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Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 17.09.1997
Aktenzeichen: 9 Sa 768/95
Rechtsgebiete: BAT-O, BGB


Vorschriften:

BAT-O § 70
BGB § 126
1) Maschinell erstellte Gehaltsabrechnungen ohne eigenhändige Unterschrift, die ein Minussaldo aufweisen, erfüllen nicht das Schriftformerfordernis des § 70 BAT-O.

2) Eine Berufung auf die Anschlussfrist des § 70 BAT-O ist in diesen Fällen nicht rechtsmissbräuchlich, wenn nicht besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen.


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 10.10.1995 (Az.: 6 Ca 697/94) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung einer Zuwendung wegen vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens und der dort gestellten Anträge der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Erfurt vom 10.10.1995 verwiesen (Bl. 30 - 32 d. A.).

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Arbeitsgericht Erfurt die Klage abgewiesen. Es bestehe unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der der Beklagten im November 1992 gezahlten Zuwendung in Höhe von DM 1.698,26 netto. Selbst wenn man den Rückzahlungsanspruch auf § 1 Abs. 5 des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Angestellte vom 10.12.1990 (TV-ZuwendungAng-O) stützen wolle, woran das Arbeitsgericht wegen der fehlenden Tarifbindung der Beklagten Zweifel habe, sei der Rückzahlungsanspruch des Klägers gem. § 70 BAT-O verfallen. Für den Zugang des Rückforderungsschreibens vom 02.02.1993 habe der Kläger keinen Beweis anbieten können. Die der Beklagten zugegangenen maschinell erstellten Gehaltsabrechnungen aus dem Jahr 1993 erfüllten nicht die tarifvertraglich vorgesehene Schriftform, da die Abrechnungen entgegen § 126 BGB nicht eigenhändig vom Aussteller durch Namensunterschrift unterzeichnet worden seien. Ein Rückzahlungsanspruch aus § 812 bestehe nicht, da die Beklagte nicht mehr entreichert sei, § 818 Abs. 3 BGB.

Wegen des weiteren Inhalts des arbeitsgerichtlichen Urteils wird auf Blatt 30 - 35 der Akte verwiesen.

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 02.11.1995 zugestellt. Er hat hiergegen mit am 23.11.1995 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.01.1996 mit am gleichen Tage eingehenden Schriftsatz begründet.

Zur Begründung trägt der Kläger vor, die der Beklagten ab Januar 1993 monatlich von der Klägerin maschinell erstellten Gehaltsabrechnungen wiesen als Korrekturbetrag den Bruttobetrag der Zuwendung 1992 aus. Es sei zwar zutreffend, dass das Schriftformerfordernis i. S. des § 126 BGB nicht eingehalten sei, dies sei jedoch nicht erforderlich. Der Kläger bediene sich bei den Gehaltsabrechnungen und Rückforderungsbescheiden wegen der Vielzahl der Vorfälle einer maschinellen Einrichtung. Die mit Hilfe dieser automatischen Einrichtung erstellten Erklärungen bedürften nach Treu und Glauben einer eigenhändigen Unterschrift nicht, denn sämtliche von dem Kläger erstellten Gehaltsabrechnungen wiesen diese Unterschrift nicht auf Sie hätten der Beklagten hinreichend deutlich gemacht, dass eine Überzahlung in der geforderten Höhe erfolgt sei, so daß eine ordnungsgemäße Geltendmachung vorliege, die die Ausschlussfrist unterbreche.

Im Übrigen sei auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht der BAT-O, sondern der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts für Arbeiter an den MTB II und an den MTL II (MTArb-O) vom 10.12.1990 anwendbar, da mit der Beklagten ein Arbeitsvertrag geschlossen worden sei. § 72 MTArb-O verlange aber keine schriftliche Geltendmachung, so daß die nicht unterschriebenen Korrekturbescheide den Anforderungen einer Geltendmachung genügen würden.

