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Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 24.05.2005
Aktenzeichen: 4 B 170/04
Rechtsgebiete: BVFG


Vorschriften:

BVFG § 100 Abs. 1
BVFG § 100 Abs. 2
BVFG § 100 Abs. 5 (in der ab dem 1.1.1993 geltenden Fassung)
BVFG § 1 Abs. 2 Nr. 2
BVFG § 1 Abs. 2 Nr. 3
BVFG § 6
BVFG § 15
BVFG § 27 (in der bis zum 31.12.1992 geltenden Fassung)
Zur Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit von Deutschstämmigen der zweiten Spätgeborenengeneration aus der früheren Sowjetunion.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 4 B 170/04

Verkündet am 24. Mai 2005

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausstellung von Vertriebenenausweisen

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Verwaltungsgericht Wefer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Mai 2005

am 24. Mai 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger zu 1. und 2. wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 1. Februar 2002 - 2 K 1863/97 - geändert.

Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern zu 1. und 2. Vertriebenenausweise auszustellen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung von Vertriebenenausweisen.

Der Kläger zu 1. wurde am 1966 in S. , Moskauer Gebiet geboren und ist seit 1.11.1990 mit der am 1969 in W. geborenen Klägerin zu 2. verheiratet. Am 29.11.1990 beantragte die bevollmächtigte Schwester der Mutter des Klägers zu 1., die sich als Vertriebene bereits im Bundesgebiet aufhielt, bei dem Bundesverwaltungsamt für die Kläger die Aufnahme als Aussiedler. Die in dem entsprechenden Formularantrag enthaltene Frage nach der Pflege des deutschen Volkstums wird darin verneint und als Geburtsort und Geburtsdatum der Mutter des Klägers zu 1. werden das Dorf N. sowie der 1945 angegeben. Der Antrag wurde nach Aufforderung des Bundesverwaltungsamtes mit weiteren Angaben vom 29.7.1991 u.a. zur Pflege des deutschen Volkstums ergänzt ("getauft, konfirmiert, Mitglied der Gesellschaft Wiedergeburt, Leser der Zeitung Neues Leben").

Die Kläger reisten am 27.3.1991 in das Bundesgebiet ein, nachdem ihnen Visa für einen Besuchsaufenthalt vom 26.3.1991 bis 27.4.1991 erteilt wurden. Während ihres Aufenthaltes - die Visa wurden mehrfach verlängert - teilte das Landratsamt Leipzig dem Bundesverwaltungsamt in einem Schreiben vom 19.6.1991 mit, dass der Bruder der Mutter des Klägers zu 1. in der Sowjetunion erschlagen worden sei. Die Mutter befürchte für die Kläger, die sich mit Touristenvisa im Bundesgebiet aufhielten, bei einer Rückkehr in die UdSSR Repressalien, weshalb gebeten werde, die Härtefallregelung in Anwendung zu bringen.

Am 3.1.1992 erteilte das Bundesverwaltungsamt für die Kläger einen Aufnahmebescheid. In dem Bescheid wird u.a. ausgeführt, dass die Kläger nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland dem Land Sachsen zugewiesen würden; nach ihrer Ankunft in Deutschland könnten sie sich in eine - näher bezeichnete - Aufnahmeeinrichtung begeben. In dem Bescheid, der an die vor der Ausreise bestehende Anschrift der Kläger in Z. adressiert ist, wird keine Rechtsgrundlage genannt.

Mit Formularantrag vom 5.2.1992 beantragten die Kläger am 6.2.1992 die Erteilung von Vertriebenenausweisen. Der Antrag des Klägers zu 1. enthält einen amtlichen Vermerk, wonach der Antragsteller deutsch spreche. In dem Antrag wird angegeben, dass seine Muttersprache deutsch sei. Seine Mutter I. K. geb. B. sei am 1945 in Deutschland, D. , Kreis S. geboren. Der Vater A. von J. K. sei am 1941 in St. T. geboren und am 1985 in St. S. verstorben. Die Muttersprache und Umgangssprache innerhalb der Familie wird für beide Elternteile mit deutsch angegeben. Die Eltern der Mutter seien der am 1911 in K. , Odessa Gebiet, Ukraine geborene und 1945 in Deutschland verstorbene C. B. sowie die am 1909 in G. , Odessa Gebiet, Ukraine geborene und am 1982 in St. Z. verstorbene F. B. geb. Z. . Die Eltern des Vaters seien der am 1912 in S. Gebiet geborene und 1956 in St. T. verstorbene J. K. sowie die am 1911 in S. Gebiet geborene und 1986 in St. T. verstorbene M. K. geb. S. . Für alle Genannten wird die Muttersprache und die Umgangssprache mit deutsch angegeben. Die Frage in dem Formularantrag nach einer Umsiedlung in den Jahren 1939 bis 1944 wird hinsichtlich der Mutter, deren Eltern und der Eltern des Vaters bejaht. Für die Mutter wird "03.1944 (in Dtl. geboren)" und für deren Vater und Mutter "1944, Deutschland" sowie für den Vater und die Mutter ihres Vaters "1941, T. " angegeben.

In dem Antrag der Klägerin zu 2. wird u.a. ausgeführt, dass ihre Eltern verbrannt seien und sie von ihnen ansonsten nichts wisse. Nachdem ihr Opa im Jahre 1970 aus dem Gefängnis entlassen worden sei, habe dieser sie aus dem Kinderheim geholt.

Beiden Anträgen beigefügt waren u.a. Geburtsurkunden und Reisepässe der Kläger zu 1. und 2. In einer Mehrfertigung des Reisepasses des Klägers zu 1. vom 31.7.1982 (Seriennummer: ) wird dessen Volkszugehörigkeit mit deutsch angegeben.

Auf Veranlassung des - nach der Kreisreform nunmehr zuständigen - Landratsamtes Leipzig wurden die von den Klägern vorgelegten Geburtsurkunden von dem Landeskriminalamt Sachsen auf ihre Echtheit überprüft. In einem als Behördengutachten bezeichneten Schreiben vom 7.2.1994 kommt das Landeskriminalamt zu dem Prüfungsergebnis, dass es sich bei den Urkunden sehr wahrscheinlich um echte Vordrucke handle, die im Bereich der Ausfüllschriften durch eine chemische Rasur verfälscht worden seien. Des Weiteren teilte die Heimatauskunftsstelle beim Landesausgleichsamt Baden-Württemberg mit Schreiben vom 27.9.1994 dem Landratsamt mit, dass nach dortiger Meinung die Angabe zur Nationalität in dem Inlandspass des Klägers zu 1. gefälscht worden sei; es werde empfohlen über das Auswärtige Amt bei dem Außenministerium der Russischen Föderation die Nationalität des Klägers zu 1. zu ermitteln. Das Landratsamt Leipziger Land stellte daraufhin gegen die Kläger mit Schreiben vom 16.2.1995 Strafanzeige wegen Betrug und Urkundenfälschung.

Mit Entscheidungen vom gleichen Tag lehnte das Landratsamt die Anträge der Kläger auf Vertriebenenausweise ab. Die Ablehnungsentscheidungen wurden an die Kläger als Einschreiben mit Rückschein versandt und - jeweilig mit dem Vermerk "Lagerfrist abgelaufen" "Sendung nicht angefordert" - am 6.3.1995 wieder an das Landratsamt zurückgesandt. Daraufhin wurden die nunmehr mit dem Ausstellungsdatum 16.3.1995 versehenen Ablehnungsbescheide am 18.3.1995 den Klägern mit Postzustellungsurkunde zugestellt, die dagegen am 18.4.1995 Widerspruch einlegten.

Während des Widerspruchsverfahrens wurde mit Bescheid der Staatsanwaltschaft Chemnitz vom 13.1.1997 das Ermittlungsverfahren gegen die Kläger eingestellt. Zur Begründung wird darin u.a. ausgeführt, dass den Klägern keine Kenntnis von den Veränderungen der Geburtsurkunden nachgewiesen werden könne. Hinsichtlich der Inlandspässe hätten mangels gesicherter Erkenntnisse zu diesen Urkunden keine Feststellungen zur Echtheit getroffen werden können.

Am 6.2.1997 teilte das Außenministerium der Republik Kasachstan auf eine Anfrage des Landratsamtes Leipziger Land mit, dass in dem ersten Inlandspass des Klägers zu 1. der Serie in der Spalte Nationalität "Russe" eingetragen gewesen sei.

Die Widersprüche der Kläger wurden daraufhin mit Bescheiden des Regierungspräsidiums Leipzig an den Kläger zu 1. vom 4.11.1997 und an die Klägerin zu 2. vom 6.11.1997 - dem Kläger zu 1. am 12.11.1997, der Klägerin zu 2. am 15.11.1997 zugestellt - zurückgewiesen. Zur Begründung wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung von Vetriebenenausweisen nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 BVFG in der anzuwendenden Fassung des Aussiedleraufnahmegesetzes vom 28.6.1990 nicht vorliegen würden. Zwar hätten die Kläger ihr Herkunftsgebiet im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen, es fehle jedoch an einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Da die Kläger zu 1. und 2. nach dem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der früheren Sowjetunion am 22.6.1941 geboren worden seien, käme es auf die Bekenntnisvermittlung an. Ein solcher Bekenntniszusammenhang könne hier schon deshalb nicht angenommen werden, weil wegen der verfälschten Geburtsurkunden nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass die Kläger zu 1. und 2. von den dort eingetragenen Personen abstammen würden. Die Kläger hätten gefälschte Dokumente mit der Absicht der Nachweisführung der deutschen Volkszugehörigkeit vorgelegt. Selbst wenn angenommen würde, dass der Kläger zu 1. von den in der Geburtsurkunde genannten Personen abstamme, könne ein Bekenntnis- und Überlieferungszusammenhang insbesondere wegen der Erklärung zur russischen Volkszugehörigkeit in seinem ersten Inlandspass nicht angenommen werden. In dem Antrag auf Aufnahme als Aussiedler sei zudem die Frage nach der Pflege des deutschen Volkstums verneint worden.

Die Kläger haben hiergegen am 10.12.1997 Klage erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung der angesprochenen Bescheide zu verpflichten, die beantragten Vertriebenenausweise auszustellen. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass die vorgelegten Geburtsurkunden nicht gefälscht seien. Hinsichtlich des Nationalitäteneintrags in dem ersten Inlandspass des Klägers zu 1. sei richtig, dass dieser die Eintragung "deutsch" selbst vorgenommen habe, um "das Verfahren zu seinen Gunsten zu beeinflussen". Von einem "Erschleichen" könne jedoch keine Rede sein, da der Kläger tatsächlich deutscher Volkszugehöriger sei.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Unter Bekräftigung der Gründe des angefochtenen Bescheides hat er darauf verwiesen, dass die Kläger die deutsche Volkszugehörigkeit nicht glaubhaft gemacht hätten. Die vorgelegten Dokumente seien gefälscht. Hinsichtlich des ersten Inlandspasses habe der Kläger zu 1. dies selbst zugestanden.

Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts teilte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Kirgisischen Republik am 12.6.2001 mit, dass in dem ersten Inlandspass für die Klägerin zu 2. entsprechend der Angabe in dem Antrag auf Ausstellung des Passes die Nationalität "russisch" eingetragen gewesen sei.

Das Verwaltungsgericht Leipzig hat mit Urteil vom 1.2.2002 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage für die Ausstellung der beantragten Ausweise nach § 15 BVFG a.F. sei, dass die Kläger Spätaussiedler i.S.d. § 100 Abs. 5 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 4 BVFG in der Fassung vom 1.1.1993 seien. Die Kläger müssten demnach deutsche Volkszugehörige i.S.d. § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung des Spätaussiedlergesetzes vom 30.8.2001 sein. Davon könne hier jedenfalls deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Kläger sich durch eine Nationalitätenerklärung zu russischen Nationalität bekannt hätten. Selbst wenn § 6 Abs. 2 BVFG angesichts verfassungsrechtlicher Bedenken nicht anwendbar sein sollte, ergebe sich aus § 6 BVFG a.F. bzw. § 6 Abs. 2 BVFG 1993 nichts anderes, weil in jeder Fassung ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum als Voraussetzung angesprochen sei.

Gegen das den Klägern jeweils am 26.2.2002 zugestellte Urteil, das eine Belehrung zur Einlegung der Berufung enthält, haben diese zunächst Berufung eingelegt und nach Hinweis des Senats, dass die Rechtsmittelbelehrung unrichtig sei, am 12.4.2002 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23.2.2004 - 4 B 266/02 - wurde die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zugelassen.

Nach Zustellung des Beschlusses am 2.3.2004 haben die Kläger die Berufung am 2.4.2004 mit Schriftsatz vom gleichen Tag begründet. Dem Schriftsatz ist u.a. die Mehrfertigung des Antrags für einen Inlandspass an den Kläger zu 1. mit dem Nationalitäteneintrag nemec (deutsch) beigefügt. Die Kläger zu 1. und 2. bekräftigen in dem Berufungsverfahren im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und tragen darüber hinaus vor, dass die Mutter des Klägers zu 1. wegen ihrer Geburt in D. , Kreis S. und damit im damaligen Deutschen Reichsgebiet deutsche Staatsangehörige geworden sei, weshalb der Kläger durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit von ihr erworben habe.

Die Kläger zu 1. und 2. beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 1.2.2002 zu ändern und unter Aufhebung der Bescheide des Landratsamtes Leipziger Land vom 16.3.1995 und der Widerspruchsbescheide des Regierungspräsidiums Leipzig vom 4.11.1997 und 6.11.1997 den Beklagten zu verpflichten, für die Kläger zu 1. und 2. Vertriebenenausweise auszustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bekräftigt er im Wesentlichen die bislang vorgebrachten Erwägungen. Ergänzend hierzu macht er geltend, dass allein die Vermittlung der deutschen Sprache für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum nicht ausreiche. Erforderlich sei darüber hinaus ein Bekenntnis zur deutschen Nationalität nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BVFG.

