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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.08.2008
Aktenzeichen: 5 A 198/08
Rechtsgebiete: SächsKAG


Vorschriften:

SächsKAG § 26 Abs. 1 S. 1
SächsKAG § 28 Abs. 2
Hat eine Sackgasse eine deutlich andere Verkehrsbedeutung als der Straßenzug, von dem sie abweicht, so ist sie selbst bei kurzer Länge straßenausbaubeitragsrechtlich als selbstständige Verkehrsanlage anzusehen (wie NdsOVG, Beschl. v. 30.1.1998 - 9 M 2815/96 -).
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Straßenausbaubeitrags

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Düvelshaupt

am 18. August 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 27. Februar 2008 - 6 K 366/05 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Beklagte die trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 539,88 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 27.2.2008 ist abzulehnen, weil die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegen.

Die Kläger wenden sich gegen Vorausleistungen für Straßenausbauarbeiten an der Ortsdurchfahrt von Oberlichtenau. Ihr Grundstück grenzt nicht unmittelbar an die Ortsdurchfahrt, die Staatsstraße , an. Vielmehr können die Kläger den Zugang zur Staatsstraße nur über ein Nachbargrundstück, das mit einem Wegerecht zu ihren Gunsten belastet ist, und über einen etwas mehr als 60 m langen Stichweg erreichen. Das Verwaltungsgericht Dresden hat der Klage der Kläger stattgegeben. Zur Begründung führt es aus, bei dem Stichweg handle es sich um eine selbstständige Verkehrsanlage. Zwar sei der zu betrachtende Weg weniger als 100 m lang und erschließe nur 6 Grundstücke. Dennoch vermittle er nicht den Eindruck einer bloßen Zufahrt. Dies beruhe zum einen auf den Umstand, dass der Weg über ein aufgrund des vorhandenen Brückengeländers als solche deutlich erkennbare Brücke führe. Zum anderen nehme der Stichweg auch nicht den für eine bloße Zufahrt üblichen geradlinigen Verlauf, sondern knicke nach einer Aufweitung unmittelbar nach dem Brückenbauwerk deutlich wahrnehmbar ab. Während er zunächst abfalle, steige er nach der Brücke deutlich an. Ebenfalls für eine Selbstständigkeit des Weges spreche der Umstand, dass er im Vergleich zur Staatsstraße eine stark abweichende Verkehrsbedeutung habe. Während es sich bei der Staatsstraße um eine Hauptverkehrsstraße im Sinne der Straßenbaubeitragssatzung handle, stelle der Abzweig eine reine Anliegerstraße dar, die ausschließlich den Anliegerverkehr aufzunehmen bestimmt sei. Ob jede unterschiedliche Funktion entsprechend der Beitragsbemessungsregel in § 28 Abs. 2 SächsKAG zu einer rechtlich gebotenen Selbstständigkeit der jeweiligen Verkehrsanlagen führe, könne offen bleiben. Jedenfalls in Fällen, in denen die Verkehrsfunktion der zu beurteilenden Teile des öffentlichen Verkehrssystems krass von einander abwichen und in denen sogar die Baulast unterschiedlichen Trägern zugeordnet sei, könne aus rechtlichen Gründen nicht von einer einheitlichen Verkehrsanlage ausgegangen werden.

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Beklagte geltend, diese Entscheidung begegne ernstlichen Zweifeln. Das Verwaltungsgericht habe die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung selbstständiger und unselbstständiger Verkehrsanlagen nicht richtig angewendet. Auszugehen sei von der Regelannahme, dass bei einer Stichstraße mit bis zu 100 m, die nicht verzweigt sei und auch nicht abknicke, regelmäßig keine selbstständige Verkehrsanlage vorliege. Dies gelte auch dann, wenn der Weg über eine Brücke führe, da eine Brücke für jede Art der Überfahrt angelegt werden müsse. Der Stichweg knicke hier auch nicht deutlich ab, vielmehr weise der "Knick" lediglich einen Winkel von ungefähr 10 Grad auf. Von einem "rechtwinkligen Knick" könne nicht ausgegangen werden. Die naturgegebene Niveauänderung des Weges sage ebenfalls nichts über seine Selbstständigkeit aus. Auch spreche die Beschaffenheit des Stichweges mit unterschiedlichen Belägen gegen eine selbstständige Verkehrsanlage. Im vorliegenden Fall sei auch das Kriterium der Abweichung der Verkehrsbedeutungen nicht geeignet, um den Schluss auf eine selbstständige Verkehrsanlage zuzulassen. Die Staatsstraße habe über eine überragende Verkehrsbedeutung, hinter der die Bedeutung der Stichstraße erheblich zurücktrete. Dies zeige aber gerade, dass es sich bei der Stichstraße um keine eigenständige Verkehrsanlage handle.

