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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.09.2008
Aktenzeichen: 4 B 104/07
Rechtsgebiete: TAppO


Vorschriften:

TAppO § 10 Abs. 2
TAppO § 10 Abs. 3
Eine gleichheitswidrige erneute Prüfungschance verschafft sich ein Prüfling sowohl, wenn er unter Vortäuschung einer Prüfungsuntauglichkeit von einer Prüfung zurück tritt, wie auch, wenn er sich in Kenntnis seiner Prüfungsunfähigkeit oder ihrer wesentlichen Beeinträchtigung einer Prüfung unterzieht, um sich im Falle eines Misserfolges durch einen nachträglichen Rücktritt den Rechtswirkungen der erfolglosen Prüfung zu entziehen.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 4 B 104/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Tierärztliche Vorprüfung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Düvelshaupt

am 2. September 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 18. Oktober 2006 - 4 K 781/04 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Antragsbegründungsfrist vorgebrachten, den Prüfungsumfang des Senats begrenzenden (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO) Darlegungen der Klägerin lassen das Vorliegen des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erkennen.

1. Die Klägerin nahm am 1.3.2004 an einer Wiederholungsprüfung im Fach Physiologische Chemie im Rahmen ihres Studiums der Tiermedizin an der Universität teil. Noch am gleichen Tage teilte ihr der Prüfungsausschuss für die tierärztliche Vorprüfung mit, dass sie die Prüfung nicht bestanden habe und eine weitere Wiederholungsprüfung ausgeschlossen sei, woraufhin die Klägerin - ebenfalls noch am 1.3.2004 - in mehreren Schreiben ihren Rücktritt von der Prüfung erklärte und Widerspruch erhob. Eine Begründung für ihren Rücktritt erfolgte in ihren Schreiben hierzu nicht. Am 3.3.2004 ließ sich die Klägerin beim Gesundheitsamt in Heidelberg untersuchen, das ihr in seinem Gutachten vom gleichen Tag eine akute aktuelle situative Konflikt- und Belastungsreaktion bescheinigte. Des Weiteren geht hieraus hervor, dass sich die Klägerin wegen der angesprochenen Prüfung bereits eine Zeit lang unter Druck gesetzt gefühlt habe, wobei sie immer unsicherer und verzweifelter geworden sei. Ihr Gesundheitszustand sei zusätzlich durch einen Tinnitus beeinträchtigt gewesen. Sie habe an der Prüfung teilgenommen, sei jedoch hilflos, leer und nicht in der Lage gewesen, auch nur eine Frage richtig zu beantworten; sie sei nicht stark genug gewesen zu sagen, dass sie nicht an der Prüfung teilnehmen könne. Das Gutachten des Gesundheitsamts ging der Universität am 5.3.2004 zu.

Mit Bescheid vom 6.5.2004 wies der Prüfungsausschuss den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid über das endgültige Nichtbestehen der Tierärztlichen Vorprüfung zurück. Die anschließende Klage blieb ohne Erfolg. Zur Begründung des Urteils führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, ein Anspruch der Klägerin gemäß § 10 Abs. 2 und 3 TAppO auf eine erneute Wiederholungsprüfung bestehe nicht, weil die Klägerin von der Prüfung nicht wirksam zurückgetreten sei. Voraussetzung für einen wirksamen Rücktritt nach § 10 Abs. 3 TAppO sei, dass er - unter Angaben von Gründen - unverzüglich erklärt werde. Daran fehle es hier.

2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten so in Frage stellt, dass der Ausgang des Verfahrens zumindest als ungewiss anzusehen ist. Dies ist hier nicht der Fall. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass hier ein wirksamer Rücktritt nach § 10 Abs. 3 TappO nicht vorliege, weil dieser nicht unverzüglich erfolgt sei.

§ 10 Abs. 2 TAppO regelt u.a., unter welchen Voraussetzungen bei krankheitsbedingter Versäumnis eines Prüfungstermins Studierende zu einer neuen Prüfung zu laden sind; nach § 10 Abs. 3 TAppO gilt diese Regelung entsprechend, wenn Studierende eine Prüfung abbrechen oder von ihr zurücktreten. Da ein Rücktritt nicht voraussetzt, dass die Prüfung oder der Prüfungsabschnitt noch andauert, wird davon auch ein nachträglicher Rücktritt erfasst (sh. dazu: BVerwG, Urt. v. 22.10.1982, NJW 1983, 2101). Voraussetzung für einen Rücktritt nach § 10 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 TAppO ist das Vorliegen eines triftigen Grundes, der dem Vorsitzenden unverzüglich auch schriftlich mitzuteilen und auf Verlangen glaubhaft zu machen ist und die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, wobei der Vorsitzende die Vorlage des Zeugnisses eines Gesundheitsamtes verlangen kann. Das Vorliegen eines krankheitsbedingten triftigen Grundes genügt daher für einen Rücktritt selbst dann nicht, wenn er durch ein amtsärztliches Zeugnis bestätigt wird; erforderlich ist daneben eine unverzügliche schriftliche Mitteilung. Das Erfordernis der Unverzüglichkeit dient dazu, einer Verletzung der Chancengleichheit entgegen zu wirken, indem sich ein Prüfling durch einen Rücktritt eine zu Lasten der Mitprüflinge zusätzliche Prüfungschance verschafft (sh. Senatsbeschl. v. 9.2.2006 - 4 BS 293/05 - zit. nach juris).

Eine gleichheitswidrige erneute Prüfungschance verschafft sich ein Prüfling sowohl, wenn er unter Vortäuschung einer Prüfungsuntauglichkeit von einer Prüfung zurück tritt, wie auch, wenn er sich in Kenntnis seiner Prüfungsunfähigkeit oder ihrer wesentlichen Beeinträchtigung einer Prüfung unterzieht, um sich im Falle eines Misserfolges durch einen nachträglichen Rücktritt den Rechtswirkungen der erfolglosen Prüfung zu entziehen. Erkennt ein Prüfling bereits vor der Prüfung, dass er prüfungsunfähig ist oder hat er wegen körperlicher Symptome oder äußerer Umstände Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit, dann muss er sich um Aufklärung bemühen, wozu auch die Einholung etwa ärztlichen Rats gehört. Verdrängt er die Zweifel, lässt sie auf sich beruhen oder nimmt er trotz ihrer Bestätigung an einer Prüfung teil, so muss er sich an seiner Entscheidung für die Prüfungsteilnahme festhalten lassen und kann sich ihr nicht durch einen Rücktritt entziehen. Denn es widerspräche dem Grundsatz der Chancengleichheit, einem Kandidaten, der sich ungeachtet einer erkannten Verminderung seiner Leistungsfähigkeit einer Prüfung in der Hoffnung stellt, sie gleichwohl zu bestehen, im Falle des Misslingens eine weitere Prüfungschance einzuräumen. Nur dann, wenn vor einer Prüfung eine gegebene Leistungsbeeinträchtigung nicht erkennbar war und vernünftigerweise kein Anlass bestand, die Leistungsfähigkeit in Zweifel zu ziehen oder eine Leistungsbeeinträchtigung erst während einer Prüfung entstand, kann ein Prüfling trotz Teilnahme an einer Prüfung seinen Rücktritt erklären. Auch in diesen Fällen besteht die Gefahr einer Verletzung der Chancengleichheit, indem der Prüfling versucht, Unklarheiten auszunutzen und sich eine zusätzliche Prüfungschance durch die Geltendmachung einer in Wirklichkeit nicht gegebenen Prüfungsunfähigkeit zu eröffnen. Einer solchen gleichheitswidrigen Verbesserung der Prüfungschancen kann entgegengewirkt werden, wenn dem Prüfungsamt eine eigene zeitnahe Gelegenheit zur Überprüfung gegeben wird, indem ihm die Rücktrittsgründe frühzeitig bekannt gegeben werden. Die diesem Zweck dienende unverzügliche Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit durch den Prüfling als Teil seiner auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhenden Mitwirkungspflicht im Prüfungsverfahren muss daher zu dem ihm frühestmöglich zumutbaren Zeitpunkt erfolgen (BVerwG, Urt. v. 7.10.1988, NJW 1989, 2340; sh. Senatsbeschl. v. 9.2.2006, a. a. O.).

Davon ausgehend ist der von der Klägerin erklärte Rücktritt vom 1.3.2004 nicht unverzüglich im hier angesprochenen Sinne. Voraussetzung für einen unverzüglichen Rücktritt wäre hier gewesen, dass die Klägerin ihn unter Angabe der maßgeblichen Gründe bereits vor der Prüfung erklärt hätte. Denn aus dem amtsärztlichen Gutachten geht hervor, dass bei der Klägerin die in Rede stehenden Symptome, welche die Leistungsfähigkeit mindern, bereits vor der Prüfung vorgelegen haben. Dass der Klägerin - zumindest in der Parallelwertung in der Laiensphäre - unmittelbar vor der Prüfung nicht bewusst oder erkennbar war, dass ihr Leistungsvermögen im Hinblick auf ihre psychischen Umstände und den Tinnitus beeinträchtigt ist, hat die Klägerin im Zulassungsverfahren zwar vorgebracht, aber nicht hinreichend dargelegt bzw. plausibel gemacht.

Selbst wenn die Klägerin den Rücktritt am 1.3.2004 noch rechtzeitig hätte erklären können, ließe er sich nicht als unverzüglich qualifizieren. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 TAppO, der nach Absatz 3 der Vorschrift entsprechend gilt, wenn die Studierenden eine Prüfung abbrechen oder von ihr zurücktreten, ist der Grund der Versäumnis unverzüglich auch schriftlich mitzuteilen und auf Verlangen glaubhaft zu machen. Dementsprechend setzt die Annahme eines unverzüglichen Rücktritts in der Regel voraus, dass sowohl die Erklärung des Rücktritts als auch die Angabe der Rücktrittsgründe unverzüglich erfolgt. Anderes kann gelten, wenn dem Betroffenen im Hinblick auf außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls die Angabe der Rücktrittsgründe nicht zumutbar ist. Die Angabe der Rücktrittsgründe ist zu unterscheiden von deren Glaubhaftmachung. Eine ausreichende Angabe von Rücktrittsgründen liegt schon dann vor, wenn in einfachen Worten mitgeteilt wird, warum der Rücktritt erfolgt. Eine wissenschaftliche Begründung ist nicht erforderlich. Ein strengerer Maßstab gilt unter Umständen bei der Glaubhaftmachung des Rücktrittsgrundes. Im vorliegenden Fall wurde dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses der Rücktrittsgrund für den Rücktritt der Klägerin erst nach Übersendung des amtsärztlichen Gutachtens am 5.3.2004 bekannt. Dies war hier jedenfalls nicht mehr unverzüglich im angesprochenen Sinne. Dass der Klägerin die Angabe ihrer Rücktrittsgründe im Zusammenhang mit der Erklärung ihres Rücktritts am 1.3.2004 nicht möglich und deswegen unzumutbar gewesen ist, ist nicht ersichtlich.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 72 Nr. GKG, § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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