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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 15.01.2002
Aktenzeichen: 7 Sa 265/01
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
Im Streit über den Umfang des Direktionsrechts ist die vom Arbeitnehmer verweigerte Arbeitsaufnahme nur kündigungserheblich, wenn der Arbeitgeber die verlangte Arbeitsleistung konkretisiert.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Nordhausen vom 26.04.2001 - 3 Ca 84/01 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 19.01.2001.

Die Beklagte ist ein Bauunternehmen mit Betriebsstätte (Verwaltung und Bauhof) im thüringischen S.. Sie beschäftigte bei Kündigungsausspruch 31 Arbeitnehmer. Erstinstanzlich war unstreitig, daß ein Betriebsrat besteht. Der Kläger arbeitete dort jedenfalls ab 04.03.1991 - nach seiner Behauptung ab 01.08.1990 - gegen eine Stundenvergütung von zuletzt 23,72 DM brutto in der 39-Stunden-Woche. Die Parteien streiten darüber, ob er zuletzt als Polier (so der Kläger) oder als Vorarbeiter (so die Beklagte) beschäftigt wurde. Was genau sie darunter verstehen, ist offengeblieben. In den Lohnabrechnungen ist eine gewerbliche Tätigkeit ausgewiesen.

Im Oktober 2000 sollte der Kläger erstmals auf einer auswärtigen Baustelle - in H. - eingesetzt werden. Eine Auslöse wollte die Beklagte nicht zahlen. Der Kläger verweigerte deshalb den auswärtigen Einsatz. Mit der Begründung, eine Beschäftigungsmöglichkeit als Polier bzw. zweiter Polier gebe es nur in H., erklärte die Beklagte daraufhin mit Schreiben vom 30.10.2000 eine Änderungskündigung zum 28.02.2001, wonach der Kläger als Baufacharbeiter zu einem geringeren und noch auszuhandelnden Stundenlohn eingesetzt werden sollte. Der Kläger akzeptierte unter Vorbehalt und erhob am 13.11.2000 Änderungsschutzklage (Arbeitsgericht Nordhausen - 3 Ca 435/00). Nach Erkrankung und Urlaub wurde er zunächst mit Maurerarbeiten beschäftigt. Am 03.01.2001 erschien er weisungsgemäß am Betriebssitz, ging aber wieder. Sein Prozeßvertreter teilte der Beklagten mit Schreiben vom gleichen Tage mit (Bl. 37 d. A.), daß der Kläger sein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB ausübe, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 28.02.2001 nur die vertragsgemäß zustehenden Arbeitsaufgaben als Polier übernehme und Umlagerungsarbeiten auf dem Bauhof ablehne. Die Prozeßvertretung der Beklagten forderte den Kläger mit Schreiben vom 12.01.2001 nochmals zur Arbeitsaufnahme am 15.01.2001 auf und drohte andernfalls die fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung an (Bl. 38 d. A.). Der Kläger antwortete über seine Prozeßvertretung mit Schreiben vom gleichen Tag (Bl. 102 d. A.), bot seine Arbeitskraft als Polier an und erklärte, daß er die ihm am 03.01.2001 zugewiesenen Umlagerungsarbeiten ablehne. Die Beklagte antwortete mit Schreiben ihrer Prozeßvertretung vom 15.01.2001 (Bl. 40 d. A.) und stimmte darin zu, daß der Kläger als Baufacharbeiter erst ab dem 01.03.2001 eingesetzt werden könne, er allerdings nicht unberechtigt die Arbeitsaufnahme verweigern dürfe. Mit Schreiben vom 16.01.2001 (Bl. 42 d. A.) erfolgte eine ultimative Arbeitsaufforderung zum 17.01.2001, nachdem der Kläger am 15.01.2001 im Betrieb zwar erschienen aber wieder gegangen war. Mit Schreiben vom 19.01.2001 kündigte die Beklagte fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.04.2001 (Bl. 2/3 d. A.). Die Kündigung vom 19.01.2001 ging dem Kläger nicht vor dem 25.01.2001 zu.

Am 15.02.2001 hat der Kläger Klage auf Feststellung erhoben, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 19.01.2001 nicht aufgelöst wurde, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht. Das Arbeitsgericht hat dieser Klage mit Urteil vom 26.04.2001 antragsgemäß stattgegeben. Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird nach § 543 Abs. 1 ZPO ergänzend auf den Urteilstatbestand verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Kündigung wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG unwirksam sei. Mit Urteil vom gleichen Tage hat das Arbeitsgericht mit gleicher Begründung auch der Änderungsschutzklage stattgegeben. Die Beklagte hat gegen beide am 14.06.2001 zugestellten Urteile am 16.07.2001, einem Montag, Berufung einlegen lassen, die am 16.08.2001 begründet wurde. Die Berufung im Änderungsschutzverfahren (7 Sa 264/01) wurde in der Berufungsverhandlung am 15.01.2002 zurückgenommen.

Die Berufung behauptet, die Betriebsratswahl habe ad hoc auf dem Sommerfest 1998 stattgefunden. Dort sei der Mitarbeiter W. als Sprecher und der Kläger als Vertreter gewählt worden. Sie meint, dieser nichtig gewählte Betriebsrat habe nicht nach § 102 BetrVG angehört werden müssen. Die Kündigung vom 19.01.2001 sei wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung wirksam. Auf richterlichen Hinweis - zugegangen am 12.10.2001 - behauptet sie mit Schriftsatz vom 09.01.2002 ergänzend, der Kläger habe im Januar 2001 auch vertragsgemäß eingesetzt werden können, da er auf dem Betriebsgelände in S. die Schalungsarbeiten für eine Baustelle in R./Harz habe vorbereiten sollen, was eine originäre Vorarbeitertätigkeit sei. Da es - bis auf die Baustelle in H. - keine weiteren Baustellen gegeben habe, sei die Kündigung auch aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt. Demgemäß seien im Laufe des Jahres 2001 alle Arbeitnehmer entlassen worden mit Ausnahme der sechs, die in H. hätten eingesetzt werden können.

Die Berufung beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Nordhausen zu Aktenzeichen 3 Ca 84/01 vom 26.04.2001 wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, das Arbeitsgericht habe richtig entschieden, da die Betriebsratswahl nicht angefochten worden sei. Im übrigen sei ihm am 03.01. und 15.01.2001 keine vertragsgemäße Arbeit zugewiesen worden. Die Beklagte habe ihn warten lassen. Der mit Schriftsatz vom 09.01.2002 geführte neue Sachvortrag werde bestritten und sei verspätet.

Der Schriftsatz vom 09.01.2002 ging am gleichen Tag per Fax beim Landesarbeitsgericht ein, die Originalschriftsätze mit Durchschriften für die Gegenseite am 14.01.2002. Er wurde in der Berufungsverhandlung am 15.01.2002 übergeben. Die Verspätung begründete die Prozeßvertretung der Beklagten damit, daß Vergleichsverhandlungen geführt wurden.

Wegen des sonstigen Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg:

I. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich allein um eine Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG, mit der der Kläger sich gegen die Kündigung vom 19.01.2001 wendet. Soweit auch die Feststellung beantragt und ausgeurteilt wurde, daß das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit fortbesteht, handelt es sich um ein sogenanntes unselbständiges Anhängsel zur Kündigungsschutzklage und nicht um eine eigene Klage nach § 256 ZPO.

II. Die Kündigungsschutzklage ist auch begründet. Die Kündigung ist als außerordentliche und als ordentliche unwirksam.

1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht auf der Grundlage des ihm unterbreiteten Sachverhaltes § 102 BetrVG angezogen. Die Beklagte hatte eingeräumt, daß ein Betriebsrat besteht, der auch vor Ausspruch der Kündigung beteiligt wurde. Erstmals im Berufungsrechtszug macht sie geltend, daß die Betriebsratswahl nichtig ist. Ein nichtig gewählter Betriebsrat muß nicht nach § 102 BetrVG angehört werden, auch wenn der Arbeitgeber das Gremium beteiligt hat. Der Kläger ist der Behauptung, der Betriebsrat sei ad hoc auf dem Sommerfest 1998 bestellt worden, nicht substantiiert entgegengetreten, obwohl er dort selbst gewählt worden sein soll. Sein pauschales Bestreiten ist unbeachtlich. Der neue Vortrag ist also unstreitig, worauf das Gericht ausdrücklich hingewiesen hat, und erheblich, weil ein geradezu klassischer Fall für eine nichtige und nicht nur anfechtbare Betriebsratswahl vorliegt. Es wurde grob und offensichtlich gegen die gesetzlichen Wahlvorschriften verstoßen.

2. Für die Kündigung fehlt es aber sowohl als außerordentliche wie als ordentliche am Kündigungsgrund:

a. Die Klagefrist nach § 4 KSchG ist eingehalten, da die Beklagte einen früheren Kündigungszugangszeitpunkt als den vom Kläger eingeräumten 25.01.2001 nicht behauptet. Angegriffen ist die Kündigung vom 19.01.2001, also sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche. Der Kläger hat deutlich gemacht, daß er die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses verlangt.

b. Die fristlose Kündigung scheitert an § 626 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat die Arbeit im Januar 2001 nicht kündigungserheblich verweigert.

aa. Im rechtlichen Ansatz ist der Berufung zu folgen. Der Arbeitgeber weist die Arbeit im Rahmen seines Direktionsrechtes zu. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung ist an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen.

bb. Fehlt es aber an Arbeit, kann sie auch nicht vertragswidrig verweigert werden. Dazu läßt die Beklagte im Tatsächlichen widersprüchlich vortragen. Die Änderungskündigung vom 30.10.2000 wurde gerade damit begründet, daß der Kläger sich weigere in H. zu arbeiten und eine vertragsgemäß Beschäftigungsmöglichkeit - sei es nun als Polier oder als Vorarbeiter - auf anderen Baustellen nicht zur Verfügung stehe. Dementsprechend wurde im Änderungsschutzverfahren (7 Sa 264/01) mit Schriftsatz vom 31.03.2001, Seite 3 vorgetragen, daß der Kläger als Bauvorarbeiter nur auf der Baustelle in H. eingesetzt werden könne und es andere Einsatzmöglichkeiten zur Zeit nicht gebe und auch bei Ausspruch der Änderungskündigung nicht gegeben habe. Mit Schreiben vom 19.01.2001 war dem Kläger aber fristlos wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung gekündigt worden. Das Berufungsgericht wies die Beklagte auf diesen Widerspruch hin. Der Hinweis ging ihr am 12.10.2001 zu, eine Reaktion erfolgte mit Schriftsatz vom 09.01.2002. Jetzt wird erstmals behauptet, der Kläger habe im Januar 2001 doch als Vorarbeiter eingesetzt werden und für eine Baustelle in R./Harz die Verschalungsarbeiten vorbereiten können. Auf die vom Kläger zu Recht gerügte Verspätung kommt es nicht an, weil es an der Erheblichkeit fehlt.

cc. Ob eine beharrliche Arbeitsverweigerung vorliegt, kann nur aus einem Vergleich der vertraglich geschuldeten mit der vom Arbeitgeber konkret verlangten und vom Arbeitnehmer verweigerten Arbeitsleistung festgestellt werden. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers wird vom Arbeitsvertrag begrenzt. Maßgeblich ist also, ob sich die verlangte Arbeitsleistung im Rahmen der vom Arbeitsvertrag bestimmten Grenzen hält (APS-Dörner, 1. Aufl. 2000, § 1 KSchG Rz. 282). Eine nicht geschuldete also nicht rechtmäßig zugewiesene Arbeit darf verweigert werden. Streiten die Parteien über die Rechtmäßigkeit einer Arbeitsanweisung und geht der Arbeitnehmer irrtümlich von einem Zurückbehaltungsrecht aus, trägt er das Irrtumsrisiko. Allerdings ist dieser Irrtum in die stets notwendige Interessenabwägung einzustellen (a. a. O. Rz. 286).

Die Beklagte wußte, daß der Kläger bis zum Ablauf der Änderungskündigungsfrist am 28.02.2001 zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen war. Lagerarbeiten mußte er auch dann nicht übernehmen, wenn er Bauvorarbeiter und nicht Polier war. Die Berufung trägt demgemäß vor, daß solche Lagerarbeiten nicht zugewiesen werden sollten. Dann hätte es aber nahegelegen, den beim Kläger aus Sicht der Beklagten vorliegenden Irrtum aufzuklären und die Arbeitsanweisung zu konkretisieren. Um so mehr deshalb, als die Beklagte ihre Änderungskündigung gerade auf das Fehlen einer vertragsgemäßen Beschäftigungsmöglichkeit - nach ihrer Behauptung als Vorarbeiter - gestützt hatte. Statt das Mißverständnis aufzuklären und die Arbeitsanweisung mit Blick auf die allerdings erst ein Jahr später behauptete Vorarbeitertätigkeit für die Baustelle in R. zu konkretisieren, verlangte die Beklagte die Arbeitsaufnahme. Anwaltsschriftsätze wurden ausgetauscht. Welche Arbeit aufgenommen werden sollte, blieb aber offen, obwohl gerade darüber gestritten wurde. Es drängt sich der Eindruck auf, daß der Streit auf die Spitze getrieben werden sollte, um den aus Sicht der Beklagten nicht kooperativen Kläger los zu werden. An einer kündigungserheblichen beharrlichen Arbeitsverweigerung fehlt es schon deshalb, weil die Beklagte ihr Direktionsrecht aus dem Arbeitsvertrag nicht konkretisierte und keine bestimmte Arbeit zuwies, deren Rechtmäßigkeit der Kläger mit Blick auf seine bis 28.02.2001 geschuldete Tätigkeit hätte prüfen können.

c. Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

aa. Eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung scheitert aus den gleichen Gründen wie die darauf gestützte fristlose Kündigung.

bb. Der mit Schriftsatz vom 09.01.2002 erstmals geltend gemachte betriebsbedingte Kündigungsgrund leidet daran, daß der Kläger nach eigener Einlassung der Beklagten auf der Baustelle in H. hätte eingesetzt werden können. Er war auch bereit nach H. zu gehen, allerdings gegen Zahlung der tariflichen Auslöse. War der Kläger aber nach Behauptung der Beklagten gewerblicher Arbeitnehmer (Bauvorarbeiter), greift § 7 Nr. 4.1 des allgemeinverbindlichen BRTV für das Baugewerbe. Der Kläger hat den angesonnenen Einsatz ohne Zahlung einer Auslöse nicht rechtswidrig verweigert. Daraus können ihm keine Nachteile erwachsen.

b. Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung hat die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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