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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 11.07.2007
Aktenzeichen: 1 B 274/06
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 3 S. 2
BauGB § 36
1. Die Raumordnungskarte eines Regionalplans muss keine parzellenscharfen Ausweisungen enthalten.

2. Eine Konkretisierung des räumlichen Geltungsbereiches eines Vorrangebietes für Windenergienutzung kann auch mittels einer textlichen Festlegung oder Erläuterung im Regionalplan erfolgen.

3. Textliche Festlegungen im Regionalplan haben nicht nur deklaratorische Bedeutung, sondern sind von der Bauplanungsbehörde bei der Ausformung zu berücksichtigen.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

1 B 274/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Anfechtung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Windenergieanlage

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Dahlke-Piel, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Schmidt-Rottmann aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 11. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 27. April 2004 - 2 K 1787/03 - geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 17. Mai 2001 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Dresden vom 14. Februar 2003 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die dem Beigeladenen durch den Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 17.5.2001 zur Errichtung einer Windenergieanlage des Typs E 66/18.70 mit Trafostation auf dem im Außenbereich ihres Gemeindegebiets liegenden Flurstück Nr. der Gemarkung P und gegen die Ersetzung ihres gemeindlichen Einvernehmens.

Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens teilte der Regionale Planungsverband dem Beklagten mit Schreiben vom 17.7.2000 mit, dass das Vorhaben auf der Grundlage des durch die oberste Raumordnungs- und Landesplanungsbehörde genehmigten Regionalplans für die Region Oberes Elbtal/Osterzgebirge in der Fassung vom 29.5.2000 überprüft worden sei. Danach seien Bedenken gegen das Vorhaben nicht vorhanden. Die beantragte Windenergieanlage sei unter Berücksichtigung der Ausformung und Konkretisierung innerhalb des im zuvor genannten Regionalplan ausgewiesenen Vorranggebietes "Windenergienutzung M " angesiedelt. Nach Anhörung der Klägerin durch die untere Bauaufsichtsbehörde zu den auf ihrem Gebiet liegenden Vorhaben teilte diese mit Schreiben vom 4.4.2001 mit, dass sie ihr gemeindliches Einvernehmen für das Vorhaben nicht erteile. Es stünden öffentliche Belange entgegen. Der Standort liege zwischen zwei im Bebauungsplan ausgewiesenen Wohngebieten in den Ortsteilen S und M . Die Errichtung der Windenergieanlagen verletze ihre Planungshoheit.

Mit Bescheid vom 17.5.2001 erteilte die untere Bauaufsichtsbehörde dem Beigeladenen die Genehmigung zur Errichtung und zum Betreiben der beantragten Windenergieanlage und ersetzte das fehlende gemeindliche Einvernehmen der Klägerin.

Mit Scheiben vom 21.6.2001 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Baugenehmigung vom 17.5.2001 ein. Zur Begründung führte sie unter anderem aus: Ihre Planungshoheit werde verletzt. Eine Berücksichtigung des in S durch Bebauungsplan ausgewiesenen allgemeinen Wohngebietes sei nicht erfolgt. Die genehmigte Windenergieanlage beinträchtige dieses Wohngebiet nachhaltig. Die vorgelegte Schallimmissionsprognose sei nicht geeignet, die tatsächlich entstehenden Immissionen aufzuzeigen. Sie sei lediglich Ergebnis abstrakter Berechnungen ohne Berücksichtigung der konkreten Örtlichkeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.2.2003 wies das Regierungspräsidium Dresden den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens sei formell und materiell rechtmäßig erfolgt. Die Baugenehmigung verletze keine gemeindeschützenden Vorschriften. Das zur Bebauung vorgesehene Flurstück Nr. der Gemarkung P liege im Außenbereich. Die Errichtung von Windenergieanlagen sei ein nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB privilegiertes Vorhaben. Der Planungsstandort befinde sich innerhalb des im Regionalplan "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" ausgewiesenen Vorranggebietes "Windenergienutzung M ". Das Vorhaben verursache keine schädlichen Umwelteinwirkungen.

