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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.06.2008
Aktenzeichen: 4 B 193/08
Rechtsgebiete: KrW-/AbfG


Vorschriften:

KrW-/AbfG § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
KrW-/AbfG § 15 Abs. 1
KrW-/AbfG § 21
1. Zu den öffentlichen Interessen i. S. v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG, die einer gewerblichen Abfallsammlung entgegenstehen können, gehören nur solche Interessen, die auf die Verfolgung der Zielvorgaben und Zwecke des Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetzes gerichtet sind (wie VGH BW, Beschl. v. 11.2.2008 - 10 S 2422/07 -, juris).

2. Zur Zulässigkeit einer gewerblichen Altpapiersammlung.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 4 B 193/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Untersagung der gewerblichen Altpapiersammlung; Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein

am 27. Juni 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 9. Mai 2008 - 1 L 20/08 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen Nr. 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 3.1.2008 wird wiederhergestellt und gegen Nr. 3 des genannten Bescheids angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird unter Änderung der Festsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf jeweils 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

Die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) führen zur beantragten Änderung des angefochtenen Eilbeschlusses.

1. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die für sofort vollziehbar erklärte und zwangsgeldbewehrte Untersagung der gewerblichen Sammlung von Altpapier und Pappe im Stadtgebiet der Antragsgegnerin abgelehnt. Zur Begründung hat es unter Bezugnahme auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12.1.2005 (NuR 2006, 114) und des beschließenden Senats vom 6.1.2005 (- 4 BS 116/04 -, SächsVBl. 2005, 169 = LKV 2005, 362 [dortiges Beschlussdatum "24.1.2005"] = UPR 2005, 440 [dort dem "OVG Lüneburg" zugeschrieben]) ausgeführt, ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung des angefochtenen Bescheids vom 3.1.2008 lasse sich nicht feststellen. Die Rechtslage sei offen, weil beim derzeitigen Sachstand nicht abschließend entschieden werden könne, ob überwiegende öffentliche Interessen der gewerblichen Sammlung entgegenstünden. Da § 13 Abs. 1 und 3 KrW-/AbfG für den Regelfall von einer kommunale Entsorgung und nur ausnahmsweise von einer gewerblichen Sammlung ausgehe, obliege der Antragstellerin die Darlegung, dass sie die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht abwarten könne. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hätte auch nachteilige Auswirkungen auf dasjenige Unternehmen, das im Ergebnis der vorangegangenen Ausschreibung mit der kommunalen Altpapierentsorgung betraut worden sei. Zudem ließen sich die Folgen einer zu Unrecht durchgeführten gewerblichen Sammlung mangels Erfassung der betroffenen Abfallmengen kaum rückgängig machen.

2. Mit ihrer Beschwerdebegründung macht die Antragstellerin demgegenüber unter Hinweis auf die neuere - insbesondere obergerichtliche - Rechtsprechung zu § 13 KrW-/AbfG zutreffend geltend, dass sich die auf § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG gestützte Untersagung der gewerblichen Sammlung von Altpapier und Pappe mittels regelmäßig zu leerender Umleerbehälter ("Blaue Tonnen" mit 240 l Volumen) der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen dürfte.

Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG besteht keine Überlassungspflicht (i. S. v. § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG) gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger für Abfälle, die durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit dies dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger nachgewiesen wird und nicht überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.

2.1. Zweifel am erforderlichen Nachweis über die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung durch die Antragstellerin sind nach Lage der Akten nicht veranlasst. Die Antragsgegnerin geht in der Begründung des angefochtenen Bescheids selbst davon aus, dass die Antragstellerin als zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Verwertung von Altpapier und Pappe gewährleiste. Soweit die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerdeerwiderung vom 18.6.2007 darauf verweist, dass das in Kopie vorgelegte Zertifikat der Antragstellerin nur bis zum 17.6.2008 gültig gewesen sei, rechtfertigt dies keine ernstlichen Zweifel an einer ordnungsgemäßen Verwertung der in Rede stehenden Abfälle durch die langjährig überregional tätige Antragstellerin (zum Maßstab vgl. Senatsbeschl. 6.1.2005, SächsVBl. 2005, 169, 172; VGH BW, Beschl. v. 11.2.2008 - 10 S 2422/07 -, juris Rn. 10 m. w. N.).

