Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.01.2008
Aktenzeichen: 4 BS 449/07
Rechtsgebiete: SächsGemO, VwVfG


Vorschriften:

SächsGemO § 9
SächsGemO § 72 Abs. 2
VwVfG §§ 54 ff
Verpflichtungen aus einem Eingemeindungsvertrag (§ 9 SächsGemO) werden nicht dadurch gegenstandslos, dass die aufnehmende Gemeinde den seinerzeit ausgehandelten Regelungen nach heutiger Interessen- oder Kenntnislage vernünftigerweise nicht mehr zustimmen könnte.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 4 BS 449/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Streitigkeit aus einem Eingliederungsvertrag; Antrag nach § 123 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng, den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein und die Richterin am Verwaltungsgericht Düvelshaupt

am 4. Januar 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 14. Dezember 2007 - 6 K 1226/07 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahren.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Mit Blick auf die Eilbedürftigkeit der Beschwerdeentscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hält es der Senat nach den Umständen des Falles weder für sachgerecht, über die vom Verwaltungsgericht vorgelegten Behördenakten hinaus zusätzliche Unterlagen beizuziehen oder den Freistaat Sachsen als Träger der Kommunalaufsichtsbehörde einfach beizuladen (§ 65 Abs. 1 VwGO), wie es die Antragstellerin begehrt. Auch für ergänzende rechtliche Hinweise, wie sie die Antragstellerin erbeten hat, bietet das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keinen Raum.

Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 4 VwGO) der Antragstellerin ist unbegründet.

Die fristgerechten Darlegungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren (Schriftsätze v. 21.12., 24.12., 27.12. und 29.12.2007 sowie 2.1. und 3.1.2008), die den Prüfungsumfang des Senats begrenzen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Eilbeschlusses. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

1. Das Verwaltungsgericht hat den auf § 9 Abs. 1 des Eingemeindungsvertrags zwischen der ehemaligen Gemeinde B................ und der Antragsgegnerin gestützten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung der Antragsgegnerin, vorläufig bis zum 28.2.2009 eine Verwaltungsaußenstelle im "Neuen Rathaus" B................, , zu unterhalten, mit der Begründung abgelehnt, der geltend gemachte Anspruch finde im Eingliederungsvertrag von 1998 keine Grundlage. Die Regelung, dass die Antragsgegnerin "eine Verwaltungsaußenstelle im neuen Rathaus B................" unterhalte (§ 9 Abs. 1 Satz 1), sei nicht als unbefristete Festlegung zur räumlichen Lage der Verwaltungsaußenstelle auszulegen (§ 62 Satz 1 VwVfG; §§ 133, 157 BGB). Das seit 1998 genutzte Gebäude " " sei lediglich angemietet; eine unbefristete Anmietung widerspreche dem kommunalrechtlichen Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung (§ 72 Abs. 2 SächsGemO). Die von der Antragsgegnerin vorgesehene Unterbringung der Verwaltungsaußenstelle in einem städtischen Objekt (" ") sei wirtschaftlicher und stehe im Einklang mit dem kommunalrechtlichen Gebot der bürgernahen Verwaltung (§ 1 Abs. 2 SächsGemO). Auch im Übrigen habe sich die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, die Verwaltungsaußenstelle am bisherigen Standort zu belassen. Einer einfachen Beiladung des Freistaats Sachsen als Träger der Rechtsaufsichtsbehörde bedürfe es nicht.

2. Ob den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Inhalt des Eingemeindungsvertrags in jeder Hinsicht gefolgt werden kann, bedarf im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keiner abschließenden Entscheidung. Abzulehnen ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung schon deshalb, weil der Eingliederungsvertrag - aus dem sich das von der Antragstellerin beanspruchte Recht auf Fortführung der Verwaltungsaußenstelle nur ergeben kann - in § 10 Abs. 1 und 2 vorsieht, dass Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Vereinbarung - wie sie hier vorliegen - einem Vermittlungsausschuss unterbreitet werden, der aus dem Oberbürgermeister der Antragsgegnerin und dem Ortsvorsteher (im Wechsel) sowie jeweils drei Mitgliedern des Stadtrats und des Ortschaftsrats besteht. Nur wenn sich die Meinungsverschiedenheiten nicht auf gütlichem Weg bereinigen lassen, wird die eingegliederte Gemeinde B................ bei Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Eingemeindungsvertrags bis zum Auslaufen der Ortschaftsverfassung im Jahr 2014 durch den Ortsvorsteher oder seinen Vertreter vertreten. Vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung soll zudem die Beratung der Rechtsaufsichtsbehörde (also des Regierungspräsidiums Leipzig) eingeholt werden.