Die Entreicherung sei durch die Beklagte entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht hinreichend dargelegt worden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf Blatt 62 - 76 der Akte verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 10.10.1995 - Az.: 6 Ca 697/94 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin DM 1.698,26 netto nebst 4 % Zinsen seit dem 17.12.1994 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es sei unzutreffend, dass der MTArb-O anwendbar sei, da die Klägerin unstreitig als Sekretärin im Thüringer Ministerium für ... gearbeitet habe. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag den BAT-O nicht in Bezug genommen habe, so daß Tarifrecht ohnehin keine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien finde und es mithin an einer Anspruchsgrundlage für den Rückforderungsanspruch fehle. Sollte dies dennoch der Fall sein, so erfüllten die der Beklagten nach dem 01.01.1993 zugesandten Gehaltsabrechnungen, die lediglich ein Minussaldo aufwiesen, weder die Anforderung des § 72 MTArb-O, da sie nicht als Geltendmachung in diesem Sinne zu verstehen seien, noch das Schriftformerfordernis des § 70 BAT-O.

Hinsichtlich des vorgebrachten Einwandes der Entreicherung legt die Beklagte dar, sie habe von der gezahlten Zulage Weihnachtsgeschenke für die Familie erworben, für die sie insgesamt mehr als DM 1.700,00 ausgegeben habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf Blatt 79 - 85 d. A. verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet, das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger hat entgegen § 70 BAT-O die Rückforderung nicht in der dort vorgesehenen schriftlichen Form geltend gemacht.

1.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden sowohl der TV-ZuwendungAng-O als auch der BAT-O Anwendung.

Der mehrseitige formularmäßige Arbeitsvertrag, durch dessen partielles Ausfüllen die Parteien am 27.03.1991 eine sie betreffende Vereinbarung geschlossen haben, sieht in § 3 Folgendes vor:

"Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses finden mit den Maßgaben des Einigungsvertrages die Arbeitsbedingungen Anwendung, die am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gegolten haben. Die für den öffentlichen Dienst im Übrigen Bundesgebiet bestehenden Arbeitsbedingungen gelten erst, wenn und soweit die Tarifvertragsparteien das vereinbaren."

Eine solche Vereinbarung der Tarifvertragsparteien liegt mit Abschluss des BAT-O vom 10.12.1990 vor.

Es ist zwar zutreffend, dass dieser Vertrag schon zum Zeitpunkt des Ausfüllens und Unterzeichnens des arbeitsvertraglichen Formulars zwischen den Parteien vereinbart war. Ein Auslegung der fraglichen Vereinbarung des Einzelarbeitsvertrages ergibt jedoch, dass die Vertragsparteien hier keineswegs nur auf diejenigen "für den öffentlichen Dienst im übrigen Bundesgebiet bestehenden Arbeitsbedingungen" abstellen wollten, die ausdrücklich erst nach diesem Vertragsschluss vereinbart werden würden. Entsprechend den einheitlichen Gepflogenheiten im öffentlichen Dienst ist hier eine einzelvertragliche Übernahme der tariflichen Vereinbarungen geregelt worden. Die zeitliche Bedingung "wenn" und die inhaltliche Bedingung "soweit" begrenzen die Bezugnahme. Dabei ist nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil als Möglichkeit auch einbezogen, dass diese Bedingungen für bestimmte tarifvertraglich geregelte Bereiche auch vor Abschluss des Arbeitsvertrages in Kraft getreten sind, mithin die entsprechenden Vereinbarungen tarifvertraglich schon getroffen worden sind. Insoweit sollen sie eben auch Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob dies nur auf diejenigen Bedingungen erstreckt werden soll, die in den Altbundesländern bestanden und in den neuen Ländern übernommen worden sind oder ob auch abweichende Vereinbarungen in den neuen Bundesländern Geltung entfalten sollten. Denn hier die maßgebliche Vorschrift des § 70 BAT-O ist wortgleich im § 70 BAT (West) enthalten.

Die Klägerin hat als Sekretärin, mithin als Angestellte gearbeitet, weshalb für sie der BAT-O Anwendung findet.

2.

Die vom Kläger erstellten maschinellen Gehaltsabrechnungen erfüllen nicht das Schriftformerfordernis des § 70 BAT-O.

Bei der in § 70 BAT-O vorgesehenen Schriftform handelt es sich um eine i. S. von § 126 Abs. 1 BGB durch Gesetz vorgeschriebene Form, so daß eine dieser Form nicht entsprechende Geltendmachung wegen Verstoßes gegen eine gesetzliche Formvorschrift nach § 125 S. 1 BGB unwirksam ist (BAG, Urteil vom 09.01.1972, AP Nr. 1 zu § 4 BAT; Uttlinger/Breier/Hoffmann/Kiefer/Pühler, BAT, Stand: Mai 1997, § 70 Erläuterung 9 a).

