Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 13.02.2001
Aktenzeichen: 5 Sa 156/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 138
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 92 Abs. 1 S. 1
ZPO § 92 Abs. 1 S 2
ZPO § 269 Abs. 3 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen, 3 Ca 526/98, vom 18.02.1999 wird insoweit abgeändert, als die Klage abgewiesen wird.

Die Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.925,01 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 05.10.1998 zu zahlen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Beklagte nicht 3/10, sondern 78/100.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch um die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung von Lehrgangskosten. Die Beklagte hat in der Zeit vom 18.09.1997 bis 15.05.1998 einen Lehrgang besucht, in dem sie zur Pflegedienstleiterin ausgebildet wurde. Die Lehrgangskosten beliefen sich auf 4.200,00 DM. Der Lehrgang umfasste insgesamt 430 Stunden und fand in dem betreffenden Zeitraum immer donnerstags und freitags während der Dienstzeit statt. Die auf den 28.01.1998 datierte schriftliche Vereinbarung zur Tragung der Lehrgangskosten hat die Beklagte nicht unterschrieben. Zwei Wochen nach Abschluss des Lehrgangs kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis und arbeitete zunächst im sozialen Zentrum. Bei dieser Einstellung war maßgeblich, dass sie über eine Ausbildung als Pflegedienstleiterin verfügte. Seit Mai 1999 ist die Beklagte selbständig und betreibt 15 km Entfernung von dem Betrieb der Klägerin einen eigenen Pflegedienst.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Rückzahlungsvereinbarung sei deshalb unwirksam, weil sie erst im Laufe der Fortbildungsmaßnahme getroffen worden sei und weil diese eine unangemessen lange Bleibefrist für die Beklagten enthalten habe, um eine Rückzahlung zu vermeiden.

Gegen dieses der Klägerin am 08.03.1999 zugestellte Urteil hat sie am 23.03.1999 beim Thüringer Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und die Berufung am 21.04.1999 begründet. In ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt. Die Rückzahlung der Fortbildungskosten sei vor Antritt der Fortbildungsmaßnahme vereinbart worden. Diese Vereinbarung habe lediglich am 28.01.1998 dokumentiert werden sollen. Es sei von Anfang die Absicht der Beklagten gewesen, auf Kosten der Klägerin eine höhere berufliche Qualifikation zu erwerben und dann ein neues Arbeitsverhältnis zu begründen. Der Umstand, dass das Bundesarbeitsgericht für Rückforderungsklauseln bestimmte Anforderungen aufgestellt habe, könne nicht dazu führen, dass die Rückforderungsklausel für gänzlich unwirksam erklärt werde, sondern diese müsse den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts angepasst werden. Das Verhalten der Berufungsbeklagten grenze an eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klägerin. Aus den Rechnungen des Fortbildungsträgers ergebe sich die Höhe der von der Klägerin aufgewendeten Lehrgangskosten.

Die Klägerin beantragte zuletzt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen, 3 Ca 526/98, wird insoweit aufgehoben, als darin die Klage abgewiesen wird.

2. Die Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Berufungsklägerin 3.925,01 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit hieraus zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bestreitet weiterhin das Vorliegen einer mündlichen oder schriftlichen Vereinbarung, aus der sich ergibt, dass die Beklagte die Lehrgangskosten zu erstatten habe. Im übrigen hätte die Berufungsbeklagte ihre Arbeitsaufgaben auch ohne Fortbildung ausführen können.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Arbeitsvertragsparteien vereinbaren, dass Ausbildungskosten, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer aufgewendet hat von diesem zurückzuzahlen sind, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Zahlungsverpflichtungen, die an die vom Arbeitnehmer ausgehende Kündigung anknüpfen, können das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 GG beeinträchtigen. Deshalb kommt es darauf an, ob den möglichen Nachteilen für den Arbeitnehmer ein angemessener Ausgleich gegenübersteht. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen. Die Rückzahlungspflicht muss vom Standpunkt eines verständigen Betrachters aus einem begründeten und zu billigenden Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Der Arbeitnehmer muss mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muss die Rückzahlungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Dabei kommt es u. a. auf die Dauer der Bindung, dem Umfang der Fortbildungsmaßnahme, die Höhe des Rückzahlungsbetrages und dessen Abwicklung an. Nach alledem ist es für die Interessenabwägung vorrangig, ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit der Aus- oder Weiterbildung ein geldwerten Vorteil erlangt. Eine Kostenbeteiligung ist dem Arbeitnehmer um so eher zuzumuten je größer der mit der Ausbildung verbundene berufliche Vorteil für ihn ist. Andererseits scheidet eine Beteiligung an Ausbildungskosten in der Regel dann aus, wenn die Interessen des Arbeitnehmers an der Ausbildung im Vergleich zu denen des Arbeitgebers gering sind (z. B. bei betriebsbezogenen Fortbildungsmaßnahmen, die nur den Zweck haben, vorhandene Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern). Eine Rückzahlungsverpflichtung ist dann mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Eine vernünftige Berücksichtigung der Arbeitgeberinteressen in dieser Form schließt das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nicht aus. Die für den Arbeitnehmer tragbaren Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägungen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Maßgeblich für die Beurteilung der Rückzahlungsverpflichtung ist der Zeitpunkt ihrer Vereinbarung (vgl. BAG, Urteil vom 13.11.1991, 5 AZR 105/91, nicht amtlich veröffentlicht, mit umfangreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts). Ist die vertraglich vereinbarte Bindungsdauer unzulässig lang, so ist sie entsprechend der vertraglichen Regelung auf ein angemessenes Maß zurückzuführen. Eine Lehrgangsdauer unter 12 Monaten rechtfertigt im Regelfall keine längere Bindung als 3 Jahre. Je nach Dauer des nach Abschluss der Weiterbildungsmaßnahme erfolgten Verbleibs des betroffenen Arbeitnehmers bei dem Arbeitgeber ist der Rückzahlungsbetrag zeitanteilig um die Zahl der Monate zu kürzen, die er nach Abschluss der Fortbildungsmaßnahme bei seinem Arbeitgeber verblieben ist (BAG, Urteil vom 11.04.1984, NZA 1984 S. 288 - 289, m. w. N.).

2. a) Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die Klägerin Anspruch auf Rückzahlung der von ihr für den Pflegedienstleiterlehrgang gezahlten Kosten in anteiliger Höhe von 3.925,01 DM. Aufgrund der Einlassung der Parteien in der Berufungsverhandlung und unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin mit der Beklagten vor ihrer Entsendung in den Pflegedienstleiterlehrgang eine Vereinbarung getroffen hat, nach der die Kosten des Lehrgangs von der Beklagten zu tragen waren, wenn sie vor Ablauf von 5 Jahren nach Abschluss der Weiterbildungsmaßnahme kündigt. Eine solche Vereinbarung muss nicht schriftlich abgeschlossen sein. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, die Beklagte habe die Vereinbarung vom 28.01.1998 unterschrieben, das unterschriebene Exemplar aber einbehalten. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung widerspruchsfrei und klar erklärt, dass sie die in dem Schreiben vom 28.01.1998 schriftlich getroffenen Festlegungen mit der Beklagten vor Entsendung in den Fortbildungslehrgang mündlich vereinbart hatte. Es gab auch keine sonstigen Anzeichen, den Wahrheitsgehalt der Aussage der Klägerin in Frage zu stellen. Ihre auf Rückfrage des Gerichts erfolgte Erklärung, der Grund dafür, dass diese Vereinbarung erst am 28.01.1998 schriftlich fixiert worden sei, sei in der betrieblichen Beanspruchung der Klägerin zu sehen. Im übrigen habe sie auch anlässlich des mündlichen Einvernehmens keinen Anlass gehabt, die schriftliche Fixierung der Vereinbarung zu forcieren, ist glaubhaft, weil sich zum Zeitpunkt des Lehrgangs an drei Tagen in der Woche nur noch die Klägerin als ausgebildete Pflegedienstleiterin im Betrieb befand und somit eine Aufgabenhäufung zwangsläufig eintrat. Die Aussage der Klägerin ist auch nach dem persönlichen Eindruck, den die Kammer von der Klägerin in der Berufungsverhandlung gewonnen hat, glaubwürdig. Sie steht auch nicht im Widerspruch zu den Begleitumständen des Streitfalles. Der Betrieb der Klägerin umfasste lediglich 10 Mitarbeiter/innen. Die Beklagte war die Stellvertreterin der Klägerin. Die Klägerin hat sie als ihre rechte Hand bezeichnet. Die Klägerin konnte in Anbetracht der für einen Kleinbetrieb erheblichen Lehrgangskosten und des Umstandes, dass der Lehrgang sich über 8 Monate hinzog, kein Interesse daran haben, hierfür eine Mitarbeiterin vorzusehen, der es nach Abschluss des Lehrgangs freigestellt war, das Arbeitsverhältnis zu beenden oder nicht. Bereits dies spricht dafür, dass vor Aufnahme des Lehrgangs auch über die Frage der nach Abschluss des Lehrgangs erfolgenden Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei der Klägerin gesprochen worden ist. Die Beklagte hat jedoch in beiden Instanzen lediglich den Abschluss der von der Klägerin behaupteten Vereinbarung bestritten. Eine Gegendarstellung des Inhalts der bzgl. der Fortbildungsveranstaltung, in deren Vorfeld mit der Klägerin geführten Gespräches fehlt. Dazu wäre die Beklagte aber nach § 138 ZPO verpflichtet gewesen.

