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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 16.11.2009
Aktenzeichen: 3 B 276/09
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 25 Abs. 5
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 B 276/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis; Antrag nach § 123 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Freiherr von Welck, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und den Richter am Verwaltungsgericht Jenkis

am 16. November 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 13. Februar 2009 - 3 L 28/09 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe: Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO beschränkt ist, ergeben nicht, dass es das Verwaltungsgericht Dresden zu Unrecht abgelehnt hat, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht Dresden ist der Senat der Auffassung, dass der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass seine Abschiebung wegen der Beziehung zu seiner am 26.6.2003 geborenen Tochter i. S. d. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bzw. gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG rechtlich unmöglich ist. Die sich aus Art. 6 Absätze 1 und 2 GG ergebende Pflicht des Staates, diese familiäre Beziehung zu schützen, drängt im vorliegenden Fall die von der Antragsgegnerin geltend gemachten und vom Verwaltungsgericht Dresden zutreffend gewürdigten gegenläufigen öffentlichen Interessen nicht zurück. Die hiergegen eingewandten Beschwerdegründe führen zu keiner anderen Einschätzung. Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Erwägungen.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts gewährt Art. 6 Abs. 1 GG zwar unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, Beschl. v. 31.8.1999, AuAS 2000, 43; BVerwG, Urt. v. 9.12.1997, NVwZ 1998, 748 m. w. N.), enthält jedoch die wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, und verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls zu beachten sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006, InfAuslR 2006, 320). Besteht zudem eine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006, a. a. O.). Dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange der Eltern und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006, a. a. O.).

Gleichzeitig ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass bei schwerwiegender Straffälligkeit der Schutz der Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG einer Ausweisung grundsätzlich nicht entgegensteht (BVerwG, Beschl. v. 27.6.1997 - 1 B 123/97 -, zitiert nach juris; vgl. auch BayVGH, Urt. v. 3.5.2005 - 24 B 04.2037 -, zitiert nach juris). Dies folgt bei § 25 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf das Vorliegen von Ausweisungsgründen schon aus § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (vgl. VGH BW, Urt. v. 22.7.2009 - 11 S 1622/07 -, zitiert nach juris). Je gewichtiger das öffentliche Interesse an der Vollziehung einer Ausweisung ist, umso eher dürfen dem Ausländer und seiner Familie auch schwerwiegende Folgen zugemutet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.9.1998, NVwZ 1999, 303). Ausnahmsweise ist bei Ausländern, denen ein besonderer Ausweisungsschutz zur Seite steht, auch eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen zulässig, wenn die Straftat besonders schwer wiegt und daher ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuschrecken (std. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 31.8.2004, BVerwGE 121, 356). Zudem kann es darauf ankommen, ob die Geburt des Kindes eine Zäsur in der Lebensführung des Betroffenen darstellt, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er in Zukunft keine Straftaten mehr begehen wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006, InfAuslR 2006, 320).

2. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Verwaltungsgericht Dresden dem Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht den Erfolg versagt. Das Gericht hat insbesondere das Wohl des Kindes des Antragstellers zutreffend mit den generalpräventiven Gründen der Durchsetzung der Abschiebung abgewogen.

2.1 Das Verwaltungsgericht Dresden ist bei der Beurteilung des Kindeswohls zu Recht von dem maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgegangen, da dem einstweiligen Rechtsschutzantrag ein Verpflichtungsbegehren zu Grunde liegt; in diesem Fall gilt für die Beurteilung der Begründetheit des Begehrens der Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 3.11.1994, NJW 1995, 3067). Das Gericht war dabei auch nicht an die Beurteilung der Kindeswohlbelange gebunden, wie sie in dem am 27.4.2006 ergangenen Urteil (Az.: 3 K 217/02) im Hinblick auf den Streitgegenstand - die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Antragsteller nach § 25 Abs. 5 AufenthG - vorgenommen wurde. Zwar entfaltet das vorbezeichnete Bescheidungsurteil auch im Hinblick auf die dort niedergelegte Rechtsauffassung, d. h. die für das Urteil maßgeblichen Gründe, Bindungswirkungen für ein sich anschließendes Verwaltungs- und verwaltungsgerichtliches Verfahren. Allerdings gilt dies nur, soweit sich die Sach- und Rechtslage nicht verändert hat (BVerwG, Urt. v. 23.11.1999, NVwZ 2000, 576).

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Zum einen ist erst nach Erlass der vorbezeichneten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung das Urteil des Landgerichts ....... vom 22.5.2006 ergangen, mit dem der Antragsteller wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist. Demgemäß hat das Verwaltungsgericht Dresden in seiner vorbezeichneten Entscheidung bei der Darlegung seiner Rechtsauffassung auch auf § 79 Abs. 2 AufenthG hingewiesen, da bis zum damaligen Zeitpunkt nur Anklage gegen den Antragsteller erhoben worden war. Darüber hinaus ist das Kind des Antragstellers nunmehr beinahe doppelt so alt wie zum damaligen Zeitpunkt und hat die Beziehung zu seinem Vater, dem Antragsteller, zu dem weit überwiegenden Teil nur als Begegnungsgemeinschaft erfahren.