2.2. Beim derzeitigen Verfahrensstand spricht auch Überwiegendes dafür, dass der gewerblichen Sammlung der Antragstellerin voraussichtlich keine überwiegenden öffentlichen Interessen i. S. v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG entgegenstehen. Bei der Auslegung des streitentscheidenden Begriffs der "öffentlichen Interessen" geht der Senat mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschl. v. 11.2.2008 a. a. O., Rn. 17 ff.) davon aus, dass entscheidungserheblich nicht jegliche öffentliche Belange, sondern nur die auf die Verfolgung der Zielvorgaben und Zwecke des Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetzes gerichteten öffentlichen Interessen sind. Liegt ein derartiges Interesse vor, steht es der gewerblichen Sammlung nach dem Wortlaut des Gesetzes auch nur dann entgegen, wenn es das private Interesse an der gewerblichen Sammlung überwiegt.

Indem § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG die abfallrechtliche Überlassungspflicht für bestimmte gewerbliche Abfallsammlungen ausschließt, nimmt das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz zwangsläufig in Kauf, dass öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern wirtschaftlich lukrative Teile des zu verwertenden Abfalls von privaten Abfallsammlern entzogen werden; zugleich bleibt die öffentlich-rechtliche Entsorgungsverpflichtung bestehen. Zur Abmilderung dieses gesetzlich angelegten Spannungsverhältnisses können gewerblichen Sammlungen - anders als gemeinnützigen Sammlungen (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrW-/AbfG) - überwiegende öffentliche Interessen entgegen gehalten werden, die einen hinreichenden Bezug zur gesetzlichen Entsorgungspflicht des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers (§ 15 Abs. 1 KrW-AbfG) haben. Danach dürfen gewerbliche Sammlungen von überlassungspflichtigen Abfällen nicht dazu führen, dass die Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgung schwerwiegend beeinträchtigt wird, zumal die "Auffangverantwortung" (VGH BW, Beschl. v. 11.2.2008 a. a. O., Rn. 19) des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers auch dann noch wahrgenommen werden muss, wenn sich der Private aus der gewerblichen Abfallsammlung zurückzieht.

Nach diesem Maßstab lassen sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keine öffentlichen Interessen feststellen, die das - auch von der Berufsfreiheit der Antragstellerin (Art. 19 Abs. 3 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 37 Abs. 3 i. V. m. Art. 28 Abs. 1 SächsVerf) umfasste - Recht auf Durchführung einer gewerblichen Sammlung von Altpapier und Pappe voraussichtlich überwiegen werden.

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin bei einem Rückzug der Antragstellerin aus der gewerblichen Abfallsammlung nicht mehr in der Lage wäre, für eine ordnungsgemäße Entsorgung von Altpapier und Pappe zu sorgen, sind beim derzeitigen Verfahrensstand nicht erkennbar. Die Antragsgegnerin führt keine "eigene" Sammlung, Entsorgung oder Verwertung von Papier, Pappe und Kartonage (PPK) im Stadtgebiet mehr durch, sondern hat eine entsprechende Dienstleistungskonzession an einen Dritten vergeben. Die dazu geschlossenen Verträge liegen dem Senat nicht vor. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Antragsgegnerin trägt der Konzessionär die Kosten sowohl für die Entleerung der Altstoffcontainer an 77 Standorten des Stadtgebiets als auch für die flächendeckende "Bündelsammlung". Zudem entrichtet er an die Antragsgegnerin eine Konzessionsabgabe sowie eine mengenabhängige Vergütung aus dem Verkauf der PPK-Abfälle, die sich im Jahr 2007 auf 8.500 € belief und in diesem Jahr bei unveränderter Abfallmenge einen Betrag von etwa 28.000 € erreichen soll. Diese Einnahmen sollen nach der Begründung des angefochtenen Bescheids die Abfallgebührenzahler entlasten. Den vorgelegten Verwaltungsvorgängen ist zu entnehmen, dass der Konzessionär wenige Tage nach der Ankündigung der Antragstellerin, eine gewerbliche Sammlung durchführen zu wollen, schriftlich angekündigt hat, er beabsichtige wegen der gestiegenen Papiererlöse bereits ab November 2007 eine höhere Vergütung an die Antragsgegnerin zahlen.

Soweit sich die Antragsgegnerin mit dem Hinweis auf Zahlungen des Konzessionärs auf rein fiskalische Erwägungen stützt, ist zweifelhaft, ob diese - aus städtischer Sicht durchaus nachvollziehbaren, von § 15 Abs. 1 KrW-/AfG aber wohl nicht erfassten - Interessen einer gewerblichen Abfallsammlung entgegen gehalten werden können (VGH BW, Beschl. v. 11.2.2008, a. a. O., Rn. 23). Eine nennenswerte Entlastung der Abfallgebührenzahler durch die genannten Zahlungen dürfte jedenfalls nicht zu erwarten sein. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um eine kreisfreie Stadt mit über 50.000 Einwohnern, so dass auch ein Betrag von 28.000 € erfahrungsgemäß kaum geeignet sein wird, einen beachtlichen Teil des Aufwands für die Abfallentsorgung mit dem Ziel zu decken, die Abfallgebühren stabil zu halten oder gar zu senken. Im Hinblick darauf mag offen bleiben, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine drohende Erhöhung von Abfallgebühren gewerblichen Sammlungen entgegenstehen kann (zweifelnd VGH BW, Beschl. v. 11.2.2008, a. a. O., Rn. 28 f. m. w. N.; OVG Schl.-H., Urt. v. 22.4.2008 - 4 LB 7/06 -, Urteilsabdruck S. 14 f.).

