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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 04.10.2004
Aktenzeichen: 5 B 770/03
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 89c
SGB VIII § 86
Nach Beginn der Leistung verbleibt eine örtliche Zuständigkeit aus § 86 Abs. 2 Satz 1 1. Hs. SGB VIII auch im Fall einer nachfolgenden Entziehung der Personensorgeberechtigung des allein sorgeberechtigten Elternteils bei dem bisher zuständigen Leistungsträger.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 5 B 770/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Kostenerstattung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. John ohne mündliche Verhandlung

am 4. Oktober 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 1. Oktober 2002 - 6 K 1743/98 - wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich gegen seine Verpflichtung durch das Verwaltungsgericht Dresden, an die Klägerin 61.791,22 € für die von dieser erbrachten jugendhilferechtlichen Leistungen gegenüber M. P. zu zahlen. Der am 9.10.1983 geborene M. P. lebte nach der Ehescheidung seiner Eltern, J. P. und R. G. , bei seiner Mutter in Bochum. Diese hatte für ihn aufgrund eines Urteils des Kreisgerichts Meißen vom 1987 das Sorgerecht. Sein älterer Bruder N. lebte bei seinem Vater in C. im Landkreis Meißen. Aufgrund von erzieherischen Problemen vereinbarten die Eltern von M. im Jahre 1995, dass er für einige Monate bei seinem Vater wohnen sollte. Auch sein Vater hatte mit M. erzieherische Probleme, so dass jener dessen Mutter bat, diesen wieder bei sich aufnehmen. Dies lehnte M. Mutter ab. Sie beantragte am 15.8.1996 bei der Klägerin die Bewilligung einer Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung für M. . Sein Vater brachte ihn nach vorheriger Abstimmung mit der Klägerin am 23.9.1996 in deren Jugendamt, welchesM. noch am gleichen Tag im Evangelischen Kinder- und Jugendheim O. in Bochum unterbrachte. Mit Bescheid vom 14.10.1996 gewährte die Klägerin ab dem 23.9.1996 Hilfe zur Erziehung durch Heimerziehung bzw. eine sonstige betreute Wohnform. Am 22.10.1996 wechselte M. in eine Außenwohngruppe des Martinistifts N. in D. .

Mit Beschluss vom 27.9.1996 übertrug das Amtsgericht Bochum - 59 F 257/96 - das Sorgerecht für M. einem Vormund. Zur Begründung führte es aus, dass die Kindsmutter sich nach eigener Darstellung zu einer Sorge für M. außer Stande sehe. Es gehe davon aus, dass das Jugendamt der Klägerin zumindest vorläufig die Vormundschaft übernehme. Bereits durch einstweilige Anordnung vom 27.8.1996 sei dem Jugendamt der Klägerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M. übertragen worden.

Mit Schreiben vom 5.12.1996 begehrte die Klägerin von dem Beklagten die Kostenerstattung der jugendhilferechtlichen Maßnahmen, was jener mit Schreiben vom 4.4.1996 ablehnte.

Auf die von der Klägerin am 30.6.1998 erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Dresden den Beklagten zur Zahlung von 61.791,22 € an die Klägerin. Zur Begründung führte es sinngemäß aus, dass der Beklagte durch den Zuzug von M. nach C. örtlich zuständiger Träger für die Gewährung von Jugendhilfe geworden sei. Er habe deshalb die von der Klägerin an M. erbrachten Leistungen zu erstatten. Gemäß § 89 c Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) Kinder- und Jugendhilfe - SGB VIII - seien die Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewendet habe, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden sei. Der bisher zuständige Träger bleibe nach § 86 c Satz 1 SGB VIII solange zur Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige Träger die Leistung fortsetze. Zur Feststellung der Zuständigkeit seien hier die Regelungen der nach § 86 Abs. 3 SGB VIII entsprechend geltenden Sätze 2 und 4 des § 86 Abs. 2 SGB VIII heranzuziehen. Sie regelten den Fall, dass Elternteile verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben und die Personensorge keinem Elternteil zustehe. Diese Regelungen seien auch im Fall einer nachträglichen Änderung des Sorgerechts anwendbar, so dass ein Wechsel der Zuständigkeit von Bochum nach Meißen erfolgt sei. Zwar handele es sich hierbei um eine formale Betrachtung, sie sei jedoch im Interesse der Rechtssicherheit geboten. Im Übrigen könnten gegenteilige Argumente, die sich an Sinn und Zweck der einschlägigen Norm orientierten, nicht unbedingt überzeugen. Ausgehend von § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII richte sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteils, bei dem M. vor Beginn der Leistung seinen letzten Aufenthalt gehabt habe. Dies sei der im Zuständigkeitsbereich des Beklagten liegende Ort C. gewesen. Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts von M. nach der Trennung von seinem Vater bei seiner Mutter sei für das Gericht nicht ersichtlich. Hiergegen spreche insbesondere die Aktenlage, der zufolge M. von seinem Vater unmittelbar dem Jugendamt der Klägerin übergeben und von dort nach O. gebracht worden sei. Der Höhe nach sei die Forderung weder substanziiert bestritten worden noch sonst offensichtlich fehlerhaft.