1. Der Antrag ist zulässig.

Das Verwaltungsgericht hat die Berufung ausweislich des Tenors und der Entscheidungsgründe nicht zugelassen. Der Rechtsmittelbelehrung, die darüber belehrt, dass den Beteiligten "die Berufung an das Sächsische Oberverwaltungsgericht" zusteht, kommt demgegenüber keine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 28.2.1985 - 2 C 14.84 -, zitiert nach juris). Sie ist offensichtlich unzutreffend.

2. Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das angegriffene Urteil begegnet keinen ernstlichen Zweifeln i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen dann, wenn der Antragsteller des Zulassungsverfahrens tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Gegenargumenten so infrage stellt, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens als ungewiss zu beurteilen ist. Eine Zulassung der Berufung scheidet aus, wenn sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig darstellt (SächsOVG, Beschl. v. 28.12.2007 - 5 B 175/06 -, st. Rspr.).

Hier scheidet eine Zulassung der Berufung deshalb aus, weil sich das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis als richtig darstellt. Das vom Verwaltungsgericht herangezogene Kriterium der stark abweichenden Verkehrsbedeutungen von Staatsstraße und Stichweg trägt allein das Urteil. Die hierzu in den Entscheidungsgründen unter Verweis auf Rechtsprechung und Literatur gemachten Ausführungen werden von der Beklagten nicht substanziiert infrage gestellt.

Nach der Rechtsprechung des Senates (SächsOVG, Urt. v. 2.2.2005, KStZ 2005, 192) ist beitragsfähige Anlage i. S. d. §§ 26 ff. SächsKAG - wie im Erschließungsbeitragsrecht - die Straße in ihrer gesamten Ausdehnung. Für die Beantwortung der Frage, ob eine Straße eine einzelne Verkehrsanlage ist oder aus mehreren Anlagen besteht, kommt es regelmäßig nicht auf eine einheitliche Straßenbezeichnung an. Vielmehr ist, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise, maßgeblich auf das Erscheinungsbild (z. B. Straßenführung, Straßenbreite, Straßenlänge, Straßenausstattung, Zahl der erschlossenen Grundstücke), die Verkehrsfunktion sowie vorhandene Abgrenzungen (Kreuzungen, Einmündungen), die eine Verkehrsfläche augenfällig als ein eigenständiges Element des Straßennetzes erscheinen lassen, abzustellen.

Ob eine von einer ausgebauten Straße abzweigende - öffentliche oder private - befahrbare Sackgasse oder ein befahrbarer Stichweg als selbstständige Verkehrsanlage i. S. v. § 26 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG oder als unselbstständiger Bestandteil ("Anhängsel") der ausgebauten Straße anzusehen ist, von der die Gasse oder der Weg abzweigt, richtet sich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - vom Ansatz her zunächst nach dem Gesamteindruck, den die zu beurteilende Anlage nach den tatsächlichen Verhältnissen vermittelt.

Wie die Beklagte zutreffend ausführt, ist bei Heranziehung der zum Erschließungsbeitragsrecht ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 25.1.1985 - 8 C 106.83 -, zitiert nach juris) eine öffentliche, für das Befahren mit Kraftfahrzeugen aller Art vorgesehene, etwa 100 m lange und nicht verzweigte Sackgasse oder Stichstraße, die eine ihrer Ausdehnung nach angemessene Anzahl von Grundstücken erschließt, regelmäßig als erschließungsrechtlich unselbstständig zu qualifizieren. Der Beklagten ist auch zuzugeben, dass die Regelvermutung wohl allein durch das Vorhandensein einer Brücke oder einer leichten Krümmung oder von Niveauänderungen nicht erschüttert würde.

Das Verwaltungsgericht hat aber zutreffend darauf abgestellt, dass hier die stark abweichenden Verkehrsbedeutungen von Staatsstraße und Stichweg ein Abweichen vom erschließungsbeitragsrechtlichen Verkehrsanlagenbegriff rechtfertigen. Auch wenn der straßenbaubeitragsrechtliche Anlagenbegriff grundsätzlich mit dem erschließungsbeitragsrechtlichen Anlagenbegriff übereinstimmt, gilt dies nicht, wenn spezifisch straßenbaubeitragsrechtliche Grundsätze eine Abweichung vom erschließungsbeitragsrechtlichen Anlagenbegriff gebieten. Dies ist aber insbesondere dann der Fall, wenn dem Straßenzug, von dem die befahrbare Sackgasse abzweigt, eine andere Verkehrsbedeutung zukommt als der Sackgasse selbst. Denn während im Erschließungsbeitragsrecht die Verkehrsfunktion der abgerechneten Anlage für die Höhe des auf die Beitragspflichtigen umzulegenden Aufwandes keine Bedeutung hat, sind die Gemeinden im Straßenbaubeitragsrecht nach § 28 Abs. 2 SächsKAG verpflichtet, die Höhe des Gemeindeanteils und damit zugleich des Anliegeranteils nach Straßenarten zu staffeln (vgl. hierzu: SächsOVG, Urt. v. 31.1.2007, SächsVBl. 2007, 112, 118 f.; Urt. v. 25.4.2007, SächsVBl. 2007, 285). Aus diesem Grunde lässt sich der erschließungsbeitragsrechtliche Grundsatz, dass eine von der Hauptstraße abzweigende, weniger als 100 m lange befahrbare Sackgasse oder ein entsprechender Weg regelmäßig Bestandteil der Hauptstraße ist, nicht in jedem Fall auf das Straßenbaubeitragsrecht übertragen. Kommt dem erschließungsbeitragsrechtlich als unselbstständig anzusehenden Stichweg eine für die Einstufung relevant andere Verkehrsbedeutung zu als der Straße, in die er einmündet, so dass Hauptstraße und Stichweg nach § 28 Abs. 2 SächsKAG und der Beitragssatzung mit unterschiedlichen Anliegeranteilen abzurechnen wären, sind sie auch als unterschiedliche Einrichtungen zu behandeln (ebenso für das niedersächsische Landesrecht: NdsOVG, Beschl. v. 30.1.1998 - 9 M 2815/96 -, zitiert nach juris; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 31 Rn. 9 sowie auch für das Erschließungsbeitragsrecht bei untergeordneten Straßen, die von klassifizierten Straßen abweichen: § 12 Rn. 15). Nur durch die Annahme verschiedener Verkehrsanlagen kann erreicht werden, dass - einerseits - einzig die Anlieger der Hauptstraße in den Genuss des we-gen der größeren Verkehrsbedeutung geringeren Anliegeranteils kommen und - andererseits - die Anlieger der Sackgasse mit einem entsprechend höheren Anliegeranteil bei dem Ausbau der Sackgasse (an den selbstverständlich regelmäßig viel geringeren Ausbaukosten) belastet werden.

Mit dieser Argumentation und der vom Verwaltungsgericht ebenfalls zitierten Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts und den Ausführungen von Driehaus setzt sich die Beklage in ihrem Zulassungsantrag nicht ausreichend auseinander. Vielmehr beschränkt sie sich auf die Behauptung, die stark unterschiedlichen Verkehrsbedeutungen seien gerade nicht geeignet, den Schluss auf eine selbstständige Verkehrsanlage zuzulassen.

Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 62 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).



Ende der Entscheidung

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