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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: 1 UF 505/03
Rechtsgebiete: BGB, HausratsVO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1361b
HausratsVO § 1
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 7
1. Zur Wohnung gehören auch Nebenräume wie Keller, Garage, Sport- und Fitnessräume, sofern diese von den Eheleuten vor der Trennung genutzt wurden.

2. Die Räumlichkeiten verlieren ihren Charakter als Ehewohnung nicht dadurch, dass ein Ehegatte wegen erheblicher ehelicher Spannungen auszieht.

3. Eine eindeutige Aufgabe der Wohnung liegt nicht vor, wenn die Parteinen in einer Vereinbarung festhalten, dass die Regelung nur vorübergehend und im beiderseitigen Einvernehmen abänderbar ist.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 UF 505/03

In der Familiensache

hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena auf die befristete Beschwerde der Antragsgegnerin vom 13.11.2003, eingegangen am 17.11.2003, gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Mühlhausen vom 23.10.2003 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dünisch, Richterin am Oberlandesgericht Martin und Richter am Oberlandesgericht Jahn am 21.01.2004 beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 2 KostO, 13 a Abs. 1 S. 1 FGG).

3. Der Beschwerdewert wird auf 6000,- € festgesetzt (§ 100 Abs. 3 S. 1 KostO).

4. Der Gegenstandswert der I. Instanz wird in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Mühlhausen vom 01.08.2003 für das Hauptsacheverfahren auf 6000,- €, für das einstweilige Anordnungsverfahren als dreimonatiger Mietwert ein Wert von 1500,- € festgesetzt (§ 8 Abs. 3 S. 3 i.V.m. S. 2 BRAGO, § 20 Abs. 2 S. 2 GKG).

5. Der Antragsgegnerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe verweigert (§ 114 ZPO).

Gründe:

Die Parteien haben am 17.12.1973 die Ehe geschlossen. Aus dieser sind die Kinder Y., geboren am 30.04.1975 und K., geboren am 04.10.1982, hervorgegangen. Die Parteien leben seit dem 16.01.2003 getrennt.

Der Antragsteller ist erstmals am 15.11.2002 aus der Ehewohnung ausgezogen, hat sich aber bis Weihnachten 2002 noch regelmäßig in dieser etwa 2 - 3 mal wöchentlich aufgehalten und ist am 27.12.2002 erneut eingezogen. Er hat die Ehewohnung dann am 16.01.2003 wiederum verlassen.

Die Parteien sind zu je 1/2 Miteigentümer des unbelasteten Hausgrundstücks "H." mit einer Größe von 670 qm. Das Grundstück ist bebaut mit einem großzügigen Wohnhaus. Das Kellergeschoss und das Obergeschoss verfügen über eine separate Wohnung von je 118 qm. Zu dem Haus gehört eine Doppelgarage sowie ein Sport- und Fitnessbereich, der im Untergeschoss 14 qm und im Obergeschoss 28 qm umfasst. K. bewohnt im Obergeschoss ein Zimmer.

Die Parteien haben am 16.11.2003 eine Vereinbarung geschlossen. Die Ziffer 3 lautet:

"Die weitere Nutzung des Hauses wird durch Frau E. R. und Tochter K. gewährleistet.

Diese Regelungen sind vorübergehend und können in beiderseitigem Einvernehmen kurzfristig geändert werden"(Bl. 16 a d A).

Die Parteien haben am 01.08.2003 zur Erledigung der einstweiligen Anordnung einen Teilvergleich geschlossen. Demnach ist der Antragsteller berechtigt, ihm gehörende Möbelstücke im Partyraum des ehelichen Hauses für die Dauer von drei Monaten abzustellen (Bl. 55 d A).

Der Antragsteller hat vorgetragen, der Vorfall vor seinem Auszug habe sich nicht so - wie von der Antragsgegnerin geschildert - abgespielt. Er habe seine Frau tatsächlich an den Oberarmen gepackt. Keinesfalls habe er sie in den Partyraum gezerrt und mehrmals gedroht, sie umzubringen. Er habe sie nicht gegen einen Heizkörper gedrückt. Er habe in seiner Frustsituation gedroht, er werde das Haus anzünden, er habe sinngemäß gesagt, "wenn dann sterben wir alle". Dies sei der einzige Vorfall gewesen.

Es werde bestritten, dass er ein Leben zu Dritt habe führen wollen.

Er habe die Ehewohnung nur vorübergehend verlassen, um seine Ruhe vor den ständigen Anfeindungen der Antragsgegnerin zu haben. Die schriftliche Vereinbarung lasse erkennen, dass die Regelung nicht endgültig sein sollte.

Sein derzeitiges Mietverhältnis ende zum 31.07.2003.

Der Antragsteller hat die Zuweisung der unteren Etage der Ehewohnung an sich beantragt.

Die Antragsgegnerin hat die Alleinzuweisung des Wohnhauses beantragt.

Sie hat vorgetragen, der Antragsteller sei unmittelbar vor seinem Auszug am 16.11.2003 ihr gegenüber gewalttätig geworden. Er habe sie im Zuge einer Auseinandersetzung im Kellergeschoss in den Partyraum gezerrt, ihr mehrfach gedroht, sie umzubringen, sie gegen den Heizkörper gedrückt und geäußert, er werde sie mit Benzin übergießen und anzünden.

Auch habe er zwischen Weihnachten und seinem Auszug am 16.01.2003 vorgeschlagen, eine offene Dreierbeziehung zusammen mit seiner Freundin zu führen.

Die Ehewohnung sei nicht aufteilbar, da die beiden Etagen durch ein offenes Treppenhaus miteinander verbunden seien.

Das Amtsgericht Mühlhausen hat mit Beschluss vom 23.10.2003 dem Antragsteller für die Dauer des Getrenntlebens die auf dem Grundstück der Gemarkung B., "H", im Kellerbereich gelegene Wohnung sowie die vordere Hälfte der von außen begehbaren Doppelgarage mit einer Fläche von 24 qm und den an die Garage angrenzenden Sauna- und Fitnessbereich mit einer Fläche von 14 qm zugewiesen und zur Begründung ausgeführt, auch wenn der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin handgreiflich geworden sei, reiche dies nicht aus, um eine unbillige Härte anzunehmen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.

Sie führt an, der Antragsteller sei seit dem 25.09.2003 insgesamt drei mal ausgezogen. § 1361 b Abs. 4 BGB sehe vor, dass derjenige Ehegatte, der im Rahmen der Trennung ausziehe und der sechs Monate eine ernstliche Rückkehrabsicht nicht offenbare, auf sein Nutzungsrecht bis zur Ehescheidung verzichte.

Sie beantragt,

den Beschluss des Amtsgericht Mühlhausen vom 23.10.2003, Az. 2 F 263/03, aufzuheben und den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig (§§ 621 Abs. 1 Nr. 7, 621 e Abs. 1, 3, 516, 519 ZPO).

Die Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg; das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Die auf dem Grundstück der Parteien gelegenen Räumlichkeiten im Keller sowie die Garage und der Sportbereich sind Teil der Ehewohnung. Zur Wohnung gehören auch die Nebenräume wie Keller, Garagen, Garten, Speicher (Palandt/Diedrichsen, BGB, 61. Auflage, § 1361 b, Rdnr. 6), sofern diese Räumlichkeiten von den Eheleuten vor der Trennung entsprechend genutzt wurden, wovon vorliegend auszugehen ist.

Die Räumlichkeiten haben ihren Charakter als Ehewohnung nicht dadurch verloren, dass der Antragsteller ausgezogen ist. Der Senat geht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1999, 1087, 1088) davon aus, dass bei einem Ehegatten, der wegen bestehender ehelicher Spannungen auszieht, die Aufgabe der Wohnung (i S des § 1 HausratsVO) nur dann in Betracht kommen wird, wenn sich die Ehegatten über die Weiterbenutzung der Wohnung eindeutig und endgültig geeinigt haben. Gegen eine endgültige Aufgabe spricht die Vereinbarung vom 16.11.2003, wonach die Regelung nur vorübergehend und im beiderseitigen Einvernehmen kurzfristig abänderbar sein soll.