Zur Begründung ihrer Klage trug die Klägerin vor, die erteilte Baugenehmigung und die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verletze ihre verfassungsmäßig gesicherte Planungshoheit. Durch die ehemalige Gemeinde S , deren Rechtsnachfolgerin sie sei, sei im Jahre 1993 der Bebauungsplan " " beschlossen und durch die zuständige Behörde genehmigt worden. Der Bebauungsplan setze für das gesamte Plangebiet die Nutzungsart "Allgemeines Wohngebiet" fest. Die genehmigte Windenergieanlage beeinträchtige die Belange der Bewohner dieses allgemeinen Wohngebietes. Es seien Lärm- und Lichtbelästigungen zu befürchten. Das streitgegenständliche Vorhaben stehe im Widerspruch zu den Zielen der Teilfortschreibung - Ziffer 4.8.2 - Windenergie des Regionalplanes "Oberes Elbtal/Osterzgebirge".

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 27.4.2004 ab. Zur Begründung führte es aus: Die Baugenehmigung sei rechtmäßig. Die Klägerin habe ihr Einvernehmen rechtswidrig versagt. Es bestünden keine Bedenken gegen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens. Dieses beurteile sich nach § 35 BauGB. Die Klägerin stütze die Versagung ihres Einvernehmens zu Unrecht auf § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB. Bloße Entwürfe eines Flächennutzungsplanes fielen nicht unter diese Vorschrift und könnten daher der geplanten Windenergieanlage nicht entgegengehalten werden. Das Vorhaben verursache auch keine schädlichen Umwelteinwirkungen. Insbesondere seien keine Lärmimmissionen, kein Schattenwurf und keine Lichtreflektionen zu befürchten. Auch eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes käme nicht in Betracht. Der Standort sei bereits durch eine Hochspannungsleitung sowie die Trassenführung der B 6 vorbelastet. Für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung sei der Zeitpunkt ihrer Erteilung maßgeblich. Dem Umstand, dass der Regionalplan des Regionalen Planungsverbandes "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" inzwischen fortgeschrieben worden sei und die Fläche zwischen den Ortsteilen S und M nun nicht mehr als Vorranggebiet für Windenergieanlagen ausgewiesen sei, käme deshalb keine Bedeutung zu.

Mit Beschluss vom 27.4.2006 (1 B 802/04) hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugelassen. Der Beklagte, die Widerspruchbehörde und auch das Verwaltungsgericht hätten entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass Ziele der Raumordnung nicht beeinträchtigt würden, weil sich der Planungsstandort innerhalb eines im Regionalplan "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" ausgewiesenen Vorranggebietes "Windenergienutzung M " befinde. Nach der Anlage 6 "Schutzbedürftige Bereiche für Windenergienutzung gemäß 4.4.8. (Z)" lfd. Nummer 1 befinde sich das Vorranggebiet "M " jedoch in der Gemeinde H . Das Verwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob sodann den Zielen der Raumordnung durch die Einhaltung der im Regionalplan "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" in der Fassung vom 3.5.2001 unter Nr. 4.4.8.3 (Z) genannten Abstandsflächen zu einem Vorranggebiet Rechnung getragen werde.

