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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 10.09.2004
Aktenzeichen: 3 B 847/03
Rechtsgebiete: EGV-alt, VO (EWG) Nr. 1612/68, SZuwG, BBesG


Vorschriften:

EGV-alt Art. 48 Abs. 1
EGV-alt Art. 48 Abs. 2
EGV-alt Art. 48 Abs. 4
VO (EWG) Nr. 1612/68 Art. 7 Abs. 1
SZuwG § 3 Abs. 1 Nr. 3
SZuwG § 3 Abs. 5 Nr. 1
SZuwG § 3 Abs. 6
BBesG § 29 Abs. 1
BBesG § 29 Abs. 2
Für einen deutschen Staatsangehörigen, der als Richter auf Probe im Freistaat Sachsen tätig war und vor dem 31. März des auf den Zuwendungszeitraum folgenden Jahres in den Dienst der Europäischen Gemeinschaften übergetreten ist, lässt sich die Zuwendungsberechtigung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aus Art. 48 EGV-alt i.V.m. Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1612/68 herleiten. Die Rückforderung kann dann nicht auf § 3 Abs. 6 SZuwG gestützt werden.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 3 B 847/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Rückforderung der Jahressonderzuwendung

hier: Berufung

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Pastor ohne mündliche Verhandlung

am 10. September 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 13. April 1999 - 2 K 574/97 - geändert.

Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 4. Juni 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 1997 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger war vom 2.1.1992 bis zu seiner Entlassung auf eigenen Antrag zum 31.12.1994 Richter auf Probe im Dienst des Freistaates Sachsen. Seit 1.1.1995 ist er als Beamter der Europäischen Gemeinschaften bei der Europäischen Kommission in Luxemburg tätig.

Mit Bescheid vom 4.6.1996 forderte der Beklagte die für das Jahr 1994 gezahlte Sonderzuwendung in Höhe von 4.850,13 DM (entspricht 2.479,83 €) zurück. Den Widerspruch des Klägers vom 19.6.1996 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.3.1997 zurück.

Die bereits am 3.3.1997 erhobene Untätigkeitsklage mit dem später umgestellten Antrag, den Bescheid des Beklagten vom 4.6.1996 und den Widerspruchsbescheid vom 21.3.1997 aufzuheben, hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13.4.1999 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, Rechtsgrundlage für den angegriffenen Rückforderungsbescheid sei § 3 Abs. 6 Sonderzuwendungsgesetz - SZuwG. Dem Kläger habe die Sonderzuwendung weder nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 SZuwG noch nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 SZuwG zugestanden, da er auf eigenen Wunsch nicht bis 31.3.1995 im Dienst seines Dienstherrn verblieben und auch nicht vor diesem Zeitpunkt in den Dienst eines anderen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn übergetreten sei. Anderer öffentlich-rechtlicher Dienstherr im Sinne der in § 3 Abs. 1 Nr. 2 SZuwG in Bezug genommenen Legaldefinition des § 29 Abs. 1 BBesG sei nicht die Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Eine Gleichbehandlung des dort geleisteten Dienstes mit dem Dienst bei einem deutschen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn sei nicht geboten. § 3 Abs. 1 Nr. 3 SZuwG sei Ausdruck eines Treuegedankens, da der Bedienstete die Sonderzuwendung nur für Dienste von längerer Dauer erhalten solle. Der Gesetzgeber sei auch nicht verpflichtet, den Wechsel zu den Europäischen Gemeinschaften zu privilegieren. Die Rückforderung verstoße ferner nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Es sei bereits zweifelhaft, ob eine Behinderung der Niederlassungsfreiheit (richtig: der Freizügigkeit) gemäß Art. 48 EGV-alt gegeben sei. Darüber hinaus finde diese Vorschrift gemäß ihrem Absatz 4 ohnehin keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Die Pflicht zur Förderung der Gemeinschaft sei ebenfalls nicht verletzt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der durch den Senat wegen ernstlicher Zweifel i.S. von § 124 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zugelassenen Berufung, die er im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Dienst in der Kommission der Europäischen Gemeinschaften sei mit dem Dienst bei einem der in § 29 Abs. 1 BBesG genannten öffentlich-rechtlichen Dienstherren gleichzusetzen. Die dortige Aufzählung sei nicht abschließend. Dafür spreche die ausdrückliche Gleichstellungsregelung in der Neufassung des § 29 Abs. 2 BBesG, mit der keine neue Rechtslage geschaffen, sondern die bisherige Auslegung des Absatzes 1 nur klargestellt worden sei. Im Übrigen verweist der Kläger auf die Gründe des Zulassungsbeschlusses des Senats vom 20.11.2003 und ist der Auffassung, dass eine Unterscheidung zwischen einem ausländischen öffentlichen Dienst und einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst der Europäischen Union gegen das Diskriminierungsverbot verstoße. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften dürfe der Treuegedanke zur Privilegierung des deutschen öffentlichen Dienstes nicht berücksichtigt werden.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Dresden vom 13.4.1999 - 2 K 574/97 - den Rückforderungsbescheid vom 4.6.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesamtes für Finanzen vom 21.3.1997 aufzuheben.

