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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.06.2008
Aktenzeichen: A 5 B 146/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60
Zur Verfolgung von Falun-Gong-Anhängern.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: A 5 B 146/06

In der Verwaltungsrechtssache

Wegen Abschiebungsschutzes nach § 60 AufenthG

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Düvelshaupt

am 12. Juni 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 16. Dezember 2005 - A 4 K 30104/01 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Gründe:

Der zulässige Antrag des Klägers hat keinen Erfolg, weil die Rechtsache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht hat.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Asylsache nur dann, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert die Bezeichnung der konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, als auch für das Berufungsverfahren erheblich sein würde. Darüber hinaus muss die Antragsschrift zumindest einen Hinweis auf den Grund enthalten, der die Anerkennung der grundsätzlichen, d. h. über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Sache rechtfertigen soll (SächsOVG, Beschl. v. 6.2.2007 - A 5 B 608/05 -; st. Rspr.).

Der Kläger wirft die Fragen auf,

"ob für Mitglieder der Falun Gong Bewegung eine beachtlich Wahrscheinlichkeit für das Drohen einer politischen Verfolgung in China besteht."

"Droht einfachen bekennenden Mitgliedern der Falun-Gong-Bewegung im Falle ihrer Rückkehr nach China derzeit Verfolgung in der Form einer Inhaftierung ohne Verurteilung, hohe Haftstrafen, Unterbringung in Arbeitslagern oder psychiatrischen Anstalten, außerrechtliche Erziehungsmaßnahmen oder sonstige Diskriminierungen."

"ob ein vernünftig denkender abgelehnter chinesischer Asylbewerber, der Mitglied der Falun Gong Bewegung ist, im Falle seiner Rückkehr nach China die begründete Furcht haben muss, dass er Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist, insbesondere wenn er bei einer möglichen Befragung die Zugehörigkeit zur Falun Gong Bewegung wahrheitsgemäß beantwortet;"

"und stellen derartige Maßnahmen (Befragungen und Ermahnungen zur Unterlassung politischer Aktivitäten) vor dem Hintergrund der pressebekannten und seitens der Verwaltungsgerichte anerkannten Verfolgung von bekennenden Falun-Gong-Mitgliedern nicht bereits asylrechtlich erhebliche Eingriffe in die geschützte Religionsfreiheit dar",

"ob die chinesische Regierung regierungskritischen und Pro-Falun-Gong-Demonstrationen im Ausland Bedeutung beimisst und diesbezüglich Daten sammelt, um diese im Falle der Rückkehr gegenüber dem einstigen Asylbewerber zu nutzen."

Die erste Frage würde sich in dieser Weite im Berufungsverfahren nicht stellen. Die Falun-Gong-Bewegung hat keine feste Organisationsstruktur und keine Mitgliedschaft (vgl. z. B. die Internet-Seite des Falun-Dafa-Informationszentrums: www.faluninfo.de). Bezieht man die Frage auf Falun-Gong-Anhänger, ist zu unterscheiden zwischen Anhängern, die Falun Gong öffentlich oder auch in Gruppen Gleichgesinnter praktizieren oder als Falun-Gong-Anhänger öffentlich bekannt geworden sind, und einfachen Anhängern.

Ersteren droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in China staatliche Verfolgung (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China, Stand: Februar 2008 - 508-516.80/3 CHN -; BayVGH, Urt. v. 16.8.2007 - 2 B 03.30385 - sowie die vom Kläger angeführten Entscheidungen: VG Meinigen, Urt. v. 14.12.2000 - 5 K 20111/00.Me -; VG Stuttgart, Urt. v. 5.3.2001 - A K 11993/00 -; VG Potsdam, Urt. v. 15.3.2002 - 2 K 1018/00.A - und VG Cottbus, Urt. v. 12.7.2001 - 6 [5] K 406/00.A -; jeweils zitiert nach juris).

Einfach praktizierenden Falun Gong Anhängern, die aus der Bundesrepublik nach China zurückkehren und den chinesischen Behörden nicht bekannt geworden sind, drohen dagegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungsmaßnahmen (BayVGH a. a. O.). Zwar werden auch lediglich einfach praktizierende Anhänger zum Teil Gerichtsverfahren unterworfen oder in Umerziehungslager überstellt (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China, Stand: Februar 2008 - 508-516.80/3 CHN -). Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln betrifft dies jedoch nur Einzelfälle. Für eine flächendeckende Verfolgung einfach praktizierender Anhänger liegen keine Erkenntnisse vor. Vielmehr ist bislang vor allem der Fall Jiang R. bekannt geworden. Auch der Kläger zeigt in seinem Zulassungsantrag keine Erkenntnismittel oder Entschei-dungen auf, die auf die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, zitiert nach juris) schließen lassen.

Somit kann zwar bei einfachen Falun-Gong-Anhängern die Möglichkeit einer politischen Verfolgung in China nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Sie ist andererseits aber auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Dies hat zur Folge, dass grundsätzlich nur diejenigen einfachen Falun-Gong-Anhänger, die China aufgrund bereits stattgefundener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen haben, Anspruch auf Abschiebungsschutz haben. Vorverfolgt in die Bundesrepublik Eingereisten ist eine Rückkehr in ihr Heimatland nur dann zuzumuten, wenn die Möglichkeit einer politischen Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (sog. "herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab", vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, BVerfGE 54, 341, 361 f.; BVerwG, Urt. v. 27.4.1982, BVerwGE 65, 250).

Von einer Vorverfolgung des Klägers ist das Verwaltungsgericht indes nicht ausgegangen. Nach dessen Feststellungen, gegen die der Kläger keine Verfahrensrüge im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG erhoben hat, sind seine Angaben zu einer Verfolgung in China angesichts der auftretenden Widersprüche und des gesteigerten Sachvortrages, der Detailarmut und seines Aussageverhaltens nicht glaubhaft. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass der Kläger die Volksrepublik China aufgrund politischer oder religiöser Verfolgung verlassen hat.

Nicht vorverfolgt ausgereisten Falun-Gong-Anhängern droht indes allein aufgrund ihrer Anhängerschaft nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Hiervon geht auch die vom Kläger zitierte Rechtsprechung aus. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe verneint in seinem Urteil vom 5.4.2001 - A 11 K 11473/00 - (zitiert nach juris) ausdrücklich eine Gruppenverfolgung von Falun-Gong-Anhängern. Die vom Kläger angeführten Urteile der Verwaltungsgerichte Meiningen, Potsdam und Cottbus (a. a. O.) beziehen sich auf vorverfolgt ausgereiste Falun Gong Anhänger, im Fall des Verwaltungsgerichts Potsdam darüber hinaus auf einen Funktionsträger, der in seinem Heimatort in China eine Falun-Gong-Gruppe gegründet hat. Der Fall des Verwaltungsgerichts Stuttgart (a. a. O.) betraf eine Asylantragstellerin, deren Zugehörigkeit zu Falun Gong und deren Teilnahme an vielen gemeinschaftlichen Übungen in Deutschland durch Zeitungsfotos öffentlich bekannt geworden sind.

Dagegen handelt es sich bei dem Kläger um einen einfachen Anhänger von Falun Gong, dessen Aktivitäten bisher öffentlich nicht bekannt geworden sind. Bei den vom Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten drei Lichtbildern, die ihn auf einer Demonstration gegen die Verfolgung von Falun-Gong-Mitgliedern durch den chinesischen Staat zeigen, handelt es sich um Privatfotos. Aus ihnen lässt sich nicht der Rückschluss ziehen, dass der Kläger den chinesischen Behörden bekannt geworden ist.

Die zweite vom Kläger aufgeworfene Frage, ob einfach bekennenden Mitgliedern der Falun-Gong-Bewegung im Falle ihrer Rückkehr nach China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische oder religiöse Verfolgung droht, lässt sich deshalb ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens für nicht öffentlich in Erscheinung getretene Anhänger verneinen. Hiervon geht auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof aus (vgl. Urt. v. 16.8.2007 - 2 B 03.30385 -, zitiert nach juris). Abweichende Rechtsprechung oder Erkenntnismittel sind nicht ersichtlich.

Bei der dritten Frage, ob ein abgelehnter chinesischer Asylbewerber im Falle seiner Rückkehr nach China die begründete Furcht haben muss, dass er Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist, wenn er bei einer möglichen Befragung die Zugehörigkeit zur Falun-Gong-Bewegung wahrheitsgemäß beantwortet, legt der Kläger die Entscheidungserheblichkeit der Frage nicht ausreichend dar. Er führt nichts dazu aus, dass das offene Eintreten für Falun Gong substanzieller Inhalt seines Bekenntnisses ist. Hierfür sprechen auch nicht seine Angaben beim Bundesamt und in den mündlichen Verhandlungen. So sah der Kläger bei der Anhörung vor dem Bundesamt in Falun Gong vornehmlich eine Lehre, mit der man "seine Gesundheit stärken und Krankheiten heilen" kann. Auch in der Niederschrift der Sitzung vom 16.12.2005 hat der Kläger angegeben, anderen Falun Gong empfohlen zu haben, "weil das gut für die Gesundheit ist". Dafür, dass der Kläger Falun Gong nicht nur privat zu Gesundheitszwecken praktiziert, sondern sich offen bei einer Befragung zu seiner Anhängerschaft bekennen würde, fehlen Anhaltspunkte. Auch die Teilnahme des Klägers an einer Demonstration in Köln und möglicherweise weiterer Demonstrationen in der Bundesrepublik gegen die Unterdrückung von Falun-Gong-Anhängern in China lassen nicht den Schluss zu, dass für den Kläger das offene Bekenntnis zu Falun Gong Ausdruck und Inhalt seines Glaubens ist. Vielmehr waren diese Demonstrationen nach ihrem Erscheinungsbild vorwiegend politisch und nicht religiös motiviert.

Die vierte Frage, ob Befragungen und Ermahnungen zur Unterlassung politischer Aktivitäten bereits asylrechtlich erhebliche Eingriffe in die geschützte Religionsfreiheit darstellen, lässt sich ohne weiteres bereits auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es insoweit der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass politisch verfolgt ist, wem bei seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat politische Verfolgung droht. Zur Verfolgung rechnen stets Maßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit. Maßnahmen, die nicht mit einer Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit verbunden sind, bilden nur dann einen Verfolgungstatbestand, wenn sie nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Verfolgungsstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerwG, Urt. v. 24.3.1987 - 9 C 321.85 -, zitiert nach juris). Befragungen und Ermahnungen zur Unterlassung politischer Aktivitäten verletzen aber nach Intensität und Schwere die Menschenwürde nicht. Sie gehen zudem nicht über das hinaus, was die Bewohner Chinas aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.

Die fünfte Frage, ob die chinesische Regierung regierungskritischen und Pro-Falun-Gong-Demonstrationen im Ausland Bedeutung beimisst und diesbezüglich Daten sammelt, um diese im Fall der Rückkehr gegenüber dem Asylbewerber zu nutzen, würde sich in dieser Weite in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Auch hier muss zwischen Personen in hervorgehobenen Positionen oder solchen, die in der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, und anderen unterschieden werden. Angesichts der Vielzahl von Demonstrationen kann nicht davon ausgegangen werden, dass China diese flächendeckend überwacht. Zudem dürfte für den chinesischen Staat augenfällig sein, dass an solchen Demonstrationen auch Personen teilnehmen, die mit ihrer Teilnahme vor allem ihre Chance, ein Bleiberecht zu erlangen, erhöhen wollen. Es spricht alles dafür, dass die vom Kläger angesprochenen Datensammlungen nur Personen in herausgehobenen Funktionen oder solche, die in den Medien bekannt geworden sind, erfassen. Dafür, dass sämtliche Teilnehmer derartiger Demonstrationen mit geheimdienstlichen Methoden ausgespäht werden, spricht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Der Kläger benennt in seinem Zulassungsantrag keine Erkenntnismittel, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylVfG.

Mit dieser Entscheidung wird das Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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