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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.02.2006
Aktenzeichen: 4 U 1079/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 519
1. Die für die Auslegung von Willenserklärungen entwickelten Grundsätze gelten auch für die Auslegung von Prozesserklärungen.

2. Geht mit einem gleichzeitig mit "Berufung" überschriebenen Schriftsatz ein PKH-Gesuch ein, in dem dieser Schriftsatz ausdrücklich mit "Entwurf" bezeichnet wird und erklärt der Berufungskläger ausdrücklich, die Berufung von einer Entscheidung über sein PKH-Gesuch abhängig zu machen, dann ist der als "Berufung" überschriebene Schriftsatz nicht als unbedingte Berufungseinlegung auszulegen.

3. Die Wiedereinsetzung in eine versäumte Berufungseinlegungsfrist muss dann binnen 2 Wochen nach Behebung des Hindernisses beantragt werden (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO); die 2-wöchige Frist beginnt dann spätestens nach einer kurzen Überlegungsfrist von etwa 3 Tagen (Fortführung von BGH NJW 2001, 2262, 2263).


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 U 1079/05

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Oberlandesgericht Jahn

am 20.02.2006

beschlossen:

Tenor:

Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 12.10.2005 - Az.: 3 O 1516/03 - werden als unzulässig verworfen.

Die Kosten der Berufungen tragen die Beklagten.

Die Anträge der Beklagten vom 26.01.2006 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden verworfen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.332,44 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Erfurt hat durch Urteil vom 12.10.2005 die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Urteil ist ihnen am 17.10.2005 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 10.11.2005, überschrieben mit "Antrag auf Prozesskostenhilfe", haben die Beklagten erklärt: "Die Beklagten beabsichtigen, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen, sehen sich jedoch nicht in der Lage, die Kosten für das Rechtsmittelverfahren aus eigenen Mitteln aufzubringen. Aus diesem Grund wird beantragt, den Beklagten Prozesskostenhilfe für den 2. Rechtszug zu bewilligen und ihnen den Unterzeichnenden als Prozessbevollmächtigten beizuordnen. ... Die hinreichende Erfolgsaussicht ergibt sich aus anliegendem Entwurf der Berufungsbegründung. Die Beklagten beabsichtigen, nach Entscheidung des Senats über die Prozesskostenhilfe einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen." Im beigefügten Schriftsatz - überschrieben mit "Berufung und Berufungsbegründung" - haben die Beklagten erklärt: "In Sachen ... wird hiermit ... Berufung eingelegt. Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden wir folgende Anträge stellen: ...". Mit Schriftsatz vom 18.11.2005 haben die Beklagten darauf hingewiesen, "dass (die) angekündigten Anträge von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht werden."

Die Anträge der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz hat der Senat durch Beschluss vom 19.12.2005 zurückgewiesen mit der Begründung, dass "die beabsichtigten Berufungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben". Dieser Beschluss ist den Beklagten am 22.12.2005 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 28.12.2005, eingegangen am selben Tag, überschrieben mit "Rüge des rechtlichen Gehörs gemäß § 321a ZPO, Gegenvorstellung, Wiedereinsetzungsgesuch", haben die Beklagten beantragt, ihnen "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen".

Der Senat hat durch Beschluss vom 12.01.2006 die Gehörsrüge, die Gegenvorstellung und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 26.01.2006, eingegangen am selben Tag, haben die Beklagten beantragt, ihnen "hinsichtlich der beiliegenden Berufungsbegründung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren". Die Berufungsbegründung vom 26.01.2006 ist ebenfalls an diesem Tag eingegangen.

II.

Die Berufungen der Beklagten sind gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Sie sind nicht rechtzeitig innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist des § 517 ZPO, die mit der Zustellung des Urteils am 17.10.2005 zu laufen begann und am 17.11.2005 endete, eingelegt worden.

Der am 10.11.2005 und innerhalb der Berufungsfrist eingegangene Schriftsatz vom 10.11.2005 enthielt keine Berufungseinlegung.

Ob ein Schriftsatz bereits die Einlegung eines Rechtsmittels enthält oder ob er lediglich als Entwurf einer Rechtsmittelschrift zu verstehen ist, wie er üblicherweise einem Prozesskostenhilfegesuch beigefügt wird, ist eine Frage der Auslegung. Die für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze sind auf die Auslegung von Prozesserklärungen entsprechend anwendbar. Es ist daher analog § 133 BGB nicht an dem buchstäblichen Sinn des in der Parteierklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern es ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (BGH, Beschluss vom 14.02.2001, Az: XII ZB 192/99 = FamRZ 2001, 1703-1704).

Der Schriftsatz vom 10.11.2003 ist zwar mit "Berufung und Berufungsbegründung" überschrieben, enthält Berufungsanträge, die nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt werden, sowie eine Begründung und ist vom Prozessbevollmächtigten unterschrieben. Er kann jedoch wegen des gleichzeitig eingereichten Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht isoliert betrachtet werden. In dem Prozesskostenhilfeantrag ebenfalls vom 10.11.2003 wird der gleichzeitig eingereichte - mit "Berufung und Berufungsbegründung" überschriebene - Schriftsatz ausdrücklich als "Entwurf" bezeichnet. Dass diese Bezeichnung im Prozesskostenhilfeantrag dem Willen der Beklagten entspricht, ergibt sich für den Senat zweifelsfrei aus den weiteren Erklärungen der Beklagten im Prozesskostenhilfeantrag. Darin heißt es, dass sie lediglich "beabsichtigen", Berufung einzulegen, also die Einlegung der Berufung davon abhängig machen wollen, ob ihnen Prozesskostenhilfe gewährt werden wird. Dann kann der gleichzeitig eingereichte Schriftsatz tatsächlich nur als "Entwurf" einer Berufung gewollt sein. Auch die von den Beklagten erklärte Absicht, nach der Entscheidung des Senats über den Prozesskostenhilfeantrag einen Antrag auf Wiedereinsetzung stellen zu wollen, deutet darauf hin, dass nicht bereits mit dem gleichzeitig eingereichten Schriftsatz, sondern erst nach Ablauf der Berufungsfrist gleichzeitig mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung die Berufung eingelegt werden sollte. Für diese Auslegung sprachen auch die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten. Denn im Prozesskostenhilfeantrag erklärten sie, dass sie sich nicht in der Lage sehen, die Kosten für das Rechtsmittelverfahren aus eigenen Mitteln aufzubringen, also das wirtschaftliche Risiko auf sich zu nehmen, die Kosten eines unter Umständen erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Dann konnte es gerade nicht in ihrem Interesse sein, so behandelt zu werden, als hätten sie mit dem gleichzeitig eingereichten Schriftsatz bereits Berufung eingelegt.

Die Beklagten haben die Berufung erst am 26.01.2006 und damit verspätet eingelegt. An diesem Tag ging beim Gericht der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und gleichzeitig die Berufungsbegründung ein. Beide Schriftsätze enthalten keine ausdrückliche Berufungseinlegung, setzen sie vielmehr voraus. Da aber kein vorangegangener Schriftsatz als Berufungsschrift aufgefasst werden konnte und den gleichzeitig eingereichten Schriftsätzen vom 26.01.2006 unter Bezugnahme auf die Schriftsätze vom 10.11.2005 der Wille der Beklagten zu entnehmen ist, eine Berufung durchzuführen, sind ihre Erklärungen in der Berufungsbegründung vom 26.01.2006 zugleich als Berufungseinlegung aufzufassen (vgl. BGH, Beschluss vom 18.05.200, Az: VII ZB 25/99 = NJW 2000, 3286).

Der Antrag vom 26.01.2006 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist ist dann aber auch als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist aufzufassen, insoweit aber verfristet.

Die Wiedereinsetzung in eine versäumte Berufungseinlegungsfrist muss binnen zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses beantragt werden (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Einer Prozesspartei, deren für die Rechtsmittelinstanz innerhalb der Rechtsmittelfrist gestelltes Prozesskostenhilfegesuch nach Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird, steht zunächst eine kurze Überlegungszeit von etwa drei Tagen zu, innerhalb deren sie sich entscheiden muss, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will; sodann beginnt die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO (BGH, Beschluss vom 26.04.2001, Az: IX ZB 25/01 = NJW 2001, 2262-2263 m.w.N.). Der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnende Senatsbeschluss vom 19.12.2005 ist den Beklagten am Donnerstag, dem 22.12.2005 zugestellt worden, so dass die Frist zur Wiedereinsetzung spätestens am vierten darauffolgenden Werktag, am 29.12.2005 zu laufen begann und am 12.01.2006 endete. Der Wiedereinsetzungsantrag ging aber erst am 26.01.2006 und damit verspätet ein.

Der Antrag vom 26.01.2006 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist ebenfalls unzulässig; er ist gegenstandslos, weil aus den oben genannten Gründen bereits die Frist zur Berufungseinlegung versäumt wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert der Berufung wurde entsprechend der erstinstanzlichen Wertfestsetzung und dem - zweitinstanzlich aufrecht erhaltenen - Antrag der Rechtsmittelführer festgesetzt (§§ 3 ZPO, 47, 63 GKG).

Ende der Entscheidung

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