Der Beklagte, der sich nach Zulassung der Berufung zur Sache nicht mehr geäußert hat, beantragt sinngemäß,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat lagen die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage zu Unrecht abgewiesen. Der Rückforderungsbescheid vom 4.6.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.1997 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Rückforderung der dem Kläger für das Jahr 1994 gewährten Sonderzuwendung kann nicht auf § 3 Abs. 6 SZuwG gestützt werden. Nach dieser hier allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage ist eine Zuwendung in voller Höhe zurückzuzahlen, wenn sie dem Empfänger nicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 SZuwG zustand, wobei die Voraussetzungen dieser Vorschrift auch in den Fällen des Absatzes 5 als erfüllt gelten. Zwar ist der Kläger weder nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 SZuwG zuwendungsberechtigt (1), noch trifft auf ihn die hier allenfalls einschlägige Fiktion gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 1 SZuwG zu (2). Seine Zuwendungsberechtigung lässt sich jedoch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aus Art. 48 EGV-alt i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft vom 15.10.1968 (ABl. 257/92) herleiten (3).

1. Zuwendungsberechtigt ist nach § 3 Abs. 1 SZuwG u.a., wer im laufenden Kalenderjahr ab Oktober ununterbrochen als Richter im Landesdienst oder insgesamt sechs Monate "bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn (§ 29 Abs. 1 BBesG)" tätig war (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 1 Abs. 1 Nr. 2 SZuwG) und mindestens bis einschließlich 31. März des folgenden Jahres im Dienst dieses Dienstherrn verbleibt, es sei denn, dass er ein früheres Ausscheiden nicht selbst zu vertreten hat (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 SZuwG). Letzteres ist beim Kläger, der auf eigenen Wunsch zum 31.12.1994 aus dem seit 2.1.1992 bestehenden Proberichterverhältnis im Dienst des Freistaates Sachsen ausgeschieden ist und seit 1.1.1995 als Kommissionsbeamter im Dienst der Europäischen Gemeinschaften steht, offensichtlich nicht der Fall.

2. Nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 SZuwG gelten die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 3 auch als erfüllt, wenn ein Berechtigter vor dem 31. März des folgenden Jahres in den Dienst eines anderen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn übertritt. Wie sich aus dem erläuternden Klammerzusatz in § 3 Abs. 1 Nr. 3 SZuwG ergibt, liegt dem Sonderzuwendungsgesetz die in § 29 Abs. 1 BBesG enthaltene Legaldefinition des Begriffs "öffentlich-rechtlicher Dienstherr" zugrunde. Danach sind öffentlich-rechtliche Dienstherren das Reich, der Bund, die Länder, die Gemeinden (Gemeindeverbände) und andere Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften und ihrer Verbände. Obgleich nicht ausdrücklich ausgenommen, ergibt sich aus der Normgeschichte, dass die Europäischen Gemeinschaften nicht zu den von § 29 Abs. 1 BBesG erfassten anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts zählen. Die bis 31.12.1989 geltende Fassung des § 29 Abs. 3 BBesG ermöglichte es unter bestimmten Bedingungen, der Tätigkeit im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn die Tätigkeit im Dienst einer zwischenstaatlichen Einrichtung, wie den Europäischen Gemeinschaften, gleichzustellen. Diese Regelung wurde durch das Fünfte Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 28.5.1990 (BGBl. I S. 967) ersatzlos beseitigt. Erst durch das Sechste Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 14.12.2001 (BGBl. I S. 3702) wurde erneut eine Gleichstellungsmöglichkeit eingeführt. Nach § 29 Abs. 2 Nr. 1 BBesG n.F. steht nunmehr für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union die ausgeübte gleichartige Tätigkeit im öffentlichen Dienst einer Einrichtung der Europäischen Union der Tätigkeit im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn gleich. Die Gleichstellungsregelungen wären überflüssig, wenn die Europäische Union und die Europäischen Gemeinschaften nach dem Willen des Gesetzgebers bereits unter den Begriff des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn zu subsumieren wären. In Ermangelung einer Rückwirkungsanordnung des § 29 Abs. 2 Nr. 1 BBesG n.F. ist für die Beurteilung der vorliegenden Anfechtungsklage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.1997 abzustellen. Danach sahen die besoldungsrechtlichen Regelungen keine Gleichstellung des vom Kläger ab 1.1.1995 bei der Europäischen Kommission geleisteten Dienstes mit der Tätigkeit bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn vor.

Überdies ordnet § 29 Abs. 2 Nr. 1 BBesG n.F. die Gleichstellung einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst eines Mitgliedstaats der Europäischen Union mit der Tätigkeit im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn i.S. des § 29 Abs. 1 BBesG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 28.1.2004, Az.: 2 C 3/03, zitiert nach JURIS) nur für dieses Gesetz, d.h. das Bundesbesoldungsgesetz, an; das Gesetz über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung sei ungeachtet der Rechtsqualität der Sonderzuwendung als Teil der Besoldung ein anderes Gesetz als das Bundesbesoldnungsgesetz. Auch von diesem Standpunkt aus stellt das Sonderzuwendungsrecht die hier in Rede stehenden Tätigkeiten nicht gleich.

3. Der Senat hat jedoch keine Zweifel, dass die Gleichstellung und in der Folge die Zuwendungsberechtigung des Klägers im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften unmittelbar aus Art. 48 EGV-alt und Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1612/68 hergeleitet werden können. Art. 48 Abs. 1 EGV-alt gewährleistet nach Ablauf der Übergangszeit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Die Garantie umfasst nach Absatz 2 die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten u.a. in Bezug auf die Entlohnung. Mit selbiger Zielrichtung bestimmt Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1612/68, dass ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf die Entlohnung, nicht anders behandelt werden darf als die inländischen Arbeitnehmer. Der Kläger kann sich auf diese Normen berufen. Er hat zum 1.1.1995 eine Tätigkeit für die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg aufgenommen und damit von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unterfällt der Kläger nicht wegen des bis 31.12.1994 ausgeübten Richteramtes der Ausschlussklausel des Art. 48 Abs. 4 EGV-alt, wonach die Bestimmungen des Artikels keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung finden. Wegen der grundlegenden Bedeutung, die die Grundsätze der Freizügigkeit und der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft haben, können die in Art. 48 Abs. 4 EGV-alt zugelassenen Ausnahmen nicht weiter reichen, als der Zweck es erfordert, um dessentwillen sie vorgesehen sind. Den Interessen, die diese Bestimmung den Mitgliedstaaten zu schützen erlaubt, ist mit der Möglichkeit Genüge getan, den Zugang ausländischer Staatsangehöriger zu gewissen Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung zu beschränken. Diese Bestimmung kann jedoch keine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf Entlohnung oder sonstige Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer rechtfertigen, wenn diese einmal in den Dienst der Verwaltung aufgenommen sind. Denn bereits die Tatsache der Aufnahme in den Dienst der Verwaltung zeigt, dass die Interessen, die die Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtdiskriminierung gemäß Art. 48 Abs. 4 EGV-alt rechtfertigen, nicht in Frage stehen (EuGH, Urt. v. 12.2.1974, Rs. 152/73, EuGHE 1974, 153 ff.; BVerwG, Beschl. v. 28.1.2004, aaO).

Seine deutsche Staatsangehörigkeit hindert den Kläger nicht daran, sich gegenüber dem Beklagten auf die Freizügigkeitsgarantie zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften schließt der Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 EGV-alt nicht lediglich auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierungen aus, sondern steht sämtlichen Vorschriften entgegen, die den Angehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Dies gilt auch dann, wenn es sich um Bestimmungen handelt, die - wie hier - unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden. Zwar sollen die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach ihrem Wortlaut vor allem die Vergünstigung der Inländerbehandlung im Aufnahmestaat sichern; sie verbieten es indessen auch, dass der Herkunftsstaat die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat behindert (vgl. EuGH, Urt. v. 13.11.2003, C-209/01, DVBl. 2004, 303 m.w.N.).

Der Senat wertet die Nichtberücksichtigung des Übertritts in den Dienst der Europäischen Gemeinschaften bei der Belassung einer Sonderzuwendung als eine derartige, von Art. 48 Abs. 2 EGV-alt, Art. 7 Abs. 1 VO Nr. 1612/68 untersagte unterschiedliche Behandlung in Bezug auf die Entlohnung. Die Nichtberücksichtigung benachteiligt den Betroffenen gegenüber Richtern oder Beamten, die vor dem 31. März des auf den Zuwendungszeitraum folgenden Jahres in den Dienst eines anderen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn i.S. des § 29 Abs. 1 BBesG übertreten, und ist geeignet, ihn bei einem Übertritt in den Dienst der Europäischen Gemeinschaften und einer damit verbundenen Ausübung seines Freizügigkeitsrechts zu behindern, weil er dabei mit der Rückforderung der Sonderzuwendung zu rechnen hat.

Die Ungleichbehandlung der Übertrittsfälle ist durch sachliche Erwägungen nicht gerechtfertigt. Als solche kommen im Rahmen von Art. 48 Abs. 2 EGV-alt nur mit dem EG-Vertrag vereinbare legitime Zwecke und zwingende Gründe des Allgemeininteresses in Betracht (vgl. EuGH, Urt. v. 13.11.2003, aaO). Der Beklagte, der die Freizügigkeitsgarantie für nicht anwendbar hält, hat - von diesem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - keine sachlichen Gründe für die Privilegierung des Übertritts zu inländischen Dienstherren benannt. Solche sind auch nicht ersichtlich.

Insbesondere erweist sich der vom Verwaltungsgericht herangezogene Treuegedanke als nicht tragfähig. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften für vergleichbare Fälle der ausschließlichen Berücksichtigung von in einem Mitgliedstaat verbrachten Dienstzeiten bereits mehrfach entschieden. Dabei hat er Regelungen zum Bewährungsaufstieg und zu Dienstalterszulagen, die Gehaltszuschläge an bestimmte Dienstzeiten knüpfen, welche bei mehreren nach öffentlichem Tarifvertragsrecht gebundenen Arbeitgebern in einem Mitgliedstaat geleistet werden können, bereits als nicht geeignet angesehen, den Zweck zu erfüllen, die Treue eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber zu honorieren. Die durch die Regelungen bezweckte Gewährleistung der Mobilität der öffentlichen Bediensteten innerhalb einer Gruppe rechtlich eigenständiger Arbeitgeber schließt es nach dieser Auslegung aus, die Treue eines Bediensteten zu einem bestimmten Arbeitgeber zu belohnen (vgl. zum Zeitaufstieg: EuGH, Urt. v. 15.1.1996, Rs. C-15/96, zitiert nach JURIS; zu Dienstalterszulagen: EuGH, Urt. v. 12.3.1998, Rs. C-187/96, zitiert nach JURIS; vgl. zur Altersbeförderung auch: EuGH, Urt. v. 30.11.2000, Rs. C-195/98, ZBR 2001, 169). Diese Argumentation ist auf Richter und Beamte sowie die § 3 Abs. 1 und 5 SZuwG zugrundeliegende Konzeption übertragbar (vgl. auch BayVGH, Urt. v. 9.11.1998, NVwZ 1999, 903 zur Anrechnung von Zeiten im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaates bei der Festsetzung des Besoldungsdienstalters). Da die Gewährung der Zuwendung weder im Zuwendungsjahr an die bei einem einzigen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn verbrachte Dienstzeit noch im ersten Quartal des Folgejahres an den Verbleib bei demselben Dienstherrn geknüpft ist, fördert die Regelung nicht die Treue gegenüber einem Dienstherrn. Der Übertragung dieser Rechtsprechung auf Richter und Beamte steht auch der von dem Beklagten in anderem Zusammenhang angeführte Grundsatz der Einheit des öffentlichen Dienstes nicht entgegen (ebenso BayVGH, Urt. v. 9.11.1998, aaO). Vielmehr hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Urteil vom 30.9.2003 (Rs. C-224/01, NJW 2003, 3539) das Treueprinzip als Rechtfertigung für eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer auch unabhängig von der Unschädlichkeit der Beschäftigung bei einer Mehrzahl staatlicher Dienstherren verworfen. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um eine besondere Dienstalterszulage, die nach der Auslegung des vorlegenden Gerichts die Treue von Professoren an öffentlichen österreichischen Universitäten gegenüber dem österreichischen Staat als einzigem Arbeitgeber prämieren sollte. Nach Ansicht des Gerichtshofs führte die Zulage (indirekt) zu einer Abschottung des Arbeitsmarkts für Universitätsprofessoren in Österreich und widersprach daher dem Wesen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Eine ähnliche mittelbar diskriminierende Wirkung kommt auch der hier in Rede stehenden Privilegierung des Übertritts zu inländischen Dienstherren zu (zweifelnd BVerwG, Beschl. v. 28.1.2004, aaO). Um diese zu vermeiden, muss der Kläger nach Auffassung des Senats mit den nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 5 SZuwG Zuwendungsberechtigten in unmittelbarer Anwendung von Art. 48 Abs. 1 und 2 EGV-alt und Art. 7 Abs. 1 VO Nr. 1612/68 gleichgestellt werden. Das hat zur Folge, dass die Sonderzuwendung nicht nach § 3 Abs. 6 SZuwG zurückgefordert werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts in einem Verfahren betreffend die Rückforderung einer Jahressonderzuwendung wegen Wechsels zu einem EG-ausländischen Dienstherrn (BVerwG, Beschl. v. 28.1.2004, aaO) zugelassen.

Beschluss vom 10. September 2004

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren gemäß § 72 Nr. 1 GKG 2004, § 25 Abs. 3, § 13 Abs. 2 GKG a.F. auf 2.479,83 € (entspricht 4.850,13 DM) festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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