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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.01.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 239/04
Rechtsgebiete: StVG, StPO, OWiG


Vorschriften:

StVG § 24a
StVG § 25 Abs. 1 Satz 2
StPO § 344 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1
1. Voraussetzungen wirksamer Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch.

2. Zur Bedeutung der gesetzlichen Bestimmung eines Fahrverbots als Regelfolge in den Fällen des § 24a StVG: Der Umstand, dass der Betroffene als Geschäftsführer eines Unternehmens dringend auf seinen Führerschein angewiesen ist, weil er Aufträge hereinzuholen hat, stellt grundsätzlich keine Härte ganz außergewöhnlicher Art dar, die ein Absehen vom Regelfahrverbot des § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG rechtfertigt. Bei der Beurteilung des Vorliegens einer besonderen Härte ist auch die Anwendbarkeit der Regelung des § 25 Abs. 2a StVG zu berücksichtigen


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 Ss 239/04

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Erfurt gegen das Urteil des Amtsgerichts Gotha vom 18.03.2004 der Senat für Bußgeldsachen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als Vorsitzenden, Richter am Oberlandesgericht Schulze und Richterin am Oberlandesgericht Pesta

am 10. Januar 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde wird das Urteil des Amtsgerichts Gotha vom 18.03.2004 mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Gotha zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Durch Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle des Thüringer Polizeiverwaltungsamtes vom 06.11.2003 wurden gegen den Betroffenen wegen Führens eines Kfz mit einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer Alkoholatemkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr geführt hat, eine Geldbuße von 250,00 € sowie ein Fahrverbot von 1 Monat ausgesprochen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen beraumte das Amtsgericht Gotha auf den 18.03.2004 Termin zur Hauptverhandlung an und verurteilte den Betroffenen wegen "fahrlässiger tateinheitlich begangener Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. § 24a Abs. 1 StVG zu einer Geldbuße von 500,00 €". Vom Ausspruch eines Fahrverbotes sah es ab.

Der Betroffene verzichtete in der Hauptverhandlung auf die Einlegung von Rechtsmitteln; die Staatsanwaltschaft nahm an der Hauptverhandlung nicht teil.

Das nach § 77b Abs. 1 OWiG abgekürzte Urteil wurde der Staatsanwaltschaft Erfurt am 29.03.2004 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 31.03.2004 legte diese per Fax an diesem Tage Rechtsbeschwerde ein und begründete das Rechtsmittel nach Zustellung des vollständig begründeten Urteils (26.04.2004) am 24.05.2004.

Das vollständig begründete Urteil führt zum Verkehrsverstoß aus:

"Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle Artern vom 06.11 2003 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, am 28.09.2003 um 01.40 Uhr in Gotha, Am Stockborn, mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen ..., ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben und zwar mit einer Alkoholmenge im Körper, wobei eine Atemalkoholkonzentration von 0,46 mg/l festgestellt wurde. Die Messung der Atemalkoholkonzentration erfolgte mit Dräger Alcotest 7110.

Der Betroffene gibt die ihm zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit zu."

Zur Rechtsfolgenbemessung heißt es nach Darstellung der gesetzlichen Regelfolgen:

"Der Betroffene wendet sich gegen das ausgesprochene Fahrverbot und lässt sich dahingehend ein, beruflich auf seinen Führerschein angewiesen zu sein. Er sei in der Firma dafür verantwortlich, die Aufträge herein zu holen. Dabei sei er bundesweit unterwegs.

Unter Berücksichtigung der beruflichen Situation und der geständigen Einlassung des Betroffenen und der Tatsache, dass keine Voreintragungen im Verkehrszentralregister vorliegen, wurde aus Sicht des Gerichts von der Verhängung des einmonatigen Fahrverbotes abgesehen und es erschien hier ausreichend, die Geldbuße auf 500,00 Euro zu verdoppeln".

