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Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 06.04.2005
Aktenzeichen: 5 B 86/04
Rechtsgebiete: SGB VIII, SOFS, VwGO


Vorschriften:

SGB VIII § 27
SGB VIII § 27 Abs. 1
SGB VIII § 33
SGB VIII § 33 Satz 2
SGB VIII § 39
SGB VIII § 39 Abs. 1 Satz 1
SGB VIII § 39 Abs. 1 Satz 2
SGB VIII § 39 Abs. 4
SGB VIII § 39 Abs. 4 Satz 1
SGB VIII § 39 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2
SGB VIII § 39 Abs. 5
SGB VIII § 39 Abs. 5 Satz 1
SGB VIII § 39 Abs. 5 Satz 3
SOFS § 13
VwGO § 132 Abs. 2
VwGO § 154 Abs. 2
VwGO § 188
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Hilfe zur Erziehung

hier: Berufung

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schaffarzik

am 6. April 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 13. November 2003 - 2 K 1276/02 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung gegen die Versagung des vierfachen Pauschalbetrages für laufende Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Erziehung.

Die Klägerin ist personensorgeberechtigt für die am 1998 geborene M. P. . Jene lebt seit dem 1998 im Rahmen einer Vollzeitpflege nach § 33 Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) bei den hier als Vertreterin der Klägerin auftretenden Pflegeeltern. Mit Bescheid vom 7.11.2002 gewährte der Beklagte Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege und bewilligte ein pauschales Pflegegeld von 573,67 € ab Dezember 2002. Hiervon entfallen 388,58 € auf materielle Aufwendungen und 185,09 € auf Kosten der Erziehung, was dem einfachen Pflegesatz entspricht. Am 31.1.2001 beantragten die Pflegeeltern die Bewilligung von Geldleistungen für die Hilfe zur Erziehung in vierfacher Höhe des Pauschalbetrages. Zur Begründung führten sie aus, dass M. nach einem Gutachten des Sozialpädagogischen Zentrums Leipzig - SPZ - vom 27.7.2001 einen Entwicklungsrückstand von 12 - 18 Monaten gegenüber ihrer Altersnorm aufweise und bei ihrem zweiten Pflegekind - welches an einer Alkoholembryopathie leidet - der höhere Pflegesatz bewilligt worden sei.

Diesen Antrag lehnte der Beklagte am 8.3.2002 ab. Das Gutachten weise keinen erhöhten Pflegeaufwand für M. nach. Dem Entwicklungsrückstand könne durch den Besuch einer integrativen Kindertagesstätte mit heilpädagogischer Einzelförderung begegnet werden. Den Pflegeeltern fehle es zudem an einer pädagogischen Ausbildung.

Den Widerspruch der Pflegeeltern wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1.7.2002 zurück. Es fehle an einem speziellen Hilfebedarf, da eine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung bei einer bloßen Entwicklungsverzögerung nicht vorliege. Zwar sei die fehlende pädagogische Ausbildung der Pflegeeltern wegen ihrer gewachsenen Beziehung zu M. zweitrangig. Hingegen genüge es, M. in einer integrativen Kindertagesstätte betreuen zu lassen. Die hierfür anfallenden Kosten könnten - wie schon bisher die Kosten für die Physiotherapie - übernommen werden.

Die Pflegeeltern haben am 2.8.2002 im eigenen Namen und unter Bekräftigung ihres bisherigen Vorbringens Klage erhoben. Auf richterlichen Hinweis haben sie ihre Klage unter dem 28.2.2003 dahingehend berichtigt, dass sie diese als Vertreter der Mutter von M. erhoben hätten. Der Beklagte hat sich auf diese Klage ausdrücklich - und unter Verzicht auf die Durchführung eines Vorverfahrens - in der mündlichen Verhandlung eingelassen.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 13.11.2003 ab. Die Klage sei zulässig, da sich der Beklagte auf sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingelassen habe. Der Klägerin stehe hingegen kein Anspruch auf Bewilligung des vierfachen Pauschalsatzes für laufende Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Erziehung für M. nach § 33 Satz 2, § 39 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1, Abs. 5, § 27 SGB VIII zu. Zwar könne die Klägerin den Anspruch auf Bewilligung eines höheren Pflegebetrages wegen dessen Zugehörigkeit zu dem ihr zustehenden Anspruch auf Hilfe zur Erziehung geltend machen. Zu den Leistungen zum Unterhalt eines Kindes nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zählten auch die von der Klägerin geltend gemachten Kosten der Erziehung. Umfang und Höhe der Leistungen zum Unterhalt richteten sich nach § 39 Abs. 4, Abs. 5 und § 33 SGB VIII. Hiernach seien die laufenden Leistungen auf der Grundlage der tatsächlichen und angemessenen Kosten zu bewilligen. Im Regelfall solle eine Pauschalierung erfolgen, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalls abweichende Leistungen geboten seien.

Im Freistaat Sachsen ergebe sich insoweit Näheres aus der "Empfehlung zur Ausgestaltung und Finanzierung von sozialpädagogischen Pflegefamilien im Rahmen von Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII" des Landesjugendhilfeausschusses vom 6.12.1993. Diese Empfehlung unterscheide wie § 33 SGB VIII zwischen dem nicht näher beschriebenen Regelfall der Vollzeitpflege und besonderen Formen der Familienpflege für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche. Der Pauschalsatz im Rahmen des Regelfalls der Vollzeitpflege, sprich die einfachen Kosten der Erziehung, werde vom Beklagten gewährt. Die begehrte Bewilligung eines erhöhten Pauschalsatzes setze nach § 33 Satz 2 SGB VIII voraus, dass eine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung bei M. vorliege. An einer solchen Entwicklungsbeeinträchtigung fehle es hingegen. Ein allgemein anerkanntes Verständnis dieses gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffes habe sich noch nicht herausgebildet. Der Sinn der Regelung liege darin, für eine besonders benachteiligte Gruppe von Kindern und Jugendlichen eine fachlich qualifizierte Form der Familienpflege zu schaffen. Dem entspreche es, dass der Landesjugendhilfeausschuss gemäß seiner vorgenannten Empfehlung für diese besondere Aufgabe die Einbeziehung von Pädagogen anstrebe. Hieraus sei abzuleiten, dass aus dem Entwicklungsstand des Kindes gerade ein besonderer Hilfebedarf folgen müsse. Der Wortlaut der Vorschrift verlange neben der Beeinträchtigung der Entwicklung ein besonderes Ausmaß der Beeinträchtigung.

Hiervon ausgehend teile die Kammer die Auffassung des in der mündlichen Verhandlung vernommenen Sachverständigen, dass von einer besonderen Entwicklungsbeeinträchtigung im Sinne von § 33 Satz 2 SGB VIII nur gesprochen werden könne, wenn gleichzeitig alle vier Entwicklungsebenen des Kindes ein Defizit aufwiesen, nämlich die Motorik, die sprachlichen Fähigkeiten, die kognitiven Fähigkeiten sowie die soziale Kompetenz. Hiervon ausgehend liege nach Maßgabe des in einem Parallelverfahren eingeholten Gutachtens bei M. keine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung vor. Der Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass bei M. sowohl die motorischen Fähigkeiten als auch die soziale Kompetenz altersentsprechend ausgebildet sei. Eine Beeinträchtigung bestehe - nur - in Gestalt einer Leistungsschwäche bei den kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten, deren Ursache nicht habe festgestellt werden können. Da die Entwicklung von M. nur auf zwei von vier Ebenen ein Defizit aufweise, fehle es an einer besonderen Entwicklungsbeeinträchtigung im Sinne von § 33 Satz 2 SGB VIII, zumal sich auch nicht habe feststellen lassen, ob es sich tatsächlich um eine Entwicklungsbeeinträchtigung handele.

Die Auslegung des Begriffs der "besonderen Entwicklungsbeeinträchtigung" im Sinne von § 33 Satz 2 SGB VIII sei im Sinne der Rechtseinheit klärungsbedürftig. Die Berufung sei deshalb wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Zur Begründung ihrer Berufung führt die Klägerin aus: Zu Unrecht gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass eine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung nur vorliege, wenn gleichzeitig vier Entwicklungsebenen des Kindes ein Defizit aufwiesen, nämlich die Motorik, die sprachliche Fähigkeit, die kognitive Fähigkeit sowie die soziale Kompetenz. Der Beeinträchtigung entspreche ein erhöhter Unterhaltsbedarf des Kindes. Dieser beziehe sich sowohl auf die materiellen Aufwendungen als auch auf die Kosten der Erziehung. Dem hier zu verzeichnenden besonderem erzieherischen Bedarf entspreche es, dass ein Mehr an Kooperation mit außerhalb der Familie stehenden Personen erforderlich sei. Dieses Mehr an Kooperation mit außerhalb der Familie stehenden Personen könne nicht nur dann bejaht werden, wenn alle vier Entwicklungsebenen beeinträchtigt seien. Es genüge, wenn ein Defizit und zumindest, wenn zwei Defizite nebeneinander in der Entwicklung des Kindes bestünden. Bereits für diesen Fall folge aus dem Entwicklungsstand ein besonderer Hilfebedarf und das Erfordernis nach einem Mehr an Kooperation mit außerhalb der Familie stehenden Personen. Hiervon ausgehend liege nach dem eingeholten Sachverständigengutachten eine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung vor, da M. in zwei Ebenen Defizite aufweise. Auch die Landesjugendämter gingen in einem Beschluss vom 15.11.2002 davon aus, dass es dem Begriff der besonderen Entwicklungsbeeinträchtigung und einem deshalb bestehenden besonderen erzieherischen Bedarf entspreche, wenn ein Mehr an Kooperation mit außerhalb der Familie stehenden Personen erforderlich sei. So liege es hier. M. erhalte, seit sie bei den Pflegeeltern lebe, von diesen eine intensive Förderung und Betreuung. Dies geschehe durch Physiotherapie nach Bobath, Frühförderung durch die Lebenshilfe, therapeutisches Reiten, Logopädie und den Besuch von Fachärzten (SPZ, Kleinwuchssprechstunde, Augenarzt, HNO-Arzt u.a.). Der erzieherische Aufwand ergebe sich aus einem von den Pflegeeltern zur Veranschaulichung vorgelegten Pflegeprotokoll. Hiernach bestehe ein erzieherischer Pflegeaufwand von wöchentlich 23,5 Stunden. M. leide aufgrund ihrer geistigen Retadierung an Inkontinenz, habe eine unausgeprägte Körperwahrnehmung und besuche seit August 2004 die Förderschule für Lernbehinderte in G. .

Mit Schriftsatz vom 4.4.2005 haben die Pflegeeltern ein von dieser Schule erstelltes "Förderpädagogisches Gutachten nach § 13 SOFS" zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Schwerpunkt Lernen bei M. vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 13. November 2003 - 2 K 1276/02 - zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung seines Bescheides vom 8. März 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2002 der Klägerin die vierfachen Kosten der Erziehung für das Pflegekind M. P. gemäß § 33 SGB VIII seit dem 1. Februar 2001 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die Auffassung des Verwaltungsgerichts. Ergänzend macht er geltend, dass die von ihm favorisierte Betreuung von M. in einer integrativen Kindertageseinrichtung mit Übernahme der anfallenden Kosten eine wichtige Form zu ihrer erzieherischen Förderung darstelle, was auch der Gutachter bei seiner Einvernahme durch das Verwaltungsgericht bestätigt habe. Von diesem Hilfsangebot habe die Klägerin hingegen bis heute keinen Gebrauch gemacht. Ergänzend führt er zu dem geltend gemachten erzieherischen Pflegeaufwand aus, dass ein Bedarf in diesem Umfang durch das SPZ nicht festgestellt worden sei. Nach dessen jüngster Therapieempfehlung bestehe als Bedarf eine Kita-Betreuung im Regelbereich mit darin integrierter heilpädagogischer Frühförderung. Die Versuche des Jugendamtes um Struktur und Lösungsansätze seien von den Pflegeeltern nicht angenommen worden. Eine Vielzahl von Therapien helfe nicht in jedem Fall. Soziale Erfahrungen seien M. nicht gewährt worden. Im Rahmen eines Kindergartenbesuches hätten dort die Physiotherapie, Logopädie und die Frühförderung erfolgen können. Der von den Pflegeeltern geltend gemachte Pflegeaufwand erscheine deshalb nicht notwendig gewesen zu sein. Für zusätzliche pflegerische Aufwendungen erhielten die Pflegeeltern für M. Pflegegeld der Pflegestufe 1 über die Krankenkasse.

Mit Beschluss vom 11.3.2005 hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt. Zur Begründung führte er aus, dass die Erfolgsaussichten aufgrund der vom Verwaltungsgericht zutreffend angenommenen grundsätzlichen Bedeutung als zumindest offen bezeichnet werden müssten.

Dem Senat liegen die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Akte des Verwaltungsgerichts - 2 K 1276/02 - und die Akten des Zulassungs- und Berufungsverfahrens vor. Auf diese wird für die näheren Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin als Personensorgeberechtigte für M. keinen Anspruch auf den vierfachen Satz der Kosten für die Erziehung gemäß § 33 Satz 2, § 39 Abs. 5 SGB VIII hat.

1. Die Klägerin ist ungeachtet des Umstandes, dass M. in Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie lebt, zur Geltendmachung des Anspruches auf ein erhöhtes Pflegegeld für die dort entstehenden Kosten der Erziehung von M. befugt. Der Anspruch aus § 27 Abs. 1, § 33 und 39 SGB VIII steht ihr als Personensorgeberechtigter zu. Hiervon ist schon das Verwaltungsgericht zutreffend unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 12.9.1996, NJW 1997, 2831 = Buchholz 436.511 § 27 KJHG/SGB VIII Nr. 3 = FEVS 47, 433 = FamRZ 1997, 814 = NDV-RD 1997, 80 - zitiert nach juris) ausgegangen.

2. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin entgegen den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheiden einen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung eines vierfachen Satzes der Kosten der Erziehung hat (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Anspruchsgrundlage für eine Bewilligung von Leistungen für die Kosten der Erziehung von M. ist § 39 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 und 5 in Verbindung mit § 33 SGB VIII. Hiernach ist in dem vorliegenden Fall einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII der notwendige Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Dieser umfasst auch die Kosten der Erziehung (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Die laufenden Leistungen sollen auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten gewährt werden, sofern sie einen angemessenen Umfang nicht übersteigen (§ 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Sie sollen in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalls abweichende Leistungen geboten sind (§ 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII). Die Pauschalbeträge für laufende Leistungen zum Unterhalt sollen von den nach Landesrecht zuständigen Behörden festgelegt werden und dem altersbedingt unterschiedlichen Unterhaltsbedarf Rechnung tragen, wobei das Nähere durch Landesrecht zu regeln ist (§ 39 Abs. 5 SGB VIII).

Zu den Pauschalbeträgen liegt im Freistaat Sachsen eine Regelung in Gestalt der "Empfehlung zur Ausgestaltung und Finanzierung von sozialpädagogischen Pflegefamilien im Rahmen der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII" des Landesjugendhilfeausschusses vom 6.12.1993 vor. Diese unterscheidet auf der Grundlage von § 33 SGB VIII hinsichtlich der zu erstattenden Kosten zwischen der Vollzeitpflege und den besonderen Formen der Familienpflege für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche. Für Letztere sieht sie - als Minimum - den hier von der Klägerin begehrten vierfachen Satz der Kosten der Erziehung vor.

Der Klägerin steht jedoch nach Maßgabe dieser Regelung über den ihr gewährten Satz für die Vollzeitpflege für M. kein Anspruch gegen den Beklagten auf den vierfachen Satz aufgrund einer besonderen Form der Familienpflege für M. zu. Es lässt sich nicht feststellen, dass es sich bei M. um ein besonders entwicklungsbeeinträchtigtes Kind in diesem Sinne handelt.

a) Dies folgt allerdings noch nicht daraus, dass die angesprochene "Empfehlung" schon keine Anspruchsgrundlage darstellt, weil sie keine Regelung durch Landesrecht im Sinne von § 39 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII darstellt. Die Pauschalbeträge für laufende Leistungen zum Unterhalt - zu denen die Kosten der Erziehung gehören (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) - sollen nach § 39 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII von der nach Landesrecht zuständigen Behörde festgesetzt werden. Dies ist hier der Landesjugendhilfeausschuss. Er stellt Grundsätze und Empfehlungen zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII auf (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Landesjugendhilfegesetz), mithin auch für die laufenden Leistungen zum Unterhalt nach § 39 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII in Gestalt der genannten "Empfehlung". Zweifelhaft kann nur sein, ob es nicht für die darüber hinaus vorgesehene Staffelung der Beträge nach Altergruppen (§ 39 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII) einer Regelung durch Landesrecht (s. § 39 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII) bedarf und insoweit die vorgenannte "Empfehlung" unzureichend ist. Ob der Begriff des Landesrechts hier weit auszulegen ist, weil schon § 39 Abs. 4 SGB VIII eine hinreichende - gesetzliche Regelung für die Höhe des Anspruches darstellt, so dass die konkrete Ausgestaltung etwa durch Verwaltungsvorschrift (Kunkel, in LPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 39 RdNr. 20) oder wie hier durch eine Empfehlung der Fachbehörde erfolgen kann, ist zweifelhaft. Dies kann jedoch hier letztlich dahinstehen. Es ist schon nicht ersichtlich, dass es sich bei M. um ein "besonders entwicklungsbeeinträchtigtes Kind" im Sinne von § 33 Satz 2 SGB VIII handelt, was einen Anspruch auf den vierfach erhöhten Betrag für die Kosten der Erziehung nach der "Empfehlung" ausschließt.

b) Gemäß § 33 Satz 2 SGB VIII sollen für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder geeignete Formen der Familienpflege geschaffen und ausgebaut werden. Ihre Einrichtung kann sinnvollerweise nur unter Einsatz von Fachkräften erfolgen, was eine höhere Honorierung der erzieherischen Leistung nach dem hier in Rede stehenden § 39 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 SGB VIII rechtfertigt (Kunkel, aaO, § 33 RdNr. 9). Hieraus erhellt, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "besonders entwicklungsbeeinträchtigten Kinder" nach Maßgabe eines eine besondere therapeutische Betreuung erfordernden Bedarfs auszulegen ist, der eine besondere fachliche Qualifikation der Pflegeeltern erfordert (Wiesner, in: Ders./Mörsberger/Oberlos-kamp/Struck, SGB VIII, 2. Aufl., § 33 RdNr. 39 m.w.N.). Hiermit steht es im Einklang, wenn die Empfehlung des Landesjugendhilfeausschusses vom 6.12.1993 in ihrer Erläuterung zu den finanziellen Leistungen im Rahmen der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII ausdrücklich für die Gewährung eines mindestens vierfachen Satzes der Kosten der Erziehung darauf abstellt, dass es sich hierbei um einen finanziellen Anreiz handelt, um Fachkräfte für die Arbeit als sozialpädagogische Pflegefamilie zu gewinnen. Durch die doppelte Verdopplung des Erziehungsentgelts soll also nicht ein etwaig höherer Aufwand abgegolten werden. Dies wäre auch fernliegend, da ein vervierfachter Aufwand für die Erziehung in Anbetracht der stets den gesamten Tag umfassenden Vollzeitpflege nicht denkbar ist. Der massive Erhöhungssprung bei den - ideellen - Kosten der Erziehung dient dazu, in den dies erfordernden Fällen besondere fachliche Kenntnis "einzukaufen". Eine solche besondere fachliche Qualifikation der Pflegeeltern ist nicht erforderlich, wenn entweder keine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung im vorgenannten Sinne vorliegt oder der hieraus folgende Bedarf des Kindes anderweitig abgedeckt werden kann.

aa) Es lässt sich nicht feststellen, dass eine besondere fachliche Qualifikation erforderlich wäre, um eine Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII im Fall von M. wahrnehmen zu können. Nach dem vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten des Prof. Dr. med. W. B. , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt des Städtischen Klinikums S. L. - welches in der Sache weder von der Klägerin bestritten noch von Amts wegen Bedenken ausgesetzt ist - liegt eine solche Beeinträchtigung im Fall von M. nicht vor. Prof. B. kommt in diesem Gutachten aufgrund einer persönlichen Untersuchung von M. am 29.8.2003 unter Berücksichtigung der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts und der seinerzeitigen Verwaltungsvorgänge des Beklagten zu dem Schluss, dass bei ihr mit Ausnahme einer Kleinwüchsigkeit keine motorischen Defizite bestehen und auch ihre soziale Kompetenz altersentsprechend ist. Defizite bestehen nach seiner Auffassung bei ihr in den kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten. Diese Leistungsschwächen begründeten sich in einer Entwicklungsstörung, deren Genese unklar und wahrscheinlich auf genetischer Basis entstanden sei. Mittelfristig sei es möglich, dass M. diese Fähigkeiten noch erwirbt. Wahrscheinlich sei aber, dass sich eine Beeinträchtigung der höheren kognitiven Fähigkeiten, des sprachlichen Verstehens und der sprachlichen Äußerungsmöglichkeit auch in Zukunft zeigen werde und ihre Fähigkeiten beeinträchtige. Die Erlangung einer selbständigen Lebensführung sei nicht sicher, aber auch nicht ausgeschlossen. Das Ausmaß des Entwicklungsrückstandes erfordere ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit, Kontrolle, Zuwendung und Aktivierung. Der Entwicklungsrückstand sei aber nicht derart schwerwiegend, wie es einer besonderen Entwicklungsbeeinträchtigung oder Schädigung entspräche. Die soziale Kompetenz und die motorische Fähigkeit seien so gut entwickelt, dass dieser Schweregrad nicht erreicht sei. Der erzieherische Aufwand der Pflegeeltern bestehe in Anforderungen an vermehrte Kontrolle, längerfristige wiederholte Einübung von Tätigkeiten und vermehrte Beobachtung in möglichen Gefahrensituationen und häufigeren Anforderungen zur Aktivität und Strukturierung von Tages- und Handlungsabläufen. Für M. seien keine wesentlichen besonderen Pflegeaufwendungen notwendig, sondern eine vermehrte, zeitlich den Aufwand erhöhende Zuwendung. Für den Fall eines Kindergartenbesuchs von M. wäre die Belastung der Pflegeeltern günstiger. Eine besondere spezielle pädagogische Ausbildung aufgrund des jetzt gegebenen Entwicklungszustandes sei nicht notwendig.

Diese - auch für den Senat zutreffende Einschätzung - weist lediglich einen höheren zeitlichen Aufwand für die Vollzeitpflege von M. auf, ohne dass ein besonderes Maß an fachlicher Qualifikation für die Wahrnehmung der Vollzeitpflege in ihrem Fall ersichtlich wird. Dies bestätigt auch das von der Klägerin vor dem Termin vorgelegte "Förderpädagogische Gutachten nach § 13 SOFS" der Schule zur Lernförderung in G. vom 20.10.2004. Die dort unter Ziffer 6 genannten Fördervorschläge lassen das Erfordernis einer besonderen fachlichen Qualifikation für ihre Umsetzung nicht erkennen. So werden zur Erhöhung von Wahrnehmung und Konzentration die Beschäftigung mit einem Memoryspiel, einem Puzzle oder Suchbildern vorgeschlagen. Zur Steigerung der Ausdauer sollen Erfolgserlebnisse vermittelt und Lob nebst der Übertragung kleiner Dienste ausgeteilt werden. Zur Erhöhung des Anweisungsverständnisses sollen Arbeitsanweisungen in Teilschritte aufgespaltet werden. Im sprachlichen Bereich soll durch Vorlesen, Reimen und Wortfindungsspiele der Wortschatz erweitert und die Sprechbereitschaft durch Nacherzählen und Zuhören verbessert werden. Allein im motorischen Bereich scheinen die vorgeschlagenen Koordinationsübungnen "Auge-Hand und Bein-Hand" einer fachlichen Beratung zu bedürfen, ohne jedoch ihrerseits eine besondere fachliche Qualifikation der Pflegeeltern ersichtlich zu machen. Hierzu dürfte die Einholung eines fachlichen Rats ausreichend sein. Auch für den außerschulischen Bereich ergibt dieses Gutachten keine Anhaltspunkte für das Erfordernis einer besonderen fachlichen Qualifikation. Als unterstützende Maßnahmen empfiehlt es insoweit lediglich eine enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus, Freizeitbeschäftigung in Interessengruppen, eventuell Ergo- und Bewegungstherapie und die Abklärung körperlicher Ursachen für Maries Defizite. Die angesprochenen Therapien als solche vermögen erhöhte Kosten der Erziehung nicht zu rechtfertigen, da sie bereits notwendige Kosten des Unterhalts nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII darstellen.

Weder diesem - unter der eingeschränkten Fragestellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs im Bereich des Schwerpunkts Lernen erstellten - noch den sonstigen vorhandenen Begutachtungen von M. (etwa der Entwicklungseinschätzung der Frühförder- und Beratungsstelle der Lebenshilfe G. v. 10.11.03) lässt sich das Erfordernis einer besonderen pädagogischen Ausbildung auf Seiten der Pflegeeltern für die Erziehung von M. entnehmen. Sie beschränken sich auf ein zeitlich erhöhtes Maß an Zuwendung für ihre Erziehung. Eine die besondere fachliche Qualifikation der Pflegeeltern erforderliche besondere Entwicklungsbeeinträchtigung von M. im Sinne von § 33 Satz 2 SGB VIII lässt sich ihnen nicht entnehmen. Das erhöhte Maß an Zuwendung rechtfertigt hingegen nicht einen nach der "Empfehlung zur Ausgestaltung und Finanzierung von sozialpädagogischen Pflegefamilien im Rahmen der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII" um das Vierfache erhöhten Bedarfssatz. Die zeitliche Komponente als solche bedarf zu ihrer Kompensation und hierdurch bedingter Honorierung keiner besonderen fachlichen Qualifikation. Ihr wohnt kein qualitatives Moment inne. Die Bewilligung von um das Vierfache erhöhten Kosten der Erziehung soll hingegen die durch sie notwendig bedingte Inanspruchnahme einer besonderen fachlichen Qualifikation der Erziehung abgelten. Fehlt es an dem qualifizierten Bedarf des Kindes, ist auch eine erhöhte Honorierung der erzieherischen Leistung nicht gerechtfertigt (Kunkel, aaO.; Wiesner, aaO.). Insoweit liegt allerdings eine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung im Sinne von § 33 Satz 2 SGB VIII nicht notwendig nur bei einer kumulativen Beeinträchtigung aller vier Entwicklungsebenen, sprich der Motorik, sprachlichen und kognitiven Fähigkeit sowie der sozialen Kompetenz vor. Es ist durchaus möglich, dass eine besondere fachliche Qualikation der Pflegeperson auch für den Fall notwendig ist, dass nicht sämtliche dieser vier Entwicklungsebenen beeinträchtigt sind.

bb) Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass selbst für den Fall einer besonderen Entwicklungsbeeinträchtigung von M. der beanspruchte um das Vierfache erhöhte Satz für die Kosten der Erziehung nicht gerechtfertigt wäre. Die Klägerin ist der substantiierten Behauptung des Beklagten nicht entgegengetreten, dass die Defizite von M. im vorschulischen Bereich durch den Besuch eines integrativen Kindergartens hätten kompensiert werden können. Der Verwaltungsakte lässt sich entnehmen, dass die Pflegeeltern von M. ungeachtet der großen Bemühungen des Beklagten zur Beschaffung und Finanzierung eines integrativen Kindergartenplatzes einen solchen Besuch ablehnten. Dies obwohl auch das SPZ in seiner ärztlichen und psychologischen Nachuntersuchung im Januar und März 2004 mit Schreiben vom 14.4.2004 einen solchen Besuch als Therapieempfehlung gab. Für den Zeitpunkt nach der Einschulung von M. lässt das vorgelegte förderpädagogische Gutachten der Schule zur Lernförderung G. nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht erkennen, dass zur Kompensation ihrer Defizite eine besondere fachliche Qualifikation der Pflegeeltern erforderlich wäre. Die hier allein in Betracht kommende Ergo- und Bewegungstherapie kann ohne weiteres durch die Inanspruchnahme von Fachkräften abgedeckt werden.

Die Kostenentscheidung für das gemäß § 188 VwGO gerichtskostenfreie Verfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 6.663,24 € festgesetzt (§ 188 VwGO; § 72 Nr. 1 GKG n.F; § 61 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz; § 8 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung i.V.m. Ziffer 21.1 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 - wonach der Wert der streitigen Leistung, höchstens jedoch - wie hier - der Jahresbetrag maßgeblich ist).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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