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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.11.2003
Aktenzeichen: 4 BS 332/03
Rechtsgebiete: VwGO, SächsVwVG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3
SächsVwVG § 2 S 2
SächsVwVG § 11
SächsVwVG § 19 Abs. 4
SächsVwVG § 19 Abs. 5
SächsVwVG § 20 Abs. 3
SächsVwVG § 22 Abs. 1
SächsVwVG § 22 Abs. 2
Nach dem Sächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz kann die Vollstreckung durch den Einsatz mehrerer Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen nebeneinander betrieben werden. Die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes führt weder zur Rechtswidrigkeit noch zur Erledigung von zuvor erlassenen Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 4 BS 332/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Zwangsgeldfestsetzung (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO)

hier: Beschwerde

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Heitz als Vorsitzenden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Rottmann und den Richter am Verwaltungsgericht Voigt

am 4. November 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 16. September 2003 - 7 K 1056/03 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin kann keinen Erfolg haben. Die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Nachprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergeben nicht, dass der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts unrichtig ist.

Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung i.S.v. § 11 Satz 1 SächsVwVG ist regelmäßig anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen. Solche Zweifel sind anzunehmen, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Es reicht nicht aus, dass die Erfolgsaussichten des Antragstellers in der Hauptsache als offen zu beurteilen sind. Dieser Entscheidungsmaßstab folgt aus dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 11 Satz 1 SächsVwVG. Diesem Ausschluss liegt die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass das öffentliche Vollziehungsinteresse regelmäßig Vorrang vor dem individuellen Aufschubinteresse hat (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.6.1995, NVwZ-RR 1996, 541, 542; Hess. VGH, Beschl. v. 12.4.1995, NVwZ-RR 1996, 361, 362).

Die Gesichtspunkte, die die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung anführt, sind nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung von 5000.- Euro in dem Bescheid des Regierungspräsidiums Leipzig vom 19.9.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids dieser Behörde vom 11.6.2003 zu begründen. Zu dem Beschwerdevortrag ist im Einzelnen zu bemerken:

Die Einwendung der Antragstellerin, der Bescheid vom 19.9.2002 sei wegen rechtsfehlerhafter Zustellung nicht wirksam geworden, hat das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die allgemeine Auffassung in der bundes- und obergerichtlichen Rechtsprechung zu Recht als unbeachtlich angesehen. Nach dieser Rechtsprechung kann sich der Betroffene auf den einem Bescheid anhaftenden Bekanntgabemangel jedenfalls dann nicht mehr berufen, wenn er diesen Mangel im nachfolgenden Vorverfahren nicht gerügt hat, der das Vorverfahren abschließende Einspruchs- oder Widerspruchsbescheid eine inhaltliche Befassung mit dem Rechtsschutzbegehren enthält und dieser Bescheid ordnungsgemäß bekannt gegeben worden ist. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen gilt die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Ausgangsbescheids als nachgeholt (vgl. nur BFH, Urt. v. 25.1.1994, NVwZ-RR 1995, 181, 183; st.Rspr.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Eine Notwendigkeit für einen behördlichen Hinweis auf den Bekanntgabemangel, wie er von der Antragstellerin gefordert wird, besteht nicht.

Die in dem Bescheid vom 19.9.2002 verfügte Zwangsgeldfestsetzung ist nicht nachträglich dadurch rechtswidrig geworden, dass das Regierungspräsidium Leipzig in der Folgezeit weitere Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen erlassen hat, um die Antragstellerin zu bewegen, die in dem Bescheid vom 5.2.2002 festgelegte Begrenzung der täglichen Schlachtkapazität auf 150.000 Tiere pro Tag einzuhalten. Die Zwangsgeldfestsetzung vom 19.9.2002 ist auch nicht aufgrund der nachträglichen Vollstreckungsmaßnahmen "verbraucht", d.h. sie hat ihre Rechtswirkung nicht verloren. Sie stellt - zusammen mit der vorangehenden Zwangsgeldandrohung in dem Bescheid vom 5.2.2002 - nach wie vor die Rechtsgrundlage für die Beitreibung des Zwangsgeldes von 5.000,- Euro dar. Von diesen Maßnahmen gehen erst dann keine Rechtswirkungen mehr aus, wenn die Verwaltungsvollstreckung gemäß § 2 Satz 2 SächsVwVG einzustellen ist, weil ihr Zweck erreicht ist. Dies ist der Fall, wenn gewährleistet ist, dass die Antragstellerin ihre Verpflichtung, nicht mehr als 150.000 Tiere am Tag zu schlachten, beachtet (vgl. zum Vollstreckungszweck bei der Durchsetzung von Unterlassungspflichten VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.2.1996, NVwZ-RR 1997, 444, 445; Hess. VGH, Beschl. v. 12.4.1995, aaO).

Die Antragstellerin verweist für ihre Auffassung, eine nachträgliche Androhung eines weiteren Zwangsmittels führe zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit vorangehender Vollstreckungsmaßnahmen, auf einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, wonach die Vollstreckungsbehörde die Verwaltungsvollstreckung stets nur mit einem Zwangsmittel betreiben dürfe. Danach sollen Zwangsmittel nur nacheinander, nicht aber nebeneinander eingesetzt werden dürfen (sog. Kumulationsverbot). Ein solcher Rechtsgrundsatz lässt sich aber dem Sächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz nicht entnehmen. Dieses lässt den Einsatz mehrerer Zwangsmittel, insbesondere die Androhung und Festsetzung mehrerer Zwangsgelder nebeneinander grundsätzlich zu. Einem solchen Vorgehen ist allein durch den in § 19 Abs. 4 SächsVwVG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Grenze gesetzt. Damit lässt sich nicht vereinbaren, dass Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung durch die nachträgliche Androhung eines weiteren Zwangsmittels ihre Rechtswirkung verlieren oder gar rechtswidrig werden.

Ein grundsätzliches Verbot, mehrere Zwangsmittel nebeneinander einzusetzen, kann dem Sächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz bereits deshalb nicht entnommen werden, weil dieses Gesetz die Zulässigkeit der Androhung eines neuen Zwangsmittels gerade nicht davon abhängig macht, dass das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos geblieben ist (vgl. etwa § 13 Abs. 6 Satz 2 BVwVG). Aus Regelungen dieses Inhalts wird allgemein das sog. Kumulationsverbot hergeleitet. Daher ist aus dem Fehlen einer solchen Regelung im Sächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz zu schließen, dass der sächsische Landesgesetzgeber das Nebeneinander von Zwangsmitteln im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ermöglichen will.

Diese Folgerung ergibt sich zudem aus § 19 Abs. 5 SächsVwVG. Nach dieser Vorschrift dürfen Zwangsmittel wiederholt und solange angewandt werden, bis der Verwaltungsakt vollzogen oder auf andere Weise erledigt ist. Der Bedeutungsgehalt dieser Regelung besteht darin, den Einsatz mehrerer Zwangsmittel im gleichen Zeitraum zuzulassen. Dies wird bereits durch den Wortlaut von § 19 Abs. 5 SächsVwVG nahe gelegt. Zudem ergäbe diese Vorschrift ansonsten keinen Sinn. Hätte der sächsische Landesgesetzgeber die Beschränkung auf den Einsatz immer nur eines Zwangsmittels zu gleichen Zeit vorschreiben wollen, so hätte er sich auf die in § 2 Satz 2 SächsVwVG getroffene Regelung beschränken können. Danach darf die Anwendung von Zwangsmitteln regelmäßig fortgesetzt werden, bis der Zweck der Verwaltungsvollstreckung erreicht ist. Wäre nur ein sog. Nacheinander von Zwangsmitteln zulässig, so käme der Vorschrift gemäß § 19 Abs. 5 SächsVwVG kein eigener, über § 2 Satz 2 SächsVwVG hinausgehender Regelungsgehalt zu (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.6.1995, NVwZ-RR 1996, 541, 542 zur Bedeutung der § 19 Abs. 5 SächsVwVG entsprechenden Vorschrift gemäß § 19 Abs. 4 BWVwVG).

Schließlich ergibt sich die grundsätzliche Zulässigkeit des gleichzeitigen Einsatzes mehrerer Zwangsmittel aus § 20 Abs. 3 Satz 2 SächsVwVG. Danach ist bei Androhung mehrerer Zwangsmittel die Reihenfolge der Anwendung anzugeben. Auch diese Regelung wäre sinnlos, wenn der sächsische Landesgesetzgeber die Vollstreckungsbehörde auf den Einsatz immer nur eines Zwangsmittels zur gleichen Zeit hätte beschränken wollen.

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des gleichzeitigen Einsatzes von mehreren Zwangsmitteln stellt sich hinsichtlich der Zwangsgeldfestsetzung vom 19.9.2002 nicht. Unverhältnismäßig und damit rechtswidrig können nur Vollstreckungsmaßnahmen sein, durch die ein weiteres, d.h. zu dem ersten hinzutretendes Zwangsmittel eingesetzt wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Senat orientiert sich an der Empfehlung unter I. Nrn. 7 und 8 des von Richtern der Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeiteten Streitwertkatalogs (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., Anhang zu § 164).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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