Mit dem Rechtsmittel wird von der Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts und dabei insbesondere das Absehen vom Ausspruch eines Fahrverbotes gerügt.

Der Verteidiger des Betroffenen erklärte mit Schriftsatz vom 19.06.2004 auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, dass in der Sache keinesfalls die Fahrereigenschaft des Betroffenen klar war. Im Rahmen der Hauptverhandlung habe man vor Eintritt in die Beweisaufnahme - der PHM S. und die Ehefrau des Betroffenen standen als Zeugen zur Verfügung - über einen Verfahrensabschluss dahingehend gesprochen, dass bei einem Geständnis des Betroffenen ein Absehen vom Fahrverbot in Betracht käme. In diesem Sinne sei durch das Gericht auch entschieden worden.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft, die die Sache dem Senat vorgelegt hat, ist der Auffassung der Staatsanwaltschaft Erfurt beigetreten, hat die Rechtsbeschwerde ausdrücklich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Gotha zurückzuverweisen.

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Schuld- sowie Rechtsfolgenausspruch.

Die vorgenommene Rechtsmittelbeschränkung ist nicht wirksam.

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist, dass die Feststellungen des angefochtenen Urteils sowohl zur äußeren als auch zur inneren Tatseite ausreichend sind, um den Schuldspruch, hier wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung nach § 24 a StVG, zu begründen.

Ersichtlich bieten die Feststellungen des angefochtenen Urteils keine ausreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung. Vorliegend wird schon gar nicht deutlich, ob das Amtsgericht überhaupt eigene Feststellungen getroffen hat. Im Urteil wird nämlich lediglich der Schuldvorwurf des Bußgeldbescheides dargelegt und mitgeteilt, dass der Betroffene diese Ordnungswidrigkeit zugebe.

Zwar sind an die Gründe eines Urteils in Bußgeldsachen im Allgemeinen keine besonderen Anforderungen zu stellen. Sie müssen jedoch hinsichtlich des Schuldspruches so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht ihnen zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zur objektiven und subjektiven Seite tatsächlich getroffen hat. Diesen Mindestanforderungen genügt das angefochtene Urteil damit nicht.

Deshalb ist die Rechtsbeschwerdebeschränkung der Staatsanwaltschaft nicht wirksam.

Die Rechtsbeschwerde führt mit der allgemeinen Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Bereits wegen der o. g. Mängel des Urteils, die zur Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung geführt haben, kann das Urteil insgesamt keinen Bestand haben. Wie bereits dargelegt, begnügt sich das Urteil damit, den Schuldvorwurf des Bußgeldbescheides sowie den Umstand, dass der Betroffene die Ordnungswidrigkeit zugibt, mitzuteilen. Es stellt jedoch einen wesentlichen Mangel des Urteils dar, dass es nicht erkennen lässt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Amtsgericht überhaupt eigene Feststellungen getroffen hat. In dem angefochtenen Urteil werden lediglich die Feststellungen des Bußgeldbescheides wiederholt. Ein derartiger Verweis genügt schon deshalb nicht, weil Gegenstand des Urteils nicht die Feststellungen der Bußgeldbehörde sind, wie sie im Bußgeldbescheid dargelegt wurden, sondern ausschließlich die im Rahmen der Hauptverhandlung - gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Einlassung des Betroffenen und der durchgeführten Beweisaufnahme - getroffenen tatrichterlichen Feststellungen.

Weiterhin sind auch die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zum Rechtsfolgenausspruch völlig unzureichend; sie tragen die Verhängung der festgesetzten Geldbuße in Höhe von 500,00 € bei gleichzeitigem Absehen von einem Fahrverbot nicht.