Zur Begründung ihrer Berufung führt die Klägerin aus: Die Baugenehmigung vom 17.5.2001 sei rechtswidrig. Sie widerspreche Zielen der Raumordnung. Der Standort der genehmigten Windenergieanlage befinde sich nach den Angaben in der Baugenehmigung auf dem Flurstück der Gemarkung P . Diese Gemarkung gehöre zum Gebiet der Klägerin. Damit solle die WEA 4 nicht innerhalb des Vorranggebietes für Windenergieanlagen des Regionalplanes "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" in der am 3.5.2001 in Kraft getretenen Fassung errichtet werden. Ein Vorranggebiet Windenergienutzung sei ausweislich der Anlage 6 "Schutzbedürftige Bereiche für Windenergienutzung" in der (benachbarten) Gemeinde H unter der Bezeichnung "M " ausgewiesen. Folglich liege das Baugrundstück nicht im schutzbedürftigen Bereich für die Windenergienutzung. Das Baugrundstück grenze unmittelbar an die Flurstücke , , und der Gemarkung M an, so dass die Abstandsflächen zu dem Vorranggebiet "M " nicht eingehalten würden. Eine Anhäufung von Standorten für Windenergienutzung in unmittelbarere Nachbarschaft, die eine massive Raumbelastung zur Folge hätten, sei gemäß Ziffer 4.4.8.3 des Regionalplanes zu vermeiden. Zwischen Windenergiestandorten seien deshalb Abstandsflächen von 4 km und zwischen Windenergiegebieten von etwa 5 km unter Berücksichtigung der topografischen Verhältnisse einzuhalten. Entgegen der Auffassung des Beklagten handele es sich bei der Bezeichnung eines Vorranggebietes nicht um eine so genannte Projektbezeichnung. Eine solche Auslegung könne dem Regionalplan in der hier maßgeblichen Fassung nicht entnommen werden. Die zeichnerischen und textlichen Festsetzungen seien für die Ermittlung der Planinhalte maßgeblich. Danach befinde sich ein Vorranggebiet in der Gemeinde H . Diese Festsetzung bedeute, dass sich das Vorranggebiet auf das Gebiet der genannten Gemeinde beschränke. Der Bauantrag sei auch zu unbestimmt, da in ihm der Standort nicht eindeutig festgelegt sei. Die Angaben in den Lageplänen seien unterschiedlich. Das Vorhaben rufe darüber hinaus schädliche Umwelteinwirkungen durch Lärmimmissionen, Lichtreflexe und Schattenwurf hervor. Standortbezogene Gutachten mit individuellen Messungen lägen ebenso wenig vor wie ein Nachweis in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit der Anlage. Des Weiteren sei die Anlage nicht ausreichend erschlossen. Eine Zufahrt zum Baugrundstück über das Flurstück der Gemarkung M könne nicht erfolgen, weil auf diesem Flurstück ein Feldweg nicht existiere.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 27. April 2004 - 2 K 1787/03 - zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 17. Mai 2001 sowie den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Dresden vom 14. Februar 2003 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Baugenehmigung vom 17.5.2001 für die Windenergieanlage des Beigeladenen sowie die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens in diesem Bescheid seien rechtmäßig. Das Vorhaben widerspreche nicht den Zielen der Raumordnung, da sich der Standort der genehmigten Windenergieanlage innerhalb der Grenzen des Vorranggebietes Windenergienutzung M des Regionalplanes "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" in der am 3.5.2001 in Kraft getretenen Fassung befinde. Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung ein konkretes und bestimmbares Vorranggebiet als Ziel der Raumordnung im Sinne des § 2 Nr. 2 ROG überhaupt nicht vorgelegen habe. Der am 3.5.2001 in Kraft getretene Regionalplan weise in der Anlage 6 "Schutzbedürftige Bereiche für Windenergienutzung gemäß Nr. 4.4.8 (Z)" unter der lfd. Nr. 1 ein Windvorranggebiet mit dem Namen "M " aus. Kartografisch werde dieses Vorranggebiet in der Karte 2 "Raumnutzung" des Regionalplanes "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" dargestellt. Die Anlage 6 des Textteils zum Regionalplan sei lediglich als Übersicht für den Anwender konzipiert, was sich aus dem Kartenhinweis im Abschnitt 4.4.8 des Regionalplans ergebe. In diesem Kartenhinweis werde ausdrücklich davon gesprochen, dass die schutzbedürftigen Bereiche in der Karte "Raumnutzung" ausgewiesen seien. Die weitere Ausführung in der Anlage 6 des Textteils diene deshalb offenbar nur deklaratorischen Zwecken. Es sei deshalb allein von der Karte 2 "Raumnutzung" des Regionalplans auszugehen. Danach liege der konkrete Standort aber innerhalb der Grenzen des Windvorranggebietes. Hilfsweise werde darauf verwiesen, dass fraglich sei, ob allein aufgrund der textlichen Darstellung in der Anlage 6 von einem Ziel der Raumordnung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB i.V.m. § 3 Nr. 2 ROG gesprochen werden könne. Nach § 3 Nr. 2 ROG seien Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Ziele der Raumordnung setzten deshalb gerade auch in räumlicher Hinsicht bestimmte oder bestimmbare verbindliche Vorgaben voraus. Allein aus den textlichen Darstellungen könne vorliegend durch einen objektiven Beobachter nicht festgestellt werden, welchen räumlichen Umfang das Vorranggebiet M für Windenergienutzung haben solle. In diesem Zusammenhang sei aber auch auf den Widerspruch zwischen den textlichen Darstellungen in der Anlage 6 und der kartografischen Darstellung entsprechend der Karte 2 des Regionalplans hinzuweisen. In der Karte 2 sei das Windvorranggebiet M geometrisch in einer oktaederartigen Form dargestellt. Dagegen verlaufe die Gemeindegrenze zwischen der Gemeinde S und der Gemeinde H völlig anders. Es sei deshalb festzuhalten, dass die kartografische Darstellung des Windvorranggebietes in der Karte 2 "Raumnutzung" des Regionalplans mit dem tatsächlichen Verlauf der Gemeindegrenze zwischen der Gemeinde S und der Gemeinde H nicht übereinstimme. Es liege ein offensichtlicher Widerspruch zwischen der textlichen Darstellung des Windvorranggebietes M entsprechend der laufenden Nr. 1 der Anlage 6 sowie der topografischen Darstellung entsprechend der Karte 2 des Regionalplanes vor. Sollte es sich bei der textlichen Darstellung nicht lediglich um eine völlig unverbindliche Projektbezeichnung handeln, so führe dies dazu, dass Flächen der Gemarkung P von diesem Vorranggebiet nicht erfasst seien. In diesem Fall müssten diese Widersprüche in der Bewertung dazu führen, dass insgesamt nicht mehr von einem räumlichen Geltungsbereich des Windvorranggebietes M gesprochen werden könne. Das Windvorranggebiet wäre in seiner räumlichen Ausdehnung nicht mehr definierbar. Im Übrigen stünden dem Vorhaben keine öffentlichen Belange entgegen. Es rufe keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervor. Eine ausreichende Erschließung sei gesichert.

Der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt hat, vertritt die Auffassung, dass die Baugenehmigung rechtmäßig ist.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zugrunde liegenden Behördenvorgänge sowie die vorliegenden Gerichtsakten (2 K 1782/03, 1 B 802/04 und 1 B 274/06) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

1. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Eine Rechtsverletzung erscheint wegen der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens (§ 70a Abs. 1 SächsBO a. F.) möglich, da der Beigeladene sein Vorhaben im Außenbereich des Gebietes der Klägerin errichten möchte, an den ein durch Bebauungsplan festgesetztes allgemeines Wohngebiet - S - grenzt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass eine Gemeinde als Ausfluss ihrer Planungshoheit das Recht hat, Bauvorhaben, die im Außenbereich liegen und nicht mit § 35 BauGB in Einklang stehen, abzuwehren (BVerwG, Urt. v. 14.4.2000, NVwZ 2000, 1048). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers unterliegt die Situation im Gemeindegebiet überall dort dem Vorbehalt planerischer Bestimmung der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung durch die Gemeinde, wo die planungsrechtliche Zulässigkeit nicht schon durch eine qualifizierte Bauleitplanung gesteuert wird. Zur Sicherung ihrer planerischen Handlungsfreiheit wird in § 36 BauGB Vorsorge dafür getroffen, dass die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde hier beteiligt ist. Sie hat wie die Baugenehmigungsbehörde die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB zu prüfen (BVerwG, Urt. v. 14.4.2000, aaO). Dabei begründet § 36 BauGB keine materiellen Rechte, sondern setzt sie voraus.

2. Die Klage ist auch begründet, denn die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide in ihren Rechten verletzt, da die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ist und die Klägerin durch diese in ihrer Planungshoheit verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB dürfen raumbedeutsame Vorhaben, wie die hier genehmigte Windenergieanlage, den Zielen der Raumordnung nicht widersprechen. Dies ist hier indes der Fall, da das Vorhaben nicht innerhalb des Vorranggebietes M liegt, sondern unmittelbar neben diesem verwirklicht werden soll und damit die Abstandsflächen zum Vorranggebiet nicht einhält.

Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Zustellung der Baugenehmigung vom 17.5.2001 abzustellen. Diese erfolgte am 26.6.2001. Unter Beachtung der Grundsätze der Meistbegünstigung kommt als Beurteilungszeitpunkt die bei Anfechtungsklagen maßgebliche Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.1.1989 - 4 B 132/88 -). Nach der am 10.12.2001 beschlossenen und am 23.12.2002 genehmigten Teilfortschreibung des Regionalplanes "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" stand bereits bei Erlass des Widerspruchsbescheides am 14.2.2003 fest, dass es kein Vorranggebiet M mehr gibt und nach Ziffer 4.4.8.2 (Z) außerhalb der Vorranggebiete "Windenergienutzung" keine Windenergieanlagen mehr errichtet werden dürfen. Damit ist unter Berücksichtigung, dass der Beklagte dem Beigeladenen zuvor die ihm begünstigende Baugenehmigung erteilt hat, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit anhand des Regionalplans "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" in der vorherigen Fassung vom 3.5.2001 zu prüfen.

Das Vorhaben des Beigeladenen auf dem Gebiet der Klägerin steht jedoch auch zu dieser Fassung des Regionalplanes in Widerspruch.

Nicht zu beanstanden ist, dass sich der Karte 2 Raumordnung nicht entnehmen lässt, ob das oktaederförmige Vorranggebiet auf dem Gebiet der Klägerin liegt. In dieser Karte sind nämlich weder die Gemeindegrenzen noch die einzelnen Flurstücke eingezeichnet. Damit wurde eine parzellenscharfe Gebietsausweisung in der Karte 2 Raumordnung zum Regionalplan nicht getroffen. Eine solche ist aber in der Raumordnungskarte eines Regionalplans auch nicht notwendig (vgl. SächsOVG, NK-Urt. v. 7.4.2005, SächsVBl. 2005, 225; OVG NW Urt. v. 28.1.2005, NUR 2006, 314; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 5.7.2006 - 10 S 5.06 -). Denn die Raumordnungskarte basiert auf einem notwendigerweise groben Maßstab bei der zeichnerischen Darstellung der Vorranggebiete (hier: Maßstab 1 : 100.000) auf der Ebene des als raumplanerische Entscheidung großräumig angelegten Regionalplans (vgl. OVG NW Urt. v. 28.1.2005, aaO).

Die Ausweisung des Vorranggebietes M ist hinreichend konkret, um Ziele der Raumordnung auszulösen. Ziele der Raumordnung in diesem Sinne sind verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen zeichnerischen oder textlichen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Die räumliche Festsetzung folgt aus der zeichnerischen Darstellung der Vorranggebiete im Regionalplan (vgl. in diesem Zusammenhang OVG NW Urt. v. 28.1.2005, aaO). Dies ist hier die Karte 2 - Raumordnung -. Aus dieser Karte lassen sich die Vorranggebiete als solche hinreichend konkret entnehmen, auch wenn die Vorranggebiete für Windenergie im vorliegenden Regionalplan nicht parzellenscharf ausgewiesen und die Gemeindegrenzen nicht eingezeichnet sind (vgl. in diesem Zusammenhang SächsOVG, NK-Urt. v. 7.4.2005, aaO; OVG NW Urt. v. 28.1.2005, aaO; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 5.7.2006, aaO). Dementsprechend weist die Begründung des Regionalplan (B-45) zunächst daraufhin, dass die zeichnerische Darstellung der Vorranggebiete nur einen Rahmen angibt, der hinsichtlich konkreter Flächengröße, Anzahl und Höhe der Windenergieanlagen unter Beachtung von § 12 SächsBO auszuformen und zu konkretisieren sei. Eine solche "Ausformung und Konkretisierung" ist hier durch den Regionalen Planungsverband "Oberes Elbtal/Osterzgebirge" erfolgt. Dieser teilte während des Baugenehmigungsverfahrens und des Berufungsverfahrens mit Schreiben vom 17.7.2000 und 20.6.2007 mit, dass die beantragte Windenergieanlage unter Berücksichtigung der Ausformung und Konkretisierung innerhalb des ausgewiesenen Vorranggebietes "Windenergienutzung M " liegen würde. Zur Begründung wies er darauf hin, dass der Kartenhinweis - hier: Karte 2 (Raumordnung) - für den Anwender nur als Übersicht konzipiert sei. Die Ausweisung sei nicht flurstücksscharf. Der Planungsebene bleibe ein ausreichender Ausformungs- und Konkretisierungsspielraum. Ausschlaggebend für die Zuordnung zum Vorranggebiet sei, dass der Standort nicht mit anderen Ausschlussbereichen kollidiere. Die sachverständige Auskunftsperson Z bestätigte in der mündlichen Verhandlung vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht am 11.7.2007 dieses Prüfungsschema.

Nach Auffassung des Senats stehen dieser Vorgehensweise hier aber die textlichen Ausführungen zum Regionalplan entgegen.

