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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 18.09.2006
Aktenzeichen: 9 W 342/06
Rechtsgebiete: BGB, BauGB


Vorschriften:

BGB § 928 Abs. 1
BauGB § 22 Abs. 6 S. 1
BauGB § 144 Abs. 2 Nr. 1
BauGB § 145 Abs. 1 S. 1
BauGB § 145 Abs. 6 S. 1
1. Die Aufgabe des Eigentums an einem Grundstück (§ 928 Abs. 1 BGB) in einem förmlich ausgewiesenen Sanierungsgebiet (§ 142 Abs. 1 S. 1 BauGB) unterliegt der Grundbuchsperre der §§ 144 Abs. 2 Nr. 1, 145 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1 i.V.m. § 22 Abs. 6 S. 1 BauGB und bedarf damit der sanierungsrechtlichen Genehmigung der zuständigen Gemeinde.

2. Lehnt die Gemeinde die Erteilung der Genehmigung oder eines Negativzeugnisses - die Bescheinigung, dass sie nicht innerhalb einer vorgegebenen Frist über den Antrag entschieden hat (§ 22 Abs. 5 S. 5 BauGB) - schriftlich mit der Begründung ab, es handle sich insgesamt um keinen genehmigungsbedürftigen Vorgang, so kann dieses Schreiben unter Beachtung des Formgebots des § 29 Abs. 3 GBO selbst als Negativzeugnis gewertet werden.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 342/06 In der Grundbuchsache

betreffend das beim Amtsgericht Weimar im Grundbuch von ..., Blatt ... eingetragene Grundstück Flur ..., Flurstück ...,

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am Oberlandesgericht Giebel

auf die weitere Beschwerde des Antragstellers vom 27.7.2006

am 18.9.2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde wird der Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 10.7.2006 (2 T 248/06) abgeändert:

Das Grundbuchamt Weimar wird angewiesen, den Antrag des Antragstellers vom 7.4.2006 nicht aus den Gründen der Zwischenverfügung vom 22.5.2006 (Geschäftsnummer TR 1292-1) zurückzuweisen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller hat mit notarieller "Aufgabeerklärung" vom 6.4.2006 die Aufgabe des Eigentums an dem in einem förmlichen Sanierungsgebiet (§ 142 Abs. 1 S. 1 BauGB) gelegenen streitgegenständlichen Grundstück gegenüber dem Grundbuchamt erklärt. Die Stadt B. als die für die Erteilung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung zuständige Genehmigungsbehörde hat auf einen entsprechenden Antrag hin mit Schreiben vom 17.5.2006 dem Antragsteller mitgeteilt, dass die Eigentumsaufgabe aus ihrer Sicht keiner sanierungsrechtlichen Genehmigung unterliege und sie daher weder einen Genehmigungsbescheid noch ein Negativattest ausstellen werde. Hinsichtlich des Sachverhalts im Einzelnen und der für die angefochtene Entscheidung maßgebenden Gründe nimmt der Senat auf den Beschluss des Landgerichts vom 10.7.2006 Bezug.

II.

Die nach den §§ 78, 79, 80 GBO statthafte und auch sonst zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern, §§ 78 S. 2 GBO, 546, 561 ZPO. Die Voraussetzungen der vom Grundbuchamt am 22.5.2006 erlassenen und mit der Erstbeschwerde angegriffenen Zwischenverfügung lagen jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts nicht (mehr) vor, weil das von ihm angenommene Eintragungshindernis behoben war.

1. Der Eintragungsantrag vom 7.4.2006 unterlag - entgegen der in der weiteren Beschwerde und seitens der Stadt B. vertretenen Rechtsauffassung - im Zeitpunkt der Antragstellung der Grundbuchsperre der §§ 144 Abs. 2 Nr. 1, 145 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1 i.V.m. § 22 Abs. 6 S. 1 BauGB.

a) Wird ein in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet (§ 142 Abs. 1 S. 1 BauGB) gelegenes Grundstück "veräußert", darf nach den vorgenannten Bestimmungen das Grundbuchamt eine Eintragung in das Grundbuch nur vornehmen, wenn entweder ein Genehmigungsbescheid der zuständigen Gemeinde oder ein sog. Negativzeugnis- die Bescheinigung, dass die Gemeinde nicht innerhalb einer bestimmten Frist über einen Genehmigungsantrag entschieden hat (§ 22 Abs. 5 S. 5 BauGB) - vorgelegt wird. Auch ohne die in § 143 Abs. 2 S. 2 BauGB vorgeschriebene - im vorliegenden Fall ordnungsgemäß erfolgte -Eintragung eines Sanierungsvermerks im Grundbuch bewirkt bereits das Inkrafttreten der kommunalen Sanierungssatzung für das betreffende Gebiet eine Grundbuchsperre, die vom Grundbuchbeamten im Rahmen der Prüfung eines Eintragungsantrags von Amts wegen zu beachten ist (vgl. Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, 9. Aufl., § 143 Rn. 5, § 22 Rn. 18). Dies war hier im Zeitpunkt der Antragstellung der Fall. Die notariell beglaubigte "Aufgabeerklärung" des Antragstellers vom 6.4.2006, mit der er das Eigentum am streitgegenständlichen Grundstück aufgegeben hat, bedurfte einer solchen Genehmigung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. Zurecht hat daher der Grundbuchbeamte zunächst telefonisch (vgl. handschriftlichen Vermerk vom 18.4.2006) den Antragsteller auf das Erfordernis einer sanierungsrechtlichen Genehmigung hingewiesen.

aa) Obwohl das Landgericht im Ergebnis zutreffend die Grundbucheintragung von der Vorlage eines Genehmigungsbescheids oder Negativattestes abhängig gemacht hat, ist sein Begründungsansatz verfehlt, wenn es dieses Erfordernis darauf gestützt hat, dass "nach teleologischer Auslegung des § 144 BauGB zumindest erhebliche Zweifel an der Genehmigungsfreiheit der Eigentumsaufgabe eines in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet befindlichen Grundstücks" bestünden. Statt eine eindeutige Aussage hierzu zu treffen, hat das Landgericht die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit gewissermaßen in der Schwebe gelassen und der Beurteilung der Genehmigungsbehörde anheim gestellt. Das ist schon deshalb unzutreffend, weil die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit hier allein von der Auslegung der maßgebenden gesetzlichen Vorschriften abhängt, die von den Instanzen des Grundbuchverfahrens ohne Bindung an die Rechtsauffassung der Genehmigungsbehörde vorzunehmen ist (vgl. KG FGPrax 1996, 213; BayObLG Rpfleger 1972, 408).

bb) Auf die gegenüber dem Grundbuchamt abzugebende Verzichtserklärung der Eigentumsaufgabe am Grundstück (§ 928 Abs. 1 BGB) ist die Bestimmung des § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB zumindest analog anwendbar. Es handelt sich mithin um einen aus Sicht des Sanierungsrechts genehmigungsbedürftigen Vorgang.

Zwar stimmt der Senat der Beschwerdebegründung darin zu, dass das im Gesetz genannte Merkmal einer rechtsgeschäftlichen "Veräußerung" im strengen rechtstechnischen Sinne nicht einschlägig ist, weil damit grundsätzlich nur die Übertragung eines Rechts von einem Rechtsträger auf einen anderen gemeint ist. Diese Voraussetzung erfüllt die Dereliktion im Sinne des § 928 BGB insofern nicht, als das Grundstück zumindest im Stadium vor einer etwaigen Aneignung durch den Fiskus (§ 928 Abs. 2 S. 1 BGB) herrenlos wird, also gerade keinem Rechtsträger zugeordnet ist. Doch ist zu bedenken, dass dieser begriffliche Bedeutungsgehalt zwar der in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Rechtsdogmatik entspricht, der Gesetzgeber hingegen auch an anderer Stelle die Begriffe "Veräußerung" und "Verfügung" in synonymem Sinne verwendet, obwohl streng genommen nur der letztgenannte Begriff sämtliche Formen einer Aufhebung, Inhaltsänderung, Belastung oder Übertragung eines Rechts bezeichnet. So ist etwa das Merkmal "Veräußerungsverbot" in §§ 135, 136 BGB nach allgemeiner Meinung als "Verfügungsverbot" zu lesen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 136 Rn. 1). Es spricht nach Auffassung des Senats nichts dafür, dass der historische Gesetzgeber des BGB, der bekanntermaßen (unter dem Eindruck der in der Pandektenlehre des 19. Jahrhunderts entwickelten sog. Begriffsjurisprudenz) sogar besonders viel Sorgfalt auf eine exakte Terminologie verwandt hat, in dieser Hinsicht großzügiger verfahren sein könnte als der Gesetzgeber des Baugesetzbuchs des Jahres 1987. Wenn daher die Beschwerdebegründung vorrangig mit begriffsjuristischen Erwägungen argumentiert, greift das zu kurz.

Jedenfalls kann es im Rahmen einer sorgfältigen Gesetzesauslegung nicht mit einer bloßen rechtstechnischen Begriffsbestimmung sein Bewenden haben, sondern müssen darüber hinaus Gesichtspunkte des Normzwecks Berücksichtigung finden, wie sie auch vom Landgericht zutreffend in Erwägung gezogen worden sind. Der sanierungsrechtliche Genehmigungsvorbehalt des § 144 BauGB hat die Funktion, das Sanierungsverfahren gegen Störungen und Erschwerungen durch Vorhaben, Teilungen und Rechtsvorgänge abzusichern und der Gemeinde einen angemessenen Zeitraum für die Verwirklichung ihrer Ziele und Zwecke der Sanierung einzuräumen. Grundstücksberechtigte sollen gehindert werden, Vorhaben durchzuführen, Teilungen vorzunehmen und Rechtsgeschäfte zu tätigen, die sich beim weiteren Fortgang der Sanierung als verfehlt erweisen könnten (vgl. Krautzberger in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Baugesetzbuch, Kommentar [Loseblatt, Stand: Januar 2006], § 144 Rn. 2). Dieser Schutzbereich der Norm ist auch dann berührt, wenn ein Grundstück im Zuge einer Eigentumsaufgabe - und sei es nur vorübergehend - herrenlos wird, weil dann ein jedenfalls unmittelbar zur Erfüllung öffentlicher und privatrechtlicher Verkehrssicherungspflichten heranzuziehender Rechtsträger fehlt und unter Umständen - worauf auch im vorliegenden Falle gewisse Anhaltspunkte hindeuten - bestimmte Gefahren von dem herrenlosen Grundstück ausstrahlen und dem Sanierungsvorhaben zuwiderlaufen können. Das gebietet es nach Ansicht des Senats, auch die Eigentumsaufgabe nach § 928 BGB dem Genehmigungsvorbehalt des § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB zu unterstellen.

b) Der Umstand, dass die Stadt B. als zuständige Genehmigungsbehörde hierzu einen abweichenden Standpunkt einnimmt, steht dem nicht entgegen, da die Grundbuchinstanzen, wie bereits ausgeführt, die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit in eigener Gesetzesauslegung zu beurteilen haben.

2. Die angefochtene Zwischenverfügung ist aber deshalb rechtsfehlerhaft, weil ein im Sinne der § 145 Abs. 6 S. 1 i.V.m. § 22 Abs. 6 S. 1, Abs. 5 S. 5 BauGB vorausgesetztes Negativzeugnis - entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen und der Genehmigungsbehörde selbst - in Gestalt des Schreibens der Stadt B. vom 17.5.2006 vorliegt. Die ursprüngliche Grundbuchsperre des § 22 Abs. 6 S. 1 BauGB besteht daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr.

Zuständig für die Erteilung der Genehmigung des § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ist gem. § 145 Abs. 1 S. 1 BauGB die Gemeinde. Über die Genehmigung ist gem. § 145 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 22 Abs. 5 S. 2 BauGB innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags bei der Genehmigungsbehörde zu entscheiden. Kann die Prüfung des Antrags in dieser Zeit nicht abgeschlossen werden, ist die Frist vor ihrem Ablauf in einem dem Antragsteller mitzuteilenden Zwischenbescheid um den zur Entscheidung notwendigen Zeitraum zu verlängern (§ 22 Abs. 5 S. 3 1. Halbs. BauGB), doch beträgt sie höchstens drei Monate (§ 22 Abs. 5 S. 3 2. Halbs. BauGB. Wird die Genehmigung nicht innerhalb der vorgenannten Fristen versagt, gilt sie gem. § 145 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 22 Abs. 5 S. 4 BauGB als erteilt. Hierüber hat die Genehmigungsbehörde auf Antrag ein Zeugnis auszustellen, dessen Vorlage im Grundbuchverfahren anstelle des Genehmigungsbescheids die Grundbuchsperre des § 144 Abs. 2 BauGB beseitigt (§ 145 Abs. 6 S. 1 i.V.m. § 22 Abs. 6 S. 2 BauGB).

Diese Voraussetzungen erfüllt das vom Antragsteller vorgelegte Schreiben der Stadt B. vom 17.5.2006. Da es die Originalunterschrift des Bürgermeisters und den Gemeindestempel der Stadt B. trägt, genügt es den Formanforderungen des § 29 Abs. 3 GBO. Seinem Inhalt nach besagt es eindeutig, dass die Genehmigungsbehörde den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Genehmigung bzw. eines Negativattestes nicht bescheiden werde, da bereits die Genehmigungsbedürftigkeit einer Eigentumsaufgabe zu verneinen sei. Schon mit Blick auf das Datum dieses Schreibens war die Monatsfrist des § 22 Abs. 5 S. 2 BauGB im Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung der Frist im Sinne des § 22 Abs. 5 S. 3 BauGB sind nach Aktenlage nicht ersichtlich und werden auch von der Genehmigungsbehörde - die der Senat auch im Verfahren der weiteren Beschwerde beteiligt hat - nicht vorgetragen.

Zwar sind die Grundbuchinstanzen weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Ermittlungen anzustellen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Genehmigung wegen Zeitablaufs als erteilt gilt (vgl. OLG Frankfurt Rpfleger 1997, 209, 210). Doch hätte es vorliegend derartiger Ermittlungen auch gar nicht bedurft. Vielmehr war das Landgericht bereits nach Aktenlage gehalten, das Schreiben der Stadt B. vom 17.5.2006, aufgrund dessen Urkundenrang im Sinne des § 29 GBO, auf seine Eigenschaft als Negativattest hin zu würdigen. Dies hat das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise versäumt, indem es pauschal und ohne jede Begründung erklärt hat, dass der Inhalt des Schreibens "zweifelsfrei" ergebe, dass die Gemeinde ein Negativattest nicht erteile. Damit hat es verkannt, dass nach dem Gesetz die Gründe oder Motive, warum die Genehmigungsbehörde den Genehmigungsantrag nicht fristgemäß bescheidet, ohne Belang sind. § 22 Abs. 5 S. 4 BauGB knüpft die Genehmigungswirkung allein an den Zeitablauf. In dem genannten Schreiben äußert die Genehmigungsbehörde den eindeutigen Willen, den Antrag nicht zu bescheiden. Spätestens nach Ablauf der Monatsfrist war das Landgericht somit verpflichtet, diese Erklärung als Negativattest der zuständigen Genehmigungsbehörde zu werten.

Nach allem lagen die Voraussetzungen der vom Grundbuchamt erlassenen Zwischenverfügung jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung des Landgerichts nicht mehr vor, weil das ursprüngliche Eintragungshindernis nicht mehr bestand. Der Senat hatte daher das Grundbuchamt anzuweisen, den Antrag auf Grundbuchberichtigung nicht aus den seiner Zwischenverfügung zugrunde gelegten Gründen zurückzuweisen.

III.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, § 131 Abs. 1 S. 2 KostO. Außergerichtliche Kosten waren nicht zu erstatten.

Ende der Entscheidung

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