b) Die Beklagte hat durch die Fortbildung zur Pflegedienstleiterin auch einen geldwerten Vorteil erlangt. Unerheblich ist es, dass der Besuch des Fortbildungslehrgangs auch im Interesse der Klägerin lag, weil diese nach ihrer in der Berufungsverhandlung erfolgten Aussage innerhalb von sieben Jahren auch für ihre Stellvertreterin den Nachweis eines Pflegedienstleiterlehrgangs erbringen mußte. Der geldwerte Vorteil der Qualifikation zum Pflegedienstleiter, liegt, wie sich schon aus der Bezeichnung ergibt, darin, dass die Voraussetzungen für eine leitende Tätigkeit vermittelt werden und leitende Tätigkeiten üblicherweise auch höher zu vergüten sind. Die Interessen der Beklagten an der Fortbildung zur Pflegedienstleiterin können danach im Vergleich zu denen der Klägerin auch nicht als gering eingestuft werden. Wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der Berufungsverhandlung unbestritten vorgetragen hat, war bei der nach der Kündigung bei der Klägerin erfolgten Beschäftigung im sozialen Zentrum der Besuch des Pflegedienstleiterlehrgangs maßgeblich. Für die Berufungskammer steht danach fest, dass die der Beklagten von der Klägerin gewährte Ausbildung zur Pflegedienstleiterin die beruflichen Chancen der Beklagten wesentlich verbessert hat. Dies stand auch schon zum Zeitpunkt der nach Überzeugung der Berufungskammer zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung fest.

c) Die in dieser Vereinbarung getroffenen unzulässig lange Bindungsdauer von 5 Jahren ist entsprechend der dem Streitfall zugrundezuliegenden Rechtsprechung auf ein angemessenes Maß, also auf drei Jahre, zurückzuführen. Der Rückzahlungsbetrag ist auf 3.925,01 DM zu kürzen. Dieser Betrag berechnet sich aus 4.200,00 DM Lehrgangskosten : 36 Monate x 1,5 Monate. Die Beklagte war nach Abschluss des Lehrgangs noch 1,5 Monate bei der Klägerin beschäftigt. Diese Zeit ist kostenanteilig von dem Rückzahlungsbetrag abzusetzen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO, 92 Abs. 1 S. 1 und S 2 ZPO, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Da die Klägerin in der Berufungsinstanz ihren ursprünglich gestellten Klageantrag von 4.083,33 DM auf 3.158,99 DM zurückgenommen hat, wäre sie insoweit gem. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Es handelt sich insoweit aber um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung der Klägerin, so dass die Kosten des Berufungsverfahrens nach § 92 Abs. 2 ZPO i. V. mit § 91 Abs. 1 ZPO insgesamt aufzuerlegen sind. Soweit über die im arbeitsgerichtlichen Urteil vorgenommene Kostenverteilung zu entscheiden ist, ist diese dahin abzuändern, dass die Beklagte von diesen Kosten nicht 3/10, sondern 78/100 trägt. Zunächst ist zu beanstanden, dass die Kostenentscheidung der ersten Instanz bereits auf der Basis des erstinstanzlichen Urteil fehlerhaft berechnet ist. Die Fehlerhaftigkeit ist aber nicht Gegenstand der Berufung gewesen, so dass das Berufungsgericht insoweit auch keine Korrektur vornehmen kann. Die im Berufungsurteil für die erstinstanzliche Entscheidung vorgenommene Kostenverteilung berücksichtigt nur die Abänderung des Arbeitsgerichtsurteils im Bereich der Klage. Sie berechnet sich wie folgt: Der Gesamtstreitwert zur Klage und Widerklage wurde im erstinstanzlichen Urteil 14.403,00 DM festgestellt. Die Beklagte obsiegte in Höhe von 2.879,00 DM. Insoweit ist das Urteil des Arbeitsgerichts mangels entsprechender Berufungserstreckung rechtskräftig geworden. Nach den Feststellungen der Berufungsinstanz obsiegt die Beklagte gemessen an der erstinstanzlichen Ausgangsbasis von 4.200,00 DM der Klage in Höhe von 274,99 DM (4.200,00 DM : 36 Monate x 1,5 Monate). Der aus Sicht der Berufungsinstanz erstinstanzlich korrekterweise festzulegende Betrag, der das Obsiegen der Beklagten widerspiegelt, betrug somit 1.153,99 DM. Von den erstattungsfähigen Kosten der ersten Instanz trägt die Beklagte danach 78/100 und die Klägerin 22/100.

III. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

Zurück