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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 25.01.2001
Aktenzeichen: 1 TaBV 4/2000
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 5 Abs. 1
BetrVG § 106 Abs. 1
1) Auszubildende im reinen Ausbildungsbetrieb (Berufsbildungszentrum) sind keine Arbeitnehmer i. S. des § 5 Abs. 1 BetrVG (ständige neuere Rechtsprechung des BAG: AP Nr. 8 - 11 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung; AP Nr. 54 zu § 5 BetrVG 1972).

2) Im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz. Für den Vortrag des Antragstellers kann nicht auf eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast abgestellt werden.


Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 14.12.1999, Az.: 8 BV 8/99, abgeändert.

Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I)

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob im Betrieb ein Wirtschaftsausschuss zu bilden ist.

Der Arbeitgeber ist ein Berufsbildungszentrum. Er führt folgende Bildungsmaßnahmen durch:

- die außerbetriebliche Erstausbildung und Berufsvorbereitung, darunter auch die Ausbildung von Firmenlehrlingen im Auftrag klein- und mittelständiger Unternehmen, am Stichtag 01.05.1999 mit 138 Auszubildenden;

- die berufliche Fort- und Weiterbildung Erwachsener, die Zahl der Teilnehmer schwankt zwischen 90 und 150;

- die berufliche Förderung sozial benachteiligter oder behinderter Jugendlicher, die Zahlenangaben der Teilnehmer schwanken zwischen 70 und 150;

- die Arbeitsförderwerkstatt zur Heranführung von Sozialhilfeempfängern an den Arbeitsprozess mit derzeit 16 Teilnehmern (vgl. B. 186);

- die Qualifizierungs-ABM, in der Arbeit und Qualifizierung hälftig kombiniert werden mit derzeit 19 Teilnehmern (vgl. Bl. 185);

- die Jugendhilfe mit derzeit 75 Teilnehmern.

Der Arbeitgeber hat nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten eine Stammbelegschaft von 52 Personen (vgl. Bl. 160, 171 d. A.).

Der Antragsteller ist der im Arbeitgeberbetrieb gebildete Betriebsrat. Er besteht aus fünf Mitgliedern und ging aus einer Wahl hervor, für die 104 Arbeitnehmer als wahlberechtigt in die Wählerliste eingetragen waren. Der Betriebsrat hat am 29.09.1998 einen Wirtschaftsausschuss gebildet und dessen Mitglieder benannt. Unter dem 06.10.1998 hat der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Bildung des Wirtschaftsausschusses mitgeteilt und angekündigt, dass dessen Mitglieder für eine auf den 08.10.1998 anberaumte Sitzung die Freistellung von der Arbeit beanspruchen. Der Arbeitgeber hat der Errichtung des Wirtschaftsausschusses widersprochen.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Auszubildenden und die Teilnehmer der einzelnen Lehrgänge seien ständig beschäftigte Arbeitnehmer. Die für die Bildung des Wirtschaftsausschusses erforderliche Zahl von mehr als 100 Arbeitnehmern sei daher erreicht.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass der Wirtschaftsausschuss zu Recht gebildet worden ist.

Der Arbeitgeber hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, ein Wirtschaftsausschuss könne wegen der erzieherischen Bestimmung des Betriebes nicht gebildet werden. Im übrigen fehle es an der erforderlichen Zahl von Arbeitnehmern, da nur die Stammbelegschaft zu berücksichtigen sei.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Es hat angenommen, dass der Betriebsrat schlüssig dargelegt habe, dass beim Arbeitgeber einschließlich der ABM-Kräfte 104 Arbeitnehmer beschäftigt seien. Diesen Angaben habe der Arbeitgeber nicht substantiiert widersprochen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses (Bl. 112 - 119 d. A.) Bezug genommen.

Der Arbeitgeber wendet sich gegen den ihm am 29.12.1999 zugestellten Beschluss mit der am 27.01.2000 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 27.03.2000 am 27.03.2000 begründeten Beschwerde.

Der Arbeitgeber meint, dass das Arbeitsgericht im angefochtenen Beschluss von falschen Zahlen ausgegangen sei. Die Zahl der Stammbelegschaft sei von ihm und dem Betriebsrat übereinstimmend mit 52 Arbeitnehmern angegeben worden. Alle anderen vom Betriebsrat genannten Zahlen beträfen die Auszubildenden sowie die Teilnehmer an Maßnahmen und Projekten. Diese seien keine Arbeitnehmer des Betriebes. Soweit Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen mit derzeit 88 Teilnehmern betroffen seien, würden diese auch nicht aufgrund von Arbeitsverträgen durchgeführt.

Der Arbeitgeber beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss mit den aus der Beschwerdebeantwortung vom 28.04.2000 (Bl. 163 - 173 d. A.) ersichtlichen Gründen.

II)

Die Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Arbeitsgerichts war abzuändern und der Antrag zurückzuweisen.

Im Betrieb des Arbeitgebers kann ein Wirtschaftsausschuss nicht gebildet werden, da die gem. § 106 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zahl von mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern nicht erreicht wird. Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber Tendenzschutz genießt und daher gem. § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG die §§ 106 bis 110 BetrVG nicht anzuwenden sind.

Das Arbeitsgericht hat für das Vorbringen des antragstellenden Betriebsrats zur Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer zu Unrecht auf eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast abgestellt. Im Beschlussverfahren erforscht das Gericht gem. § 83 Abs. 1 ArbGG den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen. Der Untersuchungsgrundsatz schließt eine Verteilung der Darlegungslast im zivilprozessualen Sinne aus. Das Gericht hätte selbst den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufklären müssen. Eine solche Aufklärung war allerdings entbehrlich, denn das Arbeitsgericht hat das Vorbringen der Beteiligten erkennbar missverstanden. Beide Beteiligte gehen nämlich von den gleichen Zahlen, für die Stammbelegschaft von 52 Arbeitnehmern, aus. Auch die Zahl der ABM-Beschäftigten wird übereinstimmend mit 19 und die der Teilnehmer der Sozialwerkstatt mit 16 angegeben. Die übrigen Zahlen betreffen Auszubildende und Teilnehmer an Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen.

Arbeitnehmer i. S. des § 106 Abs. 1 BetrVG sind die in § 5 Abs. 1 BetrVG genannten. Auf die Wahlberechtigung kommt es nicht an (Fitting-Kaiser-Heither-Engels-Schmidt, BetrVG, 20. Aufl., § 100 Rnr. 10). Nach § 5 Abs. 1 BetrVG sind Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 21.07.1993 (AP Nr. 8 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung) unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung festgestellt, dass Auszubildende dann nicht zur Belegschaft des Ausbildungsbetriebes gehören, wenn die praktische Berufsausbildung in einem reinen Ausbildungsbetrieb stattfindet. In einem solchen Betrieb sind die Auszubildenden selbst Gegenstand des Betriebszweckes und der betrieblichen Tätigkeit. Da sie nicht im Rahmen des auf Verschaffung einer Berufsausbildung gerichteten Betriebszwecks beschäftigt werden, sind sie nicht in den Betrieb eingegliedert und gehören deshalb auch betriebsverfassungsrechtlich nicht zu den Arbeitnehmern des Betriebes i. S. des § 5 Abs. 1 BetrVG. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung zwischenzeitlich mehrfach bestätigt (BAG vom 20.03.1996, AP Nr. 9 und 10 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung; BAG vom 12.09.1996, AP Nr. 11 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung). In der letztgenannten Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht auch klargestellt, dass eine überbetriebliche Ausbildung im fremden Auftrag und die Heranziehung zur praktischen Arbeit noch nicht zur erforderlichen Eingliederung in den Betrieb führt. Der Hinweis des Betriebsrats, der Arbeitgeber bilde Firmenlehrlinge im Auftrag von in der Region ansässigen Unternehmen aus, ist daher nicht entscheidungserheblich.

Ebenfalls keine Arbeitnehmer i. S. des § 5 BetrVG sind die Teilnehmer an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Erwachsene. Sie sind für die Frage der Eingliederung in den Betrieb nicht anders zu beurteilen, wie die Auszubildenden, die eine berufliche Erstausbildung erhalten. Gleiches gilt für die Teilnehmer an Maßnahmen der beruflichen Förderung sozial benachteiligter oder behinderter Jugendlicher. Es handelt sich dabei um eine Förderung, die der beruflichen Rehabilitation im Sinne des früheren § 56 AFG vergleichbar ist. Für diesen Personenkreis hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 26.01.1994 (AP Nr. 54 zu § 5 BetrVG 1972) die Arbeitnehmereigenschaft verneint.

Dahinstehen kann, ob die 19 Teilnehmer der Qualifizierungs-ABM und die 16 Teilnehmer der Sozialwerkstatt Arbeitnehmer i. S. des § 5 Abs. 1 BetrVG sind, denn unter Hinzurechnung der 52 Arbeitnehmer aus der Stammbelegschaft werden immer noch nicht mehr als 100 Arbeitnehmer erreicht. Es kann daher auch unentschieden bleiben, ob für die in der Sozialwerkstatt beschäftigten Sozialhilfeempfänger die vom Betriebsrat angezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.10.2000 (1 ABR 14/00) einschlägig ist. Diese Entscheidung liegt noch nicht mit Gründen versehen vor, das Bundesarbeitsgericht hat allerdings bereits mit seiner Entscheidung vom 05.04.2000 (AP Nr. 62 zu § 5 BetrVG 1972) für die für diesen Personenkreis geschaffenen Arbeitsgelegenheiten seine bisherige Rechtsprechung weitergeführt und darauf abgestellt, ob der Arbeitgeber mit der Beschäftigung einen eigenen Betriebszweck verfolgt oder ob die Beschäftigten selbst Betriebszweck sind. Letzteres ist für die Beschäftigten der Sozialwerkstatt anzunehmen.

Dass die im Rahmen der Jugendhilfe betreuten Jugendlichen Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes seien, hat auch der Betriebsrat nicht behauptet. Dies ist auch auszuschließen.

Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde gem. § 92 Abs. 1 i. V. mit § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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