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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 28.05.2003
Aktenzeichen: 1 SA 4/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 181
BGB § 1693
BGB § 1697
BGB § 1779
BGB § 1795 Abs. 1
BGB § 1795 Abs. 2
BGB § 1909
BGB § 1915 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 37 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 SA 4/03

In der Familiensache

betreffend den minderjährigen S., geb. am 28.12.1988, wohnhaft:

wegen Ergänzungspflegschaft

hat der 1. Senat für Familiensachen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dunisch, Richterin am Oberlandesgericht Martin, Richter am Oberlandesgericht Mummert

am 28.05.2003

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Erfurt wird als zuständiges Gericht für das weitere Verfahren (förmliche Bestellung und Genehmigung von Handlungen des Pflegers) bestimmt.

Gründe:

Mit Antrag vom 25.09.2000 hat der in Erfurt geschäftsansässige Notar um die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung eines von ihm beurkundeten Grundstückskaufvertrages nachgesucht, durch den der Vater des minderjährigen Beteiligten als Mitglied einer Erbengemeinschaft den Verkauf eines Grundstückes vorgenommen hat, jedoch zugunsten dessen Sohnes, des Beteiligten, ein Nacherbenvermerk im Grundbuch eingetragen ist. In der Vorlage war darauf hingewiesen, dass der noch minderjährige Nacherbe durch einen Ergänzungspfleger vertreten werden müsse, um eine wirksame Bewilligung zur Löschung des Nacherbenvermerkes zu erreichen.

Mit Beschluss vom 15.04.2001 hatte das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - zunächst eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis des Nachlassverfahrens angeordnet und das Jugendamt als Ergänzungspfleger bestellt, diese Bestellung jedoch wieder aufgehoben.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Erfurt hat mit Beschluss vom 16.08.2002 erneut gem. § 1909 BGB Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Jugendamt Erfurt zum Ergänzungspfleger mit dem Wirkungskreis der Vertretung bei dem Verkauf der in der notariellen Urkunde genannten Grundstücke bestimmt.

Durch Verfügung vom 22.01.2003 hat das Amtsgericht - Familiengericht - das Verfahren zur weiteren Bearbeitung an das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Erfurt abgegeben.

Dieses hat sich mit Beschluss vom 27.03.2003 unter Bezugnahme auf §§ 1693, 1697 BGB für sachlich unzuständig erklärt und in den Gründen ausgeführt, dass aufgrund bestehender Sachnähe das Familiengericht allein für die weiteren Genehmigungen der Handlungen des Ergänzungspflegers zuständig sei.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat mit Beschluss vom 10.04.2003 sich für das weitere Verfahren, die Bestellung, Beratung und Aufsicht des Ergänzungspflegers, einschließlich der vorzunehmenden Genehmigungen dessen Handlungen, sachlich ebenfalls für unzuständig erklärt.

Nach Bekanntgabe der jeweiligen Entscheidungen des Vormundschaftsgerichts und des Familiengerichts hat das Amtsgericht - Familiengericht - die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht vorgelegt.

Das Thüringer Oberlandesgericht ist als gemeinsames oberes Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung des vorliegenden Zuständigkeitsstreites zwischen dem Vormundschaftsgericht und dem Familiengericht berufen (vgl. BayObLGZ 1994, 91).

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung in Anwendung der genannten Vorschrift sind gegeben.

Eines der beteiligten, seine Zuständigkeit leugnenden, Gerichte hat auf die Zuständigkeitsbestimmung angetragen; § 37 Abs. 1 ZPO.

Beide befassten Gerichte haben sich abschließend i. S. d. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt, indem sie durch die vorliegenden Beschlüsse ihre Kompetenz verneint und dies den Beteiligten mitgeteilt haben.

Für die Anordnung und Auswahl, Bestellung und nachfolgende Aufsicht und Beratung des Ergänzungspflegers ist für Fälle, wie den vorliegenden, in den der oder die gesetzlichen Vertreter aufgrund gesetzlicher Regelung nicht für ihre Kinder handeln können, auch nach der Neuregelung des § 1697 BGB durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz das Vormundschaftsgericht zuständig.

Der Senat geht vorliegend davon aus, dass die Anordnung der Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis der Vertretung beim Verkauf der bezeichneten Grundstücke sich auf die von dem Minderjährigen gegenüber seinem Vater abzugebende rechtsgeschäftliche Erklärung bezieht, durch die er in die Veräußerung durch den nicht befreiten Vorerben einwilligt.

Insoweit ist die Vertretungsmacht für die Eltern gem. § 1795 Abs. 2 BGB i. V. m. § 181 BGB bzw. § 1795 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung besteht hinsichtlich der Zuständigkeit für die Bestellung des Ergänzungspflegers, soweit ersichtlich, Einigkeit (siehe u. a. BayObLG, Rechtspfleger 2000, 158 f.; OLG Stuttgart in FamRZ 1999, 1601 f.).

Unstreitig dürfte dies auch für die nachfolgende Aufsicht und Beratung des Ergänzungspflegers sein, wenngleich dies in den Entscheidungen kaum thematisiert worden ist.

Unterschiedlich beurteilt wird in den verschiedenen obergerichtlichen Entscheidungen aber die Frage, ob für die Anordnung und die Auswahl des Ergänzungspflegers seit 01.07.1998 eine Doppelzuständigkeit besteht, so dass das Vormundschaftsgericht nach §§ 1909, 1915 Abs. 1, 1779 BGB befugt ist und das Familiengericht nach § 1697 BGB.

(So BayObLG und OLG Stuttgart, a.a.O.; noch weitergehend OLG Hamm, FamRZ 2001, 717 ff., wonach sogar eine ausschließliche Zuständigkeit des Familiengerichts angenommen wird.)

Dieser Betrachtung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Vielmehr ist bereits nach dem deutlichen Wortlaut des § 1697 BGB eine Zuständigkeit des Familiengerichts für die Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft und die Auswahl des Vormundes oder Pflegers nur dann gegeben, wenn dieses Erfordernis auf Grund einer (= anderen vorhergehenden) Maßnahme eintritt, die das Familiengericht getroffen hat(vgl. Bienwald Anmerkung in FamRZ 1999, 1602).

Die Intention des Gesetzes geht damit dahin, dem Familiengericht die Anordnungs- und Auswahlkompetenz hinsichtlich einer Vormundschaft oder Pflegschaft dann einzuräumen, wenn es selbst Maßnahmen getroffen hat, die diesbezüglich ein Bedürfnis geschaffen haben.

Gemeint sind damit Entscheidungen des Familiengerichts auf Entziehung der elterlichen Sorge, die je nach Reichweite die Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft bedingen. Da in diesen Fällen das Familiengericht bereits über tiefere Einblicke in die interfamiliären Verhältnisse und meist auch des Umfeldes haben muss, ist es in dieser besonderen Konstellation und für diese Fälle auch durchaus angezeigt, die zur Kompensation erforderlichen Maßnahmen durch das Familiengericht treffen zu lassen.

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte hier diese tatsächliche Kenntnis nicht verloren gehen bzw. nicht vom Vormundschaftsgericht erst erneut gewonnen werden müssen.

Nicht Ziel dieser Bestimmung sind die Anordnung von Ergänzungspflegschaften und die Auswahl eines Pflegers in den Fällen, in denen die Anordnung und Auswahl lediglich deshalb erfolgen muss, weil die gesetzlichen Vertreter rechtsgeschäftliche Erklärungen nicht wirksam für ihre Kinder abgeben können und bereits das Gesetz das Erfordernis einer Pflegschaft bestimmt hat.

In diesen Fällen liegt regelmäßig keine vorherige Befassung des Familiengerichts mit den Verhältnissen dieser Familie vor und auch keine Maßnahme des Familiengerichts (auf Grund derer eine Vormundschaft oder Pflegschaft anzuordnen wäre).

Es verbleibt in diesen Fällen deshalb bei der Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts nach §§ 1909, 1915 Abs. 1, 1779 BGB (so im Ergebnis auch KG, FamRZ 2000, 719; OLG Stuttgart, BW NotZ 2000, 19 unter Aufgabe OLG Stuttgart, FamRZ 1999, 1601; OLG Koblenz, OLG-Report 2001, 16 f., letzteres hinsichtlich der Frage der Bestellung des Pflegers und des weiteren Pflegschaftsverfahrens).

Eine Zuständigkeit des Familiengerichts ergibt sich auch nicht aus § 1693 BGB, da diese Bestimmung nach wie vor nur dann eine Tätigkeitskompetenz für das Familiengericht eröffnet, wenn ein Dringlichkeitsbedürfnis vorliegt.

Ein solcher Eilfall ist bei durch Ergänzungspfleger wahrzunehmenden Abgabe von rechtsgeschäftlichen Erklärungen, wie vorliegend die Ausschlagung einer Erbschaft, im Regelfall nicht gegeben, was auch hier der Fall ist (so auch OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 568 mit weiteren Hinweisen auf den Meinungsstand).

Nur ergänzend verweist der Senat darauf, dass aus den oben dargelegten Erwägungen bereits für die Anordnung der Ergänzungspflegschaft und die Auswahl des Pflegers das Familiengericht vorliegend nicht vorrangig berufen war, vielmehr auch hinsichtlich dieser Entscheidungen es bei der grundsätzlichen Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts verbleibt, da keine vorhergehende Maßnahme des Familiengerichts vorliegt, die die Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft erforderlich macht.

Gleichwohl bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der durch das Amtsgericht - Familiengericht - getroffenen Anordnung der Ergänzungspflegschaft, da der insoweit getroffene Beschluss nicht angegriffen worden ist und eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Entscheidung nicht vorliegt, nachdem auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise dem Familiengericht eine Zuständigkeitskompetenz neben der des Vormundschaftsgerichts zuerkannt wurde.

Ende der Entscheidung

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