Die Ehewohnung kann gemäß §§ 1361 b BGB für die Dauer des Getrenntlebens einem Ehegatten ganz oder teilweise zur alleinigen Benutzung zugewiesen werden, soweit dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Durch den Wechsel von der "schweren Härte" zur "unbilligen Härte" , neu gefasst mit Wirkung vom 01.01.2002 durch Art. 2 des Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalt und Nachstellungen (GewSchG), wollte der Gesetzgeber die Effektuierung des Schutzes vor häuslicher Gewalt und die modifizierte Zielrichtung des Gesetzes verdeutlichen und die Schwelle für die Anwendung der Norm gegenüber der strengen Rechtsprechung deutlich herabsetzen (Palandt /Brudermüller, a.a.O., § 1361, Rdnr. 8).

Vor dem Hintergrund, dass durch die terminologische Änderung die hohe Schwelle bei der Gewaltausübung in Ehe und Partnerschaft herabgesenkt werden soll, kann jede Gewaltform als Tatbestand in Betracht kommen. Der Senat geht davon aus, dass eine die Allein- oder Teilzuweisung der Ehewohnung während der Dauer des Getrenntlebens rechtfertigende Härte dann vorliegt, wenn der hinauszuweisende Ehegatte in grob rücksichtsloser Weise durch erhebliche Belästigungen das Wohnen für den anderen Ehegatten nahezu unerträglich macht (vgl. OLG Köln, FamRZ 2001, 761).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Vorliegen einer unbilligen Härte in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht zu verneinen. Der Antragsteller hat vorgetragen, der Vorfall vor seinem Auszug habe sich nicht so - wie von der Antragsgegnerin geschildert - abgespielt. Er habe seine Frau tatsächlich an den Oberarmen gepackt. Keinesfalls habe er sie in den Partyraum gezerrt und mehrmals gedroht, sie umzubringen. Er habe sie nicht gegen einen Heizkörper gedrückt. Er habe in seiner Frustsituation gedroht, er werde das Haus anzünden, er habe sinngemäß gesagt, "wenn dann sterben wir alle". Dies sei der einzige Vorfall gewesen. Den Vorwurf des "Wohnens zu Dritt" hat er vollumfänglich bestritten. Ein zulässiges Beweisangebot nach den Regeln des Zivilprozesses für ihren weitergehenden Vortrag ist nach dem bestrittenen Vorbringen durch die Antragsgegnerin in beiden Instanzen nicht erfolgt.

Zwar stellt auch der zugestandene Vortrag des Antragstellers eine tätliche Entgleisung dar. Eine einmalige tätliche Entgleisung kann nur dann eine unbillige Härte bedeuten, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass sich vergleichbares wiederholen kann (KG, FamRZ 1991, 1190, 1191; OLG München, FamRZ 1999, 1270). Gegen eine Wiederholung sprechen sowie der Zeitablauf als auch das Fehlen jeglicher diesbezüglicher Anhaltspunkte.

Die Anforderungen an die "unbillige Härte" sind auch nicht deshalb herabzusetzen, weil der Antragsteller ausgezogen und anderweitig eine eigene Wohnung bezogen hat (vgl. OLG Köln, FamRZ 1987, 77). Zum einen ist der Antragsteller nur unter dem Druck der Spannungen zwischen den Parteien ausgezogen und verfügt zum anderen unstreitig seit dem 31.07.2003 nicht mehr über eine eigene Wohnung.

Die Voraussetzungen des § 1361b Abs. 4 BGB liegen erkennbar nicht vor, da die vorübergehende "Vereinbarung der Parteien" erst am 16.01.2003 mit dem Auszug des Antragstellers abgefasst wurde und dieser bereits am 27.02.2003 einen Antrag auf teilweise Zuweisung der Ehewohnung gemäß § 1361 b BGB gestellt und damit vor Ablauf von sechs Monaten seine Rückkehrabsicht dokumentiert hat.

Die trennungsbedingten Unannehmlichkeiten reichen keineswegs aus, um den Antragsteller während der Trennung völlig aus der ehelichen Wohnung herauszusetzen. Dies gilt umso mehr, als eine Teilung des Hauses - wie vom Amtsgericht vorgenommen - möglich ist. Allerdings hat sich der Antragsteller jeglicher körperliche Übergriffe gegenüber der Antragsgegnerin zu enthalten, da ansonsten die Annahme einer Wiederholungsgefahr droht.



Ende der Entscheidung

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