Der Betroffene wurde wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a StVG (Fahren unter Alkoholeinwirkung) verurteilt. Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG ist in den Fällen ordnungswidrigen Handelns nach § 24a StVG, in denen eine Geldbuße festgesetzt wird, in der Regel ein Fahrverbot anzuordnen. Hieran sind Verwaltungsbehörden und Gerichte gebunden. Der Gesetzgeber hat damit das in § 24a StVG umschriebene Verhalten als besonders verantwortungslos klassifiziert und die Bewertung hinsichtlich der Anordnung eines Fahrverbots vorweggenommen (vgl. OLG Hamm, NZV 1995, 496). Deshalb kommt es auf weitergehende Pflichtverletzungen im Sinne grober oder beharrlicher Verletzungen der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nicht an. Vielmehr indiziert die Begehung einer derartigen Ordnungswidrigkeit kraft Gesetzes regelmäßig wegen der erheblichen Gefährlichkeit solcher Pflichtverletzungen die Notwendigkeit der Anordnung eines Fahrverbotes, ohne dass es der Feststellung weiterer Pflichtverletzungen bedarf (vgl. Beschluss des Senats vom 14.09.1994, 1 Ss 106/94). Die Angemessenheit eines Fahrverbotes versteht sich in den Fällen des § 24a StVG von selbst (vgl. BGH, NZV 1992, 117, 118).

Ein Absehen vom vorgenannten Regeltatbestand kommt nur dann in Betracht, wenn Härten ganz außergewöhnlicher Art vorliegen oder sonstige, dass äußere oder innere Tatbild beherrschende außergewöhnliche Umstände ein Absehen rechtfertigen (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Hamm, NZV 2001, 486; OLG Düsseldorf, NZV 1999, 257 f.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 25, Rn. 18 m.w.N.).

Dem Bußgeldrichter steht damit hinsichtlich der Möglichkeit, von einem Fahrverbot abzusehen, ein geringerer Ermessensspielraum als bei einem Regelfahrverbot nach § 4 Abs. 1 und 2 BKatV zu. Vorliegend sind keinerlei Anhaltspunkte für eine Fallgestaltung ersichtlich, die ausnahmsweise das Absehen vom Regelfahrverbot rechtfertigen könnte. Der Umstand, dass der Betroffene keine Eintragungen im Verkehrszentralregister hat, ist von vornherein nicht geeignet, auch nicht in Verbindung mit anderen Umständen, ein Absehen vom Regelfahrverbot zu rechtfertigen. Schließlich setzt der Regelfall des § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 24a StVG gerade nicht voraus, dass der Betroffene verkehrsrechtlich vorbelastet ist. Ebenso ist die geständige Einlassung des Betroffenen ungeeignet, einen besonderen Ausnahmefall zu begründen. Die Tatsache, dass der Betroffene beruflich dringend auf seinen Führerschein angewiesen ist, weil er in der Firma dafür verantwortlich sei, die Aufträge hereinzuholen, stellt keine Härte ganz außergewöhnlicher Art dar. Dafür, dass dem Betroffenen infolge des Fahrverbotes ein Arbeitsplatz- oder Existenzverlust drohe und er diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abwenden bzw. vermeiden könnte, ist nichts ersichtlich. Im Übrigen hätte in die vorzunehmende Abwägung auch die Regelung des § 25 Abs. 2a StVG einbezogen werden müssen.

Nach alledem war das Urteil des Amtsgerichts Gotha vom 18.03.2004 aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Gotha zurückzuverweisen.

III.

Für die erneute Prüfung der Sache wird darauf verwiesen, dass sich die Anforderungen an die Entscheidungsfeststellungen danach richten werden, ob der Verstoß eingeräumt wird und Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung nicht vorliegen (vgl. BayObLG, NJW 2003, 1752; OLG Celle, Blutalkohol, Band 41, 465 (2004); OLG Hamm, VRS 107, 386) oder ob eine ordnungsgemäße Messung in Frage gestellt wird (vgl. Senatsbeschluss DAR 2004, 598) bzw. Anhaltspunkte für eine Fehlmessung bestehen.

Ende der Entscheidung

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