Durch § 10 Abs. 1 und Abs. 2 schließt der Eingemeindungsvertrag, von dessen Wirksamkeit im vorliegenden Verfahren auszugehen ist, die Anrufung der Verwaltungsgerichte wegen Streitigkeiten aus dem Vertrag grundsätzlich bis zum Scheitern einer gütlichen Einigung im Vermittlungsausschuss aus. Die "im Geiste der Gleichberechtigung und im Willen der Vertragstreue" (§10 Abs. 1 Satz 1) zwischen der damaligen Gemeinde B................ und der Antragsgegnerin getroffene Vereinbarung räumt der außergerichtlichen Streitbeilegung durch den Vermittlungsausschuss ersichtlich Vorrang vor der Befassung der Gerichte ein. Diese Ausgestaltung der nach § 9 Abs. 2 SächsGemO getroffenen Vereinbarung zur Gebietsänderung (i.S.v. § 8 Abs. 1 SächsGemO) kann - entgegen den Ausführungen der Antragstellerin - im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Sie führt nach Auffassung des Senats bereits zur Unzulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. auch VGH BW, Urt. v. 29.3.1979 - I 1367/78 -, juris, zur Unzulässigkeit einer Feststellungsklage vor dem Scheitern eines Einigungsversuchs vor einem "Eingliederungsausschuss"). Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Geltendmachung von vertraglichen Rechten ist zu verneinen, weil sich die ehemalige Gemeinde in § 10 Abs. 1 und Abs. 2 des Eingliederungsvertrags für Streitigkeiten um solche Rechte der vorrangigen Befassung des Vermittlungsausschusses unterworfen hat (Verbot des widersprüchlichen Verhaltens, venire contra factum proprium). Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten ist die Sitzung des Vermittlungsausschusses erst für den Nachmittag des 14.1.2008 vorgesehen, weshalb auch eine Zurückstellung der Beschwerdeentscheidung zur "Heilung" des Zulässigkeitsmangels ausscheidet.

Das Rechtschutzbedürfnis für den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung lässt sich anhand der vorgelegten Gerichts- und Behördenakten auch nicht mit der Begründung bejahen, die Antragsgegnerin habe die Einberufung des Vermittlungsausschusses verschleppt oder die Ausschusssitzung in so unfairer Weise vorbereitet, dass eine "gütliche Klärung" der Vertragsstreitigkeiten im "Geiste der Gleichberechtigung und im Willen der Vertragstreue" von vornherein ausscheide. Dies gilt - entgegen dem Beschwerdevorbringen der Antragstellerin - sowohl mit Blick auf die Verwaltungsvorlage der Antragsgegnerin zur Vorbereitung der Sitzung des Vermittlungsausschusses vom 18.12.2007 (Drucksache IV/3062, OVG Akte Band I, S. 185 ff.) als auch die im Schriftsatz der Antragstellerin vom 3.1.2008 erwähnte Einladung der Antragstellerin an Mitglieder des Vermittlungsausschusses für eine Vorbesprechung am 8.1.2008. Bei dieser Beurteilung berücksichtigt der Senat insbesondere, dass die Antragstellerin bereits mehrere gerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit dem Eingemeindungsvertrag anhängig gemacht und das Verwaltungsgericht Leipzig im Parallelverfahren 6 K 1228/07 (Eilverfahren Mittelschule) offenbar für den 9.1.2008 einen Erörterungstermin des Berichterstatters vorgesehen hat, wie es die Antragstellerin in ihrem letzten Schriftsatz vom gestrigen Tag ausführt.

Angesichts der Unzulässigkeit des Antrags auf Erlass eine einstweiligen Anordnung mag dahinstehen, ob im Rahmen einer Begründetheitsprüfung nach § 123 VwGO eine Folgenabwägung durchzuführen wäre, wie sie der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen in den von der Antragstellerin bezeichneten Eilverfahren zu den Normenkontrollverfahren auf kommunalen Antrag über die Gesetze zur Gemeindegebietsreform vorgenommen hat.

3. Mit Blick auf die bevorstehende Sitzung des Vermittlungsausschusses merkt der Senat allerdings Folgendes an:

3.1. Entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsvorlage Drucksache IV/3062 (OVG Akte Band I, S. 193 f.) der Antragsgegnerin steht die Einhaltung der Zusagen des Eingemeindungsvertrag nicht unter einem allgemeinen "Haushaltsvorbehalt" in dem Sinne, dass sich die Antragsgegnerin durch eine einfache Rats- oder Verwaltungsentscheidung von "unwirtschaftlichen" Regelungen des Eingemeindungsvertrags lösen könnte. Dies gilt unabhängig von der streitigen Rechtsfrage, ob - wovon das Verwaltungsgericht ersichtlich ausgegangen ist - die Regelungen der §§ 54 ff. VwVfG auf Eingemeindungsverträge anwendbar sind (zum Meinungsstand vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 54 Rn. 72; zweifelnd SächsOVG [3. Senat], Beschl. v. 30.6.1997, SächsVBl. 1998, 83, 84). Grundsätzlich sind auch "unwirtschaftliche" Bestimmungen von Eingliederungsverträgen einzuhalten, soweit sie im Rahmen der gesetzlichen Gestaltungsfreiheit (Quecke, in: Quecke/Schmid, SächsGemO, Stand August 2007, G § 9 Rn. 6) ausgehandelt wurden und wirksam sind. Eingliederungsverträge werden gerade zu dem Zweck abgeschlossen, verbindliche Regelungen für den Fall zu treffen, dass die aufnehmende Gemeinde den Inhalt früherer Zusicherungen nicht mehr als zweckmäßig erachtet (zutreffend VG Freiburg, Urt. v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, juris, für die Umstrukturierung einer Feuerwehr aus wirtschaftlichen Gründen; vgl. auch Altenmüller, DÖV 1977, 34, 35). Gerade durch ihre Bindungswirkung unterscheiden sich Eingliederungsverträge von bloßen Absichtserklärungen oder Wahlkampfversprechen. Diese Bindungswirkung entfällt nicht schon dadurch, dass eine Vertragspartei nach heutiger Interessen- oder Kenntnislage einer damals ausgehandelten Regelung vernünftigerweise nicht mehr zustimmen könnte. Eine Unwirksamkeit der "Besonderen Zusagen der Stadt Leipzig" in § 9 des Eingemeindungsvertrags wird sich hier jedenfalls nicht ohne weiteres aus einer Verletzung des in § 72 Abs. 2 SächsGemO enthaltenen Gebots ableiten lassen, dass die Haushaltswirtschaft sparsam und wirtschaftlich zu führen ist. Diesem - eher als wertfreiem Optimierungsgebot denn als zwingendem Rechtssatz zu verstehenden (vgl. Schliesky, DVBl. 2007, 1453, 1455 ff.) - allgemeinen Haushaltsgrundsatz sind schon mit Blick auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht wie das Rechtsstaatsgebot nur in Ausnahmefällen konkrete Handlungsgebote für Gemeinden zu entnehmen (vgl. Schmid, in: Quecke/Schmid, a.a.O., G § 72 Rn. 103; Jacob, in: Sponer/Jacob, Kommunalverfassungsrecht Sachsen, Stand Oktober 2004, § 72 SächsGemO Anm. 3). Damit sind auch "unwirtschaftliche" Regelungen eines ansonsten wirksamen Eingemeindungsvertrags nicht ohne weiteres wegen eines gesetzlichen Verbots i.S.v. § 59 VwVfG i.V.m. § 134 BGB nichtig, wie es die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung für § 9 Abs. 1 andeutet.

Ausgehend davon lässt sich § 9 Abs. 1 Satz 1 des Eingemeindungsvertrags nach summarischer Prüfung durchaus in dem Sinne dahin verstehen, dass die Verwaltungsaußenstelle auf Dauer im "neuen Rathaus B................" zu unterhalten ist, mag das Gebäude auch nur angemietet sein. Die einschränkende Auslegung des Vertragstextes durch das Verwaltungsgericht Leipzig, das auf ein obiter dictum in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 10.10.2007 (- 3 K 102/06-, juris) zu einer - anders formulierten - Vereinigungsvereinbarung verweist, findet in der Formulierung des Eingemeindungsvertrags 1998 keine Stütze. Ausgehend vom Inhalt der Beschwerdeakten spricht Einiges dafür, dass die näheren Umstände der Vertragsverhandlungen anhand der entsprechenden Archivakten im Hauptsacheverfahren weiter aufzuklären sein werden. Ob der Antragsgegnerin wegen der von ihr dargelegten Umstände möglicherweise ein Recht auf Vertragsanpassung wegen einer wesentlichen Veränderung der Umstände zustehen kann (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 30.6.1997, SächsVBl. 1998, 83, 84; OVG NRW, Urt. v. 3.1.1992, NVwZ 1993, 588; darauf verweisend VG Freiburg, a.a.O.), lässt sich im vorliegenden Verfahren ebenso wenig abschließend klären.

3.2. In dieser schwierigen rechtlichen Situation sind die Verfahrensbeteiligten gehalten, mit Hilfe des vertraglich vorgesehenen Vermittlungsausschusses und der Beratung durch die Rechtsaufsichtsbehörde (§ 10 Abs. 2 Satz 1 und 2) eine angemessene außergerichtliche Lösung ihrer Vertragsstreitigkeiten zu erreichen, wobei es etwa im Rahmen eines Gesamtvergleichs aus Sicht des Senats durchaus sachgerecht erscheint, beim Leerstand eines geeigneten städtischen Objekts für die Verwaltungsaußenstelle in B................ öffentliche Mittel zur Anmietung von Teilen eines Bürogebäudes in Höhe von knapp 28.000,00 € pro Jahr (so die Angaben in der Beschwerdeschrift) zu sparen.

Nach alledem ist die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Bei der Streitwertfestsetzung nach §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG hält der Senat einen Betrag von 10.000,00 € für sachgerecht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück