Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 31.01.2005
Aktenzeichen: 1 Ta 137/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 121 Abs. 3
ZPO § 121 Abs. 4
1) Im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe ist bei der Beiordnung eines nicht bei dem Prozessgericht niedergelassenen bzw. kanzleiansässigen Rechtsanwalts stets zu prüfen, ob besondere Umstände für die Beiordnung eines zusätzlichen Verkehrsanwalts im Sinne des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen. Nur wenn dies nicht der Fall ist, darf der auswärtige Rechtsanwalt "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" beigeordnet werden (BGH vom 23.07.2004, NJW 2004, 2749).

2) Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "besondere Umstände" im Sinne des § 121 Abs. 4 ZPO ist zu berücksichtigen, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen eine weitgehende Angleichung der Situation der mittellosen und der nicht bedürftigen Partei bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten ist. Die Hinzuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts ist in der Regel zweckdienlich und jedenfalls dann erforderlich, wenn die Kosten des Verkehrsanwalts die Reisekosten des nicht am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts nicht wesentlich übersteigen (BGH, a. a. O.).

3) Der Kostenvergleich führt in aller Regel zu dem Ergebnis, dass durch die Beiordnung eines im Bezirk des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts keine Mehrkosten im Sinne des § 121 Abs. 3 ZPO entstehen und die Beiordnung daher nicht auf die Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts zu beschränken ist (Fortführung der Rechtsprechung des Thüringer Landesarbeitsgerichts, Beschluss vom 21.07.1997 - 8 Ta 100/97 - LAGE Nr. 4 zu § 121 ZPO).


Tenor:

Auf die Beschwerde des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts P. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Jena vom 09.09.2003 abgeändert, soweit die Beiordnung des Rechtsanwalts zu den Bedingungen einer ortsansässigen Prozessvertretung erfolgte.

Die Beiordnung des Rechtsanwalts P. erfolgt ohne Einschränkung mit der Maßgabe, dass die Kosten zu vergüten sind, die dadurch entstehen, dass sich die Kanzlei des Rechtsanwalts nicht am Sitz des Arbeitsgerichts Jena befindet.

Gründe:

I)

Das Arbeitsgericht Jena hat dem Antragsteller/Kläger mit Beschluss vom 09.09.2003 Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm Rechtsanwalt P. zu den Bedingungen einer ortsansässigen Prozessvertretung beigeordnet. Der Wohnort des Klägers und der Sitz der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten ist S.. S. gehört zum Bezirk des Arbeitsgerichts Jena. Der Ort liegt ca. 40 km von Jena entfernt. Der beigeordnete Rechtsanwalt war nicht vorab gefragt worden, ob er mit seiner Beiordnung zu den eingeschränkten Bedingungen einverstanden ist.

Der Kläger wandte sich mit der Klage gegen die fristlose Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses vom 13.05.2003. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung befand sich der Kläger im 3. Ausbildungsjahr. Die Ausbildungsvergütung belief sich auf 620,00 DM bzw. 317,00 € monatlich. Das Verfahren endete nach außergerichtlicher Einigung durch Klagerücknahme.

Der beigeordnete Rechtsanwalt hat gegen den ihm am 15.09.2003 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts vom 09.09.2003 am 10.10.2003 Beschwerde eingelegt.

Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, die Beiziehung eines am Wohnort der Partei ortsansässigen Rechtsanwalts sei im Rahmen des § 91 ZPO stets eine der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienende Maßnahme, deren Mehrkosten gegenüber der Mandatierung eines am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts immer erstattungsfähig seien. Der gleiche Rechtsgedanke müsse auch im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe Berücksichtigung finden.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II)

Die sofortige Beschwerde ist das gem. § 127 Abs. 2 ZPO i. V. mit § 78 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Der beschwerdeführende Rechtsanwalt ist beschwert (Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 127 Rnr. 19). Der Beschwerdewert des § 511 ZPO ist erreicht. Der Beschwerdeführer hat die Notfrist des § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO gewahrt.

Die Beschwerde ist begründet.

Die Beiordnung des Klägervertreters ist nicht auf die Bedingungen eines am Sitz des Arbeitsgerichts ortsansässigen Rechtsanwalts zu beschränken.

Das Beschwerdegericht schließt sich, wie bereits das Hessische Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 01.09.2004 (2 Ta 5/04, mitgeteilt bei jurisweb) der Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 23.06.2004 (NJW 2004, 2749) an.

Das Arbeitsgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung den nicht am Gerichtssitz ortsansässigen Beschwerdeführer nur zu den Bedingungen einer ortsansässigen Prozessvertretung beigeordnet. Die Entscheidung stützt sich auf § 121 Abs. 3 ZPO, der vorschreibt, dass ein nicht bei dem Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden kann, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Die gleichlautende Vorschrift des § 121 Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. wurde auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren für entsprechend anwendbar gehalten, obwohl es bei den Arbeitsgerichten keine besondere Zulassung von Rechtsanwälten gibt. Für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist kein Raum mehr, nachdem § 121 Abs. 3 ZPO trotz der Änderung im Recht der Postulationsfähigkeit (§ 78 Abs. 1 ZPO) unverändert geblieben ist. Weiterhin ist jedoch der Grundgedanke der Vorschrift, unnötige Reisekosten zu vermeiden, zu beachten (LAG Schleswig-Holstein vom 26.08.2003 - 1 Ta 84/01 - NZA-RR 204, 212). Die Beschränkung der Beiordnung gem. § 121 Abs. 3 ZPO betrifft nicht mehr den nicht am Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt, sondern den Rechtsanwalt, der seine Kanzlei nicht am Sitz des Prozessgerichts unterhält (Thüringer LAG vom 21.07.1997 - 8 Ta 100/97 - LAGE Nr. 4 zu § 121 ZPO).