§ 126 Abs. 1 BGB setzt die eigenhändige Unterzeichnung der Urkunde durch Namensunterschrift voraus. Eine solche weisen die maschinell erstellten Gehaltsabrechnungen nicht aus.

Zwar bedeutet die Notwendigkeit eigenhändiger Unterschrift im heutigen Massenrechtsverkehr oftmals eine Behinderung in der zügigen Geschäftsabwicklung, weshalb der Gesetzgeber vereinzelt den Bedürfnissen neuzeitlicher Bürotechnik Rechnung durch ausdrücklichen Verzicht auf eigenhändige Unterschrift getragen hat, so z. B. § 793 Abs. 2 BGB, § 8 MIHG etc. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass über diese gesetzlich geregelten Fälle hinaus von der Notwendigkeit eigenhändiger Unterschrift nicht abgesehen werden darf (MK-Förschler, BGB, 3. Aufl. 1993, § 126 Rnr. 23).

3.

Der Einwand der Ausschlussfrist ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar ist es prinzipiell möglich, dass die Berufung auf die Nichteinhaltung einer tariflichen Schriftform eine unzulässige Rechtsausübung darstellen kann (vgl. z. B. Einzelfall in BAG, Urteil vom 16.5.1972, AP Nr. 11 zu § 4 TVG m. Anm. Kraft).

Hier muss es sich aber um ganz besonders gelagerte Ausnahmefälle handeln. Die Berufung einer Partei auf die Formnichtigkeit ist für sich allein weder arglistig noch verstößt sie gegen Treu und Glauben. Die Rechtssicherheit verlangt, dass grundsätzlich ein Verstoß gegen die kraft Gesetzes oder Tarifvertrages als Voraussetzung der Rechtswirksamkeit gegebene Formvorschriften zur Rechtsunwirksamkeit des Rechtsgeschäfts führt und dass diese Folge auch von den Parteien des Rechtsgeschäfts hingenommen werden muss. Die zu weit gehende Anerkennung des Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung gegen die Berufung auf gesetzliche oder tarifvertragliche Formvorschriften führt letztlich dazu, dass entgegen dem im Gesetz oder Tarifvertrag zum Ausdruck gekommenen Willen der Verstoß gegen die Formvorschriften unbeachtet bleibt und damit eine Folge eintritt, die der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien gerade nicht eintreten lassen wollten (BAG, Urteil vom 15.11.1957, BAGE 5, 58, 63 AP Nr. 2 zu § 125 BGB).

Danach ist eine Berufung auf einen Rechtsmissbrauch etwa dann möglich, wenn der Schuldner dem Gläubiger die Einhaltung der Schriftform unmöglich macht oder der Gläubiger auf Grund von Zusicherungen des Schuldners davon ausgehen durfte, dass dieser auch ohne Einhaltung der Schriftform leisten würde (BAG Urteil vom 9.11.1973, BAGE 25, 371, 374 = AP Nr. 77 zu §§ 22, 23 BAT; vgl. auch Clemens/Scheu-ring/Steingen/Wiese, BAT, Std.: Juli 1997, § 70 Erl. 10 m. w. N.).

Ein solcher Sonderfall liegt hier nicht vor. Der Beklagen könnte allenfalls "zur Last gelegt werden", dass sie durch die Gehaltsabrechnungen Kenntnis von der Überzahlung gehabt habe. Dies reicht für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf den Einwand der Formnichtigkeit nicht aus; denn die bloße Kenntnis eines gegnerischen Anspruchs wäre auch durch eine mündliche Mitteilung zu verschaffen, so daß die Formvorschrift letztlich, wie dargelegt völlig leerliefe. Gerade dies aber haben die Tarifvertragsparteien des BAT-O nicht gewollt (so auch BAG Urteil v. 28.1.1970, AP Nr. 1 zu § 70 BAT).

4.

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen, weil er mit seinem Rechtsmittel erfolglos blieb, § 97 ZPO.

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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