Auf den Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 15.10.2003 - 5 B 928/02 - die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zugelassen. Zur Begründung verwies er darauf, dass einiges für die Auffassung des Beklagten spreche, dass sich die örtliche Zuständigkeit hier nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII richte, demnach der Wohnsitz der Mutter von M. maßgeblich sei.

Zur Begründung seiner Berufung führt der Beklagte aus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des über § 86 Abs. 3 SGB VIII angewandten § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nicht vorlägen. Letzterer setze voraus, dass die Personensorge den Eltern gemeinsam zustehe. Hieran fehle es, da allein die Mutter sorgeberechtigt gewesen sei. Es bleibe hingegen bei der bisherigen Zuständigkeit, wenn das alleinige Sorgerecht nach Beginn der Leistung entzogen und nicht dem anderen Elternteil übertragen werde. Der vom Verwaltungsgericht herangezogene § 86 Abs. 3 SGB VIII enthalte eine Zuständigkeitsregelung für die Fälle, in denen die Elternteile unterschiedliche gewöhnliche Aufenthalte hätten, jedoch - im Unterschied zu Absatz 2 - vor Beginn der Leistung keinem Elternteil die Personensorge zustehe. Hier habe bei Beginn der Leistung die Personensorge der Mutter alleine zugestanden. Erst nach Beginn der Hilfeleistung sei ihr das Sorgerecht entzogen worden. Die hierbei zum Vormund bestellte Klägerin habe hingegen keinen Antrag auf Hilfe zur Erziehung gestellt. Das Verwaltungsgericht habe zudem § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII übersehen. Er befasse sich als einzige Regelung mit der Änderung des Personensorgerechts. Ihm zufolge bleibe es nach der Entziehung des Sorgerechts bei der bisherigen Zuständigkeit, hier der Zuständigkeit der Klägerin. Auch aus pädagogischer Sicht ergebe sich nichts anderes. Der in der Wohnortnähe des zuletzt sorgeberechtigten Elternteils lebende Jugendliche habe in keiner Weise eine Beziehung zu dem Jugendhilfeträger des nicht sorgeberechtigten, lediglich ein Umgangsrecht ausübenden Elternteils. Eine jugendhilferechtliche Maßnahme des Beklagten sei sinn- und zweckverfehlt. Allein die die Leistung bewilligende Klägerin habe eine Rückkehr von M. in den Haushalt seiner Mutter planen und steuern können. Seit der Heimunterbringung habe es an jeglichem Bezug zum Beklagten gefehlt. Im Übrigen habe die Gewährung von Jugendhilfe auf den Antrag der Mutter ihre Beendigung stattgefunden. Die Klägerin habe in ihrer Eigenschaft als Vormund keinen Antrag auf Jugendhilfe gestellt. Gleichwohl habe die Klägerin die Leistung weiter gewährt. Damit habe sie die Erziehung von M. und die damit verbundenen Kosten in die eigene Verantwortung übernommen. Ergänzend verweist der Beklagte darauf, dass im hier vorliegenden Fall keine Konkurrenz zwischen den beiden Elternteilen nach § 86 Abs. 2 SGB VIII zu lösen sei. Vielmehr müsse dem Grundgedanken des § 86 Abs. 1 SGB VIII zufolge der Entzug des Sorgerechts während der Hilfegewährung nicht zu einem Zuständigkeitswechsel führen. Hinsichtlich der Höhe der Forderung verweist er auf zwischenzeitlich bekannt gewordene Unterhaltszahlungen des Vaters. Auch die unterhaltspflichtige Mutter solle nicht unerhebliche monatliche Zahlungen geleistet haben.