Die dem beigeordneten auswärtigen Rechtsanwalt entstehenden Reisekosten sind nicht notwendig Mehrkosten i. S. des § 121 Abs. 3 ZPO. Dies kann dann der Fall sein, wenn durch die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts die Kosten eines Verkehrsanwalts eingespart werden (Zöller-Philippi, a. a. O., § 121 Rnr. 12; Thüringer LAG vom 21.07.1997, a. a. O.).

Von dieser Konstellation geht auch die Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 23.06.2004 (a. a. O.) aus. Danach nimmt das Gericht, das einen auswärtigen, aber in der Nähe der Partei ansässigen Rechtsanwalt beiordnet, der Partei zugleich die Möglichkeit, die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO zu erlangen. In diesem Fall kann das Gericht dem Prozessbevollmächtigten nicht stets durch die beschränkte Beiordnung "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" zugleich die Möglichkeit der Erstattung von Reisekosten nach dem - hier noch einschlägigen - § 126 Abs. 1 S. 2 2. HS BRAGO nehmen. Eine beschränkte Beiordnung ist vielmehr nur dann möglich, wenn auch sonst nur die Kosten eines am Prozessgericht niedergelassenen bzw. ansässigen Rechtsanwalts entstehen können, weil "besondere Umstände" im Sinne des § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Daraus folgt, dass das Gericht bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts immer auch zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen. Nur wenn dies nicht der Fall ist, darf es den von der Partei gem. § 121 Abs. 1 ZPO gewählten auswärtigen Prozessbevollmächtigten "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" mit den Folgen des § 126 Abs. 1 S. 2 1. HS BRAGO beiordnen.

Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Umstände im Sinne des § 121 Abs. 4 ZPO ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 04.02.2004, NJW 2004, 1789) Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes gebietet. Für die Erstattungsfähigkeit der Kosten für Verkehrsanwälte hat der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 16.10.2002, NJW 2003, 898) entschieden, dass die Hinzuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 S. 1 2. HS ZPO anzusehen ist. Die Beiordnung eines Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wäre folglich jedenfalls dann geboten, wenn dessen Kosten die sonst entstehenden Reisekosten des nicht am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts nicht wesentlich übersteigen. Wenn aber schon die Beschränkung der Beiordnung auf die Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts dann unzulässig ist, wenn die hypothetischen Kosten des Verkehrsanwalts gleich oder geringfügig höher als die Reisekosten des Hauptbevollmächtigten sind, so hat diese Beschränkung erst recht zu unterbleiben, wenn die Reisekosten niedriger sind als die Kosten des Verkehrsanwalts. Dieser Fall dürfte immer dann gegeben sein, wenn der Streitwert und damit die Gebühr des Verkehrsanwalts (10/10 nach § 52 Abs. 1 BRAGO bzw. die Gebühr nach Nr. 3400 VV zum RVG) nicht allzu niedrig liegt und sich die Kanzlei des beigeordneten Rechtsanwalts nicht allzu weit vom Sitz des Prozessgerichts entfernt befindet. Damit hat im Ergebnis die Beschränkung der Beiordnung auf die Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts in der Regel dann zu unterbleiben, wenn sich die Kanzlei des beigeordneten Rechtsanwalts noch im Bezirk des Prozessgerichts befindet. Die Vergleichsrechnung im Streitfall bestätigt dies. Bei einem Streitwert von 951,00 € (317,00 € x 3) beläuft sich die 10/10-Gebühr des Verkehrsanwalts auf 76,50 €. Die Reisekosten des Rechtsanwalts von S. nach Jena belaufen sich demgegenüber auf weniger als 30,00 €.

Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wegen besonderer Umstände erforderlich ist, ist aber auch auf die subjektiven Fähigkeiten der Partei zur Information des am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Hauptbevollmächtigten abzustellen (im Einzelnen BGH vom 23.06.2004, a. a. O.). Der Kläger war noch Auszubildender. Es ist davon auszugehen, dass er zur ausreichenden Information eines nicht an seinem Wohnort ansässigen Prozessvertreters nicht in der Lage gewesen wäre. Auch deshalb wäre es geboten gewesen, ihm einen Verkehrsanwalt beizuordnen, wenn er nicht ohnedies einen Rechtsanwalt für seine Vertretung ausgewählt hätte, dessen Kanzlei sich an seinem Wohnort befindet.

Gegen diese Entscheidung ist gem. § 127 Abs. 3 ZPO kein Rechtsmittel gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück