgegangen werden, dass eine Einigung im Januar 2004 erfolgt sei.

Diese Einwände begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Diese ist unter Beachtung der insoweit einschlägigen Rechtsprechung getroffen worden. Nach dieser ist der Grundsatz von Treu und Glauben auch im öffentlichen Recht anwendbar. Die Verwirkung bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist zu bejahen, wenn ein Berechtigter unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen hätte; dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.05.1990 - 8 B 156/89 -; SächsOVG, Beschl. v. 30.7.2001 - 1 BS 125/01; BayVGH, Beschl. v. 9.1.2006, 2 ZB 05.3157 -; OVG Saarland Urt. v. 5.12.1995 - 2 R 4/95 - jeweils zitiert nach juris).

Daran gemessen ist die Wertung, dass die Klägerin aufgrund ihres Verhaltens Anlass zu der Annahme gegeben hat, sie wende sich nicht gegen die Baugenehmigung, nicht zu beanstanden. Dabei kann dahinstehen, ob eine zivilrechtlich wirksame Einigung zustande gekommen ist, eine solche ist von beiden Seiten jedenfalls angestrebt und deren vorgesehener Inhalt - Errichtung eines Sicht- und Schallschutzes - letztlich auf Veranlassung der Klägerin umgesetzt worden. Diese hat von Anfang an - seit Anfang September 2003 - nur zum Ausdruck gebracht, dass es ihr vorrangig um die Umsetzung eines Sicht-/Schallschutzes geht. Dass sie das Bauvorhaben an sich in Frage stelle, hat sie hingegen - jedenfalls ab Ende September 2003 - nicht deutlich gemacht und sich insbesondere auch nicht gegen die Errichtung und Fertigstellung des Einkaufsmarktes in der Zeit vom 15.9.2003 bis zum 5.2.2004 gewandt. Dass sie nur die Errichtung eines Zaunes im Wege einer zivilrechtlichen Einigung anstrebte, wird nicht nur durch das fehlende Einschreiten gegen den Bau des Einkaufsmarktes, sondern auch durch ihre schriftsätzlichen Äußerungen deutlich. Mit Schreiben vom 3.9.2003 führte sie durch ihren Prozessbevollmächtigten - vor dessen Akteneinsicht - noch aus: "Dabei ist offensichtlich insbesondere geplant, die Parkplatzdurchfahrt für den Markt unmittelbar an die Grenze des Flurstücks ...... zum Grundstück unsere Mandantschaft zu errichten, ohne dass bisher entsprechende Sicht- und Schallschutzmaßnahmen in die Planungen einbezogen sind. Bei unserer Befragung geht es daher vor allem um die Klärung eventuell entstehender nachbarrechtlicher Probleme, die mit ihrem Bauvorhaben in Zusammenhang stehen. ..." (vgl. Schreiben vom 3.9.2003). Mit Schreiben vom 26.9.2003 ließ sie sodann klarstellen: ".Nach nochmaliger Rücksprache mit unserer Mandantin teilen wir mit, dass die vorgeschlagene Lösung, eine durchgängige Sichtschutzwand zu errichten, die sich möglichst weit zur Einfahrt hin auf ihrem Grundstück befindet, grundsätzlich das Einverständnis unserer Mandantin findet. ... Selbstverständlich müssten diese Vereinbarungen nunmehr konkret festgehalten werden." Dafür, dass sie nur eine zivilrechtliche Vereinbarung sowie die Errichtung einer Sichtschutzwand anstrebte, spricht auch der Schriftverkehr im Weiteren, denn die Klägerin ließ während der Bauphase mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.10.2003 vortragen: "Sofern wir also von Ihnen die konkreten Angaben über den Zaun noch erhalten, würde auch aus unserer Sicht eine weitere Vereinbarung nicht mehr notwendig sein." Die Beigeladene antwortete darauf mit Schreiben vom 31.10.2003 "wir werden wie vor Ort abgesprochen den Sichtschutzzaun errichten ... wir werden uns vor der Montage des Zaunes mit ihrer Mandantin rechtzeitig in Verbindung setzen". Dafür, dass sich die Klägerin daraufhin zeitnah gegen die Errichtung des Zaunes ausgesprochen hat, weil sie diesen doch nicht mehr für ausreichend hielt und sich gegen die Baugenehmigung wenden wollte, ist ebenfalls nichts ersichtlich. Es kann mithin auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beigeladene den Zaun auf eigene Initiative errichten ließ. Die Beigeladene durfte vielmehr aus dem zuvor aufgezeigten Verhalten der Klägerin schließen, dass sie mit dem Bauvorhaben einverstanden ist, wenn der Zaun errichtet wird, was hier geschehen ist. Hinzu kommt, dass auch noch nach der Fertigstellung des Einkaufsmarktes und Aufnahme der Nutzung mit Schreiben vom 26.2.2004 und 10.3.2004 nur die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen angekündigt wurde, nicht aber ein Vorgehen gegen die Baugenehmigung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig. Sie hat einen Antrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffer 9.7.1 Streitwertkatalog 2004 (NVwZ 2004, 1327 = DVBl. 2004, 1525 = VBlBW 2004, 467). Hiernach ist für das Beschwerdeverfahren mangels substanzieller Darlegung einer konkreten Grundstückswertminderung durch die angegriffene Baugenehmigung auf den eine Art von Auffangwert (SächsOVG, Beschl. v. 20.10.2005 - 1 BS 251/05 - m. w. N.) darstellenden Betrag von 7.500,- € abzustellen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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