Hiervon ausgehend begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Verwaltungsgericht Dresden in der angegriffenen Entscheidung nunmehr eine von seiner ursprünglichen Bewertung abweichende Einschätzung im Hinblick auf das Kindeswohl vorgenommen hat. Dass sich die regelmäßigen persönlichen Kontakte - wie sich nunmehr aus der eidesstattlichen Versicherung der Ehegattin des Antragstellers vom 13.3.2009 ergibt - auch auf die Zeiten erstreckte, in denen der Antragsteller in den Justizvollzugsanstalten ....... und ........ inhaftiert war, und eine - allerdings zeitlich nicht weiter eingegrenzte - Besuchsverlegung von der JVA ............. nach ....... erfolgt war, führt zu keiner maßgeblichen Veränderung dieser Einschätzung, da, worauf das Verwaltungsgericht Dresden zu Recht hingewiesen hat, die Aufrechterhaltung des Kontakts künftig auch auf sonstigem Wege weiterhin möglich und zumutbar ist. Die vom Antragsteller letztmalig mit Schriftsatz vom 16.11.2009 angegebenen Auffälligkeiten bei seiner Tochter während der Unterbrechung der regelmäßigen Besuche nach Verlegung in die Justizvollzugsanstalt ............. und, - sollten sie vorgelegen haben - der Rückschluss darauf, dass sie auf die Unterbrechung der Besuchsregelung zurückgeführt werden konnten, sind nicht glaubhaft gemacht worden. Daher ist die zusammenfassende Einschätzung des Verwaltungsgerichts Dresden im Ergebnis nicht zu beanstanden, zumal in dem Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 17.10.2006 angedeutet worden ist, dass die mit der Ausreise in Gang gesetzte Sperrfrist von drei Jahren (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 4 AuslG) unter Würdigung der dann vorliegenden Umstände weiter verkürzt werden könnte, so dass dem Antragsteller binnen einer kürzeren Frist eine Wiedereinreise ermöglicht und somit seine Abwesenheit weiter verkürzt werden könnte.

2.2 Es kommt hinzu, dass, worauf das Verwaltungsgericht Dresden ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, generalpräventive Gründe für die Abschiebung des Antragstellers sprechen. Gerade bei Delikten im Bereich des Betäubungsmittelgesetzes, zu denen die vom Antragsteller begangene Taten gehörten, ist es zum Schutz der Öffentlichkeit dringend erforderlich, generalpräventive Überlegungen anzustellen. Denn es darf bei anderen Ausländern nicht der Eindruck entstehen, dass solche schwerwiegenden Delikte keine ausländerrechtlichen Folgen haben. Ist die Vollziehung der Ausweisung generalpräventiv gerechtfertigt, kommt es auf die Gefahr erneuter Straffälligkeit nicht an, so dass selbst eine günstige Sozialprognose nicht zu berücksichtigen wäre (vgl. SächsOVG, Urt. v. 31.8.2006 - 3 B 512/05, zitiert nach juris; BVerwG, Beschl. v. 16.8.1995, InfAuslR 1995, 404 m. w. N.). Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht Dresden hierzu auf den Beschluss des Landgerichts ....... vom 22.11.2007 sowie den Bescheid der Staatsanwaltschaft ....... vom 8.4.2008, an dem mit Verfügung vom 18.12.2008 festgehalten wurde, hingewiesen und zutreffend angeführt, dass selbst die Geburt seiner Tochter keine Zäsur in dem Verhalten des Antragstellers bewirkt hatte, denn die letzten Taten wurden ausweislich des vorbezeichneten Urteils vom 22.5.2006 im April 2005 begangen. Der letztmalig mit Schriftsatz vom 14.11.2009 gemachte Hinweis des Antragstellers, er habe sich - wie sich auch dem freisprechendem Urteil des Amtsgerichts ....... vom 13.10.2008 ergäbe - seitdem straffrei geführt und Therapien wie auch die Anmeldung zu einer Berufsausbildung seien aus ihm nicht vorwerfbaren Gründen abgelehnt worden, vermag hieran nichts zu ändern. Die Einwendungen scheitern schon an der Einschätzung des Landgerichts ....... in dem oben angegebenen Beschluss, dessen Inhalt in der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden in seinen wesentlichen Bestandteilen ausgewertet worden ist. Angesichts der zeitlichen Abfolge der Straftaten, wegen derer der Antragsteller verurteilt worden ist, ist auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts Dresden, dass durch die Geburt seiner Tochter keine Zäsur im Leben des Antragstellers eingetreten ist, ohne weiteres nachvollziehbar; der anderslautende Vortrag des Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. ..... in seinem Schriftsatz vom 29.1.2009 dürfte angesichts dieser Sachlage damit widerlegt sein.

Auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lässt sich ein Verzicht auf generalpräventive Erwägungen nicht entnehmen, da dieser insbesondere bei Straftaten im Bereich des Betäubungsmittelgesetzes und damit Straftaten, die in besonderem Maße generalpräventive Überlegungen auslösen, ein strenges Vorgehen der Mitgliedsstaaten grundsätzlich billigt, wobei er unter anderem als legitimierendes Ziel den allein auf generalpräventiven Überlegungen gestützten Schutz der Gesundheit heranzieht (vgl. EGMR, Urt. v. 26.9.1997, InfAuslR 1997, 430 ff. - Mehmet - ; SächsOVG, Urt. v. 31.8.2006 - 3 B 512/05 -). Auch im Übrigen ergäbe sich aus einer Abwägung der gegenüberstehenden Interessen im Rahmen des Art. 8 EMRK nichts anderes, da der Schutzgehalt dieser Norm in der vorliegenden Fallkonstellation nicht über Art. 6 GG hinausgeht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. der am 7./8.7.2004 beschlossenen Änderung (Streitwertkatalog 2004; abgedr. in NVwZ 2004, 1327), wobei wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens der hälftige Hauptsachestreitwert anzusetzen war.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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