Eine weitere Sachaufklärung in dem Berufungsverfahren durch eine erneute Auskunft des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Kasachstan zu dem Eintrag der Nationalität in dem ersten Inlandspass des Klägers zu 1. war nicht möglich, da die hierzu erforderlichen Beglaubigungen von der Botschaft der Republik Kasachstan nicht erteilt wurden. Das Auswärtige Amt, das von dem Senat insoweit um Amtshilfe gebeten wurde, teilte mit Schreiben vom 15.11.2004 mit, dass das Amt keine andere Aufklärungsmöglichkeit sehe und bereits in anderen Fällen erfolglos versucht habe, bei der Botschaft der Republik Kasachstan zu intervenieren. In der mündlichen Verhandlung am 24.5.2005 hat der Senat die Kläger zu ihrem Klagebegehren angehört und Beweis erhoben über das Bestehen der von dem Kläger zu 1. in seinem Antrag auf einen Vertriebenenausweis geltend gemachten Familienverhältnisse durch eine Zeugeneinvernahme der Frau I. K. . Wegen des Inhalts der Anhörung und der Zeugenvernehmung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren (4 B 266/02) und im Berufungsverfahren (4 B 170/04) sowie des Verwaltungsgerichts (2 K 1863/97) und des Beklagten verwiesen. Entscheidungsgründe:

Die zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet, weil die Kläger zu 1. und 2. Anspruch auf Ausstellung von Vertriebenenausweisen haben. Das angefochtene Urteil ist daher zu ändern und der Beklagte zur Ausstellung von Vertriebenenausweisen zu verpflichten, wodurch sich die angefochtenen Bescheide des Beklagten, die diesen Anspruch versagen, nach § 43 Abs. 2 VwVfG erledigen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Anspruch der Kläger ergibt sich bei der hier einschlägigen Anwendung des BVFG in der nach dem 1.7.1990 und vor dem 1.1.1993 geltenden Fassung (BVFG a.F.; sh. 1.), aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 6, 15 BVFG a.F., da der Kläger zu 1. als Spätgeborener der 2. Generation wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit Vertriebener ist und die mit ihm verheiratete Klägerin zu 2. als Vertriebene gilt (sh. 2).

1. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Ausstellung von Vertriebenenausweisen - der durch die Ablehnungsentscheidungen vom 16.2.1995 schon deshalb nicht unanfechtbar abgelehnt wurde, weil diese als Einschreiben mit Rückschein zuzustellenden Entscheidungen nicht durch eine Niederlegung zugestellt werden konnten (sh. dazu: BVerwG, Urt. v. 1.10.1970, NJW 1971, 446) - ist nach § 100 Abs. 1 und 2 Satz 1 BVFG die Regelung in § 15 BVFG i.d.F. des Aussiedleraufnahmegesetzes vom 28.6.1990 (BGBl. I S. 1247), da die statusbegründenden Tatbestände hier vor dem 1.1.1993 entstanden sind.

Die Kläger zu 1. und 2. sind am 27.3.1991 in das Bundesgebiet eingereist und haben am 6.2.1992 die Ausstellung von Vertriebenenausweisen beantragt, somit nach dem Inkrafttreten des Aussiedleraufnahmegesetzes zum 1.7.1990 (Art. 4 Aussiedleraufnahmegesetz) und vor dem Inkrafttreten des BVFG am 1.1.1993 in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.6.1993. Damit gelten nach § 100 Abs. 1 BVFG die vor dem 1.1.1993 geltenden Regelungen, somit diejenigen in der ab dem 1.7.1990 geltenden Fassung des Aussiedleraufnahmegesetzes.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist dagegen die Regelung in § 100 Abs. 5 BVFG nicht einschlägig. Danach sind Personen Spätaussiedler, die vor dem 1.1.1993 einen Aufnahmebescheid erhalten haben, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 oder des § 4 erfüllen. Daraus folgt jedoch nicht, dass Personen, die wie die Kläger zu 1. und 2. das Aussiedlungsgebiet vor dem 1.1.1993 verlassen und vor diesem Zeitpunkt einen Aufnahmebescheid erhalten haben, Spätaussiedler wären. Denn der Personenkreis der Vertriebenen und der Spätaussiedler bestimmt sich nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 und § 4 BVFG. Danach ist für die Zuordnung als Vertriebener oder Spätaussiedler das Verlassen des Aussiedlungsgebietes vor oder nach dem 31.12.1992 maßgebend. Diese Zuordnung nach dem Stichtag wird durch § 100 Abs. 5 BVFG, der keine ausdrückliche Bestimmung zum Zeitpunkt der Aussiedlung enthält, nicht geändert. Erfasst werden durch diese Regelung daher nur Personen, die vor dem 1.1.1993 einen Aufnahmebescheid erhalten haben und nach dem 31.12.1992 das Aussiedlungsgebiet verlassen haben. Diese Aussiedler sind dann Spätaussiedler, wenn sie zwar nicht die Voraussetzungen nach § 4 BVFG, jedoch diejenigen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG, abgesehen von der dortigen Stichtagsregelung des 1.1.1993, erfüllen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.4.1999, VBlBW 2000, 106).

2. Da somit § 100 Abs. 5 BVFG nicht einschlägig ist und nach § 100 Abs. 1 und 2 Satz 1 BVFG die vor dem 1.1.1993 geltenden Bestimmungen für die Klage Anwendung finden, ist auf § 15 Abs. 1 und 2, § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 6 BVFG a.F. abzuheben, deren Voraussetzungen von den Klägern zu 1. und 2. erfüllt werden. Der - spätgeborene - Kläger zu 1. ist danach als deutscher Volkszugehöriger Vertriebener (sh. 2.1.); die Klägerin zu 2. ist zwar nicht selbst deutsche Volkszugehörige, sie gilt jedoch als Ehefrau des Klägers zu 1. ebenfalls als Vertriebene (sh. 2.2.).

2.1. Nach § 15 Abs. 1 und 2 BVFG a.F. erhalten Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge zum Nachweis ihrer Vertriebenen- und Flüchtlingseigenschaft die dort angesprochenen Ausweise. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. ist - auch - Vertriebener, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem 1.7.1990 oder danach im Wege der Aufnahme die näher genannten Vertreibungsgebiete, zu denen auch die frühere Sowjetunion gehört, verlassen hat (Aussiedler). Deutscher Volkszugehöriger ist nach § 6 BVFG a.F., wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum hat derjenige abgelegt, der das Bewusstsein und den Willen gehabt hat, selbst Deutscher zu sein und keinem anderen Volk anzugehören und wer diesen Willen für unbeteiligte Dritte wahrnehmbar kundgetan hat, um in seiner Heimat als Deutscher behandelt zu werden. Maßgeblich für ein solches Bekenntnis ist die Zeit bis zum Beginn der allgemeinen Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen gegen Deutsche, im Fall der früheren Sowjetunion regelmäßig der Tag des deutschen Angriffs am 22.6.1941. Danach ist der Kläger zu 1., für den als Spätgeborener der 2. Generation die angesprochenen Regelungen anwendbar sind (sh. 2.1.1.) Vertriebener, weil er die frühere Sowjetunion im Wege der Aufnahme (sh. 2.1.2.) zwar nicht als deutscher Staatsangehöriger (sh. 2.1.3.) aber als deutscher Volkszugehöriger (sh. 2.1.4.) verlassen hat.

2.1.1. Eine Anwendbarkeit der angesprochenen Regelungen auf den Kläger zu 1. ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil er nach dem für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum hier maßgeblichen Zeitpunkt am 22.6.1941 geboren wurde und auch sein am 1941 geborener Vater und seine am 1945 geborene Mutter zu diesem Zeitpunkt nicht bekenntnisfähig bzw. geboren waren. Ein nach Beginn der Vertreibungsmaßnahmen Geborener, dessen Eltern bis zu diesem Beginn ebenfalls nicht geboren oder bekenntnisfähig waren, kann gleichwohl als Spätgeborener der 2. Generation unter zwei Voraussetzungen deutscher Volkszugehöriger sein: Erstens müssen die Großeltern/Eltern oder ein Großelternteil/Elternteil deutsche Volkszugehörige sein und zweitens muss die hieraus bestehende Bekenntnislage, dem Spätgeborenen bis zum Eintritt seiner Selbständigkeit prägend im Sinne eines durch Weitergabe hergestellten Bekenntniszusammenhangs vermittelt worden sein (BVerwG, Urt. v. 19.4.1994, NVwZ 1994, 1107; Urt. v. 15.5.1990, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 64 m.w.N.).

