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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.06.2008
Aktenzeichen: 1 B 143/08
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, SächsWG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
BauGB § 34 Abs. 1
SächsWG § 100a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 1 B 143/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Aussetzung der Vollziehung, Antrag auf Erlass eines Baustopps

hier: Beschwerde

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Dahlke-Piel, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Henke

am 4. Juni 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 12. März 2008 - 3 K 1179/07 - geändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 24. Oktober 2006 angeordnet.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere genügt sie den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Sie setzt sich mit der angefochtenen Entscheidung substanziiert auseinander und legt dar, warum die angegriffene Baugenehmigung rechtswidrig ist. Dies räumt die Antragsgegnerin indirekt selbst ein, wenn sie ausführt, die Beschwerde trage vor, welche Gesichtspunkte das Verwaltungsgericht außer acht gelassen habe und was es sonst falsch gemacht habe. Nichts anderes verlangt § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO vom Beschwerdeführer. Dass die Interessensabwägung im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO in der Regel anders ausgeht, wenn man von der Rechtswidrigkeit des streitigen Verwaltungsakts ausgeht, liegt auf der Hand, zumal das Verwaltungsgericht seinerseits allein auf die - voraussichtliche - Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung abgestellt hat, ohne darüber hinaus eine weitere Interessenabwägung anzustellen.

Die Beschwerde ist zum überwiegenden Teil begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs zu Unrecht abgelehnt. Gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in ihrer gegenwärtigen Form bestehen Zweifel in einem Umfang, der die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gebietet.

Nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens spricht Überwiegendes dafür, dass die streitige Baugenehmigung in ihrer gegenwärtigen Form das aus § 34 Abs. 1 BauGB folgende - nachbarschützende - Rücksichtnahmegebot zu Lasten der Antragstellerin verletzt.

Der Senat teilt allerdings zunächst die Ausgangsüberlegung der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts, wonach sich das Vorhaben in einer - wenig glücklichen - Gemengelage zwischen Wohnbebauung und gewerblich-industrieller Nutzung befinden dürfte mit der Folge, dass die Antragstellerin aller Voraussicht nach nur die Einhaltung der Immissionsrichtwerte der TA-Lärm (vgl. zu deren Berücksichtigungsfähigkeit im Baugenehmigungsverfahren jüngst BVerwG, Urt. v. 29.8.2007 - 4 C 2/07 -, zitiert nach juris) für ein Mischgebiet, die zugleich dem arithmetischen Mittel zwischen den Richtwerten für Gewerbegebiete und allgemeine Wohngebiete entsprechen, beanspruchen kann (vgl. Nr. 6.1 und 6.7 der TA-Lärm). Mit der Beschwerde ist nichts Durchgreifendes dafür vorgetragen, warum hier ausnahmsweise ein geringerer Wert in Ansatz zu bringen sein soll. Eine Gemengelage ist entgegen der mit der Beschwerde geäußerten Auffassung keineswegs üblicherweise von einer "einheitlichen Durchmischung" von Wohnen und Gewerbe gekennzeichnet; für sie ist - ganz im Gegenteil - eher das planlose Aufeinanderstoßen zweier unterschiedlicher Gebiete typisch. Für eine Herabsetzung des Mittelwertes ist auch im Übrigen nichts Überzeugendes vorgetragen.

Mangels belastbarer Erkenntnisse über die - wohl erhebliche - Vorbelastung der umliegenden Wohngrundstücke hält der Senat es weiter im Ansatz für zutreffend, nach Nr. 3.2.1 Satz 2 und 3 der TA-Lärm darauf abzustellen, ob die Zusatzbelastung durch die hier streitige Anlage die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 TA-Lärm um mindestens 6 dB(A) unterschreitet.

Davon ausgehend ist die Antragsgegnerin gehalten - wovon sie in der angefochtenen Baugenehmigung ebenso wie die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid im Ansatz auch zutreffend ausgegangen ist - in der Baugenehmigung durch geeignete Auflagen sicherzustellen, dass die fraglichen Richtwerte eingehalten werden. Insoweit kommt grundsätzlich auch eine Auflage in Betracht, mit der die Einhaltung dieser Richtwerte nur im Ergebnis aufgegeben wird, sofern eine solche Auflage nicht "ins Blaue hinein" erfolgt. Erforderlich ist eine (regelmäßig gutachterliche) Erkenntnislage, wonach die Einhaltung der entsprechenden Richtwerte bei üblichen Betriebsabläufen als realisierbar erscheint.

Diesen Anforderungen wird die fragliche Baugenehmigung derzeit nicht gerecht.

Dies ergibt sich - worauf die Beschwerde zu Recht hinweist - bereits daraus, dass versäumt worden ist, zu Gunsten des Grundstücks der Antragstellerin entsprechende Richtwerte in die Auflagen aufzunehmen. Das ist zum einen deshalb erforderlich, weil sich die Antragstellerin auf Richtwerte zu Gunsten anderer Grundstücke nicht berufen kann. Zum anderen ist durch die vorgenommenen Auflagen nicht sichergestellt, dass auch am Grundstück der Antragstellerin die entsprechenden Richtwerte eingehalten werden. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil nach dem Wortlaut der Baugenehmigung unklar ist, ob die Richtwerte tatsächlich zu Gunsten der Grundstücke T. Straße 17 (östlich des Vorhabens) und T. Straße 19 (westlich des Vorhabens) festgesetzt worden sind. Zwar werden diese Adressen in der fraglichen Auflage genannt; hinzugesetzt ist jedoch die Bezeichnung "IO 1" und "IO 2". Bei dem Immissionsort 2 handelt es sich jedoch ausweislich der vorliegenden Gutachten um denjenigen Immissionsort, der dem Grundstück T. Straße 20 (westlich des Vorhabens) zugeordnet ist.

Im Übrigen hat es die Antragsgegnerin in der fraglichen Baugenehmigung versäumt, die Realisierung verschiedener Grundannahmen der Schallimmissionsprognosen durch Auflagen sicherzustellen. Das gilt zunächst für die Annahme des Gutachters (vgl. Punkt 5.4 auf S. 12 des Gutachtens vom 11.8.2006), dass alle Fenster, Türen und Tore regelmäßig geschlossen bleiben. Für die Tagzeit fehlt es indes anders als für die Nachtzeit an einer Auflage, dass Fenster und Rauchabzugselemente generell geschlossen zu halten sind. Des Weiteren geht der Gutachter davon aus, dass die zweite Zufahrt (zur S.......straße und damit zum Grundstück der Antragstellerin hin) nur für Not- und Havariefälle oder für seltene Ereignisse (vgl. Nr. 7.2 der TA-Lärm) genutzt wird; er hält dies aus Schallschutzgründen auch für erforderlich. Indes erlaubt die Baugenehmigung (vgl. Nr. 2.2.4) eine Zu- und Abfahrt einmal pro Werktag, was in der Prognose des Gutachters ausdrücklich nicht berücksichtigt ist.

Weitere Bedenken - die allerdings in der Beschwerde allenfalls anklingen - ergeben sich daraus, dass die Nutzung des Schrottcontainers, der sich in der Nähe des Grundstücks der Antragstellerin befindet, bei der Schallimmissionsprognose vom 11.8.2006 keine Berücksichtigung gefunden hat. Demgegenüber kann die Beigeladene weder mit Erfolg einwenden, dass in diesem Container nur Späne gesammelt werden, noch, dass der Standort des Containers in die Halle hineinverlegt worden sei. Maßgeblich im vorliegenden Verfahren ist allein der Inhalt der Baugenehmigung. Dieser erlaubt die Aufstellung der beiden Container im nordöstlichen Teil des Grundstücks außerhalb der Halle. In den zu Grunde liegenden Bauunterlagen ist insoweit vermerkt "Containerplatz Schrott". Bei der Betriebsbeschreibung, die dem Bauantrag ebenfalls zu Grunde liegt, heißt es unter 6.4: "Abfallstoffe ...: Hausmüll, Schrotte, Späne, Kühlschmierstoffe und darunter in der Rubrik "Zwischenlagerung: Zweimal Schrottbehälter an der nördlichen Seite des Grundstückes". Nach dem Inhalt der Baugenehmigung besteht mithin kein Zweifel daran, dass diese das Abladen von massiven Schrottteilen in den fraglichen Containern erlaubt. Dann müssen indes auch daraus folgende Emissionen berücksichtigt werden. Hält die Beigeladene das Ablagern von massivem Schrott in diesen Containern tatsächlich nicht oder nicht mehr für erforderlich, mag die Baugenehmigung dementsprechend geändert werden. Im vorliegenden Verfahren kann dies indes nicht berücksichtigt werden.

Die bezeichneten Mängel wecken Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung in einem Ausmaß, welches die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin erfordert. Es ist Sache der Antragsgegnerin, zu entscheiden, ob und inwieweit sie diesen Bedenken durch die Beifügung geeigneter Auflagen begegnen will und ob sie sich entschließt, zuvor ein unabhängiges Gutachten einzuholen. Die Antragsgegnerin mag sich dann auch mit der Frage befassen, ob im vorliegenden Fall in Wahrheit nicht die Errichtung einer neuen Anlage, sondern die Erweiterung einer bereits bestehenden vorliegt (vgl. dazu etwa BVerwG, Beschl. v. 9.4.2008 - 7 B 2/08 -, zitiert nach juris sowie Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band 2, TA-Lärm Nr. 2, Rn. 30 f.). Sollte letzteres der Fall sein, muss sich die Immissionsprognose auf den Betrieb insgesamt beziehen.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat noch darauf hin, dass das von der Antragstellerin vorgelegte Gutachten seinerseits daran krankt, dass es den Staplerverkehr zwischen den beiden Werkteilen, der auf der öffentlichen Straße stattfindet, als Verkehr auf dem Betriebsgrundstück ansieht. Im Übrigen berücksichtigt dieses Gutachten Staplerverkehr für die Zeit zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr, obgleich die Baugenehmigung dies ausdrücklich verbietet, dasselbe gilt für Containerabholungen auf der Zufahrt zur S.......straße hin.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass der Senat mit dem Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass § 100a SächsWG keine nachbarschützende Wirkung entfaltet (vgl. zu der entsprechenden Vorschrift des § 32 WHG bereits BVerwG, Beschl. v. 17.8.1972 - IV B 162.71 -, zitiert nach juris).

Soweit die Antragsgegnerin weiter beantragt, gegenüber der Beigeladenen die Einstellung der Bauarbeiten - sei es durch die Antragsgegnerin oder durch das Gericht - aufzugeben, bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Insoweit fehlt der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin nicht von sich aus beachten und gegebenenfalls durchsetzen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3, § 154 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 173 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO. Das Unterliegen der Antragstellerin ist als geringfügig anzusehen, weil der Antrag auf Erlass einer Einstellungsverfügung gegenüber dem Hauptantrag nur eine sichernde Funktion ohne eigenständige Bedeutung hat.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind schon deshalb nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladene im vorliegenden Verfahren gemeinsam mit der - potenziell erstattungspflichtigen - Antragsgegnerin unterlegen ist.

Bei der Streitwertfestsetzung gemäß § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. § 47 Abs. 1 GKG folgt der Senat dem Ansatz des Verwaltungsgerichts, gegen den die Beteiligten nichts vorgebracht haben.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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