Im Rahmen der Ausformung und Konkretisierung sind nämlich auch die weiteren Ziele und textlichen Festlegungen des Regionalplanes zu beachten. Sie stehen nicht in Widerspruch zu den zeichnerischen Darstellungen der Raumordnungskarte. Die Darstellungen der Raumordnungskarte geben nämlich aufgrund ihres groben Maßstabes nur einen ungefähren Rahmen an. Da sie aber weder Flurstücksgrenzen noch Gemeindegrenzen aufweisen und das Vorranggebiet nur grob in einer geometrischen Form darstellen, kann die genauere Konkretisierung gerade mittels der textlichen Festsetzungen erfolgen. Diese haben nicht nur deklaratorische Bedeutung, sondern können die im Regionalplan getroffenen Festsetzungen näher bestimmen und ausfüllen. Die Wirksamkeit des kartographisch grob erfassten Vorranggebietes wird dadurch nicht in Frage gestellt. Vielmehr ist Aufgabe der textlichen Festsetzungen, die Ziele und den Rahmen des Regionalplanes - hierzu gehört auch die nähere Bestimmung der Lage der Vorranggebiete - unter Beachtung der zeichnerischen Vorgaben näher zu bestimmen (vgl. in diesem Zusammenhang OVG NW, Urt. v. 28.1.2005, aaO). Dies ist hier geschehen. Insbesondere ist nach Ziffer 4.4.8.1 (Z) darauf hinzuwirken, dass die Windenergieanlagen innerhalb der schutzbedürftigen Bereiche für Windenergienutzung zu errichten sind. Damit werden Windenergieanlagen, die im Randbereich eines Gebietes liegen, nicht mehr vom Vorranggebiet erfasst. Von Bedeutung für die Eingrenzung der Ausformung ist hier zudem, dass in den textlichen Festsetzungen der Anlage 6 "Schutzbedürftige Bereiche für Windenergienutzung gemäß 4.4.8. (Z)" lfd. Nummer 1 des Regionalplanes eine ausdrückliche Konkretisierung in Bezug auf die Lage des Vorranggebietes M vorgenommen wird. Danach befindet sich das Vorranggebiet auf dem Gebiet der Gemeinde H . Eine weitere Gemeinde, in der das Vorranggebiet zusätzlich liegen soll, wird nicht genannt. Damit ist eine konkrete Aussage zur Eingrenzung der Lage des Gebietes getroffen worden, mit der Folge, dass das auf der Karte 2 Raumordnung eingezeichnete Vorranggebiet nur in H liegen soll. Mithin ist eine "Ausformung und Konkretisierung" nur in Bezug auf das Gebiet der Gemeinde H möglich. Die durch den Beklagten vorgenommene Ausformung unter Einbeziehung des Gebietes der Klägerin ist danach aber nicht vorgesehen. Das Vorhaben des Beigeladenen soll deshalb außerhalb des Vorranggebietes verwirklicht werden.

Das Vorhaben ist damit nicht genehmigungsfähig. Es kann die nach Ziffer 4.4.8.3 (Z) notwendigen Abstandsflächen nicht einhalten. Der Standort grenzt unmittelbar an das Vorrangebiet. Für einen größeren Abstand ist kein Anhaltspunkt ersichtlich, da die Beteiligten gerade darüber streiten, ob der Vorhabenstandort noch von dem Vorranggebiet erfasst wird. Aufgrund dieser Sachlage steht fest, dass die Abstandsflächen von 4 und 5 km zum Vorranggebiet gemäß Ziffer 4.4.8.3 (Z) des genannten Regionalplans nicht eingehalten sind. Dabei ist ohne Belang, dass nach der Änderung des Regionalplanes keine Windenergieanlagen im Vorranggebiet M errichtet wurden und damit eine Überschneidung von Windenergiebereichen nicht mehr möglich ist. Dieser Sachverhalt beruht allein auf der Teilfortschreibung des Regionalplanes, die kein Vorranggebiet M mehr vorsieht und nach der eine Errichtung von Windenergieanlagen außerhalb der Vorranggebiete nicht mehr zulässig ist. Hier berücksichtigt der Senat jedoch trotz der geänderten Rechtslage zugunsten des Beigeladenen die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der ihn begünstigenden Baugenehmigung. Das bedeutet aber auch, dass Veränderungen, die aufgrund der Teilfortschreibung des Regionalplanes entstanden sind, keine Beachtung finden können.

Die Frage, ob ein der erteilten Baugenehmigung entgegenstehendes Ziel der Raumordnung bereits in der in Aufstellung befindlichen Teilfortschreibung zu sehen ist, was aufgrund der noch nicht erfolgten zweiten Anhörung fraglich erscheint, braucht bei dieser Sachlage nicht mehr geklärt zu werden. Dies gilt auch für die Frage, ob von dem Planvorhaben schädliche Umwelteinwirkungen (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB) ausgehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig (§ 162 Abs. 3 VwGO), da dieser keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 72 Nr. 1 Gerichtskostengesetz - GKG - in Verbindung mit § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG und Ziffer 9.7.2 des Streitwertkataloges 2004 (DVBl. 2004, 1525 = NVwZ 2004, 1327 = VBlBW 2004, 467). Danach sind für Klagen einer drittbetroffenen Nachbargemeinde 30.000 € zu veranschlagen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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