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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 01.10.2003
Aktenzeichen: 5 B 819/01.A
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG, VwGO


Vorschriften:

AuslG § 51
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 53
AuslG § 53 Abs. 1
AuslG § 53 Abs. 2
AuslG § 53 Abs. 3
AuslG § 53 Abs. 4
AuslG § 53 Abs. 6 Satz 1
AsylVfG § 31 Abs. 3 Nr. 2
VwGO § 86 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: A 5 B 819/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1, § 53 AuslG

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schaffarzik

am 1. Oktober 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beteiligten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 30. Juni 2000 - A 4 K 32679/96 - geändert. Die Klage auf Verpflichtung zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 AuslG wird abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beteiligte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der nach seinen Angaben am 1972 in Tripolis geborene Kläger macht eine libysche Staatsangehörigkeit geltend. Er beruft sich darauf, am 26.2.1996 auf dem Luftwege in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Am 29.2.1996 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Zur Begründung seines Antrages führte er bei seiner Anhörung am 4.3.1996 vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Bundesamt - aus, am 20.11. 1995 zu Fuß über die Grenze von Libyen nach Tunis gegangen zu sein. Dort habe er sich drei Monate bei einem Bekannten aufgehalten. Zwischenzeitlich habe ihm sein Vater ein Visum bei der deutschen Botschaft in Libyen beschafft und ihm den Pass mit Visum nach Tunesien geschickt. Vor seiner Ausreise habe er seinem Vater gesagt, dass er einen bestimmten Tunesier in Tunis besuchen werde. Diesen Pass habe er am 26.2.1996 erhalten. Noch am gleichen Tag sei er von Tunis nach Frankfurt am Main geflogen, ohne sich dabei der Hilfe Dritter zu bedienen.

Nach seinem Abitur 1990 habe er an der A. -Universität bis 1995 ein ingenieurwissenschaftliches Studium absolviert. Ohne dieses abzuschließen, sei er am 23.3.1995 das letzte Mal an der Universität gewesen. Er sei von der Universität exmatrikuliert worden. Wenige Tage vorher sei er für drei Tage in Haft gewesen. Mitglieder des Büros der Revolutionskomitees hätten hierfür seine Weigerung zum Anlass genommen, Mitglied dieses Büros - bei dem es sich um eine Studentenorganisation handele - zu werden, sowie dem Umstand, dass er aus einer oppositionellen Familie stamme. Im Mai sei er ebenfalls für mehrere Wochen inhaftiert worden. Sein Vater habe eine Verpflichtungserklärung unterschreiben müssen, dass er - der Kläger - nichts mehr gegen die Regierung unternehmen werde. Für den Mann seiner in England lebenden Tante habe er verschiedene Schriften und Disketten an andere weitergegeben. Deren Inhalt habe er nicht gekannt. Von seiner Entlassung im Mai 1995 bis zum Oktober 1995 habe er nichts mehr unternommen. Ende Oktober seien die Sicherheitskräfte zu ihm nach Tripolis gekommen. Diese hätten sich mit einem Auto der Elektrizitätswerke getarnt. Auf Nachfrage erklärte er später, dass er dies nicht gesehen habe, vielmehr sei ihm hiervon nach seiner Ausreise berichtet worden. Seine Schwester habe den Sicherheitskräften die Tür geöffnet. Als diese nach ihm gefragt hätten, sei er sofort über die Dächer geflohen und mit dem Taxi nach N. zu seinen Eltern gefahren. Dies sei ihm möglich gewesen, da sich sein Zimmer direkt an der Treppe zum Dach befunden habe, über das er geflohen sei. Nach seiner Flucht habe er zufällig den Mann seiner Tante getroffen. Dieser habe ihm berichtet, dass jemand, an den er eine Diskette weitergegeben hatte, verhaftet worden sei und ihn verraten habe. Auf Nachfrage erklärte er, seine Tante habe ihm die Telefonnummer und Adresse eines Mannes in München gegeben, der ihm bei der Asylantragstellung behilflich sein könne. Bei diesem habe er zufällig den Mann seiner Tante getroffen.

Bei seiner Verhaftung in der ersten Maiwoche 1995 seien Sicherheitskräfte vom Büro der inneren Sicherheit an der Z. Straße in seiner Wohnung erschienen. Ohne Haftbefehl hätten sie ihn zwischen acht und neun Uhr morgens zu einem Verhör auf ihre Wache geholt. Dort sei er nach einer Zusammenarbeit mit Leuten im Ausland und mit aus Libyen geflohenen Personen befragt worden.Danach sei er für einen Monat in das Gefängnis von A. gebracht worden. Ende Oktober sei er bei dem Erscheinen der Sicherheitskräfte sofort geflohen, da er befürchtet habe, diese könnten ihm seinen Kontakt zu seinem Onkel in England vorwerfen.

Mit Schriftsatz vom 27.2.1996 ergänzten die damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers dessen Vorbringen zu den Umständen der Einreise und den ausreiseauslösenden Umständen. In Tunesien habe der Kläger zunächst erfolglos bei der englischen Botschaft ein Visum beantragt. Sodann habe er seinen Pass über Dritte an seine Familie nach Libyen geschafft und diesen mit einem deutschen Visum zurückerhalten. Er komme aus einer oppositionellen Familie. Mehrere Verwandte seien bereits hingerichtet worden, so im Jahr 1984 sein Onkel Dr. A. , ein bekannter Professor; ein anderer Onkel, M. S. , sei ebenfalls 1984 in N. gehängt worden. Insgesamt acht Familienmitglieder seien derzeit als Mitglieder der National Front for Salvation of Libya aktiv. In deren Auftrag habe er einzelne, kleinere Aktivitäten durchgeführt. Ergänzend reichte er zwei Bestätigungen der libyschen Liga für Menschenrechte vom 26.2.1996 und 30.8.1996 zu seiner Staatsangehörigkeit und seinen Aktivitäten ein.

Der vom Kläger vorgelegte Reisepass wurde von der Grenzschutzdirektion Koblenz überprüft und Verfälschungen durch Lichtbildaustausch und sowohl mechanische, wie chemische Rasur festgestellt.

Mit Bescheid vom 6.11.1996 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorlägen (Ziffer 2) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht (Ziffer 3) vorlägen. Zugleich forderte sie den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen 1 Woche zu verlassen und drohte ihm widrigenfalls seine Abschiebung - vornehmlich in seinen Herkunftsstaat - an (Ziffer 4). Zur Begründung führte sie aus, sämtlichen vom Kläger vorgelegten Dokumenten komme kein Beweiswert zu. Das von ihm vorgelegte Personalpapier sei gefälscht, so dass im Hinblick auf die in Kopie vorgelegten Zeugnisse und Studienbescheinigungen zwar davon ausgegangen werde, dass es die in ihnen genannte Person gebe, es sich bei ihr aber nicht um den Kläger handele. Die Bescheinigungen der libyschen Liga für Menschenrechte litten unter dem Umstand, dass sie trotz identischen Unterzeichners stets andere Unterschriften trügen. Im Übrigen ließen die persönlichen Einlassungen des Klägers nur den Schluss zu, dass er entgegen seiner Behauptung kein libyscher Staatsangehöriger sei und die behauptete Verfolgungsfurcht aus reiner Erfindung beruhe. So sei der Kläger nicht einmal in der Lage gewesen, einfachste Fragen im Zusammenhang des täglichen Lebens in Libyen zu beantworten. Hierfür sprächen seine fehlende Ortskenntnis an seinem vermeintlichen Studienort Tripolis, fehlende Kenntnis zum Grünen Buch, zu libyschen Feiertagen sowie zu der offiziellen Studentenorganisation.

Der Kläger hat am 21.11.1996 gegen die Ablehnung seines Asylgesuchs Klage erhoben und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht, dem das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 6.2.1997 - A 4 K 32680/96 - entsprach. In der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht Zeugenbeweis erhoben zur Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers. Nach Vertagung der Entscheidung hat das Bundesgrenzschutzamt auf Nachfrage erklärt, dass nach Auskunft der Deutschen Lufthansa am 26.2.1996 ein Fluggast unter dem Namen des Klägers von Tunis nach Frankfurt/Main befördert wurde.

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamtes mit Urteil vom 30.6.2000 in den Ziffern 2 und 3 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Libyen vorliegen. Ziffer 4 dieses Bescheides hob es insoweit auf, wie diese dem Kläger die Abschiebung nach Libyen androhte. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Zur Begründung führte es aus: Eine politische Verfolgung in Libyen habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Zwar könne er sich auf das Asylrecht insoweit berufen, als er nach Auskunft des Bundesgrenzschutzamtes Flughafen Frankfurt/Main am 26.2.1996 auf dem Luftwege von Tunis nach Deutschland eingereist sei. Auch seine libysche Staatsangehörigkeit stehe für die Kammer aufgrund der einvernommenen Zeugen fest. Hingegen rechtfertige sein Vortrag, in Libyen wegen des Verdachts der Verbreitung von oppositionellen Schriften und Datenträgern von der Polizei zweimal kurzzeitig verhaftet worden zu sein, nicht zu einer Anerkennung als Asylberechtigter, da es ihnen an der hierfür notwendigen Eingriffsintensität fehle. Auch für die Zeit nach seiner Entlassung aus der Haft Ende Mai 1995 fehle es an nachvollziehbaren Verfolgungsmaßnahmen. Insbesondere der für Oktober 1995 vorgetragene Verhaftungsversuch sei zweifelhaft. Die hierzu vorgelegte Bescheinigung der libyschen Befreiungsfront belege diesen Vorgang nicht, da sie eine zum Teil erheblich abweichende Sachverhaltsschilderung aufweise und unklar bleibe, auf Grund welcher Erkenntnisse diese Bescheinigung ausgestellt worden sei. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers bestünden im Weiteren vor allem wegen seiner Einlassungen im Zusammenhang mit seinem Reisepass und den näheren Umständen seiner Erstellung und der Übergabe an ihn.