Welche Auswirkungen die Aufstellung "Blauer Tonnen" der Antragstellerin auf das bestehende Entsorgungssystem im Stadtgebiet der Antragsgegnerin im Einzelnen hat, lässt sich beim derzeitigen Verfahrensstand nicht zuverlässig abschätzen. Die Antragsgegnerin verweist im Beschwerdeverfahren lediglich darauf, dass dem von ihr beauftragten Konzessionär eine "erhebliche Menge" (Schriftsatz vom 18.6.2006, S. 7) an Altpapier entzogen und das System unter den derzeitigen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen massiv in seiner Existenz gefährdet werde. Daraus wird sich eine erhebliche Gefährdung der Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht ableiten lassen. Hinreichende Erkenntnisse über die Anzahl der Haushalte, die sich für eine "Blauen Tonne" entscheiden, sind den vorgelegten Akten nicht ansatzweise zu entnehmen. Mangels jeglicher Erkenntnisse für eine tragfähige Prognosebasis bewegen sich die von der Antragsgegnerin dargestellten Folgewirkungen für das bestehende Entsorgungssystem damit eher im spekulativen Bereich. Dies reicht für die Untersagung einer gewerblichen Sammlung nicht aus. Ob es für die Untersagung einer gewerblichen Abfallsammlung der behördlichen Darlegung konkreter Zahlen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Kostengefüge der vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger durchgeführten gesamten Abfallentsorgung bedarf, wie es die Antragstellerin unter Hinweis auf ein neueres Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12.7.2007 (BayVBl. 2008, 181, 183) vertritt, mag dahinstehen.

Die von der Antragsgegnerin herangezogenen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Konzessionärs vermag der Senat anhand der vorgelegten Akten nicht zu beurteilen. Da sich die von § 15 Abs. 1 KrW-/AfG in den Blick genommene öffentlich-rechtliche Abfallentsorgung als Einrichtung der Daseinsvorsorge nicht an den selben Maßstäben orientiert wie ein gewinnorientiertes Unternehmen (VGH BW, Beschl. v. 11.2.2008, a.a.O., Rn. 28), wird das - nachvollziehbare - Interesse des Konzessionärs an der Aufrechterhaltung des bisherigen Entsorgungssystems einer gewerblichen Abfallsammlung wohl nicht als öffentliches Interesse i. S. v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG entgegen gehalten werden können.

Ob die Durchführung einer gewerblichen Sammlung im Holsystem möglicherweise eine Auflösung des Konzessionsvertrags zur Folge hätte, wie es die Antragsgegnerin befürchtet, lässt sich im vorliegenden Verfahren nicht beurteilen. Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass eine vorzeitige Beendigung der Konzession und eine erneute Ausschreibung der Entsorgungsleistungen angesichts der derzeitigen abfallwirtschaftlichen Verhältnisse (Stichwort: "Kampf um den Abfall") notwendigerweise mit wesentlich erhöhten Kosten für die Antragsgegnerin oder die Abfallgebührenzahler verbunden wäre. Insofern berücksichtigt der Senat nicht nur, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin bereits im Schreiben vom 29.10.2007 eine "Laufzeitgarantie" für eine langfristige Sammlung und Verwertung von PPK-Abfällen angeboten hat, sondern auch den - im Vergleich mit anderen Entsorgungsaufgaben - vergleichsweise überschaubaren Aufwand für die Durchführung von "Bündelsammlungen" und für die Entleerung von Altpapiercontainern.

Da sich die Untersagungsverfügung (Nr. 1 des Bescheids vom 3.1.2008) im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird, ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin wiederherzustellen. Wegen des damit verbundenen Wegfalls der allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzung des § 2 Nr. 2 SächsVwVG ist zugleich die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die auf §§ 20, 22 SächsVwVG gestützte Zwangsgeldandrohung (Nr. 3 des Bescheids) anzuordnen.

3. Nach alledem ist der angefochtene Beschluss mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zu ändern. Mit Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die Antragstellerin hält der Senat einen Streitwert in Höhe von 20.000,00 € für insgesamt angemessen (§§ 47, 52, Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG). Die davon abweichende Festsetzung des Verwaltungsgerichts ist entsprechend zu ändern.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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