Der Beklagte beantragt - sinngemäß -,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 1. Oktober 2002 - 6 K 1743/98 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt - sinngemäß -,

die Berufung zurückzuweisen, soweit der Beklagte zu einer Zahlung in Höhe von 54.557,12 € verpflichtet wurde.

Ihrer Auffassung zufolge ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Der Höhe nach hält sie unter nachträglicher Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen eine Forderung in Höhe von 54.557,12 € für gerechtfertigt.

Dem Senat liegen die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Akte des Verwaltungsgerichts - 6 K 1743/98 - und die Akten des Zulassungs- und Berufungsverfahrens vor. Auf diese wird für die näheren Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten auf deren Durchführung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht zu einer Kostenerstattung der von der Klägerin ausgelösten Kosten für die jugendhilferechtlichen Maßnahmen zugunsten von M. P. verurteilt.

Die Voraussetzungen für den hier allein in Betracht kommenden Kostenerstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII liegen nicht vor. Nach dieser Norm sind die Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86c SGB VIII aufgewandt hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist. Für den Fall eines Wechsels der örtlichen Zuständigkeit sieht § 86c Satz 1 SGB VIII den bisher zuständigen Träger als so lange zur Weitergewährung der Leistung an, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt.

Bei der Leistung handelt es sich hier um die von der Klägerin mit Bescheid vom 14.10.1996 zum 23.9.1996 bewilligte Hilfe zur Erziehung von M. in Gestalt von Heimerziehung/ sonstiger betreuter Wohnform i.S.v. § 34 SGB VIII. Diese Hilfe wurde bereits ab dem 23.9.1996 tatsächlich im Evangelischen Kinder- und Jugendheim O. erbracht und ab dem 22.10.1996 in einer Außenwohngruppe des Martinistifts in D. fortgesetzt.

1. Örtlich zuständig für diese am 15.8.1996 durch die seinerzeit personensorgeberechtigte Mutter (vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIII) M. beantragte Hilfe zur Erziehung war zu diesem Zeitpunkt die Klägerin.

1.1 Gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 SGB VIII ist für den Fall verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte der Elternteile der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich der personensorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das war hier Bochum, da der dort lebenden Mutter von M. das Personensorgerecht allein zustand. Die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 27.8.1996 ändert an der Zuständigkeit nichts. Für eine Zuständigkeit nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII kommt es auf den Umfang der dem Personensorgeberechtigten verbleibenden Befugnisse nach § 1631 Bürgerliches Gesetzbuch nicht an (VGH Bad.-Württ. Urt. v. 23.3.2004 - 9 S 575/03 - zit. nach juris; Wiesner, in: Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, 2. Aufl., § 86 RdNr. 15; Kunkel, in: Kunkel (Hrsg.), LPK-SGB VIII, § 86 RdNr. 20; Mrozynski, SGB VIII, 4. Aufl., § 86 RdNr. 6).

1.2 Im Übrigen ist für die Bestimmung der Zuständigkeit zunächst auf den Zeitpunkt des Beginns der Leistung abzustellen. § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stellt auf diesen Zeitpunkt nicht ausdrücklich ab, er ergibt sich aber aus der Natur der Sache. Auf welchen Zeitpunkt der Beginn der Leistung zu bestimmen ist, wird unterschiedlich beantwortet. Diese Frage bedarf hier keiner weiteren Vertiefung. Soweit ersichtlich wird neben dem Zeitpunkt des Beginns des Verwaltungsverfahrens als spätester Zeitpunkt der tatsächliche Beginn der Leistung als maßgeblich angesehen (vgl. Kunkel, aaO, RdNr. 7 und ZfJ 2001,361; Mrozynski, aaO, RdNr. 8; Wiesner, aaO, RdNr. 18). Hiervon ausgehend war die Klägerin bis zum Entzug des Sorgerechts am 27.9.1996 zuständig. Das Verwaltungsverfahren begann mit dem Hilfeantrag der Mutter von M. vom 15.8.1996. Die Gewährung der Leistung wurde zum 23.9.1996 in Gestalt der beantragten Hilfe zur Erziehung durch die Klägerin aufgenommen. Dass die tatsächlich schon aufgenommene Hilfe erst mit Bescheid vom 14.10.1996 bewilligt wurde, ist hier ohne Bedeutung.

