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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.11.2009
Aktenzeichen: 4 B 446/09
Rechtsgebiete: VwGO, GG, SächsVerf


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 S. 1
GG Art. 12 Abs. 1
SächsVerf Art. 28 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 4 B 446/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Widerrufs der Approbation; Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein

am 23. November 2009

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 3. August 2009 - 2 L 87/09 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Landesdirektion Chemnitz vom 3. Februar 2009 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet.

Die mit der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen zur beantragten Änderung des angefochtenen Eilbeschlusses; die vom Landgericht Chemnitz am 12.11.2009 - 6 Ns 230 Js 22978/09 - beschlossene Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens gegen den Antragsteller ist im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

1. Durch den im Beschwerdeverfahren angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den für sofort vollziehbar erklärten Widerruf seiner Approbation als Arzt mit der Begründung abgelehnt, der Bescheid der Landesdirektion Chemnitz vom 3.2.2009 sei formell und materiell rechtmäßig. Der Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit des Antragstellers sei trotz des damit verbundenen Eingriffs in die Berufsfreiheit gerechtfertigt. Der Antragsteller sei durch das am 10.1.2009 rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Zwickau vom 29.8.2008 wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnnisses zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt worden. Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts belegten ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Antragstellers. Von diesen Feststellungen sei auszugehen, da keine gewichtigen Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit vorlägen. Dies gelte auch mit Blick auf den Wiederaufnahmeantrag des Antragstellers. Die dort vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seien nicht geeignet, die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts Zwickau ernsthaft zu erschüttern. Auch die weiteren - jeweils eingestellten - Strafverfahren gegen den Antragsteller habe die Landesdirektion Chemnitz ohne Rechtsverstoß berücksichtigt. Die zugleich angeordnete Abgabe der Approbationsurkunde sei als notwendige Folgemaßnahme zum Widerruf der Approbation nicht zu beanstanden.

2. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens von vorläufigen Vollziehungsmaßnahmen verschont zu bleiben, das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahmen.

Nachdem das Landgericht Chemnitz im Ergebnis der Vernehmung mehrerer Zeugen mit Beschluss vom 12.11.2009 - 6 Ns 230 Js 22978/09 - die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens gegen den Antragsteller und die Erneuerung der Hauptverhandlung (§ 370 Abs. 2 StPO) angeordnet hat, sind die von der Landesdirektion Chemnitz und vom Verwaltungsgericht jeweils entscheidungstragend herangezogenen tatsächlichen Feststellungen des vorangegangenen Strafurteils des Landgerichts Zwickau nicht mehr geeignet, eine Unwürdigkeit des Antragstellers für den ärztlichen Beruf zu begründen. Der - nach wie vor bestehende - Verdacht, der Antragsteller habe zwischen 2004 und 2007 sexuelle Übergriffe gegenüber Patienten begangen, reicht beim derzeitigen Stand des Verfahrens nicht aus, um den mit der sofortigen Vollziehung des Approbationsentzugs verbundenen schweren Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 28 Abs. 1 SächsVerf) zu rechtfertigen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt die sofortige Vollziehung des Widerrufs einer Approbation nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Betracht (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2003, NJW 2003, 3618). Ist die Rechtmäßigkeit einer Approbationsentziehung - wie hier - nicht offensichtlich, erfordert das Gebot des effektiven Rechtsschutzes eine gesonderte, über die Beurteilung der zu Grunde liegende Verfügung hinausgehende Verhältnismäßigkeitsprüfung (VGH BW, Beschl. v. 29.9.2009 - 9 S 1783/09 -, juris). Nach diesem strengen verfassungsrechtlichen Maßstab überwiegt das Interesse des Antragstellers das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners (Schriftsatz vom 23.11.2009) ist der nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ergangene Wiederaufnahmebeschluss des Landgerichts Chemnitz im Beschwerdeverfahren berücksichtigungsfähig. Änderungen der Sach- und Rechtslage, die nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eintreten, sind aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes und der Verfahrensökonomie zu berücksichtigen, wenn sie unstrittig oder offenkundig sind, keinen neuen Verfahrensgegenstand betreffen und sich aus ihrer Berücksichtigung keine übermäßigen Verfahrensverzögerungen ergeben (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 5.10.2007, SächsVBl. 2008, 23; Beschl. v. 15.4.2008 - 5 BS 239/07 -, juris). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Erfolgsaussicht des Wiederaufnahmeantrags war bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Mit der Berücksichtigung des - unstrittig ergangenen - Wiederaufnahmebeschlusses ist auch keine nennenswerte Verfahrensverzögerung verbunden.

Nach alledem ist der angegriffene Eilbeschluss zu ändern; die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Landesdirektion Chemnitz vom 3. Februar 2009 ist antragsgemäß wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Bei der Streitwertfestsetzung gemäß §§ 47, 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG orientiert sich der Senat an der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die Einwendungen nicht erhoben wurden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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