Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 14.11.2000
Aktenzeichen: 8 Ta 134/2000
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, BRAGO, GKG


Vorschriften:

ZPO § 5
ZPO § 308
ArbGG § 12 Abs. 7
ArbGG § 54 Abs. 5
BRAGO § 9 Abs. 1
GKG § 15 Abs. 2
GKG § 25 Abs. 3
GVG § 25 Abs. 2
GKG § 25 Abs. 2 S. 2
GKG § 19 Abs. 1 S. 2
GKG § 25 Abs. 4 S. 1
1. Wird eine zeitnah (bis zu sechs Monaten) zur ersten Kündigung ausgesprochene zweite Kündigung auf einen verschiedenartigen Lebenssachverhalt gestützt, erfordern die Gesichtspunkte der fehlenden wirtschaftlichen Identität beider Streitgegenstände und des erhöhten Arbeitsaufwandes für Gericht und Prozessvertreter, dass für diese zweite Kündigung ein gesonderter Regelwert nach § 12 Abs. 7 ArbGG angesetzt wird, der mit dem Regelwert für die erste Kündigung nach § 5 ZPO zusammenzurechnen ist (Ergänzung zum Beschluss der Beschwerdekammer vom 23.10.1996, 8 Ta 109/96, LAGE § 12 ArbGG, Streitwert, Entscheidung 107).

2. Im Beschwerdeverfahren nach § 25 Abs. 3 GKG besteht weder eine Bindung an den gestellten Antrag i. S. des § 308 ZPO noch greift das sog. Verschlechterungsverbot ein.

3. Ist weder die Ausstellung noch der Inhalt eines noch zu erteilenden Zwischenzeugnisses streitig, beschränkt sich das Interesse des Klägers am Obsiegen mit einem - formularmäßig gestellten - Antrag auf das sog. Titularinteresse. Ein solcher Antrag erscheint mit DM 500,00 angemessen bewertet zu sein.


Tenor:

wird der Festsetzungsbeschluß des Arbeitsgerichts Gera vom 21.08.2000 - 7 Ca 201/2000 - in der Fassung des Abänderungsbeschlusses vom 17.10.2000 teilweise abgeändert.

Der Verfahrenswert wird auf DM 18.364,00 festgesetzt.

Gründe:

I

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit wandte sich der Kläger mit der am 27.01.2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen eine ihm gegenüber am 06.01.2000 zum 09.01.2000 aus witterungsbedingten Gründen ausgesprochene ordentliche Kündigung und beantragte die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis der klägerischen Partei durch die schriftliche Kündigung der Beklagtenpartei vom 06.01.2000, zugegangen am 08.01.2000, zum 09.01.2000 nicht aufgelöst worden sei. Desweiteren beantragte er die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 09.01.2000 hinaus fortbestehe, und begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Ausstellung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses, hilfsweise eines qualifizierten Zeugnisses.

Mit Schriftsatz vom 23.02.2000 wandte sich der Kläger zusätzlich gegen eine am 07.02.2000 von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung, die auf Arbeitsverweigerung gestützt wurde, und begehrte festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der klägerischen Partei durch die schriftliche Kündigung der Beklagtenpartei vom 07.02.2000, zugegangen am 10.02.2000, nicht aufgelöst worden sei. Darüber hinaus begehrte er erneut die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 10.02.2000 hinaus fortbestehe, sowie die Verurteilung der Beklagten zur Herausgabe von zwei ordnungsgemäß ausgefüllten Papieren, nämlich der Arbeitgeberbescheinigung zum Erziehungsgeldantrag und der Arbeitgeberbescheinigung zur Einkommenssteuererkärung 1999.

Angesichts der Dauer der Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten und angesichts der Zahl der dort Beschäftigten war auf das Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz anwendbar; der Kläger erhielt zuletzt einen monatlichen Bruttoverdienst von DM 2.854,00.

Nachdem im Termin zur Güteverhandlung vom 29.03.2000 wegen anscheinend erfolgreicher Vergleichsgespräche keine Partei erschienen war, ordnete der Kammervorsitzende gem. § 54 Abs. 5 ArbGG das Ruhen des Verfahrens an.

Mit Beschluß vom 21.08.2000 setzte er nach Anhörung der Beteiligten den Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren nach § 15 Abs. 2 GKG auf DM 11.556,40 fest, wobei er für beide Kündigungen drei Bruttomonatsgehälter und für den Zeugnisanspruch ein Bruttomonatsgehalt ansetzte und von einer monatlichen Bruttovergütung von DM 2.889,10 ausging.

Mit Schriftsatz vom 05.09.2000 legte die Klägervertreterin gegen den Beschluß Beschwerde ein und begehrte die Festsetzung auf insgesamt sechs Monatsgehälter, nämlich auf drei Gehälter für den Feststellungsantrag gegen die witterungsbedingte Kündigung, auf zwei Gehälter für den Feststellungsantrag gegen die außerordentliche Kündigung und auf ein Gehalt für den Zeugnisantrag.

Die Beschwerdeführerin beantragte,

den Streitwert auf DM 17.367,00 festzusetzen.

Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten beantragte,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Mit Abänderungsbeschluß vom 17.10.2000 änderte das Arbeitsgericht den Wertfestsetzungsbeschluß vom 21.08.2000 teilweise ab und setzte den Wert des Streitgegenstandes auf DM 12.078,67 fest. Dabei ging das Arbeitsgericht weiterhin von drei Monatsgehältern in Höhe von DM 2.894,67 für die Kündigungsschutzanträge und von einem Monatsgehalt für den Zeugnisanspruch aus und setzte zusätzlich für den Antrag auf Herausgabe der Arbeitspapiere DM 500,00 an.

Im übrigen half es der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Beschwerdegericht vor.

II

Die nach § 25 Abs. 3 GKG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und damit insgesamt zulässige Beschwerde ist begründet und führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur teilweisen Abänderung des angefochtenen Beschlusses und zur Neufestsetzung des Verfahrenswertes.

Im einzelnen gilt folgendes:

1.

Da der nach § 25 Abs. 2 GVG festgesetzte Verfahrenswert innerhalb des zeitlichen Rahmens von S. 3 vom Arbeitsgericht oder vom Beschwerdegericht nach § 25 Abs. 2 S. 2 GKG jederzeit abgeändert werden kann und da diese Abänderung nach § 9 Abs. 1 BRAGO auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend ist, besteht im Beschwerdeverfahren nach § 25 Abs. 3 GKG weder eine Bindung an die gestellten Anträge nach § 308 ZPO, noch greift das sog. Verschlechterungsverbot ein. Das Beschwerdegericht kann also sowohl einen höheren als den beantragten Wert wie auch einen den vom Arbeitsgericht festgesetzten Wert unterschreitenden Wert festsetzen (vgl. Thüringer Landesarbeitsgericht Beschluß vom 04.09.1997 - 8 Ta 143/97 -; Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluß vom 23.04.1999 - 15/6 Ta 426/98 - NZA-RR 99, 382; OLG Köln Beschluß vom 22.03.1996 Juristisches Büro 96, 476; Brandenburgisches OLG Beschluß vom 18.06.1996 Juristisches Büro 97, 196; Wenzel in GK-ArbGG § 12 Rz. 204 m. w. N.).

2.

Den Wert für die gegen die ordentliche Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht zutreffend gem. § 12 Abs. 7 ArbGG auf das dreifache monatliche Bruttogehalt des Klägers festgesetzt. Dabei ist nach der offensichtlich zutreffenden Angabe der Beschwerdeführerin von einem Gehalt von DM 2.894,00 auszugehen, so daß für diesen Feststellungsantrag ein Wert von DM 8.682,00 anzusetzen ist.

3.

Der gleiche Wert ist für den mit der Klageerweiterung eingeführten, die fristlose Kündigung betreffenden Feststellungsantrag festzusetzen.

Hinsichtlich der Bewertung einer zeitnah zur ersten Kündigung ausgesprochenen zweiten Kündigung hat das Beschwerdegericht seit der ausführlich begründeten Entscheidung vom 23.10.1996 (8 Ta 109/96 - LAGE § 12 ArbGG Streitwert, Entscheidung 107) in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz aufgestellt, daß die zweite in einem zeitnahen Zusammenhang und wegen des gleichen Lebenssachverhaltes vorsorglich ausgesprochene Kündigung wegen wirtschaftlicher Identität mit dem auf die erste Kündigung bezogenen Klageantrag nicht mit dem Regelwert des § 12 Abs. 7 ArbGG bewertet werden kann, sondern daß der Wert für diesen auf die zweite Kündigung bezogenen Klageantrag regelmäßig mit einem Monatsgehalt des Klägers anzusetzen ist, und zwar unabhängig davon, ob durch die zweite Kündigung der beabsichtigte Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses um einige Monate verschoben wird (im Grundsatz gleicher Auffassung Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluß vom 21.01.1999 - 15/6 Ta 630/98 - LAGE a. a. O. Entscheidung 116; anderer Auffassung BAG Beschluß vom 06.12.1984 EzA § 12 ArbGG Streitwert Nr. 34, LAG München Beschluß vom 10.07.2000 - 3 Ta 326/2000 - MDR 2000, 1254: für beide Kündigungen nur ein Regelwert; LAG Sachsen-Anhalt Beschluß vom 20.09.1995 - 1/3 Ta 93/95 - LAGE a. a. O. Entscheidung 104, LAG Hamburg Beschluß vom 08.02.1994 - 4 Ta 20/93 - NZA 94, 494: für jede Kündigung ein Regelwert).

Zur näheren Begründung dieser Auffassung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Beschluß vom 23.10.1996 Bezug genommen.

Eine Bewertung der zweiten zeitnah ausgesprochenen Kündigung mit dem vollen Regelwert ist nach Auffassung der Beschwerdekammer (anderer Auffassung Hessisches Landesarbeitsgericht a. a. O.) dann geboten, wenn die zweite Kündigung wegen eines anderen Lebenssachverhaltes ausgesprochen wird.

Denn dadurch wird ein anderer Streitgegenstand zur Entscheidung des Gerichts gestellt; der enge Zusammenhang zwischen beiden Kündigungen wird durch die verschiedenartige Begründung so gelockert, daß bei Kündigungen nicht mehr als eine Einheit angesehen werden können und keine wirtschaftliche Identität beider Streitgegenstände (mehr) besteht. Darüber hinaus darf als ergänzender Gesichtspunkt nicht völlig außer Betracht bleiben, daß die Bearbeitung dieser zweiten Kündigung eben wegen des gänzlich anderen Sachverhaltes, aus dem sie hergeleitet wird, sowohl für das Gericht wie auch für die beteiligten Prozeßbevollmächtigten einen zusätzlichen Arbeitsaufwand erfordern, der typischerweise genauso groß ist wie der Bearbeitungsaufwand für die erste Kündigung. Für die zweite Kündigung sollte deshalb ein gesonderter Regelwert angesetzt werden, der nach § 5 ZPO mit dem Regelwert für die erste Kündigung zusammenzurechnen ist (so auch LAG Hamburg Beschluß vom 15.11.1994 - 1 Ta 7/94 - LAGE a. a. O. Entscheidung 102).

Da vorliegend die beiden angegriffenen Kündigungen aus gänzlich verschiedenen Sachverhalten hergeleitet worden sind, ist nach diesen Grundsätzen für die zweite Kündigung ebenfalls der Regelwert anzusetzen.

4.

Der allgemeine Feststellungsantrag ist entsprechend den vom Beschwerdegericht im Beschluß vom 03.06.1996 (8 Ta 76/96 - LAGE a. a. O. Entscheidung 106) aufgestellten Grundsätzen, auf die verwiesen wird, vorliegend nicht gesondert zu bewerten (zustimmend zu dieser Rechtsprechung LAG Niedersachsen Beschluß vom 18.04.199.. - 7 Ta 41/97 - AE Jahrbuch 1997, Nr. 737; LAG Köln Beschluß vom 08.09.1998 - 4 Ta 207/98 - LAGE a. a. O. Nr. 115; Hessisches LAG Beschluß vom 21.01.1999 - 15 Ta 630/98 - a. a. O.; LAG Bremen Beschluß vom 29.03.2000 - 4 Ta 15/2000 - LAGE a. a. O. Entscheidung 120).

5.

Den Antrag auf Herausgabe der beiden ordnungsgemäß ausgefüllten Bescheinigungen hat das Arbeitsgericht zutreffend mit DM 500,00 bewertet.

Ungeachtet besonderer Konstellation, die eine Werterhöhung erfordern könnten, geht das Beschwerdegericht in ständiger Rechtsprechung für den Regelfall davon aus, daß der nicht bestrittene Anspruch auf Herausgabe eines Arbeitspapiers mit DM 250,00 anzusetzen ist (vgl. Beschluß vom 15.03.1999 - 8 Ta 23/99 - n. v.; ebenso Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluß vom 23.04.1999 a. a. O.).

Vorliegend begehrte der Kläger die Herausgabe zweier unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht besonders bedeutsamer Papiere; den Anspruch hat die Beklagte offensichtlich nicht bestritten, es bestand auch kein Streit über den Inhalt dieser Papiere.

Ein nach § 5 ZPO zusammengerechneter Wert von DM 500,00 erscheint für den Herausgabeanspruch deshalb sachgerecht.

6.

Der Wert für den Antrag auf Ausstellung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses kann entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und des Arbeitsgerichts nur mit DM 500,00 angesetzt werden.

Dabei bedarf es keines Eingehens auf die zwischen den Beschwerdekammern der Landesarbeitsgerichte streitigen Frage, wie hoch der Wert eines solchen Anspruchs zu bemessen ist, wenn die Parteien über die Frage, ob ein solcher Anspruch überhaupt besteht, bzw. über die Frage, welchen Inhalt ein solches Zeugnis haben soll, streiten (ein Monatsgehalt: LAG Düsseldorf Beschluß vom 19.08.1999 - 7 Ta 238/99 - LAGE § 3 ZPO Entscheidung 10, LAG Hamburg Juristisches Büro 98, 1158; halbes Monatsgehalt: LAG Hamm Beschluß vom 23.02.1989 MDR 89, 572, Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluß vom 25.08.1999 - 15 Ta 99/99 - n. v.; vgl. Wenzel a. a. O. Rz. 190 m. w. N. aus der Rechtsprechung).

Denn vorliegend haben die Parteien weder über die Ausstellung eines solchen Zeugnisses noch über dessen Inhalt gestritten. Das Interesse des Klägers am Obsiegen mit diesem - formularmäßig gestellten - Antrag beschränkt sich also auf das sog. Titulierungsinteresse. Es erscheint angemessen, den Streitwert für den Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses in einem solchen Falle mit DM 500,00 anzusetzen (ebenso LAG Hamburg Beschluß vom 12.01.1998 - 4 Ta 28/97 - LAGE § 3 ZPO Entscheidung 9 mit ausführlicher und zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird).

7.

Der hilfsweise gestellte Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses ist gem. § 19 Abs. 1 S. 2 GKG nicht gesondert zu bewerten.

Nach alledem ist der Verfahrenswert in teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung auf DM 18.364,00 festzusetzen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gem. § 25 Abs. 4 S. 1 GKG gebührenfrei.

Gegen diesen Beschluß ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 78 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

Zurück