Dem Kläger drohte aber bereits wegen seiner Asylantragstellung, seinem mehr als viereinhalbjährigen Auslandsaufenthalt sowie wegen seiner Kontakte zur NFSL für den Fall seiner Rückkehr nach Libyen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16.4.1999 könne bereits die Stellung eines Asylantrages zu Verfolgungsmaßnahmen in Libyen führen, da sie als Ausdruck oppositionellen Verhaltens angesehen werde. Aus den im Weiteren dem Gericht vorliegenden Unterlagen ergebe sich, dass nach Libyen abgeschobene Asylbewerber mit politischer Verfolgung rechnen müssten, wenn den libyschen Behörden ihre Asylantragstellung bekannt werde. Es sei davon auszugehen, dass Rückkehrer für diesen Fall Befragungen unterzogen würden. Mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen sei zu rechnen, wenn ein Rückkehrer nach Auffassung der libyschen Behörden im Ausland oppositionelle Aktivitäten unternommen hätte. Zwar könne nicht generell davon ausgegangen werden, dass den libyschen Behörden die Asylantragstellung bekannt werde, da sie von sich aus keinen Informationszugriff zu diesen Daten hätten. In Einzelfällen sei eine Kenntniserlangung aber nicht auszuschließen. Auch müsse ein längerer Auslandsaufenthalt nicht zwingend zur Unterstellung eines oppositionellen Engagements führen, wenn der Betreffende regelmäßig Kontakt zur libyschen Botschaft halte und seinen Pass gegebenenfalls verlängern lasse. Zu den Gründen eines längeren Auslandsaufenthalts werde er von den libyschen Behörden gefragt. Falls hierzu keine plausiblen Angaben gemacht würden, sei mit weiteren Befragungen zu rechnen. Hiervon ausgehend bestehe für den Kläger eine hohe Wahrscheinlichkeit wegen seiner Asylantragstellung und seines langjährigen Auslandsaufenthalts der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Er habe keinen Kontakt zu libyschen Behörden gehalten. Zu einer Glaubhaftmachung "politisch neutraler" Umstände für seinen mehrjährigen Auslandsaufenthalt dürfte er nicht in der Lage sein. Es sei daher mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ihn die libyschen Behörden als Oppositionellen verdächtigten und es bei seiner Rückkehr zu einer politischen Verfolgung kommen könne. Darüber hinaus könne nicht ausgeschlossen werden, dass die jedenfalls nach der Ausreise des Klägers offen liegenden Kontakte zur NFSL, deren Ziel der Sturz des derzeitigen Regimes in Libyen sei, den libyschen Behörden bekannt geworden seien, so dass der Kläger auch insoweit einem erhöhten Risiko politischer Verfolgung für den Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre. Auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG lägen vor. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe unterworfen zu werden.

Auf Antrag des Beteiligten ist die Berufung mit Beschluss vom 5.12.2001 - A 4 S 457/00 - zugelassen worden. Die Zulassung erfolgte zur Klärung der Frage, ob allein die Asylantragstellung bzw. der Asylantrag in Verbindung mit einem längeren Auslandsaufenthalt nicht vorverfolgt ausgereister libyscher Staatsangehöriger in Deutschland einen Abschiebungsschutz im Sinne der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG begründe.

Zur Begründung seiner Berufung hat der Beteiligte zunächst auf seine Ausführungen in der Antragsschrift und im Zulassungsbeschluss verwiesen. In seiner Antragsschrift hat er ausgeführt, die Asylantragstellung in der Bundesrepublik werde libyschen Stellen grundsätzlich nicht bekannt. Ein Bekanntwerden ziehe eine Befragung nach sich; ob es hierbei zu Repressalien komme, hänge nach den vorliegenden Auskünften davon ab, in welchem Maße sich der Antragsteller oppositionell engagiert habe. Bei mangelnder oppositioneller Betätigung kämen andere Verwaltungsgerichte zu der Einschätzung, dass lediglich asylunerhebliche Befragungen drohten. Hieran änderten die geringfügigen Kontakte des Klägers zur NFSL nichts. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11.7.1995 seien Aktivitäten der NFSL überhaupt nicht bekannt. Das DOI habe unter dem 17.2.1994 erklärt, dass den Bescheinigungen der NFSL keine Bedeutung beizumessen sei und diese Organisation "im Notfall vieles bestätige".

Ergänzend führte er unter dem 18.9.2003 aus, der Entscheidungsausspruch zu § 53 AuslG genüge dem Konkretisierungsgebot nicht. Zudem komme dieser Ausspruch in der Regel nicht in Betracht, wenn gleichzeitig ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bejaht werde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stünden die Ansprüche auf Asyl, auf Flüchtlingsanerkennung nach § 51 Abs. 1 AuslG und auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis 4 oder Abs. 6 Satz 1 AuslG in einem Stufen- und Rangverhältnis. Im Übrigen stelle § 31 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG einen Ausspruch zu § 53 AuslG bei Bejahung der Flüchtlingsstellung ins Ermessen der Behörde. Eine "Doppelverpflichtung" komme nur im Fall einer hier nicht ersichtlichen Ermessensreduzierung auf Null in Betracht.

Im Anschluss an die Entscheidung des Senats vom 20.8.2003 - A 5 B 815/01 - sei bei erkennbar unverfolgt Ausgereisten allein aufgrund der Asylantragstellung und langjährigen Auslandsaufenthalts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung bei Rückkehr anzunehmen. Hieran ändere auch eine untergeordnete exilpolitische Betätigung nichts. Individuelle Sonderrisiken seien beim Kläger nicht ersichtlich. Die Kontakte des Klägers zur NFSL seien zweifelhaft und hätte auch zu keinen ersichtlichen Nachfluchtaktivitäten geführt.

Der Beteiligte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 30. Juni 2000 - A 4 K 32679/96 - zu ändern und die Klage im Umfang der Berufungszulassung abzuweisen.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sich sein früherer Prozessbevollmächtigter insbesondere auf eine "Urgent Action" von amnesty international vom 20.2.2002 bezogen. Dieser zufolge seien zwei Anhänger einer verbotenen islamischen Gruppierung inhaftiert, angeklagt und zum Tode verurteilt worden. Die hierzu herangezogenen Strafvorschriften seien auch durch das aktive Engagement des Klägers für die NFSL erfüllt. Ungeachtet der Tatsache, dass der libysche Staat über ausreichend Spione in der Bundesrepublik verfüge, welche die Unterstützung dieser Organisation durch den Kläger belegen könnten, sei allein aufgrund des langen Auslandsaufenthaltes eine intensive Befragung durch die libyschen Sicherheitskräfte bei einer Rückkehr zu erwarten, bei der diese Verbindungen mit Sicherheit - gegebenenfalls durch Folter - aufgedeckt würden.

Mit Schreiben vom 18.9.2003 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ergänzend ausgeführt: Die Zeugen Z. und G. hätten eine libysche Staatsbürgerschaft des Klägers, für die auch sein libyscher Führerschein streite, überzeugend bekundet. In Libyen drohe ihm politische Verfolgung. Schon das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass die Kontakte des Klägers zur NFSL den libyschen Sicherheitsbehörden seit seiner Ausreise bekannt seien. Zu Recht habe es allerdings den Aussagewert der Bescheinigung der NFSL vom 16.12.1996 in Zweifel gezogen. Der Zeuge G. sei der Ehemann einer in Großbritannien lebenden Tante des Klägers, die wiederum mit der - zugleich in seiner Nähe lebenden - Großmutter, telefonischen Kontakt gehalten habe. Der Zeuge G. sei bis heute politisch aktiv. Aufgrund dessen dürfte er, wie auch seine Verwandtschaftsbeziehung zum Kläger, den libyschen Sicherheitsbehörden bekannt sein. Der Zeuge G. sei die entscheidende Kontaktperson gewesen, über die das Material kam, welches der Kläger weiterzugeben hatte. Er sei Gründungsmitglied der NFSL und seit mehr als 20 Jahren in dieser Organisation tätig. Die drei aus politischen Gründen hingerichteten Verwandten des Klägers machten deutlich, dass er aus einer oppositionellen Familie stamme. Dieses politische Umfeld werde durch den Zeugen und engen Bekannten des Klägers, Z. , bestärkt, welcher seit Jahren im Ausland für die NFSL und die Libysche Liga für Menschenrechte aktiv sei. Im Übrigen legt der Prozessbevollmächtigte im Einzelnen dar, weshalb die vom Kläger benannten Vorfluchtgründe entgegen der Würdigung des Verwaltungsgerichts ein stimmiges Verfolgungsgeschehen darstellen würden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Bundesamtes sowie auf die Gerichtsakten verwiesen. Diese Unterlagen sowie die den Beteiligten bekannt gegebenen Erkenntnismittel waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Zeugen G. und Z. einvernommen. Auf das gefertigte Sitzungsprotokoll wird für den Inhalt ihrer Aussagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beklagten und des Beteiligten mündlich verhandeln und entscheiden, da sie auf diese Möglichkeit in der auch im Übrigen ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen wurden (vgl. § 125 Abs. 1, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Die zulässige Berufung des Beteiligten ist nur zum Teil begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz - AuslG - verpflichtet. Nur soweit es die Beklagte darüber hinaus auch zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 AuslG verpflichtet hat, ist seine Entscheidung fehlerhaft und die Berufung des Beteiligten erfolgreich.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 51 Abs. 1 AuslG.

Das Abschiebungsverbot des § 51 Abs. 1 AuslG dient dem Schutz vor politischer Verfolgung. Seine Voraussetzungen sind mit den Voraussetzungen des Asylanspruches gemäß Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz - GG - deckungsgleich, was die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung angeht (BVerwG, Urt. v. 18.2.1992, NVwZ 1992, 892; Urt. v. 10.5.1994, NVwZ 1994, 1115). Demnach hat eine Person einen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG, wenn sie bei einer Einreise in einen bestimmten Staat, in aller Regel in den Herkunftsstaat, dort aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung davon bedroht ist, Leben, Gesundheit oder persönliche Freiheit zu verlieren oder anderen Beeinträchtigungen von die Menschenwürde verletzender Schwere und Intensität ausgesetzt zu werden. Eine solche Gefährdung muss von der jeweiligen Staatsmacht gezielt ausgehen oder - im Falle von Übergriffen Dritter - ihr zuzurechnen sein, weil sie die Schutzbereitschaft vermissen lässt. Nicht von der Staatsmacht ausgehende oder ihr zuzurechnende Gefahren sind nicht geeignet, eine politische Verfolgung und damit Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG zu begründen (BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989, NVwZ 1990, 151 = BVerfGE 80, 315 [336]; BVerwG, Urt. v. 20.11.1990, NVwZ 1991, 382; st. Rspr.).

Wer seine Asylanerkennung erstrebt oder Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG in Anspruch nimmt, ist gehalten, seine individuellen Gründe für seine Verfolgungsfurcht, d.h. die in seine Lebenssphäre fallenden Erlebnisse und Ereignisse, von sich aus unter Angabe von Einzelheiten stimmig und nachvollziehbar zu schildern, so dass sie den geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen vermögen. Bleibt der Schutzsuchende hinsichtlich seiner individuellen Gründe konkrete Angaben schuldig, so ist das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen anzustellen. Die gerichtliche Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO wird insoweit durch die Mitwirkungsobliegenheit des Schutzsuchenden überlagert (BVerwG, Urt. v. 8.7.1982, DÖV 1983, 207; st. Rspr.).

Ob der Kläger entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bereits eine Vorverfolgung hat glaubhaft machen können, bedarf hier mangels konkreter Entscheidungserheblichkeit keiner näheren Betrachtung. Der Senat hat - insbesondere auch aufgrund der von ihm einvernommenen Zeugen - die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (zu diesem Maßstab bei unververfolgt Ausgereisten: BVerwG, Urt. v. 3.11.1992, BVerwGE 91, 150 [154]) die Gefahr einer politischen Verfolgung i.S.v. § 51 Abs. 1 AuslG aufgrund des Umstandes droht, dass er in der Bundesrepublik einen Asylantrag gestellt hat und sich hier inzwischen rund siebeneinhalb Jahre aufhält, weil er aus einer als regimekritisch und oppositionell tätig bekannten Familie stammt.

Der Kläger muss damit rechnen, im Fall seiner Rückkehr nach Libyen bei der Einreise von den dortigen Sicherheitskräften befragt zu werden. Hierbei drohen ihm aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer regimekritschen Familie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren i.S.v. § 51 Abs. 1 AuslG.

aa) Nach den vorliegenden Stellungnahmen werden Libyer, die sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten haben, bei der Wiedereinreise einer ausführlichen Befragung durch libysche Sicherheitskräfte unterzogen (Auswärtiges Amt, ad-hoc Bericht v. 2.8.2001 und Auskunft v. 29.11.2002 an SächsOVG; amnesty international, Auskunft v. 4.8.2003 an SächsOVG).

(1) Für den Fall, dass es einem Rückkehrer gelingt, seinen Auslandsaufenthalt substanziiert mit politisch neutralen Gründen zu erklären, geht der Senat auf der Grundlage der Stellungnahme des Deutschen Orient-Institutes (DOI) (v. 21.10.2002 an SächsOVG) davon aus, dass es zu keinen über eine bloße Befragung hinausgehenden Konsequenzen kommt. Voraussetzung hierfür ist der Besitz von gültigen Passdokumenten, nicht ausgeübte oder nicht bekanntgewordene exilpolitische Aktivitäten und eine schlüssige - wie politisch neutrale - Begründung für den Auslandsaufenthalt. Von der Fähigkeit zu einer substanziierten Begründung in diesem Sinne kann ausgegangen werden, wenn ein Beschäftigungs- oder Studienverhältnis oder etwa auch eine medizinische Behandlung für die Dauer des Auslandsaufenthalts durch Dokumente oder vergleichbar glaubhafte Tatsachen nachgewiesen werden kann.

Diese Möglichkeit besteht für den Kläger in Ermangelung entsprechender Unterlagen nicht.

(2) Verfügt der rückkehrende Asylbewerber nicht über diese Möglichkeit, insbesondere durch die Vorlage von Dokumenten einen politisch neutralen Auslandsaufenthalt zu belegen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass er sich im Rahmen seiner Befragung veranlasst sieht, zur schlüssigen Begründung des Auslandsaufenthaltes seine Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland zu offenbaren. Ohne eine Offenbarung durch den rückkehrenden Asylbewerber selbst ist in aller Regel nicht davon auszugehen, dass die libyschen Behörden Kenntnis von einer hiesigen Asylantragstellung haben.

Nach den vorliegenden Auskünften des DOI ist nicht davon auszugehen, dass den libyschen Behörden die Asylantragstellung eines libyschen Staatsangehörigen bekannt wird (v. 2.5.1998 und v. 21.5.1998 an VG Leipzig; v. 26.7.1999). Eine Kenntniserlangung ist hiernach nur wahrscheinlich, wenn der Asylantragsteller entsprechende Schritte direkt oder indirekt unternimmt oder wenn deutsche Behörden durch die Einholung von Auskünften einen Hinweis auf die Antragstellung geben, was wenig wahrscheinlich sei. Von sich aus hätten libysche Stellen keinen Informationszugriff auf die Beantragung von Asyl durch ihre Staatsbürger in der Bundesre- publik. Etwas anderes könne nur für den Fall eines prominenten libyschen Oppositionellen gel-ten. Bei diesem seien die libyschen Sicherheitsbehörden in der Regel über den Aufenthaltsort informiert und damit wohl auch über eine mögliche Asylantragstellung dieser Person (DOI, aaO).

Hiervon ausgehend besteht kein Grund für die Annahme, die libyschen Behörden könnten von der Asylantragstellung des Klägers Kenntnis erlangt haben. Weder handelt es sich bei ihm um einen prominenten libyschen Oppositionellen noch bestehen Gründe für eine Kenntniserlangung der libyschen Behörden auf sonstige Weise.

bb) Offenbart ein Rückkehrer bei seiner für die Wiedereinreise zu erwartenden Befragung seine Asylantragstellung, muss davon ausgegangen werden, dass dieser Umstand das Interesse der Sicherheitsbehörden weckt und Anlass für eine nähere Aufklärung des Sachverhaltes gibt.

Nach den Auskünften des DOI (aaO), des Auswärtigen Amtes (ad-hoc Bericht v. 2.8.2001), wie auch von amnesty international (v. 4.8.2003 an SächsOVG), unterstellen die libyschen Behörden dem bekanntermaßen im Ausland Asyl beantragenden Rückkehrer eine regimefeindliche und oppositionelle Haltung.

cc) Die für diesen Fall zu erwartenden weiteren Maßnahmen und Konsequenzen können nach Maßgabe der aktuellen Auskunftslage nur dann einen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG begründen, wenn über die bloße Asylantragstellung und den langjährigen Auslandsaufenthalt hinaus weitere Gefährdungsmomente in der Person des Rückkehrers vorliegen.

Die in der Vergangenheit von einem Teil der Rechtsprechung vertretene Annahme, dass im Fall bloßer Asylantragstellung ohne im Weiteren den libyschen Behörden bekannt gewordenen oder unterstellten oppositionellem Engagement mit keinen oder in Bezug auf ein Abschiebungshindernis irrelevanten Maßnahmen, insbesondere in Gestalt der angesprochenen Meldeauflagen, gerechnet werden müsse (VG Frankfurt/Main, Urt. v. 8.11.2000 - 15 E 50190/98.A; VG Düsseldorf, Urt. v. 12.1.2000 - 16 K 4297/99.A; VG Karlsruhe, Urt. v. 25.9.1997 - A 9 K 12328/97), ist nach Maßgabe der neueren Erkenntnisse und Entwicklungen in Libyen im Ergebnis zutreffend.

(1) Nach dem ad-hoc Bericht des Auswärtigen Amtes vom 2.8.2001 kann nicht ausgeschlossen werden, dass zurückkehrende Libyer, deren Asylantragstellung bekannt wurde, aus diesem Grunde als politische Gefangene inhaftiert werden. Besonders hoch sei diese Gefahr für Angehörige islamistischer Gruppen sowie Mitglieder exillibyscher Parteien. Es sei zudem davon auszugehen, dass politische Gefangene in Libyen harschen Haftbedingungen und möglicherweise auch Folterungen ausgesetzt seien. Details oder Einzelfälle hierzu lägen dem Auswärtigen Amt nicht vor.

Im Hinblick auf Referenzfälle verweist das Auswärtige Amt in seinem ad-hoc Bericht darauf, dass Libyen erst seit der Aussetzung des VN-Flugembargos im April 1999 wieder an den internationalen Flugverkehr angebunden ist und erst seitdem wieder Rückführungen durchgeführt würden. Unter den wenigen seither von Deutschland aus durchgeführten Rückführungen seien dem Auswärtigen Amt bislang zwei Fälle bekannt geworden, in denen die zurückgeführte Person unmittelbar nach der Ankunft von Vertretern der libyschen Sicherheitskräfte in Empfang genommen und abgeführt worden sei. Nicht bekannt sei, ob dies nur der Durchführung einer Befragung diente und die betroffene Person anschließend unbehelligt den Flughafen verlassen konnte, wie auch das nachfolgende Schicksal anderer rückgeführter Personen nicht bekannt sei. Zu Rückführungen aus Großbritannien, Jordanien und Saudi-Arabien lägen dem Auswärtigen Amt vergleichbare Meldungen über Verhaftungen am Flughafen unmittelbar nach der Rückkehr z.T. mit nachfolgender Inhaftierung vor.

In seiner Stellungnahme vom 29.11.2002 an den erkennenden Senat hat das Auswärtige Amt auf der Grundlage des einzigen ihm aus der jüngeren Vergangenheit bekannten Referenzfalles eine andere Bewertung abgegeben. Angeführt hat es die Abschiebung eines Libyers aus Schweden im Jahre 2002. Der lediglich mit der Kopie eines Reisepasses Rückkehrende sei bei der Einreise und ein weiteres Mal zu einem späteren Zeitpunkt befragt worden. Die Fragen hätten den näheren Umständen des Passverlustes und der unterbliebenen Beantragung eines neuen Passes gegolten. Zu weiteren Maßnahmen sei es in diesem Fall nachweislich nicht gekommen. Hiervon ausgehend hat das Auswärtige Amt die Einschätzung abgegeben, dass bei der heutigen politischen Lage in Libyen in ähnlich gelagerten Fällen auch von einer ähnlichen Behandlung des Rückkehrers ausgegangen werden könne, sofern keine exilpolitische Aktivität festzustellen sei und es sich um Libyer handele, die nach der Öffnung des Landes die neuen Reisemöglichkeiten nach Aufhebung des VN-Embargos zu einem längeren Auslandsaufenthalt nutzten.

(2) Nach den Auskünften des DOI (aaO) hängen die zu erwartenden Verfolgungsmaßnahmen von der Ausrichtung des oppositionellen Engagements ab. Zu unterscheiden sei zwischen der islamischen Opposition zuzurechnenden Personen und denjenigen, die sich durch ein Engagement in Menschenrechtsorganisationen auszeichneten. Weiterhin sei zu unterscheiden, ob der Betreffende ein einfaches Mitglied oder Sympathisant oder etwa ein aktives Mitglied einer entsprechenden Organisation war oder noch ist. Islamistisches Engagement werde derzeit aufs Schärfste bestraft. Die Verfolgungsmaßnahmen reichten je nach Einzelfall von Meldeauflagen im einfachsten Fall bis zu jahrelanger Haft ohne Gerichtsverfahren.

Als Referenzfall kann das DOI in seiner Stellungnahme an den Senat (v. 21.10.2002) lediglich einen Fall der unbehelligten Rückkehr in der Mitte der 90`er Jahre anführen, bei dem die oben dargestellten Voraussetzungen für eine ungefährdete Rückkehr erfüllt waren.

(3) Amnesty international berichtet in seinem Jahresbericht 2001 in diesem Zusammenhang, dass Betroffene von Rückführungen nach ihrer Rückkehr festgenommen wurden und einige von ihnen Opfer gravierender Menschenrechtsverletzungen - wie Folter - geworden sein sollen. Die Jahresberichte 2002 und 2003 befassen sich mit dem Thema der Rückführungen nicht mehr. Nach seiner Stellungnahme vom 4.8.2003 liegen amnesty international keine eigenen Erkenntnisse über die Zahl abgeschobener libyscher Staatsangehöriger vor. Unter Bezugnahme auf die "Libyen Informationen" des Bundesamtes ist es ebenfalls der Auffassung, dass libysche Asylbewerber nach Beendigung des VN-Luftembargos im Jahr 1999 nur in sehr geringer Zahl von deutschen Behörden abgeschoben wurden. So spreche das Bundesamt für 1999 von fünf Abschiebungen und für das Jahr 2000 von einer ähnlich niedrigen Zahl. Auch andere europäische Staaten zeichneten sich durch eine sehr zurückhaltende Abschiebungspraxis abgelehnter libyscher Asylbewerber aus. So habe etwa Großbritannien Abschiebungen libyscher Asylbewerber ausgesetzt, nachdem im Jahre 2000 ein von Großbritannien abgeschobener libyscher Asylbewerber bei seiner Ankunft in Tripolis festgenommen worden sei.

Nach Einschätzung von amnesty international (v. 4.8.2003 an SächsOVG) kann der durch eine bekannt gewordene Asylantragstellung begründete Anfangsverdacht zu einer intensiveren Befragung führen, in deren Verlauf je nach Umständen im Einzelfall Misshandlungen drohten. Dabei hebt es hervor, dass die mutmaßliche Zugehörigkeit zu islamistischen Gruppierungen ein verfolgungsauslösender Umstand zu sein scheint, da die Mehrzahl der bekannt gewordenen Fälle von Rückkehrerverfolgung dem Anschein nach dem islamistischen Spektrum zuzuordnen sei. Im Übrigen zählen nach seiner Einschätzung zu den die Gefahr einer über eine eingehende Befragung hinausgehenden menschenrechtswidrige Behandlung bei Rückkehr verstärkenden Umständen: Vor ihrer Flucht wegen oppositioneller Aktivitäten Inhaftierte, Libyer, die sich im Ausland oppositionellen Gruppierungen oder libyschen Menschenrechtsorganisationen angeschlossen haben oder solche, deren Familienangehörige in Libyen wegen oppositioneller Aktivitäten in Haft sind, gesucht würden oder ins Ausland geflohen sind und dort gegebenenfalls ihre Aktivitäten fortsetzten. Letztlich komme es auch in Betracht, dass im Fall der Kenntniserlangung von einer Asylantragstellung ein Anfangsverdacht begründet und zu einer intensiveren Befragung führen könne, in deren Verlauf je nach den Umständen im Einzelfall Misshandlungen drohten.

(4) Eine umfassende aktuelle Tatsachenermittlung der Verhältnisse in Libyen vermittelt der von der Europäischen Kommission veröffentliche Bericht des Swedish Migration Board vom 10.7.2002. Ihm liegt eine Vorortermittlung in Libyen vom 31.5. bis 11.6.2002 zugrunde. Hiernach ist die libysche Regierung bemüht, ihr Verhältnis zur Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zu verbessern. Alle Quellen hätten übereinstimmend berichtet, dass es in jüngster Zeit auch für junge Leute wesentlich einfacher geworden sei, Reisepässe zu erhalten. Viele Libyer reisten häufig von und nach Libyen und verlängerten ihre Reisepässe aus Anlass ihrer Reisen. Im Fall einer Rückkehr ohne Ausweispapiere wollten libysche Behörden die zugrundeliegende Ursache feststellen, insbesondere um zu klären, ob es sich bei dem Betreffenden tatsächlich um einen Libyer handele. Vor allem Tunesier gäben sich oft als Libyer aus, um sich dadurch Vorteile in einem Asylverfahren zu verschaffen. Es sei sehr schwer, die tatsächliche Zahl von politischen Prozessen in Libyen festzustellen. Gut informierte Experten meinten aber, dass diese Verfahren selten seien, wahrscheinlich nur ein paar im Jahr. Kollektive Bestrafungen, wie der Zugriff auf Familienangehörige im Zusammenhang mit politischen Straftaten, würden nicht mehr praktiziert. Heutzutage stehe mehr der Einzelne als seine Umgebung im Blickfeld. Libyer, welche sich im Ausland oppositionell betätigt hätten, liefen bei einer Rückkehr Gefahr, verhaftet und vor Gericht gestellt zu werden. Von staatlich zu verantwortender Misshandlung bei Verhafteten und Inhaftierten werde nur noch selten berichtet. Viele Libyer reisten jedes Jahr nach Malta. Ihre Zahl sei in den letzten Jahren auf etwas über 30.000 im Jahr 2001 gesunken. Während des Luftembargos sei die Fährverbindung zwischen Tripolis und Valetta die wichtigste Transportverbindung gewesen. Malta sei ein Sprungbrett für weiterführende Reisen gewesen. Diese Fährverbindung sei seit April/Mai 2001 eingestellt worden. Libyer benötigten Malta nicht mehr als Transitland. Sie könnten nunmehr direkt von Libyen in den Westen fliegen. Neben dem Bemühen um außenpolitische Verbesserung der Verhältnisse könne auch eine innenpolitische Lockerung festgestellt werden. Dies gelte für die Verbesserung der Ausreisemöglichkeiten, wie auch ein Trend zur Privatisierung und zur Ermöglichung von Unternehmertum feststellbar sei. Die Angebotsvielfalt in den Geschäften habe sich deutlich erhöht. Auch Satellitenempfangsschüsseln seien nunmehr auf fast jedem Haus zu sehen. In verschiedenen Orten seien Internetcafes entstanden, wie auch englischsprachige Zeitungen angeboten würden. Zusammenfassend sei festzustellen, dass in den letzten vier Jahren eine deutliche Liberalisierung der libyschen Gesellschaft feststellbar sei und diese Entwicklung noch weiter fortschreite. Ein Asylgesuch als solches stelle noch keine Rückkehrgefahr für einen Libyer dar. Gegenüber Oppositionellen und insbesondere gegenüber moslemischen Fundamentalisten sei die Regierung wachsam.

(5) Auf der Grundlage der vorstehenden Auskünfte und Stellungnahmen ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass gerade auch in Ansehung der aktuellen Entwicklung in Libyen nicht festgestellt werden kann, dass eine beachtliche Gefahr im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG für rückkehrende Libyer besteht, die lediglich einen Asylantrag gestellt haben und längere Zeit im Ausland waren. Eine solche Gefährdung begründende Referenzfälle liegen nicht vor. Vielmehr spricht ganz Überwiegendes für die Annahme, dass es weiterer Faktoren bedarf, um eine über die Befragung hinausgehende Gefährdung zu begründen. Dies ist in erster Linie oppositionelles Engagement, das den libyschen Behörden aus der Zeit vor oder nach der Ausreise bekannt geworden ist oder aufgrund konkreter Umstände des Einzelfalls unterstellt wird. Hierzu zählt nach allen Quellen insbesondere das Engagement für islamisch-fundamentalistische Auffassungen. Eine konkrete Rückkehrgefährdung kann auch für den Fall von aus politischen Gründen gesuchten oder inhaftierten Familienangehörigen angenommen werden. Liegen diese Gefährdungsmomente hingegen nicht vor, mag es zwar nicht ausgeschlossen sein, dass es im Einzelfall dennoch zu einem Übergriff kommt. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Gefährdung lässt sich hingegen nicht begründen, da sich die insoweit relevanten Fälle soweit ersichtlich stets durch das Vorliegen der vorgenannten Sonderfaktoren auszeichneten. Über sie ist berichtet worden und etwa in der Auskunft von amnesty international vom 4.8.2003 auch eine konkrete Beschreibung möglich. Dies lässt die begründete Erwartung zu, dass ungeachtet der schwierig zu dokumentierenden Situation in Libyen auch Erkenntnisse vorliegen müssten, falls rückkehrende Personen ohne diese Merkmale in vergleichbarer Weise behandelt würden.

(6) In der Person des Klägers liegen Sonderfaktoren der vorgenannten Art vor.

Die Zeugen G. und Z. haben glaubhaft bekundet, dass der Kläger aus einer politisch exponierten Familie stammt, die den Sicherheitsbehörden als oppositionell bekannt ist, woraus für den Kläger im Fall seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG drohen. So ist davon auszugehen, dass die Verwandtschaft des Klägers mit dem Zeugen G. den libyschen Behörden bekannt ist. Denn dieser ist als hauptberufliches Mitglied des fünfköpfigen Exekutivkomitees der National Front for the Salvation of Libya in exponierter Stellung tätig. Er tritt in regimekritischer Weise durch Namensartikel und Teilnahme an Veranstaltungen in der Öffentlichkeit in herausgehobener Funktion seit mehreren Jahren in Erscheinung. Er hat glaubhaft bekundet, dass sich etwa zwanzig Mitglieder ihrer gemeinsamen Familie nach Europa begeben haben und hier politisch aktiv sind. Der Zeuge G. hat auch dargelegt, dass ein Schwager und ein Cousin des Klägers in Libyen inhaftiert sind, ohne dass über ihr näheres Schicksal Kenntnisse vorliegen und dass die Eltern des Klägers, wie auch sein Großvater, von den Sicherheitsbehörden überwacht werden. Die Annahme einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für den Kläger drohenden Gefahr wird bekräftigt durch die Aussagen des Zeugen Z. . Er ist politisch selbst aktiv, früher bei der National Front for the Salvation of Libya, nunmehr bei der Libyschen Liga für Menschenrechte. Er kennt die Familie des Klägers seit vielen Jahren. Er schätzt die Zahl der aktiv oppositionell in Libyen tätigen Familienmitglieder auf 25 Personen, von denen fünf hingerichtet worden sein sollen. Zwar liegt die Hinrichtung zweier namentlich genannter Personen im Jahre 1984 und damit schon länger zurück. Hingegen wusste der Zeuge Z. davon zu berichten, dass erst jüngst ein namentlich genanntes Familienmitglied im Gefängnis ermordet wurde, was eine aktuell vorliegende Gefährdungssituation für den Kläger wegen ungebrochenen Interesses der Sicherheitsbehörden an den Aktivitäten seiner Familie bestätigt. Es ist davon auszugehen, dass ihn im Fall einer Rückkehr wegen dieser politisch-oppositionellen Vorbelastung ein regimekritisches Engagement im Ausland unterstellt wird und er zur Ermittlung näherer Umstände mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG zu rechnen hat.

2. Die Berufung des Beteiligten ist hingegen begründet, soweit das Verwaltungsgericht die Beklagte zugleich auch zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG verpflichtet hat.

In asylrechtlichen Streitigkeiten entspricht es der regelmäßigen - und so auch hier - Interessenlage, dass der Antrag auf Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG lediglich hilfsweise zu dem Begehren auf Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG gestellt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.6.2002, NVwZ 2003, 356 = InfAuslR 2003, 74). Das Verwaltungsgericht hätte deshalb den Verpflichtungsantrag nach § 51 Abs. 1 AuslG als Hauptantrag und den Antrag nach § 53 AuslG als Hilfsantrag auslegen müssen. Für das weitergehende Begehren nach § 53 AuslG besteht regelmäßig und so auch im vorliegenden Fall kein Rechtsschutzbedürfnis nach Zuerkennung eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG.

Im Übrigen leidet die Verpflichtung zur Feststellung des § 53 AuslG an dem Mangel einer notwendigen Differenzierung zwischen den Tatbestandsalternativen. Zwar lässt der Tenor der Entscheidung nicht erkennen, welches der Abschiebungshindernisse des sechs Absätze umfassenden § 53 AuslG das Verwaltungsgericht für den Kläger als erfüllt ansah. Die Entscheidungsgründe unter Ziffer III. lassen allerdings den Schluss zu, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1 und Abs. 4 AuslG festgestellt werden sollte. Das Verwaltungsgericht sieht ausweislich seiner Entscheidungsgründe für den Kläger die Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden. Jedenfalls kann dieses nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht mit einer zu seiner Überzeugungsgewissheit führenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Die unterbliebene Beachtung des regelmäßig - und so auch hier - anzunehmenden Stufenverhältnisses der Regelungen des § 53 Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 Satz 1 und eine gänzlich unterbliebene Differenzierung zwischen den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen der Absätze 1, 2, 3 und 4 des § 53 (BVerwG, aaO.; SächsOVG, Beschl. v. 25.2.2003 - A 5 B 47/03 m.w.N.) führt dazu, dass die Entscheidung auch aus diesem Grunde teilweise rechtswidrig und aufzuheben ist.

Die Kostenentscheidung für das gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG gerichtskostenfreie Verfahren folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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