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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 20.10.2004
Aktenzeichen: 3 BS 285/04
Rechtsgebiete: GG, AuslG, AAZuVO


Vorschriften:

GG Art. 6 Abs. 1
AuslG § 55 Abs. 1
AuslG § 55 Abs. 2
AAZuVO § 2
AAZuVO § 3 Abs. 2
AAZuVO § 5 Abs. 3 Nr. 1
1. Ein im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auf Unterlassung der Abschiebung gegen die Zentrale Ausländerbehörde gerichtetes Antragsbegehren erledigt sich, wenn diese von dem konkreten Abschiebungsvorhaben wieder Abstand nimmt.

2. Aus der in zeitlicher Hinsicht eng zu fassenden Zuständigkeit der Zentralen Ausländerbehörde für die inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit der von ihr vorzunehmenden Abschiebung folgt, dass diese jedenfalls dann nicht mehr vorliegt, wenn die Zentrale Ausländerbehörde von der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme zunächst wieder absieht (Fortführung der Senatsrechtsprechung; Beschl. v. 10.9.2004 - 3 BS 266/04).

3. Ein auf Unterlassung der Abschiebung gegen die Zentrale Ausländerbehörde gerichtetes vorläufiges Rechtsschutzverfahren muss sich auf eine hinreichend konkrete und damit auch in zeitlicher Hinsicht bestimmbare aufenthaltsbeendende Maßnahme beziehen. In diesem Verfahren kann nur die Unterlassung dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme begehrt werden, wogegen für eine stillschweigende Aussetzung der Abschiebung für einen längeren Zeitraum kein Raum ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.9.1997, BVerwGE 105, 232 [236]).


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 BS 285/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebung; Antrag nach § 123 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Pastor

am 20. Oktober 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 30. Juni 2004 - A 1 K 30390/04 - aufgehoben, soweit der Antragsgegner dort verpflichtet wird, den Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland vorläufig bis zum 31.3.2005 zu dulden. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beteiligten tragen die Kosten beider Rechtszüge je zur Hälfte.

Der Streitwert wird unter Abänderung der Festsetzung im erstinstanzlichen Verfahren für beide Rechtszüge auf jeweils 2.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist nur teilweise zulässig.

Dem Antragsgegner und Beschwerdeführer fehlt es an einem Rechtsschutzinteresse, soweit er die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses hinsichtlich einer Unterlassung der Abschiebung des Antragstellers und Beschwerdegegners erstrebt. Denn das Rechtschutzbegehren des Antragstellers, der sich mit seinem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die von der Zentralen Ausländerbehörde für den 4.7.2004 vorgesehene Abschiebung gewandt hatte, hat sich erledigt, weil diese Abschiebung auf Grund des Umstandes, dass sich der Antragsteller ab dem 24.6.2004 in Untersuchungshaft befand und eine Zustimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft für eine Abschiebung nicht vorlag, nicht durchgeführt werden konnte.

Der Erledigung steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner in Zukunft weiterhin versuchen mag, den Antragsteller abzuschieben und mit Schriftsatz vom 15.10.2004 mitgeteilt hat, dass für den inzwischen rechtskräftig verurteilten Antragsteller "nunmehr umstandslos eine Strafaussetzung nach § 456 StPO erlangt" werden und dieser abgeschoben werden könne. Die Rechtmäßigkeit seiner Abschiebung - sofern diese inzident in einem Verfahren auf Unterlassung der Abschiebung gegenüber dem Antragsgegner und nicht mit einem auf die Erteilung einer vorläufigen Duldung gerichteten Verfahren gegen die hierfür zuständige untere Ausländerbehörde geltend gemacht wird (vgl. Beschl. d. Senats v. 10.9.2004 - 3 BS 266/04) - ist im Hinblick auf das konkrete Abschiebungsvorhaben der Zentralen Ausländerbehörde zu betrachten, das hier für den 4.7.2004 geplant war. Nachdem der Antragsgegner von diesem Abschiebungsvorhaben Abstand genommen hatte, da der Antragsteller mangels der erforderlichen staatsanwaltschaftlichen Zustimmung nicht abgeschoben werden konnte, hat sich das ursprüngliche, auf Unterlassung dieser konkret geplanten Abschiebung gerichtete Antragsbegehren erledigt, so dass es sich dann, wenn die Abschiebungsbemühungen auf Grund erneut veränderter Umstände von der Zentralen Ausländerbehörde wieder aufgenommen werden, folglich auch um einen neuen Streitgegenstand handelt.

Eine Verpflichtung der Zentralen Ausländerbehörde zur Unterlassung der Abschiebung für einen längeren Zeitraum scheidet demgegenüber von vorneherein aus, da es sich dabei um ein Aussetzen der Abschiebung gemäß § 55 Abs. 1 AuslG handeln würde, für das eine Duldung zu erteilen wäre. Die sich aus § 5 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung und des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über Zuständigkeiten nach dem Ausländergesetz und dem Asylverfahrensgesetz (Ausländer- und Asylverfahrenszuständigkeitsverordnung - AAZuVO) vom 7.8.2001 (SächsGVBl. S. 470) ergebende Zuständigkeit der Zentralen Ausländerbehörde für Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts abgelehnter Asylbewerber einschließlich ihrer Familienangehörigen kann daher nur bezogen auf eine hinreichend konkrete und damit auch in zeitlicher Hinsicht bestimmbare Maßnahme zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebung im Wege eines auf die Unterlassung der Abschiebung gerichteten Verfahrens geltend gemacht werden, wogegen für eine stillschweigende Aussetzung der Abschiebung kein Raum ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.9.1997, BVerwGE 105, 232 [236]). Aus der in zeitlicher Hinsicht eng zu fassenden Zuständigkeit der Zentralen Ausländerbehörde für die (inzidente) Überprüfung der Rechtmäßigkeit der von ihr vorzunehmenden Abschiebung folgt, dass diese jedenfalls dann nicht mehr vorliegt, wenn die Zentrale Ausländerbehörde von der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zunächst wieder absieht. Dem Antragsgegner kann dann aber auch aus der Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses hinsichtlich der Untersagung der für den 4.7.2004 geplanten Abschiebung kein rechtlicher Vorteil mehr erwachsen, so dass es ihm insoweit an dem für die Beschwerde erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehlt.

Im Übrigen ist die Beschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet.

Die von dem Antragsteller und Beschwerdegegner mit Schriftsatz vom 18.10.2004 abgegebene Erledigungserklärung geht ins Leere, da der Antragsgegner und Beschwerdeführer zu erkennen gegeben hat, dass er entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift und dem dort gestellten Antrag zu 2) eine solche nicht abgeben wollte.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer hat in der Beschwerdebegründung Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die den angefochtenen Beschluss insoweit tragenden rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts unrichtig sind (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO). Der Beschluss erweist sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig.

Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner zu Unrecht verpflichtet, den Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet vorläufig bis zum 31.3.2005 zu dulden. Denn das Regierungspräsidium Chemnitz als Zentrale Ausländerbehörde ist nicht für die Erteilung von Duldungen, sondern gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 AAZuVO allein für Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts abgelehnter Asylbewerber einschließlich ihrer Familienangehörigen, d.h. die Durchführung von Abschiebungen zuständig. Daraus folgt, dass der Antragsgegner nur im Hinblick auf von der Zentralen Ausländerbehörde konkret betriebene Abschiebungen passiv legitimiert ist, wogegen für die Erteilung von Duldungen beim Vorliegen der Gründe aus § 55 Abs. 2 oder 3 AuslG gemäß § 3 Abs. 2 i.V.m. § 2 AAZuVO die Zuständigkeit der unteren Ausländerbehörde gegeben ist (vgl. Beschl. d. Senats v. 10.9.2004 - 3 BS 266/04). Ziel des vom Antragsteller zutreffend gegen den Antragsgegner gerichteten Eilantrages konnte daher auch nur eine Verpflichtung zur Unterlassung der für den 4.7.2004 vorgesehenen Abschiebung sein, wogegen eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Duldung des Antragstellers nicht möglich war. Die von dem Verwaltungsgericht angeordnete Verpflichtung zur Duldung kann schließlich auch nicht in eine Verpflichtung zur Unterlassung der Abschiebung bis zu dem festgesetzten Zeitpunkt umgedeutet werden, da nicht auf einen vom Antragsgegner benannten Abschiebungstermin Bezug genommen, sondern eine abstrakte Aussetzung der Abschiebung, d.h. Duldung (§ 55 Abs. 1 AuslG) angeordnet wurde, zu der der Antragsgegner mangels entsprechender Zuständigkeit jedoch nicht verpflichtet werden konnte.

Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass er anders als das Verwaltungsgericht in der bevorstehenden Niederkunft der deutschen Lebenspartnerin des Antragstellers keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG zu erkennen vermag. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermitteln unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979, BVerfGE 51, 386 [396 ff]; Beschl. v. 18.4.1989, BVerfGE 80, 81 [93]; BVerwG, Urt. v. 9.12.1997, BVerGE 106, 13 m.w.N.; jeweils st. Rspr.) und damit auch nicht auf das Unterlassen einer Abschiebung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers. Im Rahmen dieser Vorschriften zu berücksichtigende Belange sind jedoch im Wege der Einzelfallbetrachtung mit dem öffentlichen Interesse - hier: des Gesetzesvollzugs - in Einklang zu bringen. Dabei ergibt sich nicht, dass den familiären Bindungen des unanfechtbar ausreisepflichtigen Antragstellers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, ein derartiges Gewicht einzuräumen wäre, dass seine Abschiebung derzeit unzumutbar wäre und ihm eine Duldung erteilt werden müsste. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf das Kind der deutschen Staatsangehörigen C. , das voraussichtlich Ende November 2004 geboren werden wird, und dessen Vaterschaft der Antragsteller anerkannt hat. Denn es steht dem Antragsteller frei, nach der Geburt und dem Nachweis seiner Sorgeberechtigung für das Kind bei der deutschen Auslandsvertretung in seinem Heimatland ein entsprechendes Visum zu beantragen, wogegen sich die Notwendigkeit eines Verbleibs im Bundesgebiet derzeit bereits deshalb nicht aufdrängen dürfte, weil sich der Antragsteller seit dem 24.6.2004 in Haft befindet und eine familiäre Lebensgemeinschaft daher tatsächlich ohnehin nur sehr eingeschränkt gelebt werden könnte.

Die Kostentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren sowie die Änderung der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren beruhen auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2, § 63 Abs. 3 GKG 2004. Der Senat hat sich dabei am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./8.7.2004 beschlossenen Änderungen (Streitwertkatalog 2004) orientiert, wonach gemäß Nr. 8.3 bei Abschiebungen pro Person die Hälfte des Auffangstreitwerts anzusetzen ist. Eine Halbierung dieses Wertes gemäß Nr. 1.5 Streitwertkatalog 2004 ist nicht erfolgt, da das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geeignet war, die Entscheidung in der Hauptsache vorwegzunehmen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 2 GKG 2004).

Ende der Entscheidung

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