2. Durch den Entzug des Sorgerechts durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 27.9.1996 ist kein Zuständigkeitswechsel eingetreten. Vielmehr blieb es dessen ungeachtet bei einer örtlichen Zuständigkeit der Klägerin. Dieses Ergebnis beruht auf folgenden Erwägungen:

2.1 Bei Entziehung des Sorgerechts am 27.9.1996 lagen die Voraussetzungen des § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII nicht mehr vor. Eine für diesen Zeitpunkt - erstmalig - zu bestimmende Zuständigkeit richtet sich nach § 86 Abs. 3 SGB VIII. Im vorliegenden Fall verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte der Elternteile und ihnen nicht zustehender Personensorge erklärt er die Regelungen des § 86 Abs. 2 Satz 2 und 4 SGB VIII für entsprechend anwendbar. Hiernach kommt es auf den letzten gewöhnlichen oder hilfsweise tatsächlichen Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen vor Beginn der Leistung an. Dieser lag im Landkreis Meißen, da M. von Juli 1995 bis zu seiner Rückkehr nach Bochum zum Ende September 1996 dort bei seinem Vater gelebt hatte.

2.2 Ob für diesen Fall auch ein nachträglicher Wechsel der Zuständigkeit bei bereits bewilligter Leistung erfolgt, lässt sich mangels ausdrücklicher Regelung nur durch Auslegung der die Zuständigkeit bestimmenden Norm ermitteln. Entgegen der Auffassung des Beklagten wird man wohl nicht nur in den von § 86 SGB VIII ausdrücklich geregelten Fällen von einem Zuständigkeitswechsel nach Beginn der Leistung auszugehen haben. Dies gilt etwa in dem Fall, dass die Eltern ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gemeinsam in einen anderen Zuständigkeitsbereich verlegen. Diese Konstellation ist insbesondere nicht von der Regelung des § 86 Abs. 5 SGB VIII erfasst, dürfte gleichwohl zu Recht als zuständigkeitsverändernder Umstand angesehen werden (Wiesner, aaO, RdNr. 27; Kunkel, aaO, RdNr. 35).

2.2.1 Systematisch lässt sich aus den Absätzen 1 bis 3 des § 86 SGB VIII entnehmen, dass die Personensorge nur einen subsidiären Anknüpfungspunkt darstellt. Nach § 86 Abs. 1 SGB VIII ist in erster Linie auf den Ort des - gemeinsamen - Aufenthalts der Eltern bzw. eines der beiden Elternteile abzustellen. Erst wenn es an einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. einem allein maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalt eines Elternteils fehlt, ist nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des personensorgeberechtigten Elternteils maßgeblich. Steht die Personensorge den Eltern im Fall unterschiedlicher gewöhnlicher Aufenthaltsorte gemeinsam zu, stellt der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Kindes oder Jugendlichen vor Beginn der Leistung den maßgeblichen Bezugspunkt dar (§ 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII).

2.2.2 Dies bedeutet, dass im Fall eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Eltern ein etwaiger Verlust des Sorgerechts für die Zuständigkeit des örtlichen Trägers nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ohne Bedeutung ist. Gleiches gilt für den Fall einer nicht anerkannten oder festgestellten Vaterschaft (§ 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) oder nur noch eines lebenden Elternteils (§ 86 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII). Auch hier ist die Personensorge ohne Einfluss auf die örtliche Zuständigkeit. Bereits erwähnt wurde die Verlegung des gemeinsamen Aufenthalts in einen anderen Zuständigkeitsbereich nach Beginn der Leistung, der als zuständigkeitsändernder Umstand angesehen wird (Wiesner, aaO, RdNr. 27; Kunkel, aaO, RdNr. 35). Es dürfte auch der Klägerin darin zuzustimmen sein, dass die Zusammenführung der Orte des ständigen Aufenthalts durch die Eltern im Anschluss an einen Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII zu einem ebenfalls gesetzlich nicht geregelten Zuständigkeitswechsel auf den nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu bestimmenden Träger der Hilfe führt. Andernfalls bliebe eine örtliche Zuständigkeit an einem Ort bestehen, an dem keiner der beiden Eltern einen ständigen Aufenthalt hat, obwohl einem von beiden das Sorgerecht zusteht. Dies stünde in Widerspruch zu der gesetzlichen Konzeption der Zuständigkeitskriterien.

2.2.3 § 86 Abs. 1 SGB VIII lässt sich das Bestreben zu entnehmen, im Unterschied zum gewöhnlichen Aufenthalt Veränderungen in der Personensorgeberechtigung so weit als möglich nicht zu einer Zuständigkeitsveränderung führen zu lassen. Dies spricht dafür, auch im Bereich des § 86 Abs. 2 SGB VIII eine an den gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern oder eines Elternteils anknüpfende örtliche Zuständigkeit vom Entzug der Personensorge während der Leistungserbringung unberührt zu lassen (Wiesner, aaO, § 86 RdNr. 32a; DIV-Gutachten v. 13.10.1998, DAVorm 1999, 234)). Dies gilt jedenfalls für die hier vorliegende Konstellation des § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, in der nach dem Entzug des Sorgerechts keiner der beiden Elternteile sorgeberechtigt ist. Die sachliche Zuständigkeit verbleibt dann in Wohnortnähe zu dem zuletzt sorgeberechtigten Elternteil. Anders kann es in den Fällen der Sorgerechtsübertragung auf den anderen Elternteil liegen (vgl. Kunkel, aaO, RdNr. 36). Hier macht es Sinn, die sachliche Zuständigkeit an den Aufenthaltsort des nunmehr sorgeberechtigten Elternteils zu verlegen.

2.2.4 Für einen Verbleib der sachlichen Zuständigkeit bei der Klägerin spricht auch § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII. Ihm zugrunde liegt die Regelung in § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII, welcher die örtliche Zuständigkeit im Fall der Begründung unterschiedlicher gewöhnlicher Aufenthalte durch die Eltern nach Beginn der Leistung regelt. Zuständig wird der örtliche Träger in dessen Bereich der personensorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Solange die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, bleibt hingegen die bisherige Zuständigkeit bestehen (§ 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII). Es bleibt dann bei der auf der Grundlage von § 86 Abs. 1 SGB VIII vor Beginn der Leistung begründeten Zuständigkeit. An dieser fehlt es hier, was einer unmittelbaren Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII entgegensteht. Ihm lässt sich aber die Aussage entnehmen, dass in erster Linie nur Veränderungen im tatsächlichen Aufenthalt der Eltern für einen Zuständigkeitswechsel maßgeblich sein sollen. Nur wenn sich die Zuständigkeit hiernach nicht bestimmen lässt, wird der Innehabung der Personensorge eine zuständigkeitsbestimmende Funktion zugesprochen. Dies aber nur, um in Fällen auseinander fallenden Aufenthalts der Eltern zu verhindern, dass die örtliche Zuständigkeit nicht mehr am Ort des ständigen Aufenthalts eines der Personensorgeberechtigten liegt. Deshalb verbleibt es nach Satz 2 bei der bisherigen Zuständigkeit im Fall eines gemeinsamen oder eines den Eltern nicht mehr zustehenden Sorgerechts. Dies spricht dafür, auch im Fall einer Entziehung des Sorgerechts nach Beginn der Leistung von einer Zuständigkeitsänderung abzusehen, wenn im Fall von unterschiedlichen Aufenthaltsorten der Eltern die örtliche Zuständigkeit nach dem Wechsel nicht am Ort - eines - sorgeberechtigten Elternteils liegt.

3. Ist nach alledem kein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit eingetreten, da § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in der vorliegenden Konstellation als statische Vorschrift aufzufassen ist, bei der ein nach dem Beginn der Leistung erfolgter Entzug des Sorgerechts die einmal begründete Zuständigkeit unberührt lässt, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Klägerin auf den Entzug des Sorgerechts für sich selbst als Vormund (vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIII) einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung hätte stellen müssen, um berechtigt weiter die Hilfe gewähren zu können.

Jedenfalls ist die Verpflichtung zur Fortführung einer Leistung nach § 86 c SGB VIII nicht auf unaufschiebbare Maßnahmen in Notfällen beschränkt; es genügt, dass im Zeitpunkt der Antragstellung ein konkreter Hilfebedarf besteht, was hier außer Frage steht. Die Leistungspflicht dauert so lange fort, bis die örtliche Zuständigkeit geklärt ist und/oder der zuständige örtliche Träger tätig wird (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.3.2004, RdNr. 22 bei juris).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 61.791,22 € festgesetzt (§ 188 Satz 2 Hs. 2 VwGO; § 72 Nr. 1 GKG n.F. i.V.m. § 13 Abs. 2 GKG a.F.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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