2.1.2. Der Kläger zu 1. hat die frühere Sowjetunion nach der damit anwendbaren Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. im Wege der Aufnahme verlassen, weil ein Aufnahmeverfahren nach den §§ 26, 27 BVFG a.F. durchgeführt worden ist, wobei unerheblich ist, ob der Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 3.1.1992 nach § 27 Abs. 1 oder Abs. 2 BVFG a.F. getroffen wurde.

Nach §§ 26, 27 Abs. 1 BVFG muss grundsätzlich vor dem Verlassen des Vertreibungsgebietes ein mit einem Aufnahmebescheid endendes Aufnahmeverfahren durchgeführt werden. Eine Ausnahme von diesem Erfordernis eines bereits vor dem Verlassen ergangenen Aufnahmebescheids wird in § 27 Abs. 2 BVFG a.F. geregelt, wonach ein Aufnahmebescheid an Personen, die sich bereits im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, erteilt werden kann, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde. Diese nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheids steht einem Aufnahmebescheid gleich, der im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes bereits vorlag. Ein Betroffener hat daher auch in diesem Fall das Vertreibungsgebiet im Wege der Aufnahme i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. verlassen (BVerwG, Beschl. v. 11.7.1994, NVwZ 1995, 393).

Hier ist der Kläger zu 1. aus der früheren Sowjetunion am 27.3.1991 ohne einen solchen Aufnahmebescheid ausgereist; ein Aufnahmebescheid wurde erst danach, am 3.1.1992 erteilt. Ob dieser Aufnahmebescheid als nachträglicher Bescheid i.S.v. § 27 Abs. 2 BVFG a.F. von dem Bundesverwaltungsamt erteilt wurde, ist zweifelhaft. Der Bescheid selbst enthält keine Angabe einer Rechtsgrundlage und keine Ausführungen aufgrund derer angenommen werden könnte, er sei wegen eines Härtefalls nachträglich erteilt worden. Er ist auch nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schreiben des Landratsamtes Leipzig vom 19.6.1991 und der darin angesprochenen Härtefallregelung, sondern mehr als ein halbes Jahr später getroffen worden. Schließlich wurde er nicht an die sich im Bundesgebiet aufhaltenden Kläger, sondern an deren frühere Anschrift in Z. adressiert.

Einer weiteren Erörterung hierzu bedarf es nicht, da ein Verlassen des Klägers zu 1. im Wege der Aufnahme auch dann anzunehmen wäre, wenn der Bescheid nach § 27 Abs. 1 BVFG a.F. erteilt worden sein sollte. Denn jedenfalls wäre auch in diesem Fall der Ordnungszweck des Aufnahmeverfahrens erfüllt, weshalb die Ausreise des Klägers zu 1. wie im Wege der Aufnahme erfolgt wäre.

Das Aufnahmeverfahren nach den §§ 26 ff. BVFG a.F. bezweckt, den Zustrom von Ausreisewilligen aus den Aussiedlungsgebieten durch eine vorläufige Prüfung der Aussiedlereigenschaft in geordnete Bahnen zu lenken und unberechtigte, weil aus Rechtsgründen nicht zu erfüllende, Erwartungen in den Aussiedlungsgebieten zu vermeiden (BVerwG, Urt. v. 19.4.1994, NVwZ- RR 1995, 166). Dieser Ordnungszweck ist erfüllt, wenn das Aufnahmeverfahren erfolgreich durchlaufen wurde, gleichgültig, ob auf der Grundlage von § 27 Abs. 1 oder 2 BVFG a.F. Denn hier wie da wird durch einen Aufnahmebescheid zum Ausdruck gebracht, dass nach einer vorläufigen Prüfung die Aussiedlereigenschaft vorliegt und der Betroffene im Bundesgebiet aufgenommen werden kann. Würde man einen Betroffenen gleichwohl darauf verweisen, nach Erteilung des Aufnahmebescheids wieder in das Aussiedlungsgebiet zurückzukehren um anschließend erneut in das Bundesgebiet einzureisen, wäre dies eine bloße Förmelei. Der Kläger zu 1. ist damit im Wege der Aufnahme in das Bundesgebiet eingereist, wobei hier nicht entscheidungserheblich ist, ob diese - jedenfalls vor dem 1.1.1993 geltende - Wirkung auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Verlassens im März 1991, oder - soweit ein Härtefallbescheid nach § 27 Abs. 2 BVFG a.F. angenommen würde - des Auftretens von Härtegründen im Juni 1991 oder schließlich der Erteilung des Aufnahmebescheids vom 3.1.1992 bezogen ist.

2.1.3. Entgegen der Auffassung des Klägers zu 1. hat er die frühere Sowjetunion nicht als deutscher Staatsangehöriger verlassen. Zum einen hat der Kläger zu 1. die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt von seiner Mutter schon deshalb nicht erworben, weil nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG in seiner damaligen Fassung für einen Erwerb durch Geburt die Staatsangehörigkeit des Vaters maßgeblich war. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diese Regelung für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Beschl. v. 21.5.1974, NJW 1974, 1609). Die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung führt jedoch nicht dazu, dass der Kläger zu 1. durch seine Geburt die Staatsangehörigkeit der Mutter - rückwirkend - erworben hat. Zunächst kann bereits eine deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter nicht festgestellt werden. Im Hinblick auf die Formenstrenge des Einbürgerungsrechts bedarf es für die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit eines eindeutigen Nachweises durch amtliche Unterlagen. Dieser Nachweis ist hier nicht erbracht und kann auch wegen der Geburt der Mutter in D. /Warthegau nach der Umsiedlung ihrer Eltern in den Warthegau nicht angenommen werden. Die Umsiedlung der Eltern der Mutter in den Warthegau ist weder mit dem Akt der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an diese gleichzusetzen, noch folgt daraus eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für deren Einbürgerung und eines Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter von ihrem Vater. Des Weiteren wäre - eine deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter unterstellt - erforderlich, dass der Kläger zu 1. durch eine Erklärung die deutsche Staatsangehörigkeit mit Wirkung für die Zukunft erworben hätte (Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20.12.1974, BGBl. I S. 3714) und deshalb im maßgeblichen Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes die deutsche Staatsangehörigkeit bestanden hätte (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F.). Auch dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Da auch eine deutsche Staatsangehörigkeit des Vaters nicht festgestellt werden kann, hat der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt nicht erworben und die frühere Sowjetunion nicht als deutscher Staatsangehöriger verlassen (sh. dazu: BVerwG, Urt. v. 19.4.1994 aaO; BayVGH, Urt. v. 3.11.1997 in: v. Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Band 3, C 40.1.9.75).

2.1.4. Der Kläger zu 1. hat das Aussiedlungsgebiet als deutscher Volkszugehöriger verlassen. Er ist deutscher Volkszugehöriger, weil ihm das zugrunde liegende Bekenntnis bis zum Eintritt seiner Selbständigkeit von seinen Eltern, die ebenso wie die Großeltern des Klägers zu 1. deutsche Volkszugehörige waren bzw. sind, vermittelt wurde und der Kläger auch im Zeitpunkt der Ausreise sich von diesem Bekenntnis nicht abgewandt hat. Der Senat ist hiervon überzeugt, obgleich das Vorbringen des Klägers zu 1. verschiedene Ungereimtheiten insbesondere im Hinblick auf die Echtheit seiner Geburtsurkunde und den Nationalitäteneintrag in seinem ersten Inlandspass aufweist. Diese Ungereimtheiten ändern nichts daran, dass bei Würdigung aller für die Entscheidung maßgeblicher Tatsachen von einem Sachverhalt auszugehen ist, wonach zum einen die Großeltern und die Eltern des Klägers zu 1. zu der Gruppe der deutschen Volkszugehörigen in der früheren Sowjetunion gehörten und deren typisches Schicksal erlitten haben (sh. 2.1.4.1.). Des Weiteren haben die Eltern des Klägers zu 1. die für das deutsche Volkstum notwendige Bekenntnislage an diesen weiter vermittelt (sh. 2.1.4.2.).

2.1.4.1. Die Angaben des Klägers zu 1. und der Zeugin K. ergeben in ihrem wesentlichen inhaltlichen Kern einen mit den historisch überlieferten Erkenntnissen zum Schicksal der Volksdeutschen in der früheren Sowjetunion übereinstimmenden Sachverhalt, mit dem die Zugehörigkeit der Eltern und Großeltern zu dieser Gruppe zum Ausdruck kommt.

Nachdem bereits seit dem 16. Jahrhundert Deutsche in Russland lebten, kamen nach zwei Aufrufen der Zarin in den Jahren 1762 und 1763 in zwei Siedlungswellen etwa 100.000 Deutsche in den Jahren 1763 bis 1769 und 1787 bis 1823 in das Gebiet an der mittleren Wolga um Saratow und Samara, nach Woronesch und in das Gebiet von St. Petersburg sowie in die südliche Ukraine, auf die Krim, nach Bessarabien und in den Kaukasus. Sie gründeten dort geschlossene und autonom verwaltete Siedlungen, die häufig mit den Namen ihrer Herkunftsorte benannt waren. Die älteste Gruppe waren dabei die um Saratow und Samara in den Jahren 1764 bis 1774 Angesiedelten, die zum größten Teil aus dem Rheingau, Hessen, der Pfalz, dem Elsass, aus Holland und der Schweiz und zu einem kleineren Teil aus Bayern, Schwaben und Sachsen stammten. Ab dem Jahre 1803 begann die deutsche Kolonisation in dem Gebiet zwischen Dnejstr und Bug, insbesondere in der Nähe von Odessa mit Einwanderern aus Baden, dem Elsass und der Pfalz. Die Siedlung Großliebental wurde dort 1804 gegründet, die Siedlung Mannheim im Jahre 1810, (sh. dazu etwa: "200 Jahre Ansiedlung der Deutschen im Schwarzmeergebiet, herausgegeben von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.; abrufbar unter www. deutscheausrussland.de). Nach Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges am 22.6.1941 wurde das angesprochene Schwarzmeergebiet zwischen Dnejstr und Bug in den ersten Kriegsmonaten von der Wehrmacht und rumänischen Truppen besetzt und am 28.8.1941 von Rumänien unter der Bezeichnung Transnistrien übernommen. Deutsche Volkszugehörige, die wie die Wolgadeutschen nicht in Gebieten lebten, die von der deutschen Wehrmacht besetzt waren, wurden auf Grund des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28.8.1941 "Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen" ab September 1941 nach Sibirien, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisien, Usbekistan und Turkmenistan deportiert. Diejenigen, die diesen Transport physisch überlebten, wurden mehr oder weniger rechtlos teilweise in Sondersiedlungen interniert, die dem damaligen NKWD unterstanden; teilweise wurden sie der sog. Arbeitsarmee eingegliedert, die ebenfalls dem NKWD unterstand. Das gleiche Schicksal erlitten letztlich auch diejenigen Deutschen, die einer Deportation wegen der rasch vorrückenden deutschen Wehrmacht zunächst entgangen waren; die Trennungslinie im August 1941 war der Dnjepr. Die westlich des Dnjepr lebende deutsche Bevölkerung und damit insbesondere auch diejenige im Schwarzmeergebiet, konnte zwar zunächst in ihren Gebieten verbleiben, flüchtete jedoch nach dem Rückzug deutscher Truppen und der Zivilverwaltung ab November 1943 in zwei Trecks aus dem Schwarzmeergebiet. Der zweite Treck - sog. "Großer Treck" - begann im Januar 1944 und bestand aus 125.000 Deutschen aus dem damaligen Transnistrien. Bis zum Juli 1944 wurde zu Fuß eine Strecke von 2000 km zurückgelegt, wobei die meisten dieser Flüchtlinge zur "Germanisierung" des "Warthelandes", d.h. zur Ansiedlung auf polnischem Gebiet bestimmt waren. Nach Kriegsende wurden etwa 200.000 Russlanddeutsche aus diesem Gebiet und in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands gewaltsam wieder in die Sowjetunion zurückgebracht, wo sie das gleiche Schicksal wie die bei Kriegsbeginn Deportierten erlitten. Die Volksdeutschen mussten sich bei Spezialkommandanturen regelmäßig melden. Erst nach dem Besuch des damaligen Bundeskanzlers Adenauer in Moskau im September 1955 wurden die Volksdeutschen durch Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 13.12.1955 aus ihrer Aufenthaltsbeschränkung in den Sondersiedlungen entlassen und von der unmittelbaren Aufsicht der Sicherheitsorgane befreit (sh. dazu etwa: BVerwG, Urt. v. 13.6.1995, DVBl. 1995, 1302 m.w.N. zur einschlägigen Literatur).

Das Schicksal der Großeltern des Klägers, wie es sich zur Überzeugung des Senats aus dem Vorbringen des Klägers zu 1., den glaubhaften Schilderungen der Zeugin K. sowie den dazu vorgelegten Mehrfertigungen verschiedener amtlicher Dokumente in seinem wesentlichen Kern ergibt, stimmt mit diesen geschichtlichen Erkenntnissen überein. Geburtsort der Großeltern mütterlicherseits war danach K. und G. bei Odessa. Die Großeltern, die nach der im Berufungsverfahren vorgelegten Geburtsurkunde der Mutter des Klägers zu 1. vom 1945 der Stadt D. am 1933 in M. /Ukraine geheiratet haben, somit in der 1810 gegründeten Siedlung von Volksdeutschen in der Nähe von Odessa, sind 1944 nach Deutschland - D. , Warthegau - umgesiedelt worden. Die Großeltern mütterlicherseits - die deutsche Namen trugen - sind danach in deutschen Siedlungsgebieten am Schwarzmeer geboren und 1944 auf polnisches Gebiet umgesiedelt worden. Damit kommt ein typisches Schicksal von Volksdeutschen, wie es durch die historischen Ereignisse übermittelt ist, für die Großeltern zum Ausdruck: Die Großeltern mütterlicherseits wurden danach in einem seit Beginn des 19. Jahrhunderts entstandenen Siedlungsgebiet deutscher Auswanderer geboren, das westlich des Dnjepr gelegen war. Eine Umsiedlung der dort lebenden Volksdeutschen erfolgte ab dem Jahre 1943 und dabei insbesondere im Zeitraum März bis April 1944 mit dem Rückzug der Deutschen Wehrmacht. Dabei wurden etwa 350.000 Deutsche aus der Ukraine und Transnistrien in den Warthegau, in dem auch das hier angesprochene D. lag, umgesiedelt. Die Schilderung der Zeugin K. zu der Verschleppung der Familie in ein Dorf in Kasachstan im August 1945 und die Verpflichtung zur Meldung bei der dort bestehenden Kommandantur, die bis 1955 bestanden habe, entspricht ebenfalls dem typischen Schicksal der deutschen Volkszugehörigen, das diese durch die Repatriierung in Sondersiedlungen insbesondere in Kasachstan erlitten haben. Entsprechendes gilt auch hinsichtlich der Großeltern väterlicherseits, die in dem Gebiet Saratow geboren sind. Saratow befindet sich im Südosten der osteuropäischen Ebene beiderseits des Unterlaufs der Wolga. In der Region Saratow, die östlich an Kasachstan angrenzt, lag das zunächst Autonome Gebiet der Wolgadeutschen und seit Anfang 1924 die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. Der "Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR über die Umsiedlung der im Wolgagebiet ansässigen Deutschen" vom 28.8.1941 bildete die Grundlage für die vom 3. bis 20.9.1941 durchgeführte Deportation von etwa 365.000 Wolgadeutschen überwiegend nach Sibirien und Zentralasien. Die Angaben im Antrag auf einen Vertriebenenausweis, wonach die Großeltern väterlicherseits 1941 nach T. , das nördlich von Kasachstan in Zentralasien liegt, umgesiedelt worden seien, entsprechen dem ebenfalls.

Der Senat hat bei diesem Geschehensablauf keine Zweifel, dass nicht nur die Großeltern des Klägers zu 1. sondern auch seine Eltern deutsche Volkszugehörige waren bzw. sind.

Für die Mutter des Klägers zu 1. kann dies zwar nicht bereits deswegen angenommen werden, weil deren Vertriebeneneigenschaft bestandskräftig festgestellt ist - die Feststellungswirkung ihres Vertriebenenausweises besteht nur zwischen ihr und der Ausstellungsbehörde -, da eine darüber hinaus bestehende Bindungswirkung nach den Regelungen in § 15 Abs. 5, § 1 Abs. 3 BVFG a.F. hier nicht angesprochen ist (sh. dazu: v. Schenckendorff aaO, Band 1, B 1 § 15 Abs. 3 m.w.N.).

Bei dem gegebenen Sachverhalt bestehen jedoch keine Zweifel, dass den Eltern das für das deutsche Volkstum erforderliche Bekenntnis vermittelt wurde. Zur Überzeugung des Senats stammen die Eltern nicht nur von deutschen Volkszugehörigen ab. Darüber hinaus sind sie in die volksdeutsche Bewusstseinslage ihrer Eltern gleichsam "hineingewachsen". Der Vater des Klägers ist gemeinsam mit seinen Eltern deportiert worden; seine Mutter wurde nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter deportiert. Mit der Deportation haben die Eltern die damit verbundenen jahrelangen Ausgrenzungen der deutschen Volkszugehörigen miterlebt. Ebenso wie diese mussten sich die Mutter und der Vater des Klägers zu 1. als ausgegrenzte Opfer eines mit ihrer deutschen Volkszugehörigkeit verknüpften ungerechten Schicksals fühlen. Dieses Miterleben hat die Zeugin K. auch zum Ausdruck gebracht, indem sie anlässlich ihrer Zeugeneinvernahme betont hat, dass die Familie bis zum Jahr 1955 gezwungen gewesen sei, unter den schweren Bedingungen einer Kommandantur zu leben. Bei einem Sachverhalt wie diesem ist davon auszugehen, dass nicht nur das Schicksal der Ausgrenzung der Familie, sondern auch die diesem Schicksal zugrunde liegende deutsche Volkszugehörigkeit miterlebt und von den Eltern als heranwachsende Kinder sich zu eigen gemacht wurde (BVerwG, Urt. v. 13.6.1995 aaO). Diese Prägung und Vermittlung des deutschen Volkstums wird zudem durch das Vorbringen der Zeugin K. bestätigt, wonach sie in ihrer Familie sowie später auch mit ihrem Ehemann immer deutsch gesprochen hätten und "jeder gewusst" habe, dass sie Deutsche seien - somit auch Dritte das Bekenntnis zum deutschen Volkstum wahrgenommen hätten.

2.1.4.2. Die von den Großeltern an die Eltern des Klägers zu 1. vermittelte Bekenntnislage wurde des Weiteren an diesen weitervermittelt. Der Kläger ist in einem deutsch geprägten Familienverband, der zudem die Erlebnisgeneration seiner Großmutter mütterlicherseits umfasste, mit der deutschen Sprache, die er als Muttersprache erworben hat, aufgewachsen, wobei er auch im Zeitpunkt seiner Ausreise nach wie vor ausreichende Sprachfähigkeiten hatte. Die damit begründete Vermutung der Vermittlung des deutschen Volkstumsbewusstseins, der deutschen Volkszugehörigkeit wird durch gegenteilige Umstände nicht widerlegt.

Eine Vermittlung des deutschen Volkstumsbewusstseins kann zunächst nicht wegen des Vorbringens des Beklagten verneint werden, der Kläger zu 1. habe in dem Aufnahmeverfahren eine Pflege des deutschen Volkstums verneint. Die angesprochene Verneinung in dem Aufnahmeantrag vom 26.11.1990 wurde durch zusätzliche Angaben vom 29.7.1991 in dem Aufnahmeverfahren berichtigt, nachdem das Bundesverwaltungsamt mit Schreiben vom 10.7.1991 hierzu aufgefordert hatte. Mit diesen zusätzlichen Angaben - "getauft, konfirmiert, Mitglied der Gesellschaft Wiedergeburt, Leser der Zeitung Neues Leben" - wurde auch in dem Aufnahmeverfahren jedenfalls zum Ausdruck gebracht, dass die Beantwortung der Frage nach der Pflege des deutschen Volkstums in dem Formularantrag durch Ankreuzen der dort enthaltenen Antwort "Nein" nicht aufrecht erhalten bleibe. Unerheblich ist dabei, ob diese zusätzlichen Angaben für sich gesehen ausreichend wären, um eine hinreichende Pflege des deutschen Volkstums anzunehmen, da eine Überlieferung des deutschen Volkstums an den Kläger hier jedenfalls wegen der Vermittlung der deutschen Sprache an den Kläger als Muttersprache anzunehmen ist.

Bei der Beurteilung, ob das Bekenntnis zum deutschen Volkstum i.S.v. § 6 BVFG a.F. überliefert ist, kommt dem Bestätigungsmerkmal der deutschen Sprache als Muttersprache besondere Bedeutung zu. Zwischen der Sprache und den Bestätigungsmerkmalen Erziehung und Kultur besteht ein enger innerer Zusammenhang, weshalb diese Merkmale durch die Sprache regelmäßig indiziert werden. Wurde daher die deutsche Sprache in früher Kindheit von den Eltern oder den sie ersetzenden Bezugspersonen primär durch Nachahmung erworben und bis zur Selbstständigkeit so vertieft, dass sie auch im Erwachsenenalter entsprechend der Herkunft und dem Bildungsstand als die dem Betreffenden eigentümliche Sprache so beherrscht wird, dass jedenfalls ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache möglich ist, dann begründet dies die Vermutung für eine Vermittlung des deutschen Volkstumsbewusstseins. Ein weiterer Nachweis, wie die Pflege des deutschen Volkstums erfolgte und wie die deutsche Volkszugehörigkeit zusätzlich zu den vorhandenen Indizien nach außen hin besonders zum Ausdruck kam, ist in diesem Fall nicht erforderlich (BVerwG, Urt. v. 3.11.1998, Buchholz 412. 3 § 6 BVFG Nr. 90; v. Schenckendorff aaO, Band 1, B 1 § 6 BVFG Nr. 4 d m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Beklagten folgt aus dem Urteil des BVerwG vom 19.10.2000 (DVBl. 2001, 479), wonach nicht schon die Vermittlung der deutschen Sprache ein für die deutsche Volkszugehörigkeit ausreichendes Bestätigungsmerkmal sei, sondern darüber hinaus auch die in § 6 Abs. 2 Nr. 3 BVFG i.d.F. vom 2.6.1993 angesprochenen Voraussetzungen erfüllt sein müssten, für einen Sachverhalt wie hier nichts anderes. Zum einen sind nach § 100 Abs. 1 BVFG die Regelungen des BVFG a.F. auf alle Personen anzuwenden, deren Status - wie derjenige des Klägers zu 1., der vor dem 1.1.1993 die frühere Sowjetunion im Wege der Aufnahme verlassen hat - nach diesem alten Recht entstanden war; ein danach Kraft Gesetzes entstandener Vertriebenenstatus wird durch das neue Recht nicht rückwirkend wieder zerstört (sh. dazu: v. Schenckendorff aaO, Band 1, B2 § 100 BVFG Nr. 1 m.w.N.). Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass bis zu der von dem Beklagten angesprochenen Entscheidung des BVerwG von einer Übertragbarkeit der für das Bekenntnis und die Bestätigungsmerkmale nach § 6 BVFG a.F. maßgebenden Umstände sowohl auf § 6 Abs. 1 wie auch Abs. 2 BVFG i.d.F. des Gesetzes vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2094) ausgegangen wurde. Seit dieser angesprochenen Rechtsprechungsänderung war hingegen eine Bestätigung der deutschen Volkszugehörigkeit etwa durch die Sprache nicht mehr möglich. Mit dem Ziel der Fortsetzung der bisherigen Verwaltungspraxis wurde daher § 6 Abs. 2 BVFG durch Gesetz vom 30.8.2001 (BGBl. I S. 2266) geändert, wonach das Bekenntnis zum deutschen Volkstum wieder durch die Sprache bestätigt werden muss. Das Bekenntnis auf vergleichbare Weise nach § 6 Abs. 2 BVFG liegt demnach etwa vor, wenn durch einen Gebrauch der deutschen Sprache oder die Lebensführung außerhalb der Familie der Wille der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum vergleichbar einer Nationalitätenerklärung nach außen hervortritt (sh. dazu: v. Schenckendorff aaO, Band 1, B 2 § 6 BVFG n.F. Nr. 3 m.w.N.).

Dem von deutschen Volkszugehörigen abstammenden Kläger zu 1. wurde die deutsche Sprache familiär vermittelt; er hatte zudem auch im Zeitpunkt seiner Ausreise durch den fortgesetzten Sprachgebrauch ein Sprachvermögen, das zur Führung jedenfalls eines einfachen Gesprächs ausreichend war.

Das Vorbringen des Klägers zu 1. in seinem Vertriebenenverfahren, wonach seine Muttersprache "deutsch" sei, er somit diese Sprache in frühester Kindheit vor allem durch Nachahmung seiner familiären Bezugspersonen erworben habe, wird durch die glaubhafte Aussage der Zeugin K. bestätigt. Danach habe er bis zum Jahr 1982 bei ihrer Mutter und bei ihr selbst gelebt, wobei jeweilig deutsch mit ihm gesprochen worden sei. Der Kläger zu 1. ist demnach während des für den muttersprachlichen Erwerbs entscheidenden Zeitraums in der deutschen Sprache bei deutschen Volkszugehörigen aufgewachsen. Des Weiteren hat die Zeugin ausgeführt, dass der Kläger zwar nicht fließend Hochdeutsch aber fließend dialektisch gesprochen habe. Das Sprechen eines Dialekts ist ein deutliches Indiz für eine familiäre Sprachvermittlung, weil dadurch gerade das Sprachniveau der Familie zum Ausdruck kommt, das ein Betroffener sich durch Nachahmung angeeignet hat (BVerwG, Urt. v. 4.9.2003, BVerwGE 119, 6). Gegen die Annahme, dass durch diesen familiären Spracherwerb dem Kläger zu 1. auch das erforderliche Sprachniveau vermittelt wurde, spricht nicht sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, seine Sprachkenntnisse seien nicht "perfekt" gewesen, er habe jedoch "alles verstanden" und sich "verständlich ausdrücken" können. Den Anforderungen genügt es, wenn ein Betroffener ein einfaches Gespräch über einfache Lebenssachverhalte aus dem familiären Bereich, alltägliche Situationen, die Ausübung eines Berufs oder einer Beschäftigung führen kann. Sprachkenntnisse, die "perfekt" sind, ein "umfassender deutscher Wortschatz", der zudem in "grammatikalisch korrekter Form" zum Ausdruck kommt, sind hingegen nicht erforderlich (BVerwG, Urt. v. 4.9.2003 aaO). Das weitere Vorbringen des Klägers zu 1., wonach er bis zu seiner Ausreise mit seinen Verwandten überwiegend Deutsch gesprochen und somit jedenfalls nach wie vor die Fähigkeit zu einem einfachen Gespräch hatte, wird schließlich auch durch den amtlichen Vermerk auf dem Antrag auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises bestätigt, wonach der Kläger zu 1. deutsch spreche. Diese amtliche Einschätzung zu den im Zeitpunkt der Antragstellung vorhandenen Sprachfähigkeiten des Klägers zu 1. erbringt zwar nicht schon als öffentliche Urkunde nach § 418 ZPO den vollen Beweis, sie hat jedoch gleichwohl Bedeutung für die richterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, Beschl. v. 8.7.2004, 5 B 8.04, zitiert nach juris). Jedenfalls bei dem hier festgestellten muttersprachlichen Erwerb der deutschen Sprache, der amtlichen Einschätzung einer auch bei der Antragstellung gegebenen Sprachfähigkeit bestehen keine Zweifel, dass der Kläger zu 1. entsprechend seinem Vorbringen den Gebrauch der muttersprachlich erworbenen deutschen Sprache fortgesetzt und die hierzu erforderlichen Sprachfähigkeiten auch im Zeitpunkt seiner Ausreise nach wie vor hatte.

Die damit bestehende Vermutung, wonach der Kläger zu 1. deutscher Volkszugehöriger ist, wird hier nicht durch dagegen sprechende Umstände widerlegt.

Solche Umstände liegen zunächst nicht deshalb vor, weil der Kläger zu 1. keine deutsche Schule besucht hat. Ein Besuch von Schulen mit nichtdeutscher Unterrichtssprache kann für die Vermittlung der volksdeutschen Bekenntnislage - als Angelegenheit der Familie, die nach außen nicht hervortreten muss - nur dann von Bedeutung sein, wenn sich die schulische Erziehung auf den innerhalb der Familie ablaufenden Entwicklungsprozess negativ auswirkt (BVerwG, Urt. v. 3.11.1998 aaO). Davon ist hier - unabhängig davon, ob der Kläger zu 1. überhaupt die Möglichkeit des Besuchs einer deutschen Schule hatte - jedenfalls deshalb nicht auszugehen, weil der Schulbesuch mit fremdsprachigem Unterricht nicht zum Verlust der deutschen Sprache des Klägers zu 1. geführt hat.

Umstände gegen die Vermutung deutscher Volkszugehörigkeit bestehen auch nicht wegen einer möglicherweise vorgenommenen Eintragung als russischer Volkszugehöriger in dem ersten Inlandspass des Klägers zu 1. Zwar wäre eine solche Eintragung an sich ein Bekenntnis zum russischen Volkstum und damit ein Gegenbekenntnis zum deutschen Volkstum mit der Folge, dass objektive Merkmale und Beweisanzeichen, aus denen ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum gefolgert werden könnte, ihre Wirkung verlieren würden (BVerwG, Urt. v. 29.8.1995, NVwZ-RR 1996, 232). Ein solches Gegenbekenntnis kann jedoch nicht angenommen werden, wenn die Eintragung der nichtdeutschen Volkszugehörigkeit ohne oder gegen den Willen des Aufnahmebewerbers in den Inlandspass erfolgt ist (BVerwG, Urt. v. 12.11.1996, BVerwGE 102, 214). Danach hat der Kläger zu 1., auch wenn eine Eintragung der russischen Nationalität in seinem ersten Inlandspass vorgenommen worden sein sollte, hier jedenfalls deshalb kein Gegenbekenntnis abgegeben, weil diese Eintragung nicht mit seinem Willen erfolgt wäre.

Es kann zunächst offen bleiben, ob sich die Auskunft des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten der Republik Kasachstan vom 6.2.1997 über den Eintrag der Nationalität "Russe" in dem ersten Inlandspass des Klägers zu 1. - wie er vertritt - auf einen anderen Pass bezieht, weil die in der Auskunft angegebene Passnummer mit derjenigen seines Passes nicht übereinstimmt, oder ob - wovon der Beklagte ausgeht - die unterschiedliche Passnummer nur auf einem Schreibversehen beruht. Auch wenn von Letzterem ausgegangen würde, könnte deswegen kein Gegenbekenntnis des Klägers zu 1. angenommen werden, weil nicht davon auszugehen wäre, dass der Kläger zu 1. diese Eintragung beantragt hätte. Nach der Eintragung in der von dem Kläger zu 1. in dem Berufungsverfahren vorgelegten Mehrfertigung seines Antrags auf eine Passausstellung ist als Nationalität deutsch eingetragen. Auch wenn in dem ersten Inlandspass des Klägers die Nationalität Russe eingetragen gewesen sein sollte, würde dieser Eintragung keine Erklärung des Klägers zu 1. zur russischen Nationalität zugrunde liegen; die abweichende Eintragung dieser Nationalität in dem Pass wäre daher auch kein Gegenbekenntnis zum deutschen Volkstum. Dass er - wie sich aus der angesprochenen Mehrfertigung ergibt - den Erhalt des Passes quittiert hat, ändert daran nichts; mit seiner Unterschrift hat er den Erhalt bescheinigt und nicht den Inhalt der Passeintragung gebilligt (sh. dazu: BVerwG, Urt. v. 12.11.1996 aaO).

Gegenteiliges kann nicht wegen des Vorbringens des Beklagten angenommen werden, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Passantrag wie schon andere im Verwaltungsverfahren vorgelegte Unterlagen gefälscht sei. Hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Fälschung bestehen nicht.

Zunächst sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte aus dem Passantrag selbst ersichtlich, die für eine solche Fälschung sprechen könnten. Auch der Beklagte leitet den angesprochenen Fälschungsverdacht nicht aus solchen Anhaltspunkten ab, sondern vermutet, dass wegen der Vorlage von gefälschten Dokumenten auch eine Fälschung des Passantrags in Betracht komme. Gegen diese wegen der Vorlage gefälschter Dokumente von dem Beklagten gezogene Schlussfolgerung spricht zunächst, dass das deswegen geführte Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde, da ein strafbares Verhalten des Klägers nicht nachzuweisen war. Auch der Senat hat hierzu keine weiteren Erkenntnisse, aufgrund derer eine andere Bewertung veranlasst sein könnte. Des Weiteren teilt er die angesprochene Schlussfolgerung auch ansonsten nicht. Er ist vielmehr davon überzeugt, dass das wesentliche Vorbringen des Klägers glaubhaft und dieser, insbesondere nach dem Eindruck, den er in der mündlichen Verhandlung von ihm gewonnen hat, auch glaubwürdig ist. Die Vorlage einer gefälschten Geburtsurkunde würde bei dem festgestellten Sachverhalt nichts daran ändern, dass es keine vernünftigen Zweifel an der Abstammung des Klägers von den angesprochenen deutschen Volkszugehörigen gibt; eine nachträgliche Änderung des Nationalitäteneintrags würde nichts daran ändern, dass der Kläger diese in der - wenngleich fehlerhaften - Vorstellung vorgenommen hätte, zur Verbesserung seiner Erfolgsaussichten in dem Vertriebenenverfahren eine auch in seinem Passantrag angegebene deutsche Volkszugehörigkeit zu "dokumentieren" und nicht "vorzuspiegeln". Die angesprochene Mutmaßung, wonach wegen einer - unterstellten - Vorlage gefälschter Dokumente auch im Übrigen gleichsam von der Unglaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers sowie seiner fehlenden Glaubwürdigkeit auszugehen sei, ist damit nicht gerechtfertigt. Ist daher der Kläger zu 1. Vertriebener nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. - Aussiedler - , so bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob hier auch die Vertriebeneneigenschaft nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG a.F. - Umsiedler - angesprochen sein könnte (sh. dazu: BayVGH, Urt. v. 3.11.1997 aaO, m.w.N.).

2.2. Wegen der Vertriebeneneigenschaft des Klägers zu 1. ist auch die Klägerin zu 2. nach § 1 Abs. 3 BVFG a.F. Vertriebene. Nach dieser Regelung gilt als Vertriebener etwa, wer, ohne selbst Vertriebener zu sein, als Ehegatte eines Vertriebenen seinen Wohnsitz in dem näher bezeichneten Vertreibungsgebiet verloren hat.

Die Klägerin zu 2. ist jedenfalls deshalb nicht selbst Vertriebene nach der hier in Betracht kommenden Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F., weil sie ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum nach § 6 BVFG a.F. nicht abgegeben hat. In ihrem ersten Inlandspass war nach der Auskunft des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Kirgisischen Republik vom 12.6.2001 die russische Nationalität eingetragen und diese Eintragung von der Klägerin zu 2. auch beantragt wurde. Anhaltspunkte, wonach diese Auskunft fehlerhaft sein könnte, bestehen nicht. Dieses Gegenbekenntnis hat seine Wirkung auch nicht nachträglich verloren, indem die Klägerin zu 2. sich wieder zum deutschen Volkstum bekannt und ihre frühere Erklärung rückgängig gemacht hätte. Angenommen werden könnte dies nicht schon dann, wenn eine Lebensführung, die ohne das Gegenbekenntnis die Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit aufgrund schlüssigen Gegenverhaltens gerechtfertigt hätte, lediglich beibehalten worden wäre. Erforderlich wäre vielmehr ein darüber hinausgehendes positives Verhalten, aus dem sich eindeutig der Wille ergibt, nur dem deutschen Volk und keinem anderen Volkstum zuzugehören. Ein solches Gegenverhalten liegt hier nicht vor (BVerwG, Urt. v. 29.8.1995 aaO).

Die Klägerin zu 2., ist damit zwar nicht selbst Vertriebene, sie gilt jedoch nach § 1 Abs. 3 BVFG a.F. wegen ihrer im Zeitpunkt der Aussiedlung bereits bestehenden Ehe mit dem Kläger zu 1. als Vertriebene; Anhaltspunkte für eine fehlende Kausalität zwischen der Wohnsitzaufgabe und den mittelbaren Vertreibungsfolgen für die Klägerin zu 2. bestehen nicht (sh. dazu: v. Schenckendorff aaO, Band 1, B 1, § 1 BVFG RdNr. 14). Da die Klage somit begründet ist, ist das angefochtene Urteil zu ändern und der Beklagte zur Ausstellung von Vertriebenenausweisen an die Kläger zu 1. und 2. zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss vom 24. Mai 2005

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.12.1975 (BGBl. I S. 3047), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes vom 12.3.2004 (BGBl. I S. 390), da das Rechtsmittel vor dem 1.7.2004 eingelegt wurde (§ 72 Nr. 1 GKG v. 5.5.2004). Der Streitwert ist danach mit dem - wegen der Anzahl der Kläger - zweifachen Auffangwert von 4.000 €, somit 8.000 € festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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