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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 03.06.2008
Aktenzeichen: 4 A 144/08
Rechtsgebiete: AuslG, BSHG


Vorschriften:

AuslG § 4
AuslG § 30
AuslG § 39
BSHG § 2
BSHG § 11
Kosten für die Ausstellung eines Passes, zu dessen Besitz ein Ausländer nach § 4 Abs. 1 AuslG verpflichtet ist, gehören zum notwendigen Lebensunterhalt i. S. v. § 11 Abs. 1 BSHG.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 4 A 144/08

Verkündet am 3. Juni 2008

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Übernahme der Passkosten

hier: Berufung

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Düvelshaupt aufgrund der mündlichen Verhandlung

am 3. Juni 2008

für Recht erkannt:

Tenor: Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung von Passbeschaffungskosten zusteht.

Die Klägerin ist afghanische Staatsangehörige. Sie reiste am 1.10.2000 ohne Visum und Pass nach Deutschland ein und stellte am 12.10.2000 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 28.1.2004 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG fest und wies den Antrag im Übrigen ab.

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 6.2.2004 die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG und am 9.2.2004 die Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines Reisepasses. Mit Schreiben vom 18.2.2004 wies die Beklagte die Klägerin im Verfahren in Bezug auf die Aufenthaltsbefugnis auf ihre Passpflicht hin und bat sie, einen Pass bei der zuständigen Botschaft zu beantragen. Unter dem 24.2.2004 erhielt sie die Erlaubnis, sich dazu nach Berlin zu begeben.

Am 25.2.2004 stellte die afghanische Botschaft in Berlin der Klägerin den afghanischen Pass aus. Die Erstattung der Kosten in Höhe von insgesamt 277,30 Euro - bestehend aus der Gebühr für die Afghanische Botschaft in Höhe von 232,- Euro und Reisekosten in Höhe von 45,30 Euro - machte die Klägerin gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 27.2.2004 geltend.

Die Beklagte erteilte ihr unter dem 26.4.2004 eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG, nachdem sie mit Bescheid vom 12.3.2004 den Antrag der Klägerin auf Erstattung der Kosten für die Beschaffung des Passes bereits abgelehnt hatte. Ihren Widerspruch hiergegen wies das Regierungspräsidium Dresden mit Bescheid vom 28.10.2004 zurück. Mit Urteil vom 28.6.2005 gab das Verwaltungsgericht der im Anschluss daran erhobenen Verpflichtungsklage statt. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erstattung der in Rede stehenden Passkosten, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i. V. m. § 21 Abs. 1a, §§ 11, 12 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) im maßgeblichen Zeitpunkt der durch die Hilfsbedürftige herbeigeführten Bedarfsdeckung erfüllt gewesen seien. Insbesondere umfasse der notwendige Lebensunterhalt der Klägerin im Sinne des § 11 Abs. 1 BSHG die Kosten für die in Rede stehende Passbeschaffung, weil diese der Passpflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG unterlegen habe. Dem Anspruch stünde der Nachranggrundsatz nicht entgegen.

Auf den Antrag der Beklagten vom 31.8.2005 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 20.3.2008 - 4 B 629/05 - zugelassen. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch zu Unrecht bejaht. Die Aufwendungen der Klägerin für die Passbeschaffung zählten nicht zum notwendigen Unterhalt im Sinne von § 11 Abs. 1 BSHG. Zwar gehörten die Kosten für die Beschaffung eines Passes zum notwendigen Lebensunterhalt im angesprochenen Sinne, wenn der Pass von dem betroffenen Ausländer für die freiwillige Ausreise benötigt werde oder für den Vollzug einer Abschiebeanordnung erforderlich sei. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Der Pass sei nicht erforderlich gewesen, um der Ausweispflicht zu genügen. Die Klägerin hätte diese Pflicht bereits mit einem Ausweisersatz gem. § 39 Abs. 1 AuslG erfüllt, der jederzeit problemlos bei der Ausländerbehörde hätte beschafft werden können. Sie wäre in diesem Fall auch nicht nach § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG strafbar gewesen. Im Übrigen führe die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu unabwägbaren Kosten der Beklagten, weil sie auf die Anzahl der illegal in die Bundesrepublik Deutschland einreisenden Ausländer und auf die Höhe der Passgebühren keinen Einfluss habe. Dessen ungeachtet stünde einem Anspruch der Klägerin der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" entgegen, weil es für sie zumutbar gewesen sei, die Entscheidung des Sozialhilfeträgers abzuwarten. Schließlich sei nicht erkennbar, dass die Klägerin die Mittel nur nach Aufnahme eines echten Darlehens habe aufbringen können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28.6.2005 - 13 K 2649/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bringt zudem vor, sie habe die Mittel für die Passbeschaffung von ihrem Sohn als Darlehen erhalten.

Wegen des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die Akte des Verwaltungsgerichts, die bei- gezogenen Behördenakten sowie die Senatsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, weil ihr bei Zugrundelegung der hier maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Selbsthilfe am 25.2.2004 (sh. 1) ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Beschaffung ihres Passes in Höhe von 277,30 € im Wege der Einmalhilfe nach § 21 Abs. 1 und 1a BSHG i. V. m. § 11 BSHG (sh. 2) zusteht; dabei kann der Senat die Frage offen lassen, ob das BSHG hier über § 120 BSHG oder die §§ 1, 2 AsylbLG Anwendung findet. Dem Anspruch auf die Hilfeleistung steht weder der Grundsatz, "Keine Hilfe für die Vergangenheit" (sh. 3) noch der Nachranggrundsatz (sh. 4) entgegen.

1. Zwar richtet sich der Erfolg einer - auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gerichteten - Verpflichtungsklage in der Regel nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Dieser Grundsatz ist jedoch dann nicht anwendbar, wenn der Betroffene - wie hier - die in Rede stehenden Kosten für einen einmaligen sozialhilferechtlichen Bedarf (§ 21 BSHG) bereits aufgewendet hat und deren Erstattung geltend macht. Für diesen Fall ist für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen der Zeitpunkt der durch den Hilfsbedürftigen herbeigeführten Bedarfsdeckung maßgeblich (VGH Bad.Württ., Beschl. v. 14.6.1994 - 6 S 3076/92 - InfAuslR 1996, 346).

2. Die Voraussetzungen des § 21 Abs i.V.m. § 11 BSHG für den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der in Rede stehenden Passbeschaffungskosten sind erfüllt. Insbesondere gehören Kosten für die Ausstellung eines Passes, zu dessen Besitz ein Ausländer im hier maßgeblichen Zeitraum nach § 4 Abs. 1 AuslG verpflichtet war, zum notwendigen Lebensunterhalt i. S. v. § 11 Abs. 1 BSHG.

Notwendiger Lebensbedarf im Sinne von § 11 Abs. 1 BSHG umfasst das zur Erfüllung notwendiger Bedürfnisse des täglichen Lebens erforderliche Existenzminimum. Dieses Existenzminimum erstreckt sich nicht nur auf elementare körperliche (physiologische) Bedürfnisse des Hilfsbedürftigen wie Nahrung, Heizung und Unterkunft, sondern umfasst auch solche Aufwendungen, die erforderlich sind, damit der Hilfsbedürftige seinen gesetzlichen Pflichten nachkommen kann (VGH Bad.Württ., Beschl. v. 14.6.1994, a. a. O.).

Im vorliegenden Fall waren die Aufwendungen der Klägerin für die Beschaffung ihres Passes erforderlich, um ihren gesetzlichen Pflichten nachzukommen, weil sie der Passpflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG unterlag. Eine Ausnahme von der Passpflicht nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AuslG war ersichtlich nicht gegeben; die Klägerin war weder von der Passpflicht befreit (Nr. 1) noch standen ihr andere Ausweise - wie etwa Reiseausweise - zur Verfügung (Nr. 2).

Soweit die Beklagte vorbringt, die in Rede stehenden Aufwendungen der Klägerin seien nicht zur Erfüllung von gesetzlichen Pflichten erforderlich gewesen, weil sie diesen Pflichten auch mit einem Ausweisersatz gemäß § 39 AuslG hätte entsprechen können, weshalb schon deshalb eine Strafbarkeit nach § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht in Rede stehen könne, kann ihr der Senat nicht folgen. Der Ausweisersatz nach § 39 AuslG ersetzt nicht den Pass (VGH Bad.Württ., Beschl. v. 14.6.1994, a. a. O.). Dessen ungeachtet lagen die Voraussetzungen der Norm nicht vor. Denn dies hätte nach § 39 Abs. 1 Satz 1 AuslG vorausgesetzt, dass die Klägerin einen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen konnte. Dies war hier aber nicht der Fall, weil der Klägerin am 25.2.2004 ohne weiteres einen Pass gegen Entrichtung der entsprechenden Gebühr ausgestellt wurde. Schließlich ist die Frage der Strafbarkeit hier nicht von Bedeutung. Auch wenn eine Strafbarkeit nicht gegeben wäre, würde dies an der gesetzlichen Verpflichtung zum Besitz eines Passes gemäß § 4 Abs. 1 AuslG nichts ändern. Die Passpflicht kann erst nach heutiger Rechtslage auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes erfüllt werden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

3. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass die Klägerin nach Stellung des Antrags auf Übernahme der Kosten für die Beschaffung des Passes diese am 25.2.2004 selbst beglichen hatte.

Zwar kann Sozialhilfe regelmäßig nicht für die Vergangenheit gewährt werden. Etwas anderes gilt nach ständiger Rechtsprechung in Eilfällen und bei Einlegung von Rechtsbehelfen um der Effektivität des Rechtsschutzes willen. Deshalb darf sich ein Hilfeempfänger selbst behelfen und vom Sozialhilfeträger die Übernahme der Kosten verlangen, wenn ihm ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar war. Im vorliegenden Fall war der Klägerin im Zeitpunkt der Selbsthilfe am 25.2.2004 das weitere Zuwarten auf die Entscheidung nicht mehr zumutbar. Zwar lag zwischen der Antragstellung und der Bedarfsdeckung durch die Klägerin nur ein kurzer Zeitraum von zwei Wochen; dies ist hier jedoch nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Denn die Beklagte hat die Klägerin im Zusammenhang mit deren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG mit Schreiben vom 18.2.2004 auf ihre Passpflicht hingewiesen und gebeten, einen solchen bei der zuständigen Botschaft zu beantragen und ihr unter dem 24.2.2004 die Erlaubnis erteilt, sich am 25.2.2004 in der Passangelegenheit nach Berlin zu begeben.

4. Schließlich steht auch der Nachranggrundsatz nach § 2 Abs. 1 BSHG dem Anspruch nicht entgegen. Zwar erhält nach dieser Regelung keine Sozialhilfe, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen erhält. Gleichwohl ist die Bejahung eines Sozialhilfeanspruchs mit diesem Grundsatz vereinbar, wenn der Hilfebedürftige den Bedarf aus Mitteln bestritten hat, die ihm ein Dritter im Wege eines Darlehens zur Verfügung gestellt hat, weil der Hilfebedarf nicht rechtzeitig mit Mitteln der Sozialhilfe gedeckt wurde (etwa: BVerwG, Urt. v. 23.6.1994, BVerwGE 96, 152 [153, 155]). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin hat vorgebracht, dass sie von ihrem Sohn ein Darlehen erhalten habe, um die Passbeschaffungskosten zu begleichen. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass dieses Vorbringen nicht der Wahrheit entsprechen könnte, liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung für das nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreie Verfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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