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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: 6 W 512/00
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 56g
BGB § 1835a
BGB § 1836e
BGB § 1908i
19.10.2000

6 W 512/00

Rechtliche Grundlage:

FGG § 56g; BGB § 1835a, BGB § 1836e; BGB § 1908i

1. Für die Frage der Mittellosigkeit des Betreuten und der Haftung der Staatskasse für die dem Betreuer zustehende Aufwandsentschädigung kommt es bei Vorversterben des Betreuten weiterhin auf die Verhältnisse zur Zeit der letzten Tatsachenentscheidung unter Berücksichtigung derjenigen zum Zeitpunkt des Todes an (vgl. § 1836e Abs. 1 S. 3 BGB).

2. Bereits zur Bestimmung einer Haftung der Staatskasse für die Betreuervergütung/-aufwandsentschädigung ist die Frage der Mittellosigkeit des Nachlasses entspr. § 1836e Abs. 1 S. 3 BGB nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen zu beantworten.

3. Eine Betreuervergütung /-aufwandsentschädigung kann entspr. § 56g Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. FGG auch gegen Erben festgesetzt werden, jedoch erst nach Gewährung rechtlichen Gehörs. Eine Festsetzung unterbleibt, wenn der Betreuer den Betreuten allein beerbt hat.

Thür. OLG Beschl. v. 19. 10. 2000, 6 W 512/00


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 512/00 1 T 24/00 (Landgericht Mühlhausen)

In dem Verfahren

betreffend die Festsetzung von Aufwandsentschädigung des Betreuers gegen die Staatskasse, an dem beteiligt sind: 1. M.K., ehemalige ehrenamtliche Betreuerin der am ...verstorbenen B. F., zuletzt wohnhaft ........ - Antragstellerin und Beschwerdeführerin, auch im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde - 2. Bezirksrevisor des Landgerichts Mühlhausen als Vertreter der Staatskasse

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer sowie die Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Werner und Bettin auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin vom 12.07.2000 gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 22.05.2000

am 19.10.2000

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 22.05.2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. 2. Der Beschwerdewert wird auf 537,50 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin war Betreuerin für ihre am 01.08.1999 verstorbene Mutter. Mit Beschluss vom 17.08.1999 hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts eine pauschale Aufwandsentschädigung nach § 1835 a BGB in Höhe von 537,30 DM für den Zeitraum vom 01.07.1998 bis 31.07.1999 bewilligt und angeordnet, dass dieser Betrag aus dem Nachlass aufzubringen sei. Hiergegen hat die Antragstellerin am 01.12.1999 Widerspruch mit der Begründung eingelegt, es sei Aufwandsentschädigung aus der Staatskasse zu bewilligen. Sie hat geltend gemacht, allein die Beerdigungskosten würden den Nachlass, der am 15.09.1999 einen Wert von 4.194,53 DM aufgewiesen habe, aufzehren. Die Höhe der Beerdigungskosten hat sie im Einzelnen dargelegt. Nach Nichtabhilfe durch die Rechtspflegerin hat das Landgericht die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, für die Beurteilung der Mittellosigkeit komme es, wenn der Betreute verstorben sei, auf den Todeszeitpunkt an. Zu diesem Zeitpunkt sei ein die Aufwandsentschädigung deckender Nachlass vorhanden gewesen. Die Beerdigungskosten könnten als Nachlassverbindlichkeiten nicht berücksichtigt werden, weil sie sogenannte Erbfallschulden darstellten, die erst aus Anlass des Todes entstanden seien. Demgegenüber handele es sich bei den Betreuungskosten um sogenannte Erblasserschulden. Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat Bezug auf die angefochtene Entscheidung des Landgerichts. Das Landgericht hat die weitere Beschwerde ausdrücklich zugelassen. Seine Entscheidung hat es den Beteiligten nicht zugestellt und sie mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, wonach die weitere Beschwerde zulässig sei. Hiergegen hat die Antragstellerin zu Protokoll der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts Bad Langensalza am 12.07.2000 weitere Beschwerde eingelegt. Der Bezirksrevisor hat Stellung genommen und verteidigt die angefochtene Entscheidung des Landgerichts. Auf die Einzelheiten seines Vorbringens nimmt der Senat Bezug. II. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und hat auch in der Sache vorläufigen Erfolg. 1. Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 56 g Abs. 5 S. 2, 27, 29 Abs. 1 und 2 FGG an sich statthaft und auch sonst zulässig. Das Landgericht hat die sofortige weitere Beschwerde entsprechend § 56 g Abs. 5 S. 2 FGG wegen grundsätzlicher Bedeutung ausdrücklich zugelassen. Die zweiwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde (§§ 29 Abs. 2 und 4, 22 Abs. 1 S. 2 FGG) hatte noch nicht begonnen, weil das Landgericht seine Entscheidung entgegen § 16 Abs. 2 S. 1 FGG den Beteiligten nicht förmlich zugestellt hat. Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass auch die Rechtsmittelbelehrung des Landgerichts, nach der (einfache) weitere Beschwerde zulässig sei, unzutreffend ist. 2. In der Sache führt die sofortige weitere Beschwerde zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil die angefochtene Entscheidung des Landgerichts auf Gesetzesverletzungen beruht, §§ 27 FGG, 550 ZPO. a) Zu Recht hat das Landgericht die Erstbeschwerde der Antragstellerin als zulässig angesehen. Durch die Entscheidung der Rechtspflegerin ist die Antragstellerin beschwert, obwohl ihr Aufwandsentschädigung bewilligt wurde. Indem die Rechtspflegerin ausgeführt hat, die Aufwandsentschädigung sei dem Nachlass zu entnehmen, hat sie - inzident - zugleich eine Festsetzung gegen die Staatskasse abgelehnt. b) Als ehrenamtlicher Betreuerin ihrer verstorbenen Mutter steht der Antragstellerin die Aufwandsentschädigung nach den §§ 1908 i, 1835 a BGB auch in voller Höhe zu. Daran ändert nichts, dass der Zeitraum, für den die Aufwandsentschädigung geltend gemacht wurde, teilweise in die Zeit vor in Kraft treten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes am 01.01.1999 fällt (vgl. BayObLG, FamRZ 1999, 1602; Senatsbeschluss vom 22.03.2000, 6 W 159/00). c) Schuldner der Aufwandsentschädigung nach § 1835 a Abs. 1 BGB ist grundsätzlich der Betreute; ist er mittellos, kann der Betreuer die Aufwandsentschädigung aus der Staatskasse verlangen (§§ 1908 i, 1835 a Abs. 3 BGB). Ist der Betreute wie hier verstorben, kommt es für die Prüfung der Mittellosigkeit nach allgemeiner Auffassung auf die Verhältnisse zur Zeit der letzten Tatsachenentscheidung unter Berücksichtigung derjenigen zum Zeitpunkt des Todes an (vgl. BayObLG, FamRZ 1998, 697 ff; Senatsbeschluss vom 20.01.1999, 6 W 752/98 jeweils m.w.N. für die Rechtslage vor Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes). Danach war Aktivvermögen, über das der Betreute bei Eintritt seines Todes verfügt hatte, in vollem Umfang bei der Festsetzung der Betreuervergütung - nichts anderes gilt für die Aufwandsentschädigung - zu berücksichtigen; eine Schongrenze war nicht zuzubilligen (allgemeine Auffassung; vgl. BayObLG, a.a.O.). Davon abzurücken, besteht auch nach Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes kein Anlass; vielmehr weist die Vorschrift des § 1836 e Abs. 1 S. 3 BGB, wonach der Erbe nach dem Tod des Mündels für Regressansprüche der Staatskasse nur mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Nachlasses haftet, ebenfalls darauf hin, dass es auf die Verhältnisse zum Todeszeitpunkt ankommt. Nach dieser ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedarf es nunmehr - anders als nach dem vor dem 01.01.1999 geltenden Recht (vgl. BayObLG, a.a.O.) - nicht mehr der Beschränkung der Erbenhaftung durch Anordnung einer Nachlassverwaltung, des Nachlasskonkurses oder der Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses. Von diesen Grundsätzen geht auch das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung aus. d) Von Rechtsirrtum beeinflusst ist hingegen seine Auffassung, für die Beurteilung der Mittellosigkeit sei stets allein vom Bestand des Aktivnachlasses zum Todeszeitpunkt auszugehen, ohne dass andere Nachlassverbindlichkeiten - hier die Beerdigungkosten - zu berücksichtigen seien. Das hat der Senat - dem Bayerischen Obersten Landesgericht folgend (vgl. BayObLG, a.a.O.) - bereits für das vor dem 01.01.1999 geltende Recht entschieden und nicht etwa, wie das Landgericht ausführt, nur angedeutet (vgl. Senatsbeschluss vom 20.01.1999, a.a.O.). Nichts anderes gilt nach Inkraft-treten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes. Soweit das Landgericht darlegt, bei den Betreuungskosten handele es sich um sogenannte Erblasserschulden (§ 1967 Abs. 2 1. Alt. BGB), während die Beerdigungskosten nach § 1968 Erbfallschulden seien, ist das zwar zutreffend, für die hier zu entscheidende Frage, ob bei der Beurteilung der Mittellosigkeit des Nachlasses die Beerdigungskosten vom Nachlasswert abzuziehen sind, aber ohne Bedeutung. Ein genereller gesetzlicher Vorrang der Erblasserschulden gegenüber den Erbfallschulden ergibt sich aus den Bestimmungen der §§ 1967 ff BGB nicht. Auch aus anderen Rechtsvorschriften ist ein solcher Vorrang nicht abzuleiten; vielmehr ergibt sich aus den Bestimmungen über das Nachlassinsolvenzverfahren (vgl. § 324 InsO), dass die Kosten der Beerdigung des Erblasses zu den vorrangig zu befriedigenden Masseverbindlichkeiten (§§ 324 Abs. 2, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) gehören. Anders als die Verbindlichkeiten des Erben gegenüber dem Nachlasspfleger (vgl. hierzu BayObLG, ZEV 2000, 410) gehören angefallene Betreuungskosten demgegenüber nicht zu den im Falle einer Nachlassinsolvenz vorrangig zu befriedigenden Masseverbindlichkeiten. Schon dieser Rechtsgedanke legt es nahe, bei der Beurteilung der Mittellosigkeit die Beerdigungskosten, soweit sie angemessen sind, vorab abzuziehen. Hierfür spricht im Übrigen ganz entscheidend § 1836 e Abs. 1 S. 3 BGB. Die Norm gilt allerdings nach ihrem Wortlaut nur für die Haftung des Erben für Regressansprüche der Staatskasse, wenn diese Betreuervergütung, Aufwendungsersatz oder Aufwandsentschädigung gezahlt hat. Es ist indessen kein Grund ersichtlich, die Vorschrift bereits für die Prüfung heranzuziehen, ob wegen Mittellosigkeit überhaupt eine Zahlung aus der Staatskasse zu erfolgen hat. Davon geht offenbar auch das Landgericht aus; ebenso befürwortet der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme diese Verfahrensweise. § 1836 e Abs. 1 S. 3 BGB ist ersichtlich der Regelung des § 92 c Abs. 2 S. 2 BSHG nachgebildet. Sie stimmt hiermit wörtlich überein und ist auch vom Sinn und Zweck her anwendbar, weil die Prüfung der Mittellosigkeit nach den §§ 1836 c ff BGB nach dem Willen des Gesetzgebers nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen zu erfolgen hat (vgl. Palandt/Dieterichsen, BGB, 59. Auflage, § 1836 c Rn. 1). Es erscheint daher nur konsequent, auch für die Frage, was als Nachlasswert im Sinne des § 1836 e Abs. 1 S. 3 BGB anzusehen ist, auf die im Sozialhilferecht entwickelten Grundsätze zurückzugreifen. Dort entspricht es jedoch allgemeiner Auffassung, dass Nachlasswert im Sinne der sozialhilferechtlichen Vorschriften das in Geld ausgedrückte hinterlassene Vermögen nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten einschließlich angemessener Beerdigungskosten ohne Berücksichtigung der Pflichtteilsansprüche, Vermächtnisse und testamentarischen Auflagen ist (vgl. Fichtner, BSHG, § 92 c Rn. 11; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Auflage, § 92 c Rn. 16 bis 18). Danach sind bei der Beurteilung der Mittellosigkeit nach § 1836 e Abs. 1 S. 3 BGB jedenfalls die angemessenen Beerdigungskosten von dem Aktivnachlass abzuziehen. Zu diesen - von der Antragstellerin im Einzelnen dargelegten - Beerdigungskosten und ihrer Angemessenheit enthält die angefochtene Entscheidung des Landgerichts keine Feststellungen. Der Senat kann sie im Rechtsbeschwerdeverfahren auch nicht selbst treffen, so dass die Zurückverweisung an das Landgericht geboten ist. 3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin: Sollte das Landgericht nach Prüfung, ob die Beerdigungskosten den aktiven Nachlasswert aufzehren und unter Berücksichtigung des Freibetrages aus § 1836 e Abs. 1 S. 3 BGB, § 92 c Abs. 3 BSHG erneut zu der Auffassung kommen, dass Mittellosigkeit nicht vorliegt und die Aufwandsentschädigung aus dem Nachlass zu zahlen ist, dürfte in entsprechender Anwendung von § 56 g Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. FGG - vom Wortlaut der Vorschrift wird der vorliegende Fall nicht erfasst - eine Festsetzung in Betracht kommen. Betroffene, gegen die festzusetzen wäre und gegen die aus einem entsprechenden Festsetzungsbeschluss nach § 56 g Abs. 6 FGG auch die Vollstreckung stattfinden würde, wären die Erben, denen mithin vor einer Festsetzung das rechtliche Gehör zu gewähren wäre. Dazu hätte das Landgericht gegebenenfalls zunächst die Erben zu ermitteln. Sollte hingegen die Beteiligte zu 1 Alleinerbin ihrer verstorbenen Mutter sein, wäre für eine Festsetzung kein Raum, weil die Beteiligte zu 1 dann sowohl Gläubigerin als auch Schuldnerin der Aufwandsentschädigung wäre, so dass die Forderung durch Konfusion erloschen wäre (vgl. Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1922 Rn. 6